Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 3888378 times)

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #9480 am: 13.01.2024 18:10 »
Die Zahl der Vorlagen hat sich im letzten Jahr noch einmal vergrößert, Besoldungswiderspruch; so waren es Anfang März, als das Bundesverfassungsgericht die Zahl der 2022 angekündigten Entscheidungen um niedersächsische und schleswig-holsteinische Normenkontrollverfahren ergänzt hat, noch 47 anhängige Verfahren. Durch die letzten Berliner Richtervorlagen sind's nun mittlerweile über 50. Diese Zahlen wird der Berichterstatter mitsamt seiner Wissenschaftlichen Mitarbeiter im Blick haben, aber nicht jeder Richter des Zweiten Senats. Dafür sind sie mitsamt ihren Wissenschaftlichen Mitarbeiter zu sehr mit der hohen Zahl an Fällen beschäftigt, für die sie Berichterstatter sind. Nicht umsonst gehen jährlich allein rund 6.000 Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe ein. Da das rund 98 % der jährlich eingehenden Verfahren ist, bleiben noch immer genug Normenkontrollverfahren offen, über die entschieden werden muss und die zuvor folglich bearbeitet werden müssen. Karlsruhe darf nicht damit rechnen, in nächster Zeit arbeitslos zu werden; auf die entsprechenden Belastungen weist auch der Berichterstatter in seinen letzten Ausführungen deutlich hin.

Da mit der im Frühjahr vollzogenen Ankündigung absehbar war, dass der Senat so vorgehen würde, wie das BVR Maidowski nun unlängst öffentlich dargelegt hat, dass also Richtervorlagen ausgewählt worden sind, an denen grundsätzliche Fragen zu klären sind, dürfte an anderer Stelle dargelegt worden sein, worum es in den Vorlagen sachlich vor allem geht, vgl. https://www.berliner-besoldung.de/weitere-normenkontrollantraege-vor-der-entscheidung/ (hier findet sich mit der Formulierung, dass "derzeit über 40 Normenkontrollverfahren aus elf Bundesländer anhängig" seien, auch die von Peter Müller heute verwendete Formulierung, die der Senat bis dahin in Außendarstellungen verwendet hat; hier zeigt sich folglich, dass die Normenkontrollverfahren wiederkehrend in Karlsruhe im Gespräch sind, sodass sich ein interner Sprachgebrauch entwickelt).

Zugleich ist es so, wie es PolareuD gerade hervorhebt und worauf auch Peter Müller abgehoben hat, dass die Besoldungsdogmatik seit spätestens 2020 so differenziert ausformuliert ist, dass sachlich weitgehend keine "Schlupflöcher" mehr gegeben sind. Denn die bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben lassen sich gleichfalls wie Gesetze mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen und führen dann hinsichtlich des Mindestabstandsgebots regelmäßig zu den Beträgen, die ich unter anderem hier darlege, da ich mich dabei grundsätzlich streng an die Rechtsprechung des Senats halte und diese eben entsprechend auslege. Es geht also weitgehend nicht um sachliche Unklarheiten, sondern darum, dass wir es - um mit Ulrich Battis zu sprechen - mit einem länderübergreifenden konzertierten Verfassungsbruch zu tun haben. Auch deshalb dürfte es nicht unwahrscheinlich sein, dass - wie das im o.g. Link dargelegt wird - für mindestens Niedersachsen und ggf. auch Schleswig-Holstein nun vom Senat eine Art verfassungsrechtliches "Faustpfand" zurückgehalten wird, dass also damit gerechnet werden darf, dass hier alsbald ein Vollstreckungsanordnung ergehen dürfte, sofern einer oder beide Besoldungsgesetzgeber weiterhin in der alsbald anstehenden Heilung der verfassungswidrigen Gesetzeslage die Vorgaben missachten würden, die in diesem Fall für sie mit Gesetzeskraft gelten werden (für Niedersachsen die Jahr 2005 bis 2012 und 2014 bis 2016, für Schleswig-Holstein das Jahr 2007 betreffend). Darüber hinaus wäre es offensichtlich sachdienlich, wenn der Senat seine in der letzten Entscheidung nur angedeuteten (aber bereits in einem Leitsatz festgehaltenen) Ausführungen zur indiziellen "Mindestbesoldung" konkretisieren und das nach Möglichkeit mit einer Methodik verbinden würde, die indiziell die Abwägung ermöglichte, wann eine Unteralimentation so deutlich festzustellen ist, dass das zwangsläufig zu einer Anhebung (auch) von Grundgehaltssätzen führen muss, da sich alles andere sachlich nicht begründen ließe. Dazu habe ich ja in der Vergangenheit auch hier schon ein paar Zeilen geschrieben. Die Lektüre der Entscheidungsbegründungen wird sehr interessant und - davon gehe ich aus - instruktiv sein.

Blablublu

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #9481 am: 13.01.2024 18:57 »
Es wird  soweit kommen, dass Karlsruhe die Besoldungstabelle vorgibt. Es ist halt nur die Frage wann es soweit ist.

