Autor Thema: Tarifverhandlungen und die Inflation  (Read 736861 times)

Flying

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3795 am: 03.11.2022 10:39 »
Tolle Argumentation für "weniger Kohle, lieber 1-2 Std weniger Wochenarbeitszeit". Wenn da viele so ticken und rufen, dann wird das mit echtem Inflationsausgleich von vornherein nichts.

Zitat:
weil  ICH jedes Jahr 3x verreise (und es mir eh leisten kann)
weil ICH MEINE  Eigentumswohnung abbezahlt habe in diesem Jahr.
ich-ich-ich  --- und die Anderen?
Oder ich ab mal wieder einen Denkfehler. GEWERKSCHAFT vertritt doch mMn nach die MASSE ...

Warum?
Ich für meinen Teil würde die Argumentation mitgehen. Ich komme mit meinem Geld gut aus, wir können das Haus abbezahlen, die Familie ernähren und Urlaube sind auch drin. Klar, die Inflation ist bemerkbar und gehört auch ein Stück weit ausgeglichen durch den Tarifvertrag.
Wenn man mich aber vor die Wahl stellt:
a)X Euro netto mehr
b)x Euro netto mehr und 2 Stunden weniger Arbeitszeit wöchentlich
c)0 Euro netto mehr und 4 Stunden weniger Arbeitszeit wöchentlich 

Ich wäre mal mindestens bei b), wenn nicht sogar bei c).
Ist doch alles eine Frage der Priorisierung - ich fände eine Wahlmöglichkeit im Sinne aller Beteiligten am wertvollsten. (und ja, ich spreche natürlich nur für mich)

Am Ende der Verhandlung steht es doch allen frei die X,X% in Entgelt anzunehmen oder gegenüber ihrem AG die Arbeitszeit um diese X,X% zu reduzieren.

Aber das entspricht doch nicht der Wirklichkeit - bei uns im Haus gibt es 25%/50%/75% und 100% Stellen. Klar, in Ausnahmen sind da auch mal andere Konstruktionen möglich, aber ich kenne keinen der 36-38 Wochenstunden hat.
Meine Arbeitszeit um 1-3 Wochenstunden zu reduzieren wird der AG nicht mitmachen - warum auch? Ich habe ja einen Vertrag über 39 Stunden. Und wenn ich reduzieren will, dann doch wenigstens so, dass er alternativ jemanden einstellen kann, damit die Kollegen nicht über die fehlenden Zeitanteile klagen können.

Ansonsten hat BAT dazu ja noch weiter ausgeführt. 


Kat

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3796 am: 03.11.2022 11:13 »
Warum sollte er das nicht machen? Ich habe durchaus Kolleg'innen, die 80 Prozent arbeiten oder irgendwelche anderen krummen Zeiten. Alles eine Absprache mit dem Arbeitgeber und gerade der öD ist doch da sehr flexibel im Allgemeinen.

BAT

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3797 am: 03.11.2022 11:15 »
Warum sollte er das nicht machen? Ich habe durchaus Kolleg'innen, die 80 Prozent arbeiten oder irgendwelche anderen krummen Zeiten. Alles eine Absprache mit dem Arbeitgeber und gerade der öD ist doch da sehr flexibel im Allgemeinen.

Ich denke, daß Probleme ist bei den meisten Beschäftigungsverhältnissen nicht der Prozentsatz, sondern die Häufigkeit der Änderungen mit allen Konsequenzen.

Als ich runterging auf 34 STunden wurden die Aufgaben auf die anderen Kollegen verteilt. Irgendwie auch arschig... :o

veeam

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3798 am: 03.11.2022 11:23 »
Wir orientieren uns am geltenden Recht. Das erlaubt es auch die Arbeitszeit um 3,7% zu reduzieren. Klar kommt das nicht vor, aber wir haben durchaus Bedienstete die 15 Wochenstunden, 20, 25, 30, 35 Stunden ableisten.
Ein direkter Kollege hat letztes Jahr auf 36 Stunden reduziert, macht nun von Montags bis Donnerstags jeden Tag eine halbe Stunde mehr und ist dafür Freitags nicht im Dienst. Eine andere Kollegin ist auf 32 Stunden reduziert und geht am Donnerstagmittag ins Wochenende.

Wenn jemand nun in der glücklichen Situation ist und durch den Sockelbeitrag überproportional dazugewinnt, könnte man auf 35 Wochenstunden reduzieren (10,25%) und die restlichen Prozente trotzdem als Entgelterhöhung mitnehmen. Ergebnis= 15 Minuten am Tag mehr arbeiten, dafür eine 4 Tage Woche und trotzdem etwas mehr Entgelt. Eine Ablehnung auf Stundenreduzierung ist bei uns bislang nur einmal vorgekommen. In allen anderen >20 Fällen gab es keine Probleme. Nichtmal bei Leuten die ihre Reduzierung laufend auf 2 Jahre befristen um den Anspruch auf eine Vollzeitstelle nicht zu verlieren.

