Gut, konzentrieren wir uns auf das, was verfassungsrechtlich noch nicht geklärt ist. Wobei ich nicht genau weiß, was verfassungsgerichtlich noch nicht geklärt ist, bzw. wann man von einer verfassungsmäßigen Klärung ausgehen kann. Ich nehme an, wenn eine eindeutige Entscheidung des BVerfG vorliegt.
Wie sieht es z.B. bei den Hinzuverdienstmöglichkeiten von Bürgergeldempfängern aus?
(So gilt im Unterschied zur Grundsicherung ein 100 Euro-Freibetrag, den die Betroffenen zusätzlich und anrechnungsfrei verdienen können. Bei Beträgen zwischen 100 und 520 Euro sind dagegen nur 20 Prozent anrechnungsfrei. Von 520 bis 1000 Euro dürfen Bürgergeld-Empfänger seit diesem Jahr 30 Prozent ohne Anrechnung behalten. Zum Vergleich: mit der alten Hartz-IV-Regelung waren es noch 20 Prozent.)
Ich nehme an, dass das bei einer 4-K-Familie für Jeden gilt. Das ist dann nicht unerheblich.
Gibt es hierfür bereits eine verfassungsmäßige Klärung? Oder gilt hier das Prinzip, wo kein Kläger, da kein Richter, und sollte man das einfach einmal in eine Klage mit aufnehmen, damit sich das BVerfG damit befassen muss?
Einige werden jetzt sagen, na ja, das haben die sich eben dazu verdient und so ein Anreiz ist ja sinnvoll. Unbestritten ist das sinnvoll, es stellt sich nur die Frage, ob das bei der Berechnung der Mindestbesoldung berücksichtigt werden muss, denn der Zuverdienst wird den Bürgergeldempfängern ja vom Staat gewährt.
Es reagiert entsprechend erst, wenn es sich dazu veranlasst sieht, wenn es also eine in einem Verfahren gemachte Aussage als begründet oder unbegründet betrachten muss. Genau deshalb hat es 2015 am Anfang seines Rechtsprechungwandels und also in der Konkretisierung seines "Pflichtenhefts" - und seitdem nie wieder, weil es diese Aussage als bekannt voraussetzt - ausgeführt:
[1] Könnte es sein, dass das BVerfG sich noch nicht mit den Hinzuverdiensten befassen musste, weil niemand in einem Verfahren diesbezüglich eine Aussage gemacht hat? Mir ist klar, dass sich vorher die Verwaltungsgerichte bis zum BVerwG damit befassen müssten und dies wahrscheinlich für nicht sachlich beurteilen würden, weil bisher noch keine Entscheidung des BVerfG vorliegt.
[2] Wie sieht es aus, wenn ein Urteil des BVerwG vorliegt, sich das BVerfG aber noch nicht mit dem Sachverhalt befasst hat? Ich würde sagen, dann kann man nicht von einer endgültigen verfassungsmäßigen Klärung ausgehen. Ich denke hierbei an die Verzugszinsen für Besoldungsnachzahlungen.
Ich unterteile Deine Frage mal in zwei Teile, lotsch, da wir hier ja zwei Sachverhalte vor uns haben:
zu 1. Wenn ich es richtig sehe, hat sich das Bundesverfassungsgericht ja bereits mit dem Steuerfreibetrag hinsichtlich von Zuverdiensten von Grundsicherungsempfängern beschäftigt, nämlich indem es in der von mir dargelegten Weise diese von der Betrachtung zur Bemessung der Mindestalimentation arugmentativ ausgeschlossen hat. Wenn meine Auslegung der Rn. 69 ff. sachgerecht ist, kann der Steuerfreibetrag nicht als ein Sozialtarif betrachtet werden, sodass es nicht mehr notwendig ist, dass sich der Senat mit dieser Frage noch weitergehend beschäftigen müsste. Darüber hinaus sollte es so verstanden - unter der Prämisse meiner sachgerechten Auslegung - auch zukünftig nicht dazu kommen, dass sich der Senat mit dieser Frage noch beschäftigen müsste, da ja dann auch jedes Verwaltungsgericht zu demselben Schluss wie ich käme. Denn ein Richter ist dazu verpflichtet, zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht das Verfassungsrecht als Ganzes zu beachten. Es müsste also - wie gerade unter den genannten Möglichkeiten, eine andere Rechtsaufassung zu begründen - weitere Argumente ins Feld führen und zugleich die von mir angestellte Argumentation sachlich ("sachlich" heißt wie gesagt, anhand der weiteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) widerlegen.