Bauernopfer

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #9482 am: 13.01.2024 19:14 »
..Dabei stehen sich nun also zwei Verfassungsorgane gegenüber, die den Geltungsanspruch ihrer Darlegungen durchsetzen wollen, wobei Du mit der Ansicht, dem Bundesverfassungsgericht gehe es ebenfalls um die Beibehaltung niederiger Personalkosten m.E. daneben liegst, lotsch (die übrige Darlegung halte ich hingegen für schlüssig). Dem Zweiten Senat geht es um sachgerechte Kosten, d.h., es soll keine Überalimentation zulasten der öffentlichen Hand und damit keine Privilegierung der Beschäftigten des öffentlichen Dienst geschehen und zugleich keine verfassungswidrige Unteralimentation...

Peter Müller hat darüber hinaus ja auch einen Betrag genannt, um den seiner Meinung nach die Gehälter von Nachwuchskräften im Richteramt hinter denen in den privaten Kanzleien hinterherhinken würden: nämlich rund 40.000,- €. Nimmt man die von PolareuD in den Sammelthread eingestellten Beträge von 0xF09F9881 stellt man fest, dass man recht genau an diesen Betrag heranreicht, wenn man die - nur ein indizielles Vergleichsmaß wiedergebenden, also nicht zur Bemessung des materiellen Gehalts des zu gewährenden Besoldungsniveaus hinreichenden - Beträge entsprechend anwendet.

Denn ein nach R 1 alimentierter Richter im ersten Einstiegsamt wird im Bund heute exakt so besoldet wie ein nach A 13 besoldeter Bediensteter (vgl. die Besoldungstabellen unter https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/bund?id=beamte-bund-2022&matrix=1). Zieht man nun die Daten aus dem Sammelthread zum Vergleich heran, dann stellt man fest, dass das entsprechende Besoldungsniveau um rund 37.000,- € zu gering bemessen ist.

Ein solches Handelns des Senats halte ich für unwahrscheinlich. Denn die nicht zuletzt auf die nicht konkurrenzfähigen Gehälter zurückzuführenden Probleme des öffentlichen Dienst, qualifiziertes Personal zu gewinnen, liegen ja vor und die Pensionierungswelle, die Peter Müller ebenfalls benennt, schwillt zurzeit ja mehr und mehr an, sodass auch das dazu führt, dass eine sachgerecht begründete und also amtsangemessene Alimentation zu gewähren ist, um die Funktionsfähigkeit der staatlichen Gewalt hinreichend aufrechtzuerhalten - das nur umso mehr, als dass in den letzten Jahren nur umso vermehrt deutlich geworden ist, dass die Bundesrepublik wiederkehrend ein Umsetzungsproblem in seiner politischen Gestaltung hat, die bspw. zu deutlich zu langen Verfahrensdauer oder zum Verfall der Qualität im Bildungswesen führt, um nur zwei von deutlich mehr Problemfelder zu nennen.
Könnte der Zwang, einerseits die Personalkosten auch künftig niedrig zu halten und dennoch wieder konkurrenzfähige Gehälter zu zahlen, auch um wieder qualifiziertes Personal zu gewinnen, dazu führen, an anderer Stelle zu sparen, nämlich durch Kürzung der Pensionsansprüche. Z. B. streiche maximal 71, 75%, setze 68,5%. Begründungen gäbe es dafür genug: Pensionierungswelle siehe oben, Pensionen im Vergleich mit Renten zu hoch, Alimentationsprinzip auch bei Kürzung noch erfüllt, Pensionen müssen nicht proportional zur Besoldung steigen, hinzu käme der angenehme Nebeneffekt, dass man damit einer populären Forderung der Wählerschaft nachkommt und .....die Maßnahme hatte schonmal ohne großes Wehgeschrei der Betroffenen funktioniert.

emdy

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #9483 am: 13.01.2024 20:04 »
Sorry aber darüber ist hier schon zigfach diskutiert worden. Auch die Pensionen sind kein beliebig zusammenstreichbarer Haushaltsposten. Selbstverständlich gibt es auch entsprechende Rechtsprechung.

Der Gesetzgeber habe die verfassungsrechtlichen Grenzen seines Entscheidungsspielraums jedoch "noch nicht überschritten". Im Hinblick auf die gesetzlichen Rentenversicherungen seien die Verringerungen der Pensionen gerechtfertigt (Aktenzeichen: Bundesverfassungsgericht 2 BvR 1387/02). Sollte sich allerdings in Zukunft eine Schieflage ergeben, müssten "Korrekturen" zu Gunsten der Beamten vorgenommen werden

Wenn noch ein bisschen gesunder Menschenverstand übrig wäre im BMI, würde man eine Aufgabenkritik anregen. Der öffentliche Dienst ist überfrachtet mit Bullshitaufgaben und die Bürokratie, das kann ich nach 10 Jahren Berufserfahrung nun sagen, steigt, wohl nicht nur in meinem Arbeitsgebiet, kontinuierlich an.

Übrigens könnte man mit einem Federstrich die Arbeitszeit auf 44 Std/Woche anheben. Das BBG lässt es ja zu. Dabei sind 41 Std/Woche schon jenseits dessen, was produktiv ist.