Das kann bei anderen Dienststellen natürlich anders aussehen und gehandhabt werden. In wie weit so eine ablehnende Haltung vor dem Arbeitsgericht standhalten würde?

Addams

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3799 am: 03.11.2022 11:33 »

Am Ende der Verhandlung steht es doch allen frei die X,X% in Entgelt anzunehmen oder gegenüber ihrem AG die Arbeitszeit um diese X,X% zu reduzieren.

Nö, es steht eben nicht allen frei. Der AG wird dies sehr oft ablehnen...

Das stimmt so nicht, da Du einen Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit hast, und die Hürden für den Arbeitgeber recht hoch sind, die Reduzierung zu verweigern.



Am Ende der Verhandlung steht es doch allen frei die X,X% in Entgelt anzunehmen oder gegenüber ihrem AG die Arbeitszeit um diese X,X% zu reduzieren.

Aber das entspricht doch nicht der Wirklichkeit - bei uns im Haus gibt es 25%/50%/75% und 100% Stellen. Klar, in Ausnahmen sind da auch mal andere Konstruktionen möglich, aber ich kenne keinen der 36-38 Wochenstunden hat.
Meine Arbeitszeit um 1-3 Wochenstunden zu reduzieren wird der AG nicht mitmachen - warum auch? Ich habe ja einen Vertrag über 39 Stunden. Und wenn ich reduzieren will, dann doch wenigstens so, dass er alternativ jemanden einstellen kann, damit die Kollegen nicht über die fehlenden Zeitanteile klagen können.

Ansonsten hat BAT dazu ja noch weiter ausgeführt.

Wie oben geschrieben, hast Du einen Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit, und da ist es egal, ob auf eine "runde" Arbeitszeit wie von Dir aufgeführt (25/50/75%), oder auf eine "krumme" Arbeitszeit wie in meinem Fall, meine 35h/Woche entspricht beispielsweise 89,7435%, die ich so im Gehaltsrechner auf dieser Seite eingeben muss :)

Wie der anteilige Wegfall Deiner Arbeitszeit kompensiert wird, ist Aufgabe des Arbeitgebers, da dies zur Arbeitsorganisation gehört. Und so hart es klingen mag: Auf sich beklagende Kollegen sollte man hierbei nicht zu viel Rücksicht nehmen, denn sonst arbeitet man bis zur Rente in Vollzeit. Den Zeitpunkt, wann ich meine Arbeitszeit reduziere, bestimme ich selbst im Rahmen meines Binnenverhältnisses zum Arbeitgeber.

BAT

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3800 am: 03.11.2022 11:34 »
Im geltenden Recht hat aber auch jeder seine Arbeitspflicht zu erbringen. Und sein wir mal ganz ehrlich, mindestens die Stunden 35 bis 39 einer Arbeitswoche werden hiermit nicht belegt.

Britta2

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3801 am: 03.11.2022 11:42 »
Im geltenden Recht hat aber auch jeder seine Arbeitspflicht zu erbringen. Und sein wir mal ganz ehrlich, mindestens die Stunden 35 bis 39 einer Arbeitswoche werden hiermit nicht belegt.

Stimmt. Die Kehrseite der Medaille aber ist auch lt Arbeitsrecht: der AN hat einen Anspruch darauf, vom AG entsprechende (sinnvolle und der zugewiesenen Stelle entsprechene) Arbeitstätigkeiten zu bekommen.
Es ist ungerecht, dass stets der AN der in doppelter Hinsicht Gelackmeierte sein muss - Dank Vorverurteilung.

Herbert Meyer

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3802 am: 03.11.2022 11:42 »
Im geltenden Recht hat aber auch jeder seine Arbeitspflicht zu erbringen. Und sein wir mal ganz ehrlich, mindestens die Stunden 35 bis 39 einer Arbeitswoche werden hiermit nicht belegt.

Was halt in allen Kopfarbeiter-Jobs eigentlich eine Win-Win-Situation ist: Die ohnehin unproduktiven Stunden muss der Arbeitgeber nicht mehr entlohnen und der Arbeitnehmer muss sich die letzte Stunde des Tages nicht mehr krampfhaft am Bürostuhl festkrallen und erschöpft die Tapete anstarren, sondern kann sich anderen Dingen außerhalb des Büros widmen. Dass das Thema Arbeitszeit in den Tarifverhandlungen einen so geringen Stellenwert besitzt, ist für mich deshalb vollkommen unverständlich.

BAT

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3803 am: 03.11.2022 11:47 »
So ist es. Ich würde mich der Argumentation der Befürworter einer Beibehaltung der 39 Stunden - Woche sofort anschließen, wenn wir bereits eine 32 Stunden - Woche hätten.

Aber natürlich müsste der Arbeitgeber die unproduktiven Stunden indirekt entlohnen. Aufgrund der Effizienzsteigerung ist das Gehalt auf jeden Fall beizubehalten, mindestens bis zu einer Verringerung der WAZ auf 34 Stunden. On Top die allgemeinen Gehaltssteigerungen.