Ich gehe dabei allerdings nicht davon aus, dass das möglich sein sollte, und zwar nicht, weil ich das so interpretiere, wie ich das interpretiere (also nicht, weil auch ich gerne Recht behalte), sondern weil wir in den Randnummern 69 bis 71 des aktuellen Judikats keinen Verweis des Senats auf frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht finden, sodass ich davon ausgehe, dass es sie für unseren Sachverhalt - dem Mindestabstandsgebot und darin die sachgerechte Betrachtung der Mindestalimentation als mittelbarer Ausfluss des Grundsicherungsniveaus im Zusammenhang mit den Sozialtarifen - nicht gibt. Denn gäbe es sie, hätte der Senat entsprechende Verweise getätigt, da er das regelmäßig macht; denn nicht jeder kennt die maßgeblichen Ausführungen beider Senate - mit Ausnahme ihrer selbst, was gleichfalls eine Ursache von langen Verfahrensdauern ist. Denn die Rechtsprechung aus der Vergangenheit kann das Bundesverfassungsgericht nicht unbetrachtet lassen, weshalb es dieses auf dem Weg bis zur Entscheidung umfassend reflektiert und abwägt, was nicht unerhebliche Zeit kostet.
Damit ist davon auszugehen, dass der Senat in den Rn. 69 bis 71 eine rechtsverbindliche Auslegung dessen, was Sozialtarife sind, vornimmt. Entsprechend dürfte - wenn auch diese meine Sichtweise sich nicht sachlich entkräften lässt - sich dann aber das, was ich vorhin dargelegt habe, sachlich nicht entkräften lassen, sodass kein Verwaltungsgericht in einer Richtervorlage den Steuerfreibetrag argumentativ als hinsichtlich der mittelbaren Bemessung der Mindestalimentation zu beachten betrachten dürfte, weshalb sich das Bundesverfassungsgericht auch zukünftig nicht dazu äußern würde, eben weil das Thema als geklärt zu betrachten wäre.
Zu 2. Hinsichtlich der Verzinsung von für Recht erkannte Nachzahlungsansprüche eines Beamten gegen seinen Dienstherrn finden wir m.E. ein sehr komplex Feld vor uns, das ich nicht hinreichend überblicke, um mir hier eine sachgerechte Meinung bilden zu können. Deshalb nur ein paar und wenige Gedanken:
a) Wenn ich es richtig sehe, sollte auch hier § 818 Abs. 1 BGB maßgebliche Bedeutung haben, nämlich: "Die Verpflichtung zur Herausgabe [eines in unserem Fall nicht rechtswirksam erlangten Gutes; ST.] erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt."
Hinsichtlich der möglichen Zinsen dürften dann vier mögliche Zinsarten von Bedeutung sein, nämlich Verzugszinsen, Prozesszinsen, Nutzungszinsen und ersparte Zinsen. Dabei wäre gleichfalls von Bedeutung, dass der Dienstherr gegenüber dem Beamten bspw. bei der Rückforderung einer Überbezahlung als sog. rechtsgrundlos empfangene Leistung in der Regel keine Zinsen verlangen kann. Nun muss sich das nicht auch auf den umgekehrten Fall erstrecken. Allerdings geht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht regelmäßig davon aus, dass der Zweck von öffentlich-rechtlichen Erstattungsansprüchen nicht darin liegt, einen durch einen hoheitlichen Eingriff erfolgten Vermögensschaden zu kompensieren. In diesem Fall wären entsprechende Zinszahlungen möglich und aus dem gerade genannten § 818 Art. 1 BGB sogar offensichtlich notwendig, da eine kompensierende Leistung im Zeitverzug höher ausfallen kann. Stattdessen geht es staatlicherseits um die
Rückgängigmachung der rechtsgrundlos empfangenen Leistung, die also in unserem Fall darin besteht, dass dem Besoldungsempfänger nicht die ihm nach Art. 33 Abs. 5 GG zustehende Alimentation gewährt worden ist.
Entsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 27.10.1998 - 1 C 38.97 - = BVerwGE 107, 304 ausgeführt (
https://www.judicialis.de/Bundesverwaltungsgericht_BVerwG-1-C-38-97_Urteil_27.10.1998.html):
"Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch schließt auch die Herausgabe von Nutzungen ein. Nach § 818 Abs. 1 BGB erstreckt sich der Anspruch auf Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung auf die gezogenen Nutzungen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, daß auch der auf Ausgleich einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung gerichtete öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch gegen Bürger, die zu Unrecht Leistungen der öffentlichen Hand erhalten haben, entsprechend dem Rechtsgedanken des § 818 Abs. 1 BGB die Herausgabe in der Zwischenzeit tatsächlich gezogener Nutzungen einschließt [...]. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, daß bei einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen eine Behörde eine 'Verzinsung' wegen tatsächlich gezogener Nutzungen grundsätzlich nicht in Betracht komme, weil zwar § 818 Abs. 1 BGB auch in dieser Konstellation entsprechend anzuwenden sei, der Staat aber öffentlich-rechtlich erlangte Einnahmen in der Regel nicht gewinnbringend anlege, sondern über die ihm zur Verfügung stehenden Mittel im Interesse der Allgemeinheit verfüge (Urteil vom 18. Mai 1973 BVerwG 7 C 21.72 Buchholz 451.80 Außenhandelsrecht - Allgemeines Nr. 19 = NJW 1973, 1854). Ob diese Rechtsprechung, wie der Kläger meint, generell der Überprüfung bedarf, kann auf sich beruhen."
Entsprechend scheint die Frage der Verzugszinsen über das Argument, dass der Staat die ihm zur Verfügung stehenden Mittel im Interesse der Allgemeinheit genutzt und dabei aus der Nutzung des sachgrundlos empfangenen (oder einbehaltenen) Guts keinen Gewinn gezogen hat, ausgeschlossen. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht im letztzitierten Satz festgestellt, dass ein Überprüfung des Rechtsgrundsatzes auf sich beruhen könne, und damit zumindest nicht ausgeschlossen, dass seine entsprechende Überprüfung nicht zukünftig - und also ggf. auch heute - doch noch einmal erfolgen könne.
b) Dabei könnten ggf. zwei Gründe für eine solche Prüfung ins Feld geführt werden, nämlich erstens, dass wir seit spätestens 2008 eine mittlerweile offensichtlich regelmäßige Verletzung des Mindestabstandsgebots in allen Rechtskreisen nachgewiesen vorfinden, die auch nicht nach der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04. Mai 2020 beendet worden ist, dass wir also ein mittlerweile regelmäßiges und lange währendes "Sonderopfer" vorfinden, das Beamten als solches verfassungswidrig abverlangt wird und das im Laufe der langen Zeit, seitdem es erhoben wird, unter Betrachtung des genannten Rechtsgrundsatzes zu einer augenscheinlich hohen Entwertung der Nachzahlung führen dürfte.
Damit würde aber zunächst einmal das Argument der Verwendung auch dieses Guts im Allgemeininteresse ohne eigenen Zinsgewinn für den Staat zwar für sich betrachtet nicht aus der Welt geschaffen; allerdings könnte dabei weiterhin das mittlweile regelmäßig, um nicht zu sagen fast schon gewohnheitsmäßig abverlangte "Sonderopfer" in Betracht gezogen werden, aus dem sich die Frage ableiten würde, wie sich die Lage des Allgemeininteresses in Vergangenheit und Gegenwart vollzogen hätte, wäre dieses "Sonderopfer" nicht über einen so dermaßen langen Zeitraum abverlangt worden. Der "Gewinn" läge nun mindestens darin - wenn eben als eine Art "Gewinn" und nicht, formal betrachtet, als Gewinn -, dass so im hohen Maße keine zusätzlichen Schulden aufgenommen werden mussten (dieses Argument wäre mindestens für den Zeitraum bis 2011 in Erwägung zu ziehen bzw. ggf. auch bis 2020, da die Länder erst zu diesem Zeitraum endgültig ohne neue Schuldenlasten auskommen müssen), sodass der "Gewinn" in geringeren Zinslasten gefunden werden könnte, die entsprechend dem Beamten im übertragenen Sinne auferlegt worden sind.
Darüber hinaus zeichnet sich nun in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein fundamentaler Rechtsprechungswandel im Besoldungsrecht ab, der im aktuellen Oktoberheft der ZBR ab der Seite 349 in einer sogenannten Urteilsanmerkung betrachtet wird (vgl. die Nr. 4 unter:
http://www.zbr-online.de/rechtsprechung.html; vgl. auch
https://www.berliner-besoldung.de/uebersteigt-die-alimentation-noch-regelmaessig-das-nach-massgabe-von-art-33-abs-5-gg-gebotene-besoldungsniveau-ein-offensichtlich-fundamentaler-rechtsprechungswandel-des-bundesverwaltungs/). Auch in diesem Kontext wäre es ggf. einem findigen Anwalt möglich, eine erneute Überprüfung des Rechtsgrundsatzes argumentativ schlüssig zu fordern. Ob dem dann Erfolg beschieden sein würde, müsste sich zeigen. Aber ohne eine solche argumentative Auseinandersetzung dürfte sich von allein sicherlich auch hier nicht viel tun, vermute ich.