BerndStromberg

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DeGr

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #9485 am: 14.01.2024 00:04 »
Das Verfassungsorgan macht die, wie auch im Beschluss zur Parteienfinanzierung angekündigte Einhegung des Gestaltungsspielraum.

Dazu muss man in dem Urteil oder Beschluss auch alle Schlupflöcher gleich dicht machen, sonst geht alles wieder von vorne los.

So viele Schlupflöcher gibt es gar nicht mehr. Eigentlich fehlen nur noch Konkretisierungen zu Binnenabstandsgebot und zur Höhe von Zuschlägen, die nicht dem Leistungsgebot unterworfen sind. Oder gibt es noch mehr zu beachten?

Streichung unterer Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen, Einführung Zwei-Verdiener-Modell

PolareuD

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #9486 am: 14.01.2024 08:01 »
Das Verfassungsorgan macht die, wie auch im Beschluss zur Parteienfinanzierung angekündigte Einhegung des Gestaltungsspielraum.

Dazu muss man in dem Urteil oder Beschluss auch alle Schlupflöcher gleich dicht machen, sonst geht alles wieder von vorne los.

So viele Schlupflöcher gibt es gar nicht mehr. Eigentlich fehlen nur noch Konkretisierungen zu Binnenabstandsgebot und zur Höhe von Zuschlägen, die nicht dem Leistungsgebot unterworfen sind. Oder gibt es noch mehr zu beachten?

Streichung unterer Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen, Einführung Zwei-Verdiener-Modell

Ersteres dürfte nicht zulässig sein, da das gesamte Besoldungsgefüge eigeebnet wird und Zweitens müsste erstmal sachgerecht begründet werden. Die Versuche in den nördlichen Bundesländern sind alles andere als sachgerecht begründet und damit vermutlich zum scheitern verurteilt.

lotsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #9487 am: 14.01.2024 08:51 »
Ich erhoffe mir vom BVerfG oder EuGH noch eine Entscheidung zu Verzugszinsen.

Meine Ansatzpunkte hierzu habe ich an verschiedene Gewerkschaften und Richterverbände geschickt. Von einem Rechtsanwalt, der auch hier im Forum schon empfohlen wurde, habe ich kürzlich hierzu folgende Nachricht erhalten:
"Vielen Dank für Ihre Mail vom 22.12.2023. Ich halte Ihre Überlegungen für sehr konstruktiv und werde diese in meinen Schriftsätzen einarbeiten."

Deshalb werde ich mir jetzt einen E-Mail-Verteiler von Rechtsanwälten mit Schwerpunkt Beamtenrecht erstellen und diesen ebenfalls meine Ansatzpunkte bezüglich Verzugszinsen zusenden.

Moabit

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #9488 am: 14.01.2024 08:58 »
Streichung der (unteren oder weiterer unnötiger) Besoldungsgruppen, Erfahrungsstufen ist ja auch nachvollziehbar. Die Vielzahl an Besoldungsgruppen führt zu einem der beiden Hauptrobleme: Binnenabstandsgebot.

Auch die Einführung des Zwei-Verdiener-Modells ist dem anderen Hauptproblem geschuldet: die zwei Kinder, die versorgt werden müssen und dadurch in der Grundsicherungsdarfberechung enthalten sind. Ich nehme jetzt einmal Swens Berechnungen (Beitrag vom 07.06.2023) und kürze um die beiden Regelsätze der Kinder, Kindergeld, aber auch jegliche Familienzuschläge und nehme als Beispiel nur noch A5/1 aus 2024.

                                                    (a)                               (b)
Regelsätze:                                                   780,-- €
+ Kalte Unterkunftskosten:        1.400,-- €                         700,-- €
+ Heizkosten:                                               169,58 €
+ Kosten der Bedarfe für
Bildung und Teilhabe/                                    124,46 €
Sozialtarife:

Grundsicherungsbedarf:            2.474,04  €                     1.774,04 €
Mindestalimentation:                 2.845,10 €                     2.040,15 €


Mindestalimentation:                    2.845,- €                      2.040,- €   
- Kindergeld:                   (kein Abzug, da auch keine Anrechung beim Bedarf)
+ PKV-Beitrag:                                                 603,- €
Äquivalente Nettobesoldung:         3.448,- €                     2.643,- €
+ Einkommensteuer:                       354,- €                        100,- €
Besoldungsäquivalent:                  3.802,- €                     2.743,- €
- Familienzuschläge:      (kein Abzug, da Streichung jeglicher Familienzuschläge)
Grundgehaltsäquivalent:               3.802,-  €                    2.743,- €
tatsächliche gewährte
Grundbesoldung (A 5/1) in 2024:                     2.778,- €         
Fehlbetrag (absolut):                    1.024,-                          35,- €