Aber der soziale Aspekt eines Arbeitsalltages ist mir durchaus bewusst. Viele mögen das nicht in den privaten Bereich verlegen.

Addams

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3804 am: 03.11.2022 11:48 »
Im geltenden Recht hat aber auch jeder seine Arbeitspflicht zu erbringen. Und sein wir mal ganz ehrlich, mindestens die Stunden 35 bis 39 einer Arbeitswoche werden hiermit nicht belegt.

Da dies glaub an mich gerichtet ist: Aufgabengebiete, die ich vorher allein betreut habe, konnten durch Aufstockung unseres Teams (EDV) besser verteilt werden, so dass es mit den 35 Stunden pro Woche problemlos klappt.

DiVO

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3805 am: 03.11.2022 11:49 »
Tolle Argumentation für "weniger Kohle, lieber 1-2 Std weniger Wochenarbeitszeit". Wenn da viele so ticken und rufen, dann wird das mit echtem Inflationsausgleich von vornherein nichts.

Zitat:
weil  ICH jedes Jahr 3x verreise (und es mir eh leisten kann)
weil ICH MEINE  Eigentumswohnung abbezahlt habe in diesem Jahr.
ich-ich-ich  --- und die Anderen?
Oder ich ab mal wieder einen Denkfehler. GEWERKSCHAFT vertritt doch mMn nach die MASSE ...

Warum?
Ich für meinen Teil würde die Argumentation mitgehen. Ich komme mit meinem Geld gut aus, wir können das Haus abbezahlen, die Familie ernähren und Urlaube sind auch drin. Klar, die Inflation ist bemerkbar und gehört auch ein Stück weit ausgeglichen durch den Tarifvertrag.
Wenn man mich aber vor die Wahl stellt:
a)X Euro netto mehr
b)x Euro netto mehr und 2 Stunden weniger Arbeitszeit wöchentlich
c)0 Euro netto mehr und 4 Stunden weniger Arbeitszeit wöchentlich 

Ich wäre mal mindestens bei b), wenn nicht sogar bei c).
Ist doch alles eine Frage der Priorisierung - ich fände eine Wahlmöglichkeit im Sinne aller Beteiligten am wertvollsten. (und ja, ich spreche natürlich nur für mich)

Am Ende der Verhandlung steht es doch allen frei die X,X% in Entgelt anzunehmen oder gegenüber ihrem AG die Arbeitszeit um diese X,X% zu reduzieren.

Nö, es steht eben nicht allen frei. Der AG wird dies sehr oft ablehnen...

Antrag auf Reduzierung der Arbeitszeit nach TV-L § 11, 1 a stellen (sofern Kind vorhanden) und der Drops ist gelutscht.

BAT

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3806 am: 03.11.2022 11:51 »
Die Ablehnung eines Antrages kann immer erfolgen, steht aber auch der gerichtlichen Überprüfung frei. Bitte im Privatrecht denken.

Zudem denke ich, dass die meisten Verkürzer hier unter die "soll" und nicht die "ist" - Regelungen fallen.

JC83

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3807 am: 03.11.2022 12:10 »
Dass das Thema Arbeitszeit in den Tarifverhandlungen einen so geringen Stellenwert besitzt, ist für mich deshalb vollkommen unverständlich.

Naja, da überall Mangel an Arbeitskräften geraunt wird und kein Tag vergeht, an dem mir nicht irgendwer erzählt, "WIE VIEL" doch so zu tun sei, hängt sich da keine Gewerkschaft rein.

Ich finde es auch schade.

teclis22

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3808 am: 03.11.2022 14:54 »

Was halt in allen Kopfarbeiter-Jobs eigentlich eine Win-Win-Situation ist: Die ohnehin unproduktiven Stunden muss der Arbeitgeber nicht mehr entlohnen und der Arbeitnehmer muss sich die letzte Stunde des Tages nicht mehr krampfhaft am Bürostuhl festkrallen und erschöpft die Tapete anstarren, sondern kann sich anderen Dingen außerhalb des Büros widmen. Dass das Thema Arbeitszeit in den Tarifverhandlungen einen so geringen Stellenwert besitzt, ist für mich deshalb vollkommen unverständlich.

Ich vermute da wird das Prinzip "Shifiting Baselines" (glaube das war der Begriff) befürchtet.
Das ist nur dann eine Win-Win wenn die Person vorher 39 Stunden gearbeitet hat. Sprich fiktiv:
35h produktiv und 4h erschöpft absitzen.

Wenn jetzt jemand mit 35 anfängt, also nie die 39h gearbeitet hat, besteht die Befürchtung das diese Person nur 31h produktiv ist und 4h erschöpft absitzt, weil das "vorher" nicht bekannt ist.

BAT

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Antw:Tarifverhandlungen und die Inflation
« Antwort #3809 am: 03.11.2022 15:26 »
Ich denke es ging darum, dass beide Personen Aufgaben zur Erledigung bekommen, die sie bei mittlerer Art und Güte in ca. 34 Stunden erledigt bekommen.