Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 3888404 times)

PolareuD

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8535 am: 25.11.2023 08:59 »
Zitat:

„Seit 2011 stehen jedoch bei überlangen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht die Rechts-
behelfe der Verzögerungsrüge und Verzögerungsbeschwerde zur Verfügung (§§ 97a ff. BVerfGG).
Beteiligte können frühestens zwölf Monate nach Eingang des Verfahrens beim Bundesverfassungs-
gericht die Dauer des Verfahrens rügen (§ 97b Abs. 1 BVerfGG). Die Verzögerungsrüge hat eine
Warnfunktion und soll das Gericht dazu anhalten, das Verfahren zu beschleunigen. Es besteht
jedoch keine Verpflichtung seitens des Gerichts, die Rüge zu bescheiden.
Ist sechs Monate nach Einlegung der Verzögerungsrüge in der Hauptsache keine Entscheidung
ergangen, kann eine Verzögerungsbeschwerde erhoben werden, § 97b Abs. 1 und 2 BVerfGG. Mit
der Verzögerungsbeschwerde kann der Antragsteller Entschädigung und Wiedergutmachung
wegen eines infolge einer überlangen Verfahrensdauer erlittenen materiellen oder immateriellen
Nachteils verlangen.“

Quelle:

https://www.bundestag.de/resource/blob/508020/ce64b1ae74189a0d7dd78abf0de283d6/WD-3-060-17-pdf-data.pdf

VierBundeslaender

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8536 am: 25.11.2023 12:01 »
Solange der Ton in diesem Forum weiterhin nur in bashing besteht, werde ich mich unter diesem Account nicht daran beteiligen. Das betrifft auch insbesondere die Foristen, die meinen Abgeordnetenwatch wäre ihr persönlicher Prellbock zum Dampf ablassen.
Ich verstehe das sehr gut und bin nach wie vor der Meinung, dass die notorische Verfassungswidrigkeit kein Problem einzelner handelnder Personen ist. Erst einmal ist etwas dann verfassungswidrig, wenn das entsprechende Gericht das als solches bezeichnet. Vorher ist das rechtskräftig. Das passt mir nicht und vielen anderen auch nicht, ist aber so. Und manchmal ist ja der eine oder andere überrascht, wie das Gericht entscheidet.

Nun zum eigentlichen Punkt. Nehmen wir mal an, wir wären die Regierung. Könnten wir dann die Verfassungswidrigkeit beseitigen? Nein. Wir könnten einen entsprechende Entwurf verfassen und der ginge dann ins Parlament. Dort wäre das Geschrei groß - wieso nur die Beamten und nicht die Kinder, Blinden, Arbeitslosen, Migranten... Also würde das Gesetz dort geändert. OK, könnte man fragen, was aber, wenn wir auch das Parlament wären? Da habe ich eine einfachere Antwort: In einer Diktatur könnte man sofort verfassungsgemäße Besoldung durchsetzen. Nur haben wir keine Diktatur.

Unsere parlamentarische Struktur, in der jeder Bürger per twitter und Fernsehtalkshow mitzuentscheiden glaubt, erlaubt es einfach nicht, solche unpopulären Maßnahmen auf "normalem" Wege durchzusetzen. Wir müssen leider auf der BVerfG warten. So ärgerlich das ist.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8537 am: 25.11.2023 14:07 »
Was Bal schreibt, ist nachvollziehbar und als seine persönliche Meinung zu respektieren, finde ich, Vier.

Allerdings muss man als Folge nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten, wie Du das mit Deinem Beitrag tust (die nachfolgenden Zeilen sollen nicht persönlich gemeint sein, lies sie also bitte nicht so; aber Deine Schlussfolgerungen sind so m.E. nicht schlüssig und können trotz oder gerade wegen aller Sympathie so auch nicht stehenbleiben).

