Dank für das Einstellen, micha.
Der Gesetzentwurf kann einen ein weiteres Mal nur ratlos zurücklassen. Das beginnt bereits mit der Zielformulierung:
"Dieses Gesetz zielt deshalb nicht darauf ab, die Schließung der vom VGH für Hessen festge-
stellten Alimentationslücke hinsichtlich des Abstandes der Netto- zur Mindestalimentation
für eine vierköpfige Familie von zwei Erwachsenen und zwei Kindern mit nur einem Fa-
milieneinkommen bis zum Jahr 2024 bereits vollständig zu erreichen, sondern es sollen im
Rahmen der bestehenden finanziellen Möglichkeiten auf Grundlage der für die Bemessung
der ausreichenden Alimentation erforderlichen und bereits gesicherten Datengrundlage
erste Maßnahmen zur Behebung des bestehenden Alimentationsdefizits er-griffen werden." (S. 2)
Denn wenn es sicherlich zu begrüßen ist, dass Hessen sich nun als erstes Land anschicken will, wieder zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückzukehren, so führt die Landesregierung mit dem Entwurf aus, dass sie den eingestandenen verfassungswidrigen Zustand fortführen und erst nach und nach mit einer "gestufte[n] Vorgehensweise" überwinden wolle (ebd.).
Sofern das verfassungsrechtlich überhaupt möglich sein sollte, wäre der Gesetzgeber aber zwingend dazu verpflichtet gewesen, zunächst insbesondere das Grundsicherungsniveau und die Mindestalimentation zu bemessen, was aber wissentlich und willentlich unterbleibt (vgl. S. 26 ff.). Dahingegen führt der Entwurf sachlich falsch aus:
"Diese Vorgehensweise bewegt sich auch deswegen innerhalb des dem Gesetzgeber von der
Verfassung vorgegebenen Gestaltungsrahmens, weil sich der Verfassungsverstoß im We-
sentlichen auf einen Parameter der ersten Prüfungsstufe beschränkt, - wenngleich diesem
eine besondere herausgehobene Bedeutung zukommt - während alle übrigen Voraussetzun-
gen eingehalten werden." (S. 3)
Denn beim Mindestabstandsgebot handelt es sich um einen vom Gesetzgeber zu beachtenden (und nicht nur zu berücksichtigen) hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentum: Sie stellt ein vom absoluten Alimentationsschutz umfasstes materielles Rechtsgut dar, in das der Gesetzgeber keine Einschnitte - auch nicht zur Haushaltskonsolidierung - vornehmen darf. Denn damit überschreitet der Gesetzentwurf den weiten Entscheidungsspielraum, über den der Gesetzgeber verfügt.
Sofern er also die gestufte Wiederherstellung einer verfassungskonformen Alimentation vollziehen wollte, müsste er verfassungsrechtlich (sofern das überhaupt möglich sein sollte) mindestens für dreierlei Sorge tragen:
1. Er müsste zunächst den Grad der Verletzung der Besoldungsordnung A durch die Bemessung der Mindestalimentation und wohl auch der Mindestbesoldung aufklären.
2. Auf dieser Grundlage müsste er eine begründete zeitliche Planung bis zur Gewährleistung einer dann wieder amtsangemessenen Alimentation vorlegen, wobei die Schritte zur Wiederherstellung einer amtsangemessenen Alimentation allenfalls einen nur (sehr) kurzen Zeitraum umfassen sollten; es wäre also der Grad der Verletzung in den Blick zu nehmen.
3. Dabei müsste er präzise ausführen und begründen, wie und ab wann die Nachzahlungen erfolgten, die den Beamten für den Zeitraum einer verfassungswidrigen Alimentation zuständen, sicherlich dabei auch eine Verzinsung in den Blick nehmend.
Sofern er so vorgehen würde, dürfte es weiterhin sehr fraglich sein, ob das Vorgehen verfassungsrechtlich zu rechtfertigen wäre. Denn der Eingriff in die Mindestalimentation würde zunächst einmal hinsichtlich aller Beamter in das Rechtsgut geschehen, das ihnen zur Deckung des täglichen Bedarfs zusteht, wobei das offensichtlich hinsichtlich all der Beamten noch einmal schwerwiegender wäre, die dadurch keine Nettoalimentation mindestens auf Höhe der Mindestalimentation erhielten, als für jene, denen eine diese überschreitende Nettoalimentation gewährt werden würde, welche letztere also nur vom relativen Alimentationsschutz umfasst werden würde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ließe sich also das von mir gerade skizzierte Vorgehen weder für die eine noch für die andere der beiden Beamtengruppen verfassungsrechtlich rechtfertigen.
Allerdings ist das tatsächlich geplante Vorgehen unter keinen Umständen verfassungsrechtlich möglich, da es bereits von falschen Grundlagen ausgeht. Denn der weite Entscheidungsspielraum, über den der Gesetzgeber verfügt, wird auch an in weiteren Annahmen verfassungsrechtlich nicht statthaft überdehnt. Nicht umsonst führt der Entwurf weiterhin aus:
"Das gewählte Vorgehen ist das Ergebnis eines Abwägungsprozesses verschiedener grund-
sätzlich denkbarer Ansätze innerhalb des dem Besoldungsgesetzgeber verfassungsrechtlich
eingeräumten Gestaltungsspielraums. Es ist bei mehreren denkbaren Möglichkeiten ausrei-
chend, wenn sachliche Gründe für das gewählte Mittel zur Wiederherstellung der Verfas-
sungskonformität vorliegen. In diese Abwägung sind auch andere, gleichrangige Rechtsgü-
ter und staatliche Ziele einzubeziehen. Da ein einseitiger Vorrang eines Rechtsguts die
Ausnahme bildet, kann unter bestimmten Rahmenbedingungen und Umständen ein schritt-
weises Vorgehen bei der Umsetzung geboten sein. Zwar dauert damit ein verfassungswid-
riger Zustand im Ergebnis länger an, jedoch wird sichergestellt, dass so frühzeitig wie
möglich die zu diesem Zeitpunkt maximal möglichen Maßnahmen für seine Abmilderung
und Beseitigung unternommen werden, unter gleichzeitiger Beachtung der unausweichli-
chen Anforderungen für die gleichrangigen Rechtsgüter in einer entsprechenden Art und
Weise." (S. 3)
Da nun in die Mindestalimentation keine Einschnitte möglich sind, kann entsprechend auch kein Abwägungsprozess vollzogen werden, der am Ende zu diesem Ergebnis führt. Entsprechend ist der Ansatz vielleicht denkbar, aber verfassungsrechtlich nicht umsetzbar, da es prinzipiell keine sachlichen Gründe zur Wiederherstellung eines verfassungskonformen Zustands geben kann, die diesen Zustand nicht wiederherstellen. Darüber hinaus ist es nicht richtig, dass hier weitere Rechtsgüter gleichrangig wären, die ebenso eingeschränkt werden könnten. Denn das Bundesverfassungsgericht hebt ja hervor, dass in die vom absoluten Alimentationsschutz umfasste Mindestalimentation keine Einschnitte möglich sind, da der 15 %ige Abstand zum Grundsicherungsniveau genauso wenig verhandelbar ist wie das Unterschreiten eben der dem Individuum gewährten Grundsicherung, die ihm staatlicherseits als Minimum zur Existenzbewältigung zur Verfügung zu stellen ist. So, wie die Gewährleistung des Existenzminimums nicht verhandelbar ist, ist ebenso (grundrechtsgleich) die Gewärleistung der Mindestalimentation unverhandelbar. Entsprechend führen auch die weiteren zitierten Darlegungen zur Gleichrangigkeit von Rechtsgütern in die Irre, da sie die Bedeutung der Mindestalimentation in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfehlen.
Entsprechend bleibt das ganze Unterfangen, ein offensichtlich von vornherein wissentlich und willentlich verfassungswidrig Gesetz verabschieden zu wollen, zum Scheitern verurteilt, da das dem Gesetzgeber nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht gestattet ist. Wenn so der Auftakt zur Wiedersherstellung einer verfassungskonformen Alimentation aussehen soll, dann ist er bereits in den ersten kaum zaghaft zu nennenden Schritten gründlich misslungen - einem Gesetzgeber, der (bzw. zunächst einmal: eine Landesregierung, die) nicht einmal die einfachsten Grundlagen des Alimentationsprinzips erkennen kann, ist kaum zu helfen.