Swen, bei aller Bewunderung für deinen Optimismus und dein Durchhaltevermögen... Ich denke bevor es eine juristisch angemessene Besoldung gibt haben wir uns entweder zurück in die Steinzeit gebombt, rennen dem Klimawandel davon, oder brauchen Unmengen an Finanzen und anderen Kapazitäten um die Folgen von Derartigem zu lindern.
Kurz: mehr als das Trostpflaster wird's mMn nicht werden. Sich damit abzufinden hat zumindest für mich etwas Befreiendes...
Das, was ich schreibe, mag sich optimistisch anhören, Knecht. Es wird sich nach den anstehenden Entscheidungen klarer sagen lassen, ob hier Optimismus vorliegt. Die Entscheidungsbegründung wird uns deutlicher zeigen, als wir das jetzt sehen können, wohin die Reise geht. Da ich hierzu ja in den letzten Wochen bereits recht viel geschrieben habe, nur ein paar sachliche Einwürfe hinsichtlich meines „Optimismus“:
1. Das Bundesverfassungsgericht hat von 2022 nach 2023 seine zunächst geplante Entscheidung über die Bremische Besoldung der Jahre 2013 und 2014 erweitert auf die niedersächsische Besoldung der Jahre 2005 bis 2012 und 2014 bis 2016 sowie die schleswig-holsteinische der Jahre 2007.
2. Der Grund für die ursprüngliche Auswahl der bremischen Vorlagen dürfte insbesondere darin zu suchen sein, dass es sich bei diesen um die am längsten anhängigen handelt. Darüber hinaus deutet diese ursprüngliche Auswahl ggf. darauf hin, dass sich der Zweite Senat ggf. ein weiteres Mal mit den den Gesetzgeber treffenden prozeduralen Anforderungen beschäftigen wird, da zwei der fünf Verfahren aus ausschließlich prozeduralen Gründen vom vorlegenden Verwaltungsgericht als verfassungswidrig betrachtet worden sind (was sich heute so nicht mehr so darstellen sollte, da seit der letzten Entscheidung klar ist, dass sich auch hinsichtlich dieser beiden Vorlagen das Mindestabstandsgebot als eklatant verletzt zeigt), was 2022 bei der Auswahl dieser Vorlagen bereits offensichtlich war.
3. Das Bundesverfassungsgericht wird also Gründe haben müssen, dass es von 2022 nach 2023 die Anzahl der Verfahren deutlich erweitert hat und dabei mit Niedersachsen einen Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts aufruft, das zu seiner Vorlageentscheidung auf Grundlage der sachlich weitgehend identischen Argumente wie in der letzten Vorlage zur Berliner Besoldung gekommen ist (auch dort war das vorlegende Gericht das Bundesverwaltungsgericht). Diesbezüglich ist insofern sachlich wenig Neues zu erwarten, weshalb sich umso mehr die Frage stellt, wieso das Bundesverfassungsgericht diese Vorlagen nun - anders als ursprünglich geplant - zur Entscheidung bringen will. Die Verfahrenslänge - die anstehende Entscheidung reicht wie gesagt bis zum Jahr 2005 zurück - kann dabei zwar ein Grund, jedoch kein ausschlaggebender sein, da das Bundesverfassungsgericht dann eher das anhängige Verfahren über die brandenburgische Besoldung im Jahr 2004 hätte heranziehen dürfen.
4. Dabei spricht einiges dafür, dass es hier wie auch hinsichtlich der schleswig-holsteinischen Vorlage eine Art "verfassungsrechtliches Faustpfand" schaffen will (vgl. hier ab der S. 10
https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2023/03/Weitere-Normenkontrollantraege-vor-der-Entscheidung-5.pdf).
5. Sofern dem so ist, sollte damit deutlicher Druck auf die niedersächsische Landesregierung ausgeübt werden, insbesondere, da jenes „Faustpfand“ ggf. der direkten Vorbereitung einer Vollstreckungsanordnung dienen könnte, wie es an der gerade genannten Stelle ausgeführt und begründet wird. Dabei bleibt in den Blick zu nehmen, dass der niedersächsische Finanzminister vor der letzten Landtagswahl in seiner Funktion als Vorsitzender des Finanzausschusses den verfassungswidrigen Charakter der heutigen Besoldungsgesetzgebung öffentlich eingestanden hat (
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/gerald-heere/fragen-antworten/in-der-letzten-landtagssitzung-haben-sie-die-ablehnung-des-gesetzentwurfs-18/11498-fuer-buendnis-90/die-gruenen). Dieses Eingeständnis dürfte es so oder so der Landesregierung zukünftig sachlich nicht einfacher machen, die langjährige Kontinuität der verfassungswidrigen Besoldungspraxis aufrechtzuerhalten, wie sie das Bundesverwaltungsgericht in seinen Vorlagen festgestellt hat, um hierbei vonseiten des Vorsitzenden des Zweiten Senats hervorzuheben: „Wir haben in erschreckender Weise festgestellt, dass dies [die Einhaltung des Mindestabstands zum Grundsicherungsniveau“; ST.] in all den Jahren nicht erreicht wurde“ (
https://www.kreiszeitung.de/lokales/niedersachsen/bundesverwaltungsgericht-leipzig-beamtenbesoldung-niedersachsen-verfassungswidrig-10408736.html).