Die Regierung ist nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden. Sobald sie Gesetzesvorhaben auf den Weg bringt, hat sie sich dieser Bindung zu erinnern und also zu garantieren, dass diese Entwürfe mit der Verfassung konform gehen. Das ist hinsichtlich des Entwurfs zum BBVAngG nach Ansicht maßgeblicher Stellungnahmen nicht der Fall, was diese also nicht an irgendwelchen dort abseitig geplanten Regelungen, sondern in einer so großen Fülle, und zwar an geplanten Regelungen im sachlichen Herzbereich des Entwurfs und dabei auf Grundlage der nach Art. 33 Abs. 5 GG hier zu beachtenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfassend sachlich nachgewiesen haben. Wenn nun die Regierung ein solchen Entwurf in das parlamentarische Verfahren einbrächte, dann handelte sie mindestens grob fahrlässig und also weitgehend amtsvergessen sowie darüber hinaus mit einer hohen Wahrscheinlichkeit hier wissentlich und willentlich verfassungswidrig: wissentlich deshalb, da ihr die sachlichen Kritikpunkte bekannt wären und sich der Besoldungsgesetzgeber im Anschluss offensichtlich gezwungen sehen müsste, diese Kritikpunkte noch im laufenden Gesetzgebungsverfahren sachlich zu widerlegen; willentlich, da sie jederzeit einen anderen Gesetzentwurf vorlegen könnte.

Dieses Verhalten könnte man zurecht nicht als diktatorisch bezeichen (was auch keiner getan hat); es verbliebe aber mindestens im Bereich der groben Fahrlässigkeit, da das Kabinett auf Grundlage der ihr bekannten sachlichen Kritik davon ausgehen müsste, dass sie ein Gesetzgebungsverfahren initiierte, dass den Gesetzgeber im politischen Tagesgeschäft in einige Schwierigkeiten bringen würde: Denn er müsste nun die nachgewiesenen sachlichen Kritikpunkte sachlichen entkräften, die zuvor die Regierung nicht hatte entkräften wollen oder können; denn hätte sie die Kritik entkräften können oder wollen, dann dürfte sie das getan haben und hätte sie also die Entkräftung der Kritik selbst vorgenommen. Als Folge des Handelns - das Einbringen eines Gesetzentwurfs, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig wäre (denn als solcher hat sich der bislang bekannt Entwurf gezeigt) - würde zunächst einmal mindestens ein Schaden zulasten der eigenen Regierungsfraktionen entstehen, da das Kabinett von diesen erwarten sollte, dass sie den Gesetzentwurf zustimmen würden, und zwar im politischen Tagesgeschäft i.d.R. ohne die Regierung zerfleischende Kritik, die aber offensichtlich notwendig wäre, um im Rahmen der Verfassung dem eigenen Auftrag nachzukommen - denn auch eine sachlich vorgebrachte Kritik müsste ob ihrer notwendigen Fülle zerfleischend wirken; notwendig wäre diese Kritik, weil der Gesetzgeber an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist und also kein verfassungswidrigen Gesetze beschließen darf.

So verstanden verrutscht bei Dir der Rahmen unserer verfassungsmäßigen Ordnung: Nicht das Einbringen von politisch oder in (großen) Teilen der Bevölkerung umstrittenen, aber verfassungskonformen Gesetzentwürfen durch eine Regierung wäre dikatorisch, sondern das ist im politischen Tagesgeschäft die Aufgabe der Regierung und an deren Spitze des Regierungchefs, der also unser Kanzler ist und die Richtlinienkompetenz sowie die mit ihr einhergehende Verantwortung nach Art. 65 GG und darüber hinaus im Rahmen seines Verfassungsauftrags geschworen hat, dass er die eigene "Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde" (Art. 56 GG). Sofern er es also zuließe, dass sein Kabinett einen mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrigen Gesetzentwurf mit dem Ziel, ihn durch das Parlament zu bringen, in das Gesetzgebungsverfahren abgestimmt einbringen würde, müsste das - um es mal so auszudrücken - in einem komplexen Spannungsverhältnis zu seinem Amtseid stehen.

Auch ein solches Handeln des Kanzlers und seines Kabinetts wäre nun nicht diktatorisch (was auch keine behauptet hat) - es wäre aber mindestens zunächst einmal im Rahmen unserer tradierten Verfassungwirklichkeit nicht legitim. Die mangelnde Legitimität erstreckte sich dabei nicht nur darauf, dass die sachliche Kritik am Entwurf nicht hinreichend entkräftet wäre (denn danach sieht es bislang weiterhin aus); sie zeigte sich auch in dem Sachverhalt, dass das mit jenem Entwurf einhergehende monetäre Einsparungspotenzial zum eigenen Vorteil erfolgte, dass also die entsprechend eingesparten Finanzmittel an anderer Stelle eingesetzt werden könnten, was hier das eigene politische Handeln erleichterte, diese Erleichterung des eigenen politischen Handelns wäre der eigene Vorteil, in dem sich die mangelnde Legitimität eines solchen Handelns zeigte. Wäre darüber hinaus die Motivation mit dem von Dir behaupteten unpopulären Charakter einer amtsangemessenen Alimentation in der Bevölkerung verbunden, würde auch das auf ein Legitimitätsdefizit hinweisen, und zwar nicht nur, weil es zum Schaden der Bundesbeamten erfolgte (die Teil des im Eid zu findenden "jedermanns" sind; der Schaden ergäbe sich aus einer fortgesetzt nicht amtsangemessenen Alimentation), sondern ebenfalls auch, weil ein solches Handeln kaum zum Wohle des Volkes erfolgte, sondern reiner Populismus aus Schwäche wäre.

Auch wenn Du das höchstwahrscheinlich nicht willst, aber Deine Darstellung ähnelt eher einem "Newspeak", was sich allein darin zeigt, dass eine in (weiten) Teilen der Bevölkerung politisch umstrittene, verfassungskonforme Gesetzgebung in Deiner Darlegung nur noch in einer Diktatur möglich wäre, die gerade keine Verfassung kennte; während wiederum die auf einer Verfassung beruhende Demokratie politisch umstrittene Gesetze in unserer heutigen Zeit nur noch verfassungswidrig verabschieden könnte. Das aber ist ein recht weitreichend verzerrtes Bild von unserem demokratischen Rechtsstaat - unabhängig davon, dass Bevölkerung, Beamte, Parlament und Regierung lange auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgericht warten können, das am Ende mit Gesetzeskraft entscheiden wird, dass als Folge allerdings der demokratische Gesetzgeber (und nicht das Bundesverfassungsgericht) im Rahmen unserer Verfassung im Anschluss gezwungen sein wird, ein verfassungskonformes Gesetz zu verabschieden, welche in den weit überwiegenden Fällen als Entwurf von der Regierung initiiert wird.

Ergo: Es ist vom Bundeskabinett im Rahmen unserer Verfassung zu erwarten, dass es in jedem Fall einen nach besten Wissen und Gewissen als von ihm als verfassungskonform angesehenen und geprüften Gesetzentwurf beschließt und dann ins Parlament einbringt. Alles andere ist illegitim - und sofern ein nicht verfassungskonformer Gesetzentwurf wissentlich und willentlich vom Kabinett beschlossen und so ins Parlament eingebracht werden würde, müsste das als ein Bruch des Amtseids betrachtet werden, wie nicht nur der oben zitierte Eid des Kanzlers das offenbarte, der geschworen hat, "das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes [zu] wahren und [zu] verteidigen", sondern wie das ebenso die Minister so geschworen haben, da sie derselben Eidesformel unterworfen sind.

lotsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8538 am: 25.11.2023 21:58 »
Charakteristisch für eine illiberale Demokratie ist demnach, dass die Regierung zwar durch freie, allgemeine und faire Wahlen demokratisch legitimiert ist, sie aber „Grund-, Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechte verletzt“ und den Rechtsstaat nicht respektiert. Dabei ist insbesondere die Kontrolle von Exekutive und Legislative durch die rechtsprechende Gewalt eingeschränkt. Es gibt also keinen effektiven Rechtsschutz gegen Gesetzgebung und Regierungshandeln, die Bindungswirkung konstitutioneller Normen ist gering.

