Lieber Swen,
vielen Dank für deine klaren und fundierten Worte – gerade in einem Umfeld, in dem die Diskussion manchmal ins Persönliche abgleitet, sind deine Beiträge wohltuend sachlich und zugleich verständlich. Es tut gut zu sehen, dass jemand mit so viel Fachkenntnis und Geduld die Mühe auf sich nimmt, die komplizierten Zusammenhänge für uns alle greifbar zu machen.
Dein Ansatz, die juristischen Feinheiten mit konkreten Folgen für uns als Betroffene zu verbinden, ist wirklich ermutigend. Es zeigt, dass Recht nicht im luftleeren Raum existiert, sondern unser tägliches Leben ganz konkret berührt.
Eine kleine Frage hätte ich noch, die mich beschäftigt: Falls das BVerfG diesmal tatsächlich sehr klare Leitplanken für die Länder zieht – siehst du eine Chance, dass wir in Zukunft weniger von endlosen „Korrekturschleifen“ (Gesetz → Widerspruch → neues Urteil → neues Gesetz …) betroffen sein werden? Oder gehört dieses Pingpong einfach unvermeidbar zum System?
Auf jeden Fall: Danke für deine Arbeit hier – und bleib bitte unbedingt dran, auch wenn’s manchmal anstrengend ist. Viele von uns nehmen aus deinen Beiträgen viel Mut und Orientierung mit. Ich selbst bin betroffener Niedersachse und bin um jede Hilfestellung dankbar.
Ich denke, wir können zunächst einmal davon ausgehen, dass das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung fortsetzen wird, appropriate, wie es das in der letzten Randnummer der aktuellen Entscheidung ausgeführt hat:
"Eine rückwirkende Behebung ist jedoch sowohl hinsichtlich der Kläger der Ausgangsverfahren als auch hinsichtlich etwaiger weiterer Richter und Staatsanwälte erforderlich, über deren Anspruch noch nicht abschließend entschieden worden ist (vgl. BVerfGE 139, 64 <148 Rn. 195>; 140, 240 <316 Rn. 170>; 150, 169 <193 Rn. 64>). Dabei kommt es nicht darauf an, ob insoweit ein Widerspruchs- oder ein Klageverfahren schwebt.
Entscheidend ist, dass sie sich gegen die Höhe ihrer Besoldung zeitnah mit den statthaften Rechtsbehelfen gewehrt haben, so dass der Haushaltsgesetzgeber nicht im Unklaren geblieben ist, in wie vielen Fällen es möglicherweise zu Nachzahlungen kommen wird." (
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html; Hervorhebungen durch ST.)
Denn damit folgt der Senat letztlich der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, sodass zu vermuten sein wird, dass er sich nicht veranlasst sehen dürfte, davon abzuweichen. Das Bundesverwaltungsgericht hat so 2019 klargestellt:
"Für die Geltendmachung des Anspruchs [auf amtsangemessene Alimentation; ST.] genügt es, dass der Beamte zum Ausdruck bringt, sich mit der Höhe seiner Besoldung oder Versorgung insgesamt nicht mehr zufrieden zu geben. So hätte es im vorliegenden Fall ausgereicht, wenn der Kläger - so wie später im gerichtlichen Verfahren - im Jahr 2004 erklärt hätte, dass er für den Fall einer zulässigen Kürzung der jährlichen Sonderzahlung jedenfalls die danach verbleibende Gesamthöhe seiner Versorgungsbezüge für zu niedrig halte, weil sie ihm und seiner Familie keinen angemessenen Lebensstandard mehr ermögliche und sie sich in ihrer Lebensführung einschränken müssten. Ein solches Vorbringen wäre ihm auch als juristischen Laien möglich gewesen. Rechtskenntnisse sind dafür nicht erforderlich." (Urteil vom 21.02.2019 - BVerwG 2 C 50.16 -,
https://www.bverwg.de/de/210219U2C50.16.0, Rn. 27)
Denn damit macht das Bundesverwaltungsgericht deutlich, dass ein (ggf. jährlich zu wiederholender) Widerspruch gegen die Höhe der gewährten Besoldung und Alimentation keine erhöhten Rechtskenntnisse voraussetzte, um so dem Beamte zumutbar zu sein.
So verstanden wäre es erstaunlich, wenn nun der Zweite Senat, nachdem er 2020 seine Sicht auf die Dinge mit der oben zitierten Rechtsprechung präzisiert hat, davon abrücken wollte und also bspw. einen Widerspruch als nicht mehr notwendig erachtete.