6. Jenes „Faustpfand“ trifft – sofern es so vorbereitet werden sollte – gleichfalls auch Schleswig-Holstein (vgl. ebd., S. 19 f.), wobei Schleswig-Holstein offensichtlich noch nicht der Gefahr einer ggf. bevorstehenden Vollstreckungsanordnung ausgesetzt ist. Jenes „Faustpfand“ müsste allerdings gleichfalls gehörigen Druck auf die Landesregierung ausüben, sofern er so käme, darüber hinaus auch und insbesondere auf die Finanzministerin, die seit über elf Jahren die Besoldungsgesetzgebung des Landes federführend mitzuverantworten hat. Die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgericht dürfte ihr auch medial nicht unendlich viel Rückenwind bringen, auch weil es zu viele direkte Zitate von ihrer Seite gibt, die den offensichtlich nicht immer gänzlich vetantwortungsvollen Umgang mit Sachverhalten beleuchten.
7. Mit der Erweiterung der ursprünglichen Entscheidung auf zwei weitere Rechtskreise dürfte die anstehenden Entscheidung zu einer Art Grundsatzentscheidung geraten, wie sie seit 2015 so nicht mehr vollzogen worden ist, als zum letzten Mal verschiedene Rechtskreise in einer Entscheidung betrachtet worden sind, wobei anders als 2015 heute damit zu rechnen sein dürfte, dass hier nun alle betrachteten Besoldungsgesetze als verfassungswidrig zu entscheiden sein werden (2015 war es nur das sächsische), was nicht nur den Druck auf alle weiteren Besoldungsgesetzgeber ausüben sollte (umso mehr, als das Bundesverfassungsgericht 2015 die niedersäsische Besoldungsgesetzgebung des Jahres 2005 als noch verfassungskonform betrachtet hat, was es nun offensichtlich korrigieren wird), da sie im Gefolge einer solchen Entwicklung argumentativ in deutlich schwierigere Fahrwasser geraten sollten, sondern noch einmal deutlich stärker als bislang die generelle Problematik der Besoldungsgesetzgebung der letzten weit über anderthalb Jahrzehnte öffentlich macht. Es dürfte insofern mindestens in den betroffenen drei Rechtskreisen von einem (deutlich) größeren medialen Interesse auszugehen sein – Folgen eines solchen größeren Interesse zeigen sich in Hessen, wo sich nach der Entscheidung des VGH Hessen die mediale Öffentlichkeit wiederkehren interessiert gezeigt hat, was an entscheidender Stelle mit dazu geführt haben dürfte, dass der Finanzminister am Ende öffentlich eingestehen musste, dass die aktuelle Gesetzgebung weiterhin verfassungswidrig ist, sodass man das dort dann gleich auch in die letzte Gesetzesbegründung mit eingearbeitet hat.
