Nun ja, die Abkehr vom Alleinverdienermodell wird nicht kommen. Aber es wird auch nicht so kommen, dass einem Alleinstehenden der 115% Satz zugestanden werden wird, das wird über die Zuschläge geregelt werden und das wird das BVG eines Tages auch absegnen.
Das, was das BVerfG in seinem Urteil im Rahmen der Rechtsprechung aus meiner Sicht bahnbrechend gemacht hat, ist die Definition von amtsangemesser Besoldung näher zu konkretisieren. Dabei wird oft die Tragweite der Rechtsprechung übersehen und das Alleinverdienermodell zu Unrecht als aus der Zeit gefallen kritisiert.
Mit Einführung von ALG II und Grundsicherung hat der Gesetzgeber im Jahre 2002 ein soziales Existenzminimum definiert. Dabei stellt er ab auf Bedarfe der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zuzüglich der Kosten für Miete und Heizung. Das ist der Bedarf, der gedeckt sein muss.
Dieses soziale Existenzminimum im Sozialrecht hat allerdings auch Auswirkungen auf alle anderen Bereiche aus Gründen des Gleichheitsgrundsatzes. Es muss daher Anwendung finden im Steuerrecht als auch im Bereich der Beamtenbesoldung.
Um berechnen zu können, ob dieses soziale Existenzminimum gedeckt ist, wurde zunächst angefragt, für wie viele Personen denn die Besoldung gedacht ist. Dabei wurde seitens des Besoldungsgesetzgebers argumentiert, dass es dem Beamten immer zuzumuten sei, von seiner Besoldung den Unterhalt für eine vierköpfige Familie zu tragen.
Kleiner Exkurs: Für jedes weitere Mitglied der Haushaltsgemeinschaft, für das die Besoldung nicht gedacht ist, müsste andernfalls der Gesetzgeber (wie auch bei der sozialen Grundsicherung) den Mehrbedarf in Form von Grundbedarf und höhere Wohn- und Heizkosten vollständig durch zusätzliche (deutlich höhere) Familienzuschläge decken. Dieses Modell wäre für den Besoldungsgesetzgeber sicherlich noch sehr viel kostenintensiver.
Das bedeutet daher, dass eine Besoldung nur dann amtsangemessen sein kann, wenn auch der kleinste Beamte in der Lage ist, den Bedarf einer vierköpfigen Familie mit seiner Besoldung zu decken. Der Besoldungsgesetzgeber hat selbst erklärt, dass es dem Beamten zumutbar sein soll, von seinen Bezügen den Bedarf einer vierköpfigen Familie zu decken. Daher ist das der Maßstab, der vom Besoldungsgesetzgeber gezogen wird und der dann lediglich verfassungsrechtlich zu prüfen ist. Das alle anderen Modelle deutlich teurer wären, habe ich in meinem kleinen Exkurs bereits versucht, zu verdeutlichen.
Auch im Sozialrecht gibt es riesige Unterschiede bei der Höhe der Miete und Nebenkosten je nach Region. Daher wäre es auch dem Besoldungsgesetzgeber erlaubt, hier bei seiner Besoldung hier zu differenzieren.
Und genau an der Stelle wird die Tragweite des Urteils oft missverstanden: Das BVerfG hat nunmehr definiert, wann eine Besoldung amtsangemessen ist. Dabei kommt es überhaupt nicht darauf an, ob der Beamte tatsächlich verheiratet ist oder Kinder hat.
Anders sieht es allerdings bei den Wohnkosten aus. Hier dürfte der Gesetzgeber differenzieren und sich an den tatsächlichen Verhältnissen am Wohnort des Beamten orientieren. Daher gehe ich bei meinem Blick in meine Glaskugel davon aus, dass bei weiterer Ausgestaltung der Definition ("was ist amtsangemessen") es ein nach Mietstufen zerklüftetes Besoldungssystem geben wird. Ob man das nun regionalen Ergänzungszuschlag oder Ortszuschlag nennt, ist zweitrangig.
Um es etwas verständlicher auszudrücken: Ich verstehe das Urteil so, dass auch der kleinste Beamte immer ein Jahres Nettoeinkommen haben muss, das mindestens 15 % über dem liegt, das der Nachbar, der ALG II bezieht und 2 Kinder hat, erhält. Das wäre aus meiner Sicht die absolut unterste Grenze einer amtsangemessenen Besoldung.
Dabei rückt wie gesagt zunächst das Amt in den Mittelpunkt der Betrachtung und die Unterscheidung der tatsächlichen Verhältnisse beziehen sich dabei eher auf den Wohnort als die Anzahl der Familienmitglieder. Die dienen in der Besoldungsrechtsprechung eher der Orientierung.
Ohne jetzt irgendwem irgendwelche Tipps geben zu wollen: Es wäre aus meiner bescheidenen Sicht mit der Verfassung vereinbar, wenn es Familienzuschläge nur noch ab dem dritten Kind geben würde, die bisherige Grundbesoldung auf das, was ich oben geschildert habe, angehoben würde, und es dann Ortszuschläge geben würde, sobald jemand in einer Region ab Mietstufe 2 wohnen würde.
Für eine solche, grundlegende Besoldungsreform fehlt den Besoldungsgesetzgebern allerdings bisher offensichtlich der Mut.
Wenn man in dieser Konsequenz die Beamtenversorgung unter die Lupe nimmt, gibt es auch hier zunächst die Frage, für wie viele Personen ist diese denn gedacht? Sollte der Gesetzgeber sagen, die sei nur für eine Person gedacht, dann müsste man Verheirateten wie im Sozialrecht einen so hohen Familienzuschlag gewähren, