Am 10.11.2022 wurde das Gesetz zur Erhöhung des Wohngeldes (Wohngeld-Plus-Gesetz) im Entwurf veröffentlicht. Unabhängig davon was ich persönlich von diesem Entwurf halte, zielt als Bestandteil dieses Gesetzes, die Neuordnung der Mietenstufen, auf eine Harmonisierung um Zuge der deutlichen Anpassungen des Wohngeldes ab.
Jedoch, und hier komme ich zur NRW-Landesgesetzgebung zurück, ist im Zuge der beabsichtigten Wohngeldanpassung, sinngemäß eine Evaluierung des regionalen Ergänzungszuschlags, eben auf Grundlage der Mietenstufen, zwingend vorzunehmen.
Kannst du das genauer erläutern? Sind die Kriterien zur Berechnung der Mietenstufen geändert worden?
Tatsächlich spielen die Mietenstufen in der aktuellen Besoldungsrechtsprechung eine gänzlich andere Rolle, als das der Gesetzentwurf verstehen will. Hierüber ist im Forum bereits in der Vergangenheit recht viel geschrieben worden, deshalb hier nur (noch einmal) kurz (und darin sachlich verkürzt):
Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine realitätsgerechte Bemessung auch der kalten Unterkunftskosten, um das Grundsicherungsniveau zu bestimmen. Hierzu nimmt es das sog. 95 %-Perzentil zur Grundlage, das die BfA erstellt und das in der aktuell zu beachtenden Fassung in NRW eine Höhe von 998,- € aufweist. Ich habe hierzu am 13.01. ein paar Darlegungen gemacht, vgl.
https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,117235.150.htmlWenn nun auf Grundlage der Regelsätze für (a) zwei Erwachsene und (b) zwei Kinder realitätsgerechte Werte für (c) die kalten Unterkunftskosten sowie (d) die Heizkosten und schließlich (e) die Kosten für die Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie die Sozialtarife bemessen werden, erhält man das Grundsicherungsniveau sowie die 15 % höhere Mindestalimentation. Der Posten zu (e) lässt sich für mich hier derzeit nicht realitätsgerecht bemessen. Da die Strukturen ähnlich sind, nehme ich den Wert, den Niedersachsen aktuell zugrunde gelegt hat, hier zur Grundlage, wobei davon auszugehen ist, dass der Betrag
deutlich zu gering angesetzt worden ist. Für (a) und (b) sind für 2023 die Sätze des neuen Bürgergelds zu beachten, also:
(a) 2 x 451 € = 902,- €
(b) 2 x 362 € = 724,- €
(c) 998,- €
(d) (25,91 € x 95 qm) : 12 = 205,12 €
(e) 128,36 €
Grundsicherungsniveau: 2.957,48 €
Mindestalimentation: 3.401,10 €
Jahresbetrag: 40.813,20 €
Der so wegen der unzureichenden Beachtung der Kosten der Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie der Sozialtarife deutlich zu gering bemessene Monats- bzw. Jahresbetrag der Mindestalimentation ist zunächst einmal ausnahmslos jedem verheirateten aktiven Beamten mit zwei Kindern, der in der untersten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe besoldet wird, netto zu gewähren, und zwar im ersten Schritt zunächst weiterhin völlig unabhängig davon, an welchem Ort in NRW er seinen Dienst verrichtet oder wohnt. Entsprechend hebt das Bundesverfassungsgericht in der aktuellen Entscheidung hervor: "Anders als die Regierung des Saarlandes in ihrer Stellungnahme ausführt, kann der Dienstherr nicht erwarten, dass Beamte der untersten Besoldungsgruppe ihren Wohnsitz 'amtsangemessen' in dem Ort wählen, der landesweit die niedrigsten Wohnkosten aufweist. Diese Überlegung entfernt sich unzulässig vom Grundsicherungsrecht, das die freie Wohnortwahl gewährleistet, insbesondere auch den Umzug in den Vergleichsraum mit den höchsten Wohnkosten. Unabhängig davon dürfen Beamte weder ihre Dienststelle noch ihren Wohnort beliebig wählen. Der Bestimmung der Dienststelle durch den Dienstherrn können nur schwerwiegende persönliche Gründe oder außergewöhnliche Härten entgegengehalten werden (vgl. Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, § 28 Rn. 76 <November 2009> m.w.N.). Die Beamten sind zudem auch ohne ausdrückliche Anordnung einer Residenzpflicht verpflichtet, ihre Wohnung so zu nehmen, dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird (vgl. § 72 Abs. 1 BBG sowie § 69 LBesG BE)." (Rn. 60)
Erst in einem zweiten Schritt ist der Besoldungsgesetzgeber nun berechtigt, die Besoldung nach dem Dienst- oder Wohnort zu differenzieren. Dazu kann er unter Beachtung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) die Wohngeldsätze des WoGG heranziehen; denn entsprechend hebt das Bundesverfassungsgericht in seiner aktuellen Entscheidung hervor:
"Der Besoldungsgesetzgeber ist allerdings nicht verpflichtet, die Mindestbesoldung eines Beamten oder Richters auch dann an den regionalen Höchstwerten auszurichten, wenn dieser hiervon gar nicht betroffen ist. Der Gesetzgeber muss nicht pauschalieren, sondern kann den maßgeblichen Bedarf individuell oder gruppenbezogen erfassen [...]. Insbesondere ist er frei, Besoldungsbestandteile an die regionalen Lebenshaltungskosten anzuknüpfen, etwa durch (Wieder-)Einführung eines an den örtlichen Wohnkosten orientierten (Orts-)Zuschlags [...], wie es derzeit regelmäßig bei einer Auslandsverwendung (vgl. § 1b Abs. 1 Nr. 1 LBesG BE i.V.m. § 52 Abs. 1 BBesG i.d.F. vom 6. August 2002) und teilweise auch innerhalb eines Landes (vgl. Art. 94 BayBesG) praktiziert wird. Eine an Wohnsitz oder Dienstort anknüpfende Abstufung ist mit dem Alimentationsprinzip vereinbar, sofern sie sich vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen lässt [...]. Mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, stünde ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit." (Rn. 48)
In jenem zweiten Schritt müsste der Besoldungsgesetzgeber differenziert begründen,
(I) dass er aus einem sachlichen Grund die Besoldung nach dem Wohn- oder Dienstort differenzieren wollte,
(II) dass er dabei gleichheitsgerecht verfährt, sodass insbesondere kein Verstoß gegen das Leistungs- und Laufbahnprinzip erfolgt und natürlich das Alimentationsprinzip beachtet wird.