Möglicher Ansatz mMn also: weiterer Sockelbetrag von z.B. bis zu 1000 Euro für alle, Streichung jeglicher Familienzuschläge und ein allgemein erhöhtes Kindergeld in DEU unabhängig des Status als Beamter, welches den Bedarf der Kinder deckt. Wenn man möchte dann noch einen Zuschlag von 15% zum Kindergeld wegen Abstands zur "Grundsicherung". Die Zahlen oben sind nun wahrscheinlich nicht zu 100% korrekt und sollen jetzt auch nicht zu ausgedehnten Diskussionen führen, zeigen aber das Hauptproblem: Kinder. Und das Binnenabstandsgebot? Das kann man, wie öfter schon gesagt wurde, locker über eine richtige Begründung aussetzen oder über Streichung ganzer Gruppen erreichen. So käme man dann auch nicht zu einer solchen "Traumtabelle" wie sie vor ein paar Seiten aufgetaucht ist.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #9489 am: 14.01.2024 09:13 »
Das sind tatsächlich zwei zentrale Punkte, um die es zukünftig gehen wird, DeGr, wobei der Senat dazu in den angekündigten Entscheidungen unmittelbar weitgehend nichts sagen kann. Denn im jeweils entscheidungsrelevanten Zeitraum waren in Niedersachsen und Schleswig-Holstein noch die Besoldungsgruppen A 2 die untersten, während Bremen im Jahr 2009, also deutlich vor dem nun zu betrachtenden Zeitraum, die untersten Ämter von A 2 nach A 3 angehoben hat, die auch heute noch die für aktive Beamte unterste ausgewiesene ist. Entsprechend dürfte für Bremen keine unmittelbare Notwendigkeit bestehen, die Sachlage zu prüfen. Niedersachsen hat erst 2019 - also deutlich nach dem Kontrollzeitraum - eine Ämterneubewertung vorgenommen (und diese mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht hinreichend sachgerecht begründet), seitdem ist die Besoldungsgruppe A 5 die unterste. Schleswig-Holstein ist entsprechend zunächst 2021 vorgegangen und hat die Besoldungsgruppe A 4 zur untersten gemacht, um 2022 A 6 zur untersten zu machen. In allen drei Fällen hat der Senat also innerhalb der konkreten Normenkontrollverfahren allenfalls die Möglichkeit, sich mittelbar zu diesen Anhebungen zu äußern, und zwar sachlich noch am ehesten hinsichtlich von Schleswig-Holstein, da es in der angekündigten Entscheidung zwar unmittelbar um das Jahr 2007 geht, dieses aber durch die politischen Umstände mit längeren Kontinuitäten verbunden werden kann, da in Schleswig-Holstein seitdem darüber gestritten wird, ob die damalige Neuregelung der jährlichen Sonderzahlung zu einer verfassungswidrigen Unteralimentation geführt habe, die bis heute fortwirke. Dieser Streit findet sich auch in Gesetzgebungsmaterialien späterer Gesetzgebungen, könnte hier also herangezogen werden, ohne daraus jedoch unmittelbare Schlüsse für das Jahr 2007 ziehen zu können.

Kaum anders sieht es mit dem neuen Familienmodell der Doppelverdienerfamilie aus, die in allen drei Bundesländer gerade erst vollzogen worden sind, sodass auch hier für den Senat kein unmittelbarer Kontrollauftrag gegeben ist. Insofern sind auch diesbezüglich in den angekündigten Entscheidungen keine unmittelbar entscheidungsrelevanten Ausführungen zu erwarten. Gegebenenfalls wird der Senat hier oder auch hinsichtlich der genannten Ämterneubewertungen vom Mittel des Obiter Dictum Gebrauch machen; ich glaube aber, dass dafür die Wahrscheinlichkeit weitgehend eher gering ist.

Was erwartbar ist - und zwar insbesondere an den Bremer Normenkontrollverfahren -, ist eine weitere Präzisierung der Begründungspflichten, die den Besoldungsgesetzgeber treffen, da es in zwei der fünf Fällen darum gehen wird, ob eine Verletzung der prozeduralen Anforderungen allein für sich genommen bereits zur Verfassungsiwdrigkeit der Norm führt. Das hat der Senat bereits mehrfach so dargelegt, sodass diese Frage sachlich bereits geklärt ist; allerdings hat es ihr bislang in keinem Fall eine alleinige Entscheidungsrelevanz gegeben - übrigens gleichfalls über das Besoldungsrecht hinaus (so auch zuletzt nicht hinsichtlich der Frage der Parteienfinanzierung zu Beginn des letzten Jahres, mit der der Senat so nahe wie zuvor noch nie an eine solche Entscheidungsmöglichkeit herangetreten ist). Das könnte er nun an den beiden Fällen oder an einem der beiden ändern, sofern er das als notwendig erachtete. Eine Entscheidung, die zum ersten Mal ausschließlich eine ungenügende Erfüllung der prozeduralen Anforderungen zum alleinigen Maßstab für die Betrachtung einer verfassungswidrigen (Besoldungs)Gesetzgebung machte, würde über das Besoldungsrecht hinaus tiefgreifende Folgen nach sich ziehen, da dann hier diese "zweite Säule" des Alimentationsprinzips vollständig tragend errichtet wäre, während dann der Gesetzgeber generell - z.B. auch für das Feld der Parteienfinanzierung - eine neue Verfassungswirklichkeit vorfände: Der Begründungspflicht würde dann in ähnlich gelagerten Fällen eine fundamentale Bedeutung zukommen, wobei weiterhin absehbar ist, dass hier zwischen beiden Senaten nach wie vor unterschiedliche Sichtweisen gegeben sind - als Folge dürfte die Wahrscheinlichkeit einer solch fundamentalen Entscheidung wohl eher geringer als höher sein; von vornherein ausschließen würde ich diese Möglichkeit aber auch nicht.