8. Darüber hinaus ist in den anstehenden Entscheidungen mindestens eine weitere recht deutliche Verschärfung der prozeduralen Anforderungen zu erwarten, die den Besoldungsgesetzgeber dazu zwingen wird, sachliche Kritik noch im Gesetzgebungsverfahren hinreichend zu entkräften, was die Beteiligungsrechte der Gewerkschaften und Verbände deutlich stärken dürfte (vgl. den o.g. Beitrag auf der Seite der Berliner-Bsoldung, S. 3 ff.). Damit zerbricht die generell eher weitgehende Tradition in den Rechtskreisen, sachliche Kritik während des Gesetzgebungsverfahrens geflissentlich zu ignorieren. Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit wird diese Entscheidung nicht nur zukunftsorientiert fallen, sondern sich mindestens auf die Gesetzgebungsverfahren erstrecken, die seit 2012 von den Gesetzgebern vollzogen worden sind. Denn seitdem können sie sowohl nicht mehr darüber im Unklaren sein, dass sie in der Besoldungsgesetzgebung von besonderen Begründungspflichten betroffen sind, als auch hat das Bundesverfassungsgericht in seiner hier höchstwahrscheinlich sachlichen Parallelentscheidung zur Parteienfinanzierung – Absolute Obergrenze die genannte Anforderung ebenfalls vergangenheitsbezogen angewandt. Die Einhegung des weiten Entscheidungsspielraums, über den der Besoldungsgesetzgeber prinzipiell verfügt, sollte also mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit an einer empfindlichen Stelle weiterhin vorangetrieben werden. Denn eine nicht hinreichende Entkräftung sachlicher Kritik noch im Gesetzgebungsverfahren sollte nach den anstehenden Entscheidungen bereits direkt in die Verfassungswidrigkeit führen können. Das dürfte den Gewerkschaften und Verbänden gehöriger Ansporn sein, ihre Beteiligungsrechte zukünftig nur umso ernsthafter zu verfolgen, wie das unlängst der DRB bereits gezeigt hat.
9. Schließlich dürfte zu erwarten sein, dass es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu weiteren Ausführungen hinsichtlich des Mindestabstandsgebots kommen wird, sei es bspw. im Hinblick auf die Kosten für die Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie den monetären Gegenwert der Sozialtarife, wie ich das die Tage hier bereits ausgeführt habe. Auch könnte es zu Betrachtung von Methoden zur Prüfung der indiziellen Mindestbesoldung kommen, wie ich das ebenfalls im Forum vor ein paar Tagen dargelegt habe, nicht umsonst sollten gerade erst wieder die Entscheidungen des Berliner VG zeigen, dass hier eine Konkretisierung notwendig ist – so wie das sämtliche seit 2020 vollzogenen Gesetzgebungsverfahren mehr als offensichtlich machen. Sofern es hier zu einer methodischen Betrachtung der in der letzten Entscheidung in einem Leitsatz betrachteten Mindestbesoldung kommen sollte (die Betrachtung in einem Leitsatz macht die anstehende sachliche Vertiefung in den angekündigten Entscheidungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwartbar), sollte eine direkte Prüfmethodik vorliegen, welche Grundgehaltssätze als evident unzureichend zu betrachten wären, da sie sich nicht (mehr) sachlich rechtfertigen ließen. Auch das würde gehörigen Druck auf die Besoldungsgesetzgeber ausüben, insbesondere, je konkreter eine solche Methodik ausgeführt und dabei mit den prozeduralen Verpflichtungen des Besoldungsgesetzgebers verbunden werden würde, wie das bspw. in dem aktuellen ZBR-Beitrag aus dem Juli diesen Jahres entwickelt worden ist.
10. Schließlich hat uns das Bundesverfassungsgericht in eigentlich jeder seiner seit 2012 gefällten Entscheidung über besoldungsrechtliche Vorlagebeschlüsse mit sachlichen Vertiefungen der seitdem immer konkreter gewordenen neuen Besoldungsdogmatik überrascht – es darf also vermutet werden, dass die anstehenden Entscheidungen weitere sachliche Überraschungen beinhalten könnten. Das nur umso mehr, als es auch (und gerade) dem Bundesverfassungsgericht vor Augen stehen dürfte, dass seit spätestens 2020 alle Besoldungsgesetzgeber seine Rechtsprechung systematisch im Sinne der länderübergreifenden konzertierten Verfassungsbruchs, den Ulrich Battis begründet hervorhebt, missachten.
So verstanden betrachte ich meine zeitliche Einordnung nicht als überaus optimistisch – ich würde das allerdings umgehend so sehen, sofern die anstehenden Entscheidungen nicht deutliche Vorkehrungen beinhalteten, die die Fortsetzung der Missachtung stark erschwerten. Sofern es dazu käme, dass also die anstehenden Entscheidungen keinen hinreichend grundsätzlichen Charakter entfalten würden, wäre die vorhin getätigte zeitliche Einordnung offensichtlich (deutlich) zu optimistisch. Für mich sprechen aber weiterhin zu viele Indizien dafür, dass weitere grundsätzliche und also direktive Ausführungen in Vorbereitung sind, die den genannten zeitlichen Rahmen nicht allzu optimistisch erscheinen lassen sollten. Wer’s anders sieht, sollte dafür einfach mal ein paar sachliche Gründe ins Feld führen, die mich interessieren würden, da ich bislang außer dem Argument, „War schon immer so, wird also immer so bleiben“, eigentlich keine weiteren höre, wenn ich das richtig erinnere.