Dabei dürfte es mehr als fraglich sein, dass die gewährte Nettoalimentation an irgendeinem Ort in NRW unterhalb von den o.g. rund 40.813,- € liegen dürfte; denn dieser (wie gesagt, deutlich zu geringe) Betrag ist vom absoluten Alimentationsschutz umfasst. Entsprechend ist davon auszugehen, dass die Mietenstufen des Wohngeldgesetzes nur heranzuziehen sind, um eine oberhalb des Betrags von rund 40.813,- € liegende Nettoalimentation nach dem Dienst- oder Wohnort zu differenzieren. Dabei wäre weiter in Rechnung zu stellen und also sachgerecht zu begründen, dass damit kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz erfolgte. Insbesondere müsste sachlich begründet werden, wieso Beamte, die lokal nahe beieinander ihren Dienst verrichteten bzw. wohnten, die aber nicht derselben Mietenstufe unterlägen, als Folge eines unterschiedlichen Ortszuschlags unterschiedlich hoch besoldet werden sollten. Denn am Ende müssen mindestens deren tatsächlicher Bedarf gedeckt und darüber hinaus kein Verstoß gegen das Leistungs- und Laufahnprinzip gegeben sein.
Der langen Rede kurzer Sinn: Da der Gesetzentwurf bereits - in guter Tradition in NRW - keine zwingend vorzunehmende sachgerechte Bemessung des Grundsicherungsniveaus und der Mindestalimentation vornimmt, erfüllt er bereits prozedural nicht die Mindestanforderung an ein sachgerechtes Gesetzgebungsverfahren. Darüber hinaus verfehlen die geplanten Regelungen in einem extremen Maß die materiellen Bedingungen, die nötig wären, um zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückzukehren. All das ist allen Parteien im Landtag bewusst (eventuell ist es nicht jedem Abgeordneten bewusst). Das ist der Grund, wieso Ulrich Battis nun hinsichtlich der geplanten sächsischen Regelungen "jegliche diplomatische Zurückhaltung" hat fallen lassen, um das zu sagen, was zu sagen ist, und zwar was ausnahmslos allen Besoldungsgesetzgebern in Deutschland zu sagen ist (S. 14):
- Der Gesetzgeber missbraucht mit seiner rein fiskalisch motivierten Besoldungsgesetzgebung seine Gesetzgebungskompetenz (S. 1)
- Denn er wäre seit spätestens über zehn Jahren gezwungen, grundlegende materielle Veränderungen in allen Besoldungsrechtskreisen (und also auch in NRW) vorzunehmen (S. 2 f.)
- Dahingegen verfolgt er eine fortgesetzte Blockadehaltung (S. 3)
- Er unternimmt damit eine bewusste Missachtung der zwingend zu beachtenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (S. 6)
- Dem liegt eine grundlegende Verkennung des verfassungsrechtlichen Gesetzgebungsauftrags zugrunde (S. 8 )
- Denn der Rechtsprechungswandel des Bundesverfassungsgerichts bleibt unberücksichtigt (S. 9)
- Die dafür genutzten Begründungen erscheinen entsprechend lediglich vorgeschoben (S. 10) und erfolgen entsprechend nur vordergründig pflichtbewusst (S. 12)
- Tatsächlich kommt der Gesetzgeber so seinem durchaus als Pflicht zu verstehenden Recht, den öffentlichen Dienst unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln (Art. 33 Abs. 5 GG), nicht mehr nach, sodass es fraglich bleibt, ob es überhaupt noch eines weiten gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums bedarf (S. 12 f.), der zwingend keinen luftleeren (also rechtsfreien) Raum kennt, aber von den Gesetzgebern so betrachtet wird (S. 13)
- Eine entsprechende Besoldungsgesetzgebung ist zum Scheitern verurteilt; sie ist als Missachtung des Bundesverfassungsgerichts und der Beamten zu verstehen und als Dreistigkeit zu betrachten, da eine wiederholt offene Missachtung der mit Gesetzeskraft erlassenen Direktiven des Bundesverfassungsgerichts praktiziert wird, was als Ganzes rechtsstaatsgefährdend ist und lediglich eine Verfassungskrise herbeiführt, nicht zuletzt, weil so nicht nur die Autorität des Bundesverfassungsgerichts beschädigt wird, sondern auch, weil ebenso die Integrität und Funktionalität des Beamtentums insgesamt untergraben wird (S. 13 f.).
(
https://www.sbb.de/aktuelles/news/amtsangemessene-alimentation-stellungnahme-abgegeben/)
Dem ist nichts hinzuzufügen.