Denn auf der anderen Seite hätte ein solch fundamentaler Wandel der Verfassungswirklichkeit für den Zweiten Senat und damit für die Verfassungwirklichkeit undso auch für zukünftige Generationen von Besoldungsgesetzgebern (die der Senat im Zuge seiner negativen Gesetzgebung grundsätzlich immer mit im Blick behalten muss) durchaus Vorteile, weil so der weite Entscheidungsspielraum, über den der Gesetzgeber verfügt, offengehalten, jedoch über die Begründungspflicht präzise eingegrenzt werden könnte, ohne dass damit bereits über eine entsprechende negative Gesetzgebung vom Senat materielle Vorgaben gegeben werden würden, die zukünftige Gesetzgeber ggf. über Gebühr einschränken könnten. Denn damit bräuchte der Senat in späteren Verfahren bspw. gar nicht mehr klären, ob die konkreten Systemwechsel vom Allein- auf ein Doppelverdienermodell zu für das Besoldungsrecht sachgerechten Modellen geführt hat, sondern er könnte so die bislang diesbezüglich doch eher sachlich kümmerlichen Begründungen, wie sie nicht zuletzt die Nordstaaten in den letzten zwei Jahren vorgenommen haben, bereits zum Anlass nehmen, um die jeweiligen gesetzlichen Regelung für verfassungswidrig zu erklären. Damit würde er zukünftig den jeweils betroffenen Besoldungsgesetzgebern die Möglichkeit geben (bzw. diese bei ihnen belassen), das jeweilige Modell präziser zu begründen. Ein solches zukünftiges Vorgehen könnte also mit den angekündigten Entscheidungen entsprechend wie gerade dargelegt vorbereitet werden, wenn das auch womöglich einen gerade erst weitgehend geschlichteten Konflikt zwischen beiden Senaten wieder aufleben lassen würde (sodass eine so weitgehende Entscheidung des Senats dann doch eher unwahrscheinlicher als wahrscheinlicher sein dürfte). So oder so werden auch hier also die Begründungen interessant zu lesen sein. Denn eines darf man als sicher voraussetzen: Der Senat wird die den Besoldungsgesetzgeber treffenden Begründungspflichten ein weiteres Mal deutlich verschärfen - wenn er ggf. wohl auch (noch) nicht den letzten Schritt gehen dürfte und also die Verletzung der Begründungspflicht nun zum ersten Mal zur unmittelbar alleinigen Ursache für die Betrachtung einer verfassungswidrigen Gesetzeslage zu machen. Sehr weit von einer solchen Entscheidung entfernt dürften wir auf der anderen Seite aber auch nicht mehr sein.

Darüber hinaus könnte für die beiden sachlichen Fälle - Streichung unterer Besoldungsgruppen, neue Familienmodelle - eine Präzisierung des Prüfparameters der Mindestbesoldung dazu führen, dass sich entsprechende Darlegungen wie die gerade von mir gemachten zwar nicht erübrigen würden, da ihre Klärung sachlich von Interessen sind, dass aber über die eng(er)e Verbindung materieller und prozeduraler Faktoren viele nicht sachgerechte besoldungsrechtliche Modifikationen ausgeschlossen werden würden, da sie sich dann nicht mehr hinreichend begründen ließen. Das könnte zu einer deutlichen Verschlankung der Rechtsprechung führen und so durchaus nachvollziehbare Forderungen aus der Rechtswissenschaft erfüllen, in Anbetracht von Qualitätsverlusten in der Gesetzgebung die gesetzgeberischen Begründungspflichten zu erhöhen.

Praktisch wird eine solche Argumentation bspw. hier ab der S. 26 vorgenommen: https://bdr-hamburg.de/wp-content/uploads/Gutachterliche-Stellungnahme-Besoldungsstrukturgesetz-Drs.-22-1272.pdf

Da nun weitere Grundsatzentscheidungen vor uns liegen, werden wir mit der Veröffentlichung der Entscheidungen einiges zu lesen bekommen. Ich freue mich schon heute darauf, alsbald und also mit einiger Wahrscheinlichkeit irgendwann im Verlauf des nächsten halben Jahr Satz für Satz der Entscheidungsbegründungen lesen zu dürfen.

Bastel

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« Antwort #9490 am: 14.01.2024 11:34 »
Streichung der (unteren oder weiterer unnötiger) Besoldungsgruppen, Erfahrungsstufen ist ja auch nachvollziehbar. Die Vielzahl an Besoldungsgruppen führt zu einem der beiden Hauptrobleme: Binnenabstandsgebot.

Auch die Einführung des Zwei-Verdiener-Modells ist dem anderen Hauptproblem geschuldet: die zwei Kinder, die versorgt werden müssen und dadurch in der Grundsicherungsdarfberechung enthalten sind. Ich nehme jetzt einmal Swens Berechnungen (Beitrag vom 07.06.2023) und kürze um die beiden Regelsätze der Kinder, Kindergeld, aber auch jegliche Familienzuschläge und nehme als Beispiel nur noch A5/1 aus 2024.

