Charakteristisch für eine illiberale Demokratie ist demnach, dass die Regierung zwar durch freie, allgemeine und faire Wahlen demokratisch legitimiert ist, sie aber „Grund-, Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechte verletzt“ und den Rechtsstaat nicht respektiert. Dabei ist insbesondere die Kontrolle von Exekutive und Legislative durch die rechtsprechende Gewalt eingeschränkt. Es gibt also keinen effektiven Rechtsschutz gegen Gesetzgebung und Regierungshandeln, die Bindungswirkung konstitutioneller Normen ist gering.
Genau das ist die mindestens die Legitimität erodierende Folge eines wiederholt auf einem Vulgärpragmatismus basierenden Handelns, das den Zweck über das Recht stellt und damit Mittel heiligt, die in der Wiederholung den Rechtstaat aushöhlen. Denn sobald wiederholt begonnen wird, so zu handeln, wird mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit die Wiederholung zu einer Regel oder zeigt sich mit einer wiederkehrenden Regelhaftigkeit: Sobald es politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich oder aus weiteren Gründen sachlich schwierig wird, ist es aus Sicht des so Handelnden einfacher, den Zweck über das Recht zu stellen und letzteres damit zunehmend wirkungslos werden zu lassen.
Nun sind wir in der Bundesrpublik noch nicht so weit, dass eine solche Regelhaftigkeit im größeren Rahmen erkennbar wäre - wir sind davon allerdings, nicht nur bei unserem Thema, mittlerweile auch nicht mehr so weit entfernt, als dass man beruhigt die Hände in den Schoß legen und vermeinen könnte, es sei schon alles gut und würde sich schon irgendwie zurechtschütteln. Denn allein die Problemlage, wie wir sie seit spätestens Anfang 2020 zunehmend vorfinden, darf man als eine multiple Krise wahrnehmen, also eine sich aus mehreren Ursachen speisende Krise, deren jeweiliger Gehalt sich gegenseitig verstärkt. Gerade in Zeiten der Krise muss sich dabei die Kraft einer Demokratie und des Rechtsstaats beweisen - in diesem Sinne darf man die letzte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lesen, das eben in unmissverständlicher Form die grundlegenden Prinzipien des Haushaltsrechts ins Feld führt, um dem Grundgesetz in der Form, wie wir es heute vorfinden, zu seinem Recht zu verhelfen. Der Zweite Senat, dem bis 2020 der damalige Präsident des Bundesverfasungsgerichts vorgestanden und der also eine sich selbst verstärkende Prägung erfahren hat, die sich heute weiterhin zeigt, hat hier aus dem in den letzten Tagen von mir in den Vordergrund gerückten und von Andreas Voßkuhle in den Mittelpunkt gestelten Dreiklang von Qualität, Funktionalität und Integrität eine Debatte angestoßen, die dringend notwendig ist: Wie verhält es sich für die Politik mit dem (Verfassungs-)Recht in Anbetracht einer multiplen Krise, die erstens in nächster Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so ohne Weiteres und damit von einem Tag auf den anderen verschwinden wird, die zweitens einer Gesellschaft widerfährt, der in den Jahren ab dem Frühjahr 2020 einiges abverlangt wurde, die diese Fährnisse allerdings in dem Bewusstsein ertragen hat, dass sie ein temporäres Problem seien, was sich jetzt als Fehlschluss erweist, und die drittens in ihrem Vorfeld - eben ab dem Frühjahr 2020 - von einem politischen Personal begleitet worden ist, das in dieser Zeit, zumeist verfassungsrechtlich statthaft, wiederkehrend auch auf Ausnahmeregelungen zurückgegriffen hat, die insbesondere Freiheits- und Grundrechte sowie verrechtlichte und entsprechend eingespielte Verfahrensweisen (also im erweiterten Sinne Checks and Balances) eingeschränkt hat, das also - um es in einem Bild zu formulieren - die vordergründige Süße eingeschränkter Checks and Balances gekostet und das damit ebenfalls eine Prägung erfahren hat (wie gesagt: "Lernen" ist, lerntheoretisch begriffen, ein von außen angestoßener Prozess, in dessen Verlauf es zu
dauerhaften Veränderungen von Dispositionen und/oder Verhalten kommt)?
