Ja, genauso ist es, Bundi, nämlich zunehmend verfahren, was absehbar (gewesen) ist: Irgendwann fällt einem halt der Himmel auf dem Kopf, wenn man's wiederkehrend darauf ankommen lässt, zu wenig Wasser unterm Kiel zu haben, um dann irgendwann fast zwangsläufig in himmelschreiender Art und Weise auf Grund zu laufen, der in diesem Fall das Grundgesetz ist, sodass die damit verbundene Erschütterung dann auch denn Himmel zu Fall bringt. Wie schon vor ein paar Tagen geschrieben, dürfte die Deutlichkeit der Entscheidung vom letzten Mittwoch auch darin ihre Begründung finden, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber deutlich daran erinnern wollte, dass das Verfassungsrecht sowohl formell als auch materiell nicht ins Belieben des Gesetzgebers gestellt ist. In diesem Sinne lassen sich diese wie zwei weitere deutliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus diesem Jahr interpretieren:
1) In der hier bereits umfänglich betrachteten Entscheidung zur Parteienfinanzierung - Absolute Obergrenze vom 24. Januar 2023 - 2 BvF 2/18 - hat das Bundesverfassungsgericht bereits in formeller Hinsicht deutlich gemacht, dass auch, "wenn der Parlamentsmehrheit ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung der Verfahrensabläufe im Parlament zusteht", einiges dafür spricht, "dass dieser in einer die formelle Verfassungsmäßigkeit des beschlossenen Gesetzes tangierenden Weise überschritten wird, wenn die genannten Grundsätze [formelle Gleichheit der Abgeordneten; ihre gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung; ihre gleichheitsgerechten Mitwirkungsrechte; die hinreichende Beachtung von Parlamentsöffentlichkeit; die uneingeschränkte Wahrnehmungsmöglichkeit der Kontrollfunktion durch den Souverän; die Informationsrechte, über die Bürgerinnen und Bürger verfügen; ihr Recht, die Gründe für parlamentarische Entscheidungen hinlänglich im Gesetzgebungsverfahren zu erfahren; ST.] ohne sachlichen Grund gänzlich oder in substantiellem Umfang missachtet werden (vgl. zur Verweigerung der Beratung einer Gesetzesinitiative BVerfGE 145, 348 <361 f. Rn. 38>). Für die Möglichkeit einer missbräuchlichen Beschleunigung von Gesetzgebungsverfahren mit dem Ziel, die Teilhaberechte der Abgeordneten oder den Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit ohne jeden Sachgrund einzuschränken, bieten Art. 77 Abs. 1, Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG keine Grundlage." (ebd., Rn. 96;
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/01/fs20230124_2bvf000218.html)
2. Diese Rechte hat es mit seiner einstweiligen Anordnung vom 05. Juli 2023 - 2 BvE 4/23 - noch weiter konkretisiert und gefestigt, indem es erneut die Gleichheitsrechte der Abgeordneten in formeller Hinsicht in den Mittelpunkt rückte (ebd., Rn. 87 ff.;
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/07/es20230705_2bve000423.html) und dabei ebenfalls die eigenen Rechte noch einmal deutlich in den Vordergrund stellte: "Soweit der Antragsgegner meint, dass eine spätere Feststellung der Rechtsverletzung durch das Bundesverfassungsgericht das verletzte Recht zwar nicht wiederherstellen könne, aber eine ideelle Wiedergutmachung darstelle, die der Annahme eines vollständigen Rechtsverlusts entgegenstehe, überzeugt dies nicht. Dies würde dazu führen, dass die erfolgreiche Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes im Organstreit unter Verweis auf die etwaige Feststellung einer Rechtsverletzung in der Hauptsache selbst im Falle des Eintritts irreparabler Folgen ausgeschlossen wäre. Dadurch wäre dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit genommen, streitige organschaftliche Rechte zu sichern, obwohl dies im Einzelfall – trotz des grundsätzlich nicht lückenlosen vorläufigen Rechtsschutzes – verfassungsrechtlich geboten sein kann." (ebd., Rn. 103; diese Passage darf man ruhig mehrfach lesen)
3. Und schließlich eben die aktuelle Entscheidung, über die alles, was hier hinlänglich ist, bereits gesagt wurde. Dabei ist der Zweite Senat den am weitesten reichenden Weg gegangen, indem er am Ende die Nichtigkeit des Gesetzes festgestellt und damit ebenso bereits eingesetzte (Haushalts-)Mittel in die Entscheidung mit einbezogen hat (vgl. die Rn. 230 f. unter
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/11/fs20231115_2bvf000122.html). Er hätte sicherlich auch den Weg gehen können, bereits eingesetzte und verbrauchte Mittel nachträglich von der Nichtigkeit auszunehmen (worauf man vonseiten der Bundesregierung als offensichtlich das mindeste gehofft und ebenso spekuliert hat).
