Autor Thema: Austritt aus Mitgliedsverband VKA / Nachbindung § 3 Abs. 3 TVG  (Read 2222 times)

Fragmon

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Hallo,

eine Frage:

Aufgrund der Nachbindungsfrist nach § 3 Abs 3 TVG gilt der Tarifvertrag auch weiter, wenn man keine Tarifvertragspartei ist. Somit würde der Tarifvertrag weiterhin unmittelbar und zwingend gelten. Jedoch ist der Geltungsbereich des § 1 TVöD nicht mehr eröffnet.

Bsp.: Kommune A tritt aus Mitgliedsverband der VKA am 31.12.2021 aus und Abschluss Arbeitsvertrag zum 01.02.2022 mit Person B (Gewerkschaftsmitglied ver.Di.)

Gilt der Tarifvertrag unmittelbar und zwingend? Nach § 3 Abs. 3 TVG ja. TVöD wäre nicht einschlägig, da Geltungsbereich nicht eröffnet.

XTinaG

  • Gast
Im Gegensatz zur Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) bei der die tariflichen Normen ihre unmittelbare Wirkung behalten, aber ihre zwingende Wirkung verlieren, wirken die Tarifnormen bei der Nachwirkung weiterhin unmittelbar und zwingend. Die Nachbindung endet jedoch bereits bei jeder inhaltlichen Änderung des Tarifvertrages (siehe BAG, Urteile 4 AZR 363/99 und 4 AZR 339/91).

Fragmon

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Das Urteil ist mir bekannt. Jedoch muss nachdem geprüft wird, ob eine unmittelbare und zwingende Tarifanbindung gilt, der Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrags geprüft werden.

Man würde das TVG durchprüfen und feststellen, der Tarifvertrag gilt weiterhin unmittelbar und zwingend. Das Problem ist, dass man durch die Formulierung des § 1 Abs. 1 TVöD gar nicht in den Geltungsbereich kommt, da AG kein Mitglied des Mitgliedsverbandes VKA mehr ist.

Muss man dies aufgrund § 3 Abs. 3 TVG "vernachlässigen"? --> Der TVöD gilt trotz § 1 Abs. 1 TVöD für AG und AN unmittelbar und zwingend, auch wenn der Geltungsbereich nicht eröffnet ist.

XTinaG

  • Gast
Der Geltungsbereich eines Tarifvertrages ist stets auf die Tarifgebundenen beschränkt. Es handelt sich - zumindest was diesen Teil der Aussage angeht - um eine Angabe deklaratorischer Natur. Die Nachbindung dient ja gerade dem Zweck, im Falle eines Austritts aus der jeweiligen Koalition die Tarifbindung fortwirken zu lassen. Käme es auf die Fortsetzung der Mitgliedschaft an, liefe die gesetzliche Norm stets leer.

Fragmon

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Das dachte ich mir auch. Das Problem ist aber, dass man das ja rechtslogisch erklären sollte und das § 1 TVöD nur deklaratorischen Charakter hat lässt sich schwer vermitteln.

XTinaG

  • Gast
Läßt sich schwer vermitteln, daß die Aussage, daß ein Tarifvertrag zwischen denen gilt, für die er ohnehin gilt, rein deklaratorischer Natur sei?

Fragmon

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Ja im Rahmen der Ausbildung schon. Insbesondere wenn § 1 Abs. 1 TVöD zwingend geprüft werden muss, um den Geltungsbereich im Rahmen einer gutachterlichen Prüfung zu eröffnen. Pragmatisch ist es klar, dass er einfach weiterwirken muss, sonst läuft § 3 Abs. 3 TVG ins Leere.  Aber wenn man jetzt argumentiert, dass in dem Falle der § 1 Abs. 1 TVöD nur noch deklaratorischen Charakter hat (obwohl er vorher zwingend abzuprüfen war) wird die nächste Frage, das "Warum" sein.

XTinaG

  • Gast
§ 1 Abs. 1 TVÖD hat ja neben der Feststellung, daß der Tarifvertrag für die gilt, für die er ohnehin gilt, auch noch weiteren Regelungehalt, u.a. die Geltungsbereiche der jeweiligen durchgeschriebenen Fassungen. Die Geltung der tariflichen Normen zwischen den Tarifgebundenen ergibt sich auch nicht aus § 1 Abs. 1 TVÖD oder vergleichbaren Normen in anderen Tarifverträgen. Sie ergibt sich vielmehr aus dem TVG. Die Angaben zum Geltungsbereich in den Tarifverträgen selber treffen lediglich über diese ohnehin gegebene Geltung hinausgehende Beschränkungen. Bspw. ist der TVÖD-K auf den Dienstleistungsbereich Krankenhaus beschränkt. Auch räumliche Beschränkungen gibt es, bspw. im Manteltarifvertrag Metall+Elektro BaWü auf "das Tarifgebiet Baden-Württemberg". Die Prüfung des Geltungsbereichs im Tarifvertrag gilt eben genau diesen Beschränkungen, die, anders als der deklaratorische Verweis auf die Geltung zwischen den Tarifgebundenen, normativen Charakter haben. Wechselt also ein Arbeitgeber nach oder im Zuge seines Koalitionsaustritts das Geschäftsfeld, seinen Sitz usw., also bspw. vom Krankenhaus zum Entsorgungsbetrieb oder von Baden-Württemberg nach Sachsen-Anhalt, wäre er in den beiden Beispielen nicht mehr vom Geltungsbereich erfaßt. Diesen tatsächlich normativ-konstituierenden Bestimmungen in den innertarifvertraglichen Regelungen zum Geltungsbereich gilt die Prüfung.