Seppo84

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8539 am: 26.11.2023 06:17 »
Ich durfte heute einen Blick auf den Referentenentwurf werfen, Bearbeitungsstand 19.10.23.

Ich bekomme ihn nicht in Gänze geschickt. Durfte jedoch die Seite mit dem AEZ abfotografieren.

Geplant ist noch immer, dass ab dem 01.07.2024 (Inkrafttreten des Gesetzes) der Familienzuschlag für dann frisch verheiratete wegfällt. Wenn ein Kind dazu kommt, sieht’s wohl wieder anders aus. Haushalte die diesen schon beziehen bekommen einen Ausgleich.

https://www.filemail.com/d/ewuiziblyzwiqmu

Ich halte das ganze in dieser Höhe doch für mehr als fragwürdig 😅 ich würde rückwirkend um die 20k Brutto bekommen (habe großzügig abgerundet) wenn das ganze auch nur ansatzweise so kommen sollte.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8540 am: 26.11.2023 08:47 »
Charakteristisch für eine illiberale Demokratie ist demnach, dass die Regierung zwar durch freie, allgemeine und faire Wahlen demokratisch legitimiert ist, sie aber „Grund-, Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechte verletzt“ und den Rechtsstaat nicht respektiert. Dabei ist insbesondere die Kontrolle von Exekutive und Legislative durch die rechtsprechende Gewalt eingeschränkt. Es gibt also keinen effektiven Rechtsschutz gegen Gesetzgebung und Regierungshandeln, die Bindungswirkung konstitutioneller Normen ist gering.

Genau das ist die mindestens die Legitimität erodierende Folge eines wiederholt auf einem Vulgärpragmatismus basierenden Handelns, das den Zweck über das Recht stellt und damit Mittel heiligt, die in der Wiederholung den Rechtstaat aushöhlen. Denn sobald wiederholt begonnen wird, so zu handeln, wird mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit die Wiederholung zu einer Regel oder zeigt sich mit einer wiederkehrenden Regelhaftigkeit: Sobald es politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich oder aus weiteren Gründen sachlich schwierig wird, ist es aus Sicht des so Handelnden einfacher, den Zweck über das Recht zu stellen und letzteres damit zunehmend wirkungslos werden zu lassen.