Was will das Bundesverfassungsgericht uns - oder wohl eher: der Regierung und den Regierungsfraktionen - eigentlich mit diesen Entscheidungen auch sagen? Ich denke, die Antwort liegt auf der Hand: In den Jahren ab dem Frühjahr 2020 habt ihr euch in einer schweren globalen Krise Rechte zu erkannt und dabei Grundrechte eingeschränkt, über die (das Zuerkennen und das Einschränken) heute als solche nicht mehr entschieden werden muss, sofern hierfür keine anhängigen Verfahren gegeben sind. Diese Krise ist nun allerdings definitiv vorbei, sodass der Gesetzgeber genauso wie die von seiner Mehrheit gestützte (Bundes-)Regierung ebenfalls wieder zum verfassungsrechtlichen Status quo ante zurückzukehren haben. Für alles andere besteht weder eine verfassungsrechtliche Voraussetzung noch eine politische Notwendigkeit. Es besteht insofern keine Veranlassung zu der Annahme, dass die Verfassungswirklichkeit vor 2020 eine andere ist als die heutige - dahingegen war die Diskontinuität zwischen 2020 und 2022 einer einmaligen Ausnahmesituation geschuldet, die als solche kein neues Verfassungsrecht oder eine neue Verfassungswirklichkeit begründen könnte.
Entsprechend darf man davon ausgehen, dass das Bundesverfassungsgericht - wie es das nun unmissverständlich letzte Woche klargemacht hat, nachdem zuvor bereits zwei entsprechende "Warnschüsse" erfolgt sind - den Weg zur Rückkehr in das kontinuierte Verfassungsrecht als Garanten unserer freiheitlichen Demokratie und unseres Rechts- und Sozialsstaates auch weiterhin freundlichen begleiten wird und der Regierung genauso wie den sie tragenden Regierungsfraktionen gerne dabei behilflich sein wird, wenn sie ggf. nach einem auch ihnen eventuell nicht immer gutgetanen Interregnum nun Schwierigkeiten haben sollten, sich aus streckenweise anderen (und dort wie dargelegt zu rechtfertigenden) Gefilden wieder in die hiesigen ein- und zurechtzufinden. Diese Freundlichkeit, einem anderen in Zeiten seiner Not beiseitezustehen, hat es in der Entscheidung vom letzten Mittwoch eindrücklich unter Beweis gestellt und damit dem Gesetzgeber und der von seiner Mehrheit getragenen (Bundes-)Regierung unausgesprochen zugerufen: "Ihr seid hier jederzeit in Karlsruhe herzlich willkommen, wenn ihr weitere Nachhilfe braucht. Übt gerne weiter auf den Parlaments- und Regierungsplätzen die Rückkehr aus dem Interregnum. Wenn diese Übungen noch fehlschlagen, ist das für uns nicht weiter schlimm. Wir geben euch dann freigibig und gerne schriftliche Darlegungen zur Hand, aus denen ihr weiterhin ordentlich lernen könnt. Und wir glauben an euch und motivieren euch deshalb schon heute, auch ohne unsere Hilfe wieder selbst im Rahmen unserer Verfassung zu laufen. Aber wenn ihr das noch nicht wieder schaffen solltet, ist's für uns doch kein Beinbruch. Wir richten euch schon wieder auf, wenn ihr euch denn selbst darnieder richtet - und je öfter ihr dafür sorgt, hier vorbeikommen zu wollen, desto freigiebiger werden wir euch hier empfangen, ihr Lieben, darauf könnt ihr euch verlassen. Und nun alles Gute für eure weitere Tätigkeit und viel Spaß bei den anstehenden Aufräumarbeiten, die ihr sicherlich gerne tut bei all der Zuversicht, die wir in euch setzen. In alter herzlicher Verbundenheit Euer euch treu begleitendes Bundesverfassungsgericht".
Ist doch schön, wenn man sich als Gesetzgeber und Regierung in so schwierigen Zeiten wie diesen noch auf jemanden verlassen kann, der qualitativ, funktional und persönlich verlässlich ist.
https://www.youtube.com/watch?v=35PCFQtrgJM