                                                    (a)                               (b)
Regelsätze:                                                   780,-- €
+ Kalte Unterkunftskosten:        1.400,-- €                         700,-- €
+ Heizkosten:                                               169,58 €
+ Kosten der Bedarfe für
Bildung und Teilhabe/                                    124,46 €
Sozialtarife:

Grundsicherungsbedarf:            2.474,04  €                     1.774,04 €
Mindestalimentation:                 2.845,10 €                     2.040,15 €


Mindestalimentation:                    2.845,- €                      2.040,- €   
- Kindergeld:                   (kein Abzug, da auch keine Anrechung beim Bedarf)
+ PKV-Beitrag:                                                 603,- €
Äquivalente Nettobesoldung:         3.448,- €                     2.643,- €
+ Einkommensteuer:                       354,- €                        100,- €
Besoldungsäquivalent:                  3.802,- €                     2.743,- €
- Familienzuschläge:      (kein Abzug, da Streichung jeglicher Familienzuschläge)
Grundgehaltsäquivalent:               3.802,-  €                    2.743,- €
tatsächliche gewährte
Grundbesoldung (A 5/1) in 2024:                     2.778,- €         
Fehlbetrag (absolut):                    1.024,-                          35,- €

Möglicher Ansatz mMn also: weiterer Sockelbetrag von z.B. bis zu 1000 Euro für alle, Streichung jeglicher Familienzuschläge und ein allgemein erhöhtes Kindergeld in DEU unabhängig des Status als Beamter, welches den Bedarf der Kinder deckt. Wenn man möchte dann noch einen Zuschlag von 15% zum Kindergeld wegen Abstands zur "Grundsicherung". Die Zahlen oben sind nun wahrscheinlich nicht zu 100% korrekt und sollen jetzt auch nicht zu ausgedehnten Diskussionen führen, zeigen aber das Hauptproblem: Kinder. Und das Binnenabstandsgebot? Das kann man, wie öfter schon gesagt wurde, locker über eine richtige Begründung aussetzen oder über Streichung ganzer Gruppen erreichen. So käme man dann auch nicht zu einer solchen "Traumtabelle" wie sie vor ein paar Seiten aufgetaucht ist.

Genau, einfach alles bis A13 streichen.

BVerfGBeliever

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #9491 am: 14.01.2024 11:47 »
@Swen, wie immer vielen Dank für deine informativen Ausführungen!

Aus meiner Sicht ergibt sich daraus folgende Situation:
1.) Falls das BVerfG in den anstehenden Entscheidungen per negativer Gesetzgebung konkrete(re) Vorgaben macht, wären die Besoldungsgesetzgeber unmittelbar gezwungen, "bessere" Gesetze zu erlassen (allerdings auf Kosten einer signifikanten Beschneidung ihres ursprünglich weiten Entscheidungsspielraums).
2.) Falls das BVerfG hingegen lediglich die Begründungspflichten präzisiert, könnte es gut sein, dass die Gesetzgeber zunächst weiterhin (unzureichend begründete) "schlechte" Gesetze erlassen, die dann anschließend wiederum in Karlsruhe landen.

Rein egoistisch betrachtet würde ich somit vermutlich "Tor 1" bevorzugen, wenngleich ich sehr gut verstehe, dass diese Lösung nicht im ursprünglichen Sinne des Erfinders wäre (u.a. bezüglich der eigentlichen Zuständigkeiten der einzelnen Verfassungsorgane)..

PolareuD

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #9492 am: 14.01.2024 12:07 »
@ Moabit

Mit dem von Dir vorgeschlagenen Sockelbetrag bekommst du eventuell mit dem 4. Prüfparameter (Systeminterner Besoldungsvergleich) ein Problem:

„Verringerung der Abstände der Bruttogehälter in den Besoldungsgruppen infolge unterschiedlich hoher linearer Anpassungen bei einzelnen Besoldungsgruppen oder zeitlich verzögerter Besoldungsanpassungen. Verstoß gegen das Abstandsgebot, wenn die Abstände zwischen zwei vergleichbaren Besoldungsgruppen um mindestens 10 Prozent in den zurückliegenden fünf Jahren abgeschmolzen werden.“

https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,120049.msg297232.html#msg297232
Antwort #57

ChRosFw

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #9493 am: 14.01.2024 12:19 »
Im Grunde genommen bringt sich der Gesetzgeber durch das Streichen von Besoldungsgruppen selbst immer weiter in eine missliche Lage. Viele Diskussionen hätte es nicht gegeben, wenn man die Besoldung vernünftig geregelt hätte.

Beispiel Schule:

Man sieht sich nun in den Ländern gezwungen, alle Lehrkräfte nach A13 zu besolden. Dies entspricht ungefähr auch dem Eingangsamt für angehende Richter und Staatsanwälte. Das kann ja wohl nicht richtig sein. Und sobald mehr Verantwortung übernommen wird, weiß man nicht mehr wie man Lehrer besolden soll.

Die Stauchung und die Totalverweigerung, Führungskräfte angemessen zu bezahlen, obwohl sie nur einen kleinen Teil der Beamtenschaft ausmachen, zerstören das Besoldungsgefüge komplett.