Nun sind wir in der Bundesrpublik noch nicht so weit, dass eine solche Regelhaftigkeit im größeren Rahmen erkennbar wäre - wir sind davon allerdings, nicht nur bei unserem Thema, mittlerweile auch nicht mehr so weit entfernt, als dass man beruhigt die Hände in den Schoß legen und vermeinen könnte, es sei schon alles gut und würde sich schon irgendwie zurechtschütteln. Denn allein die Problemlage, wie wir sie seit spätestens Anfang 2020 zunehmend vorfinden, darf man als eine multiple Krise wahrnehmen, also eine sich aus mehreren Ursachen speisende Krise, deren jeweiliger Gehalt sich gegenseitig verstärkt. Gerade in Zeiten der Krise muss sich dabei die Kraft einer Demokratie und des Rechtsstaats beweisen - in diesem Sinne darf man die letzte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lesen, das eben in unmissverständlicher Form die grundlegenden Prinzipien des Haushaltsrechts ins Feld führt, um dem Grundgesetz in der Form, wie wir es heute vorfinden, zu seinem Recht zu verhelfen. Der Zweite Senat, dem bis 2020 der damalige Präsident des Bundesverfasungsgerichts vorgestanden und der also eine sich selbst verstärkende Prägung erfahren hat, die sich heute weiterhin zeigt, hat hier aus dem in den letzten Tagen von mir in den Vordergrund gerückten und von Andreas Voßkuhle in den Mittelpunkt gestelten Dreiklang von Qualität, Funktionalität und Integrität eine Debatte angestoßen, die dringend notwendig ist: Wie verhält es sich für die Politik mit dem (Verfassungs-)Recht in Anbetracht einer multiplen Krise, die erstens in nächster Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so ohne Weiteres und damit von einem Tag auf den anderen verschwinden wird, die zweitens einer Gesellschaft widerfährt, der in den Jahren ab dem Frühjahr 2020 einiges abverlangt wurde, die diese Fährnisse allerdings in dem Bewusstsein ertragen hat, dass sie ein temporäres Problem seien, was sich jetzt als Fehlschluss erweist, und die drittens in ihrem Vorfeld - eben ab dem Frühjahr 2020 - von einem politischen Personal begleitet worden ist, das in dieser Zeit, zumeist verfassungsrechtlich statthaft, wiederkehrend auch auf Ausnahmeregelungen zurückgegriffen hat, die insbesondere Freiheits- und Grundrechte sowie verrechtlichte und entsprechend eingespielte Verfahrensweisen (also im erweiterten Sinne Checks and Balances) eingeschränkt hat, das also - um es in einem Bild zu formulieren - die vordergründige Süße eingeschränkter Checks and Balances gekostet und das damit ebenfalls eine Prägung erfahren hat (wie gesagt: "Lernen" ist, lerntheoretisch begriffen, ein von außen angestoßener Prozess, in dessen Verlauf es zu dauerhaften Veränderungen von Dispositionen und/oder Verhalten kommt)?

Letztlich stehen wir alle als Gesellschaft und damit auch unser politisches Personal, das im Durchschnitt seiner Eigenschaften Abbild dieser Gesellschaft und also weitgehend kaum besser oder schlechter als diese ist, in der Fragwürdigkeit: Sind wir in der Lage und haben wir die Stärke, die anstehenden Probleme mit den tradierten Lösungsmitteln unseres Rechtsstaats zu bewältigen - oder tendieren wir zunehmend zu "Abkürzungswegen", die dem genannten Vulgärpragmatismus entspringen und damit offenbaren, dass die Zukunft offen ist, auch in der Bundesrepublik. Die so klugen wie hellsichtigen Worte, die die Präsidentin des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts der 2020 herrschenden Politik in Hamburg ins Stammbuch geschrieben hat, können nicht oft genug zitiert und ins eigene Denken integriert werden, will man, dass unser Rechtsstaat in seiner überkommenen Form und also aus der ihn bis dato leitenden Tradition heraus erhalten bleibt - auch deshalb dürfte der zuvor ins Feld geführte Andreas Voßkuhle unlängst noch einmal auf den Dreiklang aus Qualität, Funktionalität und Integrität aufmerksam gemacht haben, den er auf das Bundesverfassungsgericht gemünzt hat, von dem er aber überzeugt sein dürfte, dass er ebenfalls weiteren Verfassungsorganen im Rahmen ihres jeweiligen Verfassungsauftrags nur guttun kann:

"Dass in der Vergangenheit verwaltungsgerichtliche Entscheidungen durch die Exekutive nicht umgesetzt wurden, macht mich nachdenklich. Dies berührt die Grundfesten unseres Rechtsstaates. Es ist wichtig für uns alle, für unser gesellschaftliches Zusammenleben, dass die Regeln des Rechtsstaates von allen Beteiligten befolgt werden. Zum zweiten Teil ihrer Frage: Es ist nicht Aufgabe der Justiz, nach Stimmungslagen zu urteilen, sondern nach Recht und Gesetz. Die Justiz kann und darf ihr Fähnlein nicht in den Wind von Meinungen hängen. Meine Hoffnung ist, dass die Bürgerinnen und Bürger die darin liegende Unabhängigkeit der Gerichte zu schätzen wissen." (https://www.welt.de/regionales/hamburg/article213096684/Hamburger-Gerichtspraesidentin-Gross-Justiz-urteilt-nicht-nach-Stimmungen.html)

In diesem Sinne - also auch und gerade hinsichtlich der vom Zitat genannten Aufgabe der Justiz - kann man ebenso wiederkehrend nur daran erinnern, was uns nun als Beamte wiederkehrend und damit in ständiger Rechtsprechung vom Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben wird, womit wir nun in diesem Beitrag den Dreiklang aus Politik, Justiz und Beamtenschaft in den Blick genommen haben. Es wird in der kommenden Zeit auch in der Bundesrepublik darauf ankommen, sich die mäßigende Funktion der Checks and Balances für unser Staatswesen wiederkehrend ins Bewusstsein zu rufen, deren nicht unmaßgeblicher Teil wir als Beamte nun einmal sind - hier liegt nun im täglichen Dienstgeschäft unsere Aufgabe mit all unseren Pflichten wie Rechten offen zutage:

"Die Entwicklung des Berufsbeamtentums ist historisch eng mit derjenigen des Rechtsstaats verknüpft: War der Beamte ursprünglich allein dem Regenten verpflichtet, wandelte er sich mit dem veränderten Staatsverständnis vom Fürsten- zum Staatsdiener. Seine Aufgabe war und ist es, Verfassung und Gesetz im Interesse des Bürgers auch und gerade gegen die Staatsspitze zu behaupten. Das Berufsbeamtentum als Institution gründet auf Sachwissen, fachlicher Leistung und loyaler Pflichterfüllung. Es soll eine stabile Verwaltung sichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatswesen gestaltenden politischen Kräften bilden" (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 12. Juni 2018 - 2 BvR 1738/12 -, Rn. 118; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/06/rs20180612_2bvr173812.html)

BalBund

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8541 am: 26.11.2023 09:11 »

Ich halte das ganze in dieser Höhe doch für mehr als fragwürdig 😅 ich würde rückwirkend um die 20k Brutto bekommen (habe großzügig abgerundet) wenn das ganze auch nur ansatzweise so kommen sollte.

Fragwürdig dahingehend, dass es überhaupt notwendig wird - eindeutig.
Fragwürdig, dass es so etwas gibt? - nein.

Ich kenne persönlich Beamte aus NRW, die haben - nicht zuletzt Dank ihrer Kinder - einmal 28.000 und einmal über 40.000 Euro nachgezahlt bekommen. Die Summen sind irre, aber zeigen recht deutlich, wie sehr bisher am "Gut" Beamter gespart wurde.

Bastel

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« Antwort #8542 am: 26.11.2023 09:21 »
Betrachtet es einfach als eine Art Abfindung...

beamtenjeff

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« Antwort #8543 am: 26.11.2023 10:53 »

Ich halte das ganze in dieser Höhe doch für mehr als fragwürdig 😅 ich würde rückwirkend um die 20k Brutto bekommen (habe großzügig abgerundet) wenn das ganze auch nur ansatzweise so kommen sollte.

Fragwürdig dahingehend, dass es überhaupt notwendig wird - eindeutig.
Fragwürdig, dass es so etwas gibt? - nein.

Ich kenne persönlich Beamte aus NRW, die haben - nicht zuletzt Dank ihrer Kinder - einmal 28.000 und einmal über 40.000 Euro nachgezahlt bekommen. Die Summen sind irre, aber zeigen recht deutlich, wie sehr bisher am "Gut" Beamter gespart wurde.

Umso bedenklicher ist auch, dass wenn man alle unteralimentierten Jahre adressieren würde (nicht erst seit dem Urteil) nochmal der gleiche Betrag aufs Konto gehen müsste. Es ist also wirklich eher eine Art Abfindung wie Bastel schreibt...

Bundi

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8544 am: 26.11.2023 11:12 »

Ich halte das ganze in dieser Höhe doch für mehr als fragwürdig 😅 ich würde rückwirkend um die 20k Brutto bekommen (habe großzügig abgerundet) wenn das ganze auch nur ansatzweise so kommen sollte.

Fragwürdig dahingehend, dass es überhaupt notwendig wird - eindeutig.
Fragwürdig, dass es so etwas gibt? - nein.

Ich kenne persönlich Beamte aus NRW, die haben - nicht zuletzt Dank ihrer Kinder - einmal 28.000 und einmal über 40.000 Euro nachgezahlt bekommen. Die Summen sind irre, aber zeigen recht deutlich, wie sehr bisher am "Gut" Beamter gespart wurde.

Das sind sicher ganz nette Summen auch wenn diese immer noch nicht an die hier schonmal ermittelten 25 bis 30 % Differenz heranreichen dürften. Haben selber 2 Kinder durchs Studium gebracht. 2 x 13 Semester da hätten solche Beträge zusätzlich ganz gut getan. Auch wenn ich den Entwurf wie viele andere auch für verfassungswidrig halte, mal abwarten was da kommt. Kann man vllt ja erstmal mitnehmen um dann in einem weiteren Schritt nach eventueller weiterer Urteile noch mehr zu unserem Recht zu kommen.

PolareuD

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8545 am: 26.11.2023 12:04 »
In mir regt sich zunehmend der Gedanke, dass man seitens des Besoldungsgesetzgebers mit dem AEZ schon mal versucht Geld in das Beamtensystem zu bekommen, wohlwissend, dass das in der Form verfassungswidrig ist. Wenn zukünftig der AEZ für verfassungswidrig erklärt wird, ist ein Teil der notwendigen Finanzmittel schon im System, so dass der Differenzbetrag zur Herstellung einer verfassungskonformen amtsangemessenen Alimentation geringer ist. Und Nachzahlungen gibt es nur für diejenigen die einen statthaften Widerspruch eingelegt haben.

VierBundeslaender

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8546 am: 26.11.2023 12:35 »
(die nachfolgenden Zeilen sollen nicht persönlich gemeint sein, lies sie also bitte nicht so; aber Deine Schlussfolgerungen sind so m.E. nicht schlüssig und können trotz oder gerade wegen aller Sympathie so auch nicht stehenbleiben).
Keine Sorge, wir diskutieren ja hier sehr sachlich, der Tonfall ist angenehm und es geht um den Austausch von Argumenten, nicht Gemeinheiten.

Das mit der Diktatur war eine Überspitzung von mir und ich glaube, Du hast sie auch so gelesen. Das müssen wir nicht weiter verfolgen.

Aber ein anderer Punkt trennt uns. Du argumentierst juristisch sachlich. Laut den Gesetzen dieses Landes muss die Regierung dies und das tun. Das wünsche ich mir natürlich auch. Jetzt sehen wir beide, dass getrickst wird. Und da beginnt der Unterschied:
  • Du sprichst davon, dass das wahrscheinlich verfassungswidrig ist. Inhaltlich stimme ich Dir voll zu. Aber "wahrscheinlich verfassungswidrig" ist kein Begriff, den man in einem der erlassenen Gesetze findet. Das ist unsere persönliche Meinung. Daraus folgt kein unmittelbares Verwaltungshandeln. Wir beide müssen warten, bis aus dem "wahrscheinlich" ein "tatsächlich" wird (Ergo: wir müssen klagen).

    Man kann die Regierung dafür kritisieren, es hat aber keine unmittelbaren Folgen. Bestenfalls am Wahltag, das ist aber auch nur "wahrscheinlich", was da folgt. Insofern denke ich, dass wir damit nur moralisch etwas anfangen können.
  • Die meisten hier sind ja auch Verwaltungsbeamte. Insofern kennen sie, was ich hier vermute. Man hat ein Problem, das man selbst formal nicht lösen kann und schiebt es anderen zu. Dazu schreibst Du nun wenig oder nichts.