Insofern wird das von Dir genannte Pingpong für den Beamten solange weitergehen, wie bei ihm gen Ende eines jeweiligen Jahres Zweifel an der Gesamthöhe der ihm in jenem Jahr gewährten Besoldung und Alimentation verbleiben und er sich dann also entsprechend aufgefordert sieht, einen Widerspruch zu führen, weil er davon ausgeht, dass die ihm gewährte Gesamthöhe der Besoldung und Alimentation zu niedrig sei und ihm und seiner Familie entsprechend keinen angemessenen Lebensstandard mehr ermögliche und sie sich also in ihrer Lebensführung eingeschränkt sehen müssten.
Dieser Zweifel dürfte darüber hinaus solange bestehen bleiben, wie die Besoldungsgesetzgeber nicht begründet Anlass für die Vermutung geben sollten, dass sie zu einer wieder amtsangemessenen Alimentation zurückgekehrt sein sollten.
Ergo: Da das Bundesverfassungsgericht mit seiner jüngeren Rechtsprechung dafür gesorgt haben will, dass es sich beim Alimentationsprinzip um keinen zahnlosen Tiger handeln sollte, um zugleich hervorgehoben zu haben, dass es mit den zwischenzeitlich wohl abgeschlossenen Pilotverfahren diesem Anspruch Nachdruck verleihen wolle, wird sich zeigen, wie die Besoldungsgesetzgeber darauf reagieren werden, also nun insbesondere das Abgeordnetenhaus von Berlin, über dessen Gesetzgebung für die Jahre 2010 bis 2015 der Zweite Senat nun entschieden haben wird, und im Gefolge die anderen Besoldungsgesetzgeber, für deren 13 noch über 70 Vorlagen in Karlsruhe anhängig sind, sodass der Zweite Senat offensichtlich über genügend Möglichkeiten verfügen dürfte, falls nötig klarzustellen, was dann klarzustellen ist. Da er ja mit den nun offensichtlich zum Abschluss gebrachten Pilotverfahren den Anspruch vertreten will - wie gestern zitiert -, dass es "sich als effizient für die Bearbeitung aller anderen Vorlagen erweisen" werde, dass nun die Berliner Pilotverfahren ausgewählt worden seien, sollte er sich folglich in der Pflicht sehen, zwischen dem nun wohl abgeschlossenen Pilotverfahren und der Entscheidung über eine weitere der bislang noch über 70 anhängigen Richtervorlagen aus 13 Rechtskreisen schneller zu entscheiden als zwischen der letzten und der nun wohl ergangenen Entscheidung.
Ergo: Schauen wir also jetzt mal, wie die schriftliche Begründung über die Pilotverfahren abgefasst worden ist, wenn sie das Bundesverfassungsgericht alsbald veröffentlichen wird. Danach dürfte - so gilt es begründet zu vermuten - eine ggf. vielfältige Debatte nicht zuletzt in den Medien entspringen, die in dem Moment nicht mehr abreißen sollte, wie das Bundesverfassungsgericht dann tatsächlich den Effizienzgewinn der Entscheidung über die Pilotverfahren nutzte, um die Besoldungsgesetzgeber ins Laufen zu bringen. Versiegte allerdings mit der nun wohl abgeschlossenen Entscheidung über die Pilotverfahren die Quelle der Entscheidungen sogleich wieder auf Jahre, wäre das Ergebnis wohl selbst heute schon absehbar. Der Hüter der Verfassung sieht sich nun also - knapp fünfeinhalb Jahre nach seiner letzten Entscheidung und in Anbetracht eines seitdem in 17 Rechtskreisen zuschanden gerittenen Alimentationsprinzips - m.E. in der Pflicht, den Worten Taten folgen zu lassen. Passierte das nun nicht - würden die Folgen des geplanten Effizienzgewinns nicht durchschlagen -, sollte das nicht nur von Besoldungsgesetzgebern als für sie positives Zeichen gewehrt werden dürfen, mindestens weiterzumachen als wie zuvor.
Was nun aber in der Begründung über die Pilotentsheidungen stehen wird und wie es danach weitergeht, ist alles noch Zukunftsmusik. Der langen Rede kurzer Sinn: Alsbald werden wir zumindest ein wenig schlauer sein, um dann Zeugen zu werden, wie es weitergeht.