Letztlich stehen wir alle als Gesellschaft und damit auch unser politisches Personal, das im Durchschnitt seiner Eigenschaften Abbild dieser Gesellschaft und also weitgehend kaum besser oder schlechter als diese ist, in der Fragwürdigkeit: Sind wir in der Lage und haben wir die Stärke, die anstehenden Probleme mit den tradierten Lösungsmitteln unseres Rechtsstaats zu bewältigen - oder tendieren wir zunehmend zu "Abkürzungswegen", die dem genannten Vulgärpragmatismus entspringen und damit offenbaren, dass die Zukunft offen ist, auch in der Bundesrepublik. Die so klugen wie hellsichtigen Worte, die die Präsidentin des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts der 2020 herrschenden Politik in Hamburg ins Stammbuch geschrieben hat, können nicht oft genug zitiert und ins eigene Denken integriert werden, will man, dass unser Rechtsstaat in seiner überkommenen Form und also aus der ihn bis dato leitenden Tradition heraus erhalten bleibt - auch deshalb dürfte der zuvor ins Feld geführte Andreas Voßkuhle unlängst noch einmal auf den Dreiklang aus Qualität, Funktionalität und Integrität aufmerksam gemacht haben, den er auf das Bundesverfassungsgericht gemünzt hat, von dem er aber überzeugt sein dürfte, dass er ebenfalls weiteren Verfassungsorganen im Rahmen ihres jeweiligen Verfassungsauftrags nur guttun kann:
"Dass in der Vergangenheit verwaltungsgerichtliche Entscheidungen durch die Exekutive nicht umgesetzt wurden, macht mich nachdenklich. Dies berührt die Grundfesten unseres Rechtsstaates. Es ist wichtig für uns alle, für unser gesellschaftliches Zusammenleben, dass die Regeln des Rechtsstaates von allen Beteiligten befolgt werden. Zum zweiten Teil ihrer Frage: Es ist nicht Aufgabe der Justiz, nach Stimmungslagen zu urteilen, sondern nach Recht und Gesetz. Die Justiz kann und darf ihr Fähnlein nicht in den Wind von Meinungen hängen. Meine Hoffnung ist, dass die Bürgerinnen und Bürger die darin liegende Unabhängigkeit der Gerichte zu schätzen wissen." (
https://www.welt.de/regionales/hamburg/article213096684/Hamburger-Gerichtspraesidentin-Gross-Justiz-urteilt-nicht-nach-Stimmungen.html)
In diesem Sinne - also auch und gerade hinsichtlich der vom Zitat genannten Aufgabe der Justiz - kann man ebenso wiederkehrend nur daran erinnern, was uns nun als Beamte wiederkehrend und damit in ständiger Rechtsprechung vom Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben wird, womit wir nun in diesem Beitrag den Dreiklang aus Politik, Justiz und Beamtenschaft in den Blick genommen haben. Es wird in der kommenden Zeit auch in der Bundesrepublik darauf ankommen, sich die mäßigende Funktion der Checks and Balances für unser Staatswesen wiederkehrend ins Bewusstsein zu rufen, deren nicht unmaßgeblicher Teil wir als Beamte nun einmal sind - hier liegt nun im täglichen Dienstgeschäft unsere Aufgabe mit all unseren Pflichten wie Rechten offen zutage:
"Die Entwicklung des Berufsbeamtentums ist historisch eng mit derjenigen des Rechtsstaats verknüpft: War der Beamte ursprünglich allein dem Regenten verpflichtet, wandelte er sich mit dem veränderten Staatsverständnis vom Fürsten- zum Staatsdiener. Seine Aufgabe war und ist es, Verfassung und Gesetz im Interesse des Bürgers auch und gerade gegen die Staatsspitze zu behaupten. Das Berufsbeamtentum als Institution gründet auf Sachwissen, fachlicher Leistung und loyaler Pflichterfüllung. Es soll eine stabile Verwaltung sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatswesen gestaltenden politischen Kräften bilden" (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 12. Juni 2018 - 2 BvR 1738/12 -, Rn. 118;
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/06/rs20180612_2bvr173812.html)