    Ich glaube einfach nicht, dass eine Ministerin eine amtsangemessene Besoldung durchs Parlament, geschweige denn durchs Kabinett bringen könnte. Alle würden schreien, dass sie auch Geld haben wollen ob der Mengen, die da zum Vorschein kommen.

Meine Beobachtung oder Meinung ist daher, dass wir bis zum Urteil des BVerfG hier ein strukturelles Demokratiedefizit haben. Nicht ein Versagen von Personen, sondern ein Versagen unseres Systems. Wir können leider nur warten und Widerspruch einlegen und hier uns Mut zusprechen. Aber nicht auf Nancy & Co hoffen (oder sie beschimpfen, obwohl, loben muss man sie nun auch wieder nicht...).

Seppo84

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8547 am: 26.11.2023 13:52 »

Ich halte das ganze in dieser Höhe doch für mehr als fragwürdig 😅 ich würde rückwirkend um die 20k Brutto bekommen (habe großzügig abgerundet) wenn das ganze auch nur ansatzweise so kommen sollte.

Fragwürdig dahingehend, dass es überhaupt notwendig wird - eindeutig.
Fragwürdig, dass es so etwas gibt? - nein.

Ich kenne persönlich Beamte aus NRW, die haben - nicht zuletzt Dank ihrer Kinder - einmal 28.000 und einmal über 40.000 Euro nachgezahlt bekommen. Die Summen sind irre, aber zeigen recht deutlich, wie sehr bisher am "Gut" Beamter gespart wurde.

Notwendig ist es… aber ob die so viel rausrücken wollen 😅

Ozymandias

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« Antwort #8548 am: 26.11.2023 14:01 »
Es regt sich auch bei anderen Themen immer mehr der Unmut der Bevölkerung, weil vor allem nur das getan wird, was politisch oder parteipolitisch opportun erscheint und die Verfassung nur an 3. Stelle danach beachtet wird oder auch temporär gar nicht beachtet wird.
Sei es bei Haushalt, Migration (siehe jüngstes Interview von Papier) oder auch eben der Besoldung.
Gerade bei der Besoldung wurde noch von Seehofer eine schnelle Umsetzung für Bundesbeamte versprochen.
Wieso soll man unbedingt sonderlich freundlich zu den Ampelversagern sein? Zeit genug hatten auch diese.

B-Besoldung und der Gegenwert der Arbeit sind da teilweise nicht mehr amtsangemessen.  ::)

Es ist einfach ein absoluter Fehlgriff des Rechtsstaates, dass es hier keine Nachzahlungszinsen oder andere Sanktionsmöglichkeiten gegenüber politischen Entscheidungsträgern gibt, die sich ihrer Arbeit mit fadenscheinigen Argumenten verweigern, weil sie sich selber gegenseitig die Füße stellen. 

Knecht

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« Antwort #8549 am: 26.11.2023 14:44 »

Ich halte das ganze in dieser Höhe doch für mehr als fragwürdig 😅 ich würde rückwirkend um die 20k Brutto bekommen (habe großzügig abgerundet) wenn das ganze auch nur ansatzweise so kommen sollte.

Fragwürdig dahingehend, dass es überhaupt notwendig wird - eindeutig.
Fragwürdig, dass es so etwas gibt? - nein.

Ich kenne persönlich Beamte aus NRW, die haben - nicht zuletzt Dank ihrer Kinder - einmal 28.000 und einmal über 40.000 Euro nachgezahlt bekommen. Die Summen sind irre, aber zeigen recht deutlich, wie sehr bisher am "Gut" Beamter gespart wurde.

Notwendig ist es… aber ob die so viel rausrücken wollen 😅

Bei dir kommt einfach überhaupt nichts oben an...