SwenTanortsch

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« Antwort #9494 am: 14.01.2024 15:59 »
@ BVerfGBeliever
Die jeweilige Direktive mit ihrer jeweiligen Folge muss man jeweils einzelne betrachten, denke ich, wobei wir ja zugleich davon ausgehen dürfen, dass sich durch die angekündigten Entscheidungen zunächst einmal nichts an der Interessenslage der 17 Besoldungsgesetzgeber ändern wird, weiterhin durch Aufrechterhaltung des von Ulrich Battis' beschriebenen konzertierten Verfassungsbruchs möglichst hohe Personalkosten einzusparen. Da sich neben BVR Maidowski mindestens auch seine vier Wissenschaftlichen Mitarbeiter umfassend mit der Gesetzgebung insbesondere der elf Rechtskreise beschäftigt haben werden und weiterhin regelmäßig beschäftigen (worauf er ja unlängst mit seinem entsprechenden Verweis auf die Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts explizit hingewiesen hat), für die Richtervorlagen anhängig sind, darf man davon ausgehen, dass man in Karlsruhe über die Interessenslage und jeweiligen Mittel zu deren Durchsetzung recht genau im Bilde ist, worauf ja auch Peter Müller mit seinen Worten durchaus eindringlich hinweist. Da nun aber diese hervorragenden Juristen darin geschult sind, sachliche Probleme präzise zu analysieren, dürfen wir davon ausgehen, dass mit den angekündigten Entscheidungen ein abgewogenes Programm an Direktiven und deren Begründungen Verfassungswirklichkeit werden wird, mit dem der Senat das Ziel verfolgt, sowohl möglichst alle 17 Besoldungsgesetzgeber nach Möglichkeit umgehend wieder in den Rahmen des Grundgesetzes zurückzubewegen als auch den weiten Entscheidungsspielraum, über den der Besoldungsgesetzgeber verfügt, für dessen zukünftige Maßnahmen offenzuhalten. Darauf weist offensichtlich auch die Pragmatik verschiedener Entscheidungen der letzten Zeit hin (https://www.berliner-besoldung.de/begruenden-heisst-befolgen-zur-pragmatik-der-bundesverfassungsgerichtlichen-entscheidung-zum-zweiten-nachtragshaushaltsgesetz-2021/). Von daher liegt es auf der Hand, dass insbesondere die Begründungspflichten, die bereits 2012 und 2018 jeweils deutlich ausgeweitet worden sind, noch einmal präzisiert werden. Ebenso scheint es Teil der Pragmatik zu sein, nun eine Art verfassungsrechtliches "Faustpfand" mindestens für Niedersachsen zurückzuhalten, was wie gesagt dann gehörigen Druck insbesondere auf den niedersächsischen Gesetzgeber ausüben dürfte.

Insgesamt hat ja BVR Maidowski die Besoldungsgesetzgeber auf die Zielsetzung jenes Programms in gleichfalls aller gebotenen Deutlichkeit hingewiesen:

"Eine dem Rechtsschutzauftrag des Bundesverfassungsgerichts gerecht werdende Bearbeitung dieser hohen Anzahl von Verfahren hat u.a. folgenden Aspekten Rechnung zu tragen: Es wird sich als effizient für die Bearbeitung aller anderen Vorlagen erweisen, zunächst solche Verfahren auszuwählen, die möglichst viele der zur Entscheidung gestellten Probleme aufwerfen und damit die Gelegenheit bieten, eine aktuelle Grundlage für die Befassung mit den nachfolgenden Verfahren zu schaffen, insbesondere die Frage zu klären, welche Sach- und Rechtsfragen in der vorliegenden verfassungsgerichtlichen Judikatur noch nicht behandelt worden sind und ob Anlass besteht, diese Judikatur im Hinblick auf seit den letzten Entscheidungen eingetretene Entwicklungen erneut zu hinterfragen." (Beschluss v. 21.12. - 2 BvL 3/19 - Vz 3/23 -; Rn. 8; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/12/vb20231221_vz000323.html)

Wie ich ja hier in der Vergangenheit schon mehrfach darlegt habe, darf man damit rechnen, dass die angekündigten Entscheidungen als "Leitverfahren" (ebd.) die seit 2012 entwickelte neue Besoldungsdogmatik weitgehend abschließen werden, was ein zentraler Grund für die Dauer ihrer Bearbeitung ist. Damit gilt es in den angekündigten Entscheidungen durch die "möglichst viele[n] der zur Entscheidung gestellten Probleme" insbesondere "seit den letzten Entscheidungen eingetretene Entwicklungen erneut zu hinterfragen". Mit der im Zitat von mir vorgenommenen Hervorhebung wird zum einen die Kontinuität der eigenen Rechtsprechung angezeigt und zugleich deren weitere Präzisierung durch "seit den letzten Entscheidungen eingetretene Entwicklungen" angekündigt, was insofern von Interesse ist, als dass sich der unmittelbare Prüfauftrag jener Entscheidungen auf den Zeitraum 2013 und 2014 hinsichtlich der bremischen Gesetzeslage, 2007 der schleswig-holsteinischen und 2005 bis 2012 sowie 2014 bis 2016 der niedersächsischen erstreckt. Der unmittelbare Charakter kann sich also nur auf den Zeitraum vor den letzten drei maßgeblichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erstrecken, die 2017, 2018 und 2020 ergangen sind. Ergo werden hier mit dem in eine Frage gekleideten Halbsatz: "ob Anlass besteht, diese Judikatur im Hinblick auf seit den letzten Entscheidungen eingetretene Entwicklungen erneut zu hinterfragen", mehr oder minder deutlich gemacht, dass neben dem unmittelbaren Kontrollauftrag auch ein mittelbarer verfolgt werden wird, also den Zeitraum ab August 2020 betreffend, eben die seitdem "eingetretene[n] Entwicklungen" im Blick habend. Wäre ich Teil der Gesetzgebung oder der Regierung mindestes in einem der drei Rechtskreise, würde ich nun eher hellhörig auf die Deutlichkeit der zitierten Aussage reagieren.

Denn mit ihr wird eben mehr oder minder deutlich formuliert, dass am Ende zwar "nur" eine Entscheidung mit Gesetzeskraft für die verfahrensgegenständlichen Jahre ergehen kann und wird - das damit aber offensichtlich ebenfalls eine darüber hinausgehende Botschaft für die Jahre ab 2020 verbunden werden wird. Wir werden also bspw. - wie vorhin dargelegt - kaum unmittelbare Aussagen zur Streichung von unteren Besoldungsgruppen und der Zugrundelegung eines Doppelverdienermodells finden. Aber das, was wir finden werden, wird auch dafür eine Relevanz haben. Anders lässt es sich m.E. nicht interpretieren, dass man offensichtlich die eigene Judikatur auch "im Hinblick auf seit den letzten Entscheidungen eingetretene Entwicklungen erneut zu hinterfragen" habe.

Am Ende soll dann - so lässt sich die von BVR Maidowski ausgeführte Programmatik weiter lesen - auf der Basis der im Anschluss der Veröffentlichung der "Leitverfahren" weitgehend abgeschlossenen neuen Dogmatik (eine Dogmatik ist dabei nie völlig abgeschlossen, jedenfalls solange sie Geltung beanspruchen kann) die "rechtfertigungsbedürftig[e]" (ebd.) Entscheidungsdauer in Angriff genommen werden, weshalb - durchaus ungewöhnlich - ein zweiter Berichterstatter mit dem Ziel installiert worden ist, eine "deutlich schnellere Bearbeitung der [anhängigen] Verfahren erreichen [zu] können" (ebd.). Das wird dann darüber hinaus - nicht minder ungewöhnlich - "durch Beschäftigung eines zusätzlichen Wissenschaftlichen Mitarbeiters" ab diesem Jahr 2024 flankiert werden, damit so "eine noch intensivere Förderung der Normenkontrollvorlagen erleichtert werden" könne.

Ergo dürfen wir im Anschluss an die "Leitverfahren" mit einer Beschleunigung der Verfahrensdauer rechnen, sodass dann offensichtlich regelmäßiger über die dann noch immer über 40 Richtervorlagen zu dann noch zehn Rechtskreisen entschieden werden dürfte, was gleichfalls den Druck auf die Besoldungsgesetzgeber erhöhen wird. Dabei darf dann neben Niedersachsen mindestens noch Sachsen damit rechnen, dass es hier nicht mehr allzu lange bis zu einer Vollstreckungsanordnung dauern dürfte, wenn man in Karlsruhe nach Abschluss dieser "Leitverfahren" womöglich dann noch immer zu dem Ergebnis kommen sollte, dass "Anlass besteht, diese Judikatur im Hinblick auf seit den letzten Entscheidungen eingetretene Entwicklungen erneut zu hinterfragen".

Nach der letzten Grundsatzentscheidung aus dem Mai 2020 kommen nun also mit den "Leitverfahren" offensichtlich weitere auf uns zu, sodass das zeitliche Nadelöhr, durch das wir in den letzten rund dreieinhalb Jahren durch mussten, nun deutlich geweitet werden dürfte, was einigen Schwung ins Besoldungsrecht bringen wird. Ich möchte dabei nicht unbedingt in der Haut mancher Verantwortungsträger stecken, die nun weiterhin meinen, sich folgenlos vom Boden des Grundgesetzes absentieren zu dürfen. Diese Zeit wird sich nun mehr und mehr trotz des zu erwartenden Widerstands vonseiten mancher Verantwortungsträger dem Ende entgegenbewegen, weshalb ich hier wiederkehrend hervorgehoben habe, dass es keine zehn Jahre mehr dauern wird, bis wir wieder zu einer verfassungskonformen Gesetzeslage zurückgekehrt sein werden. Die anstehenden "Leitverfahren" werden gehörigen Druck insbesondere auf Niedersachsen und wohl auch kaum minder auf Schleswig-Holstein ausüben. Im Anschluss an die Veröffentlichung werden wir dann in vielfacher Hinsicht klarer sehen (können), wohin die Reise gehen wird. Die Entscheidung vom 15. November 2023 über das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 hat dabei gezeigt, was alle wissen: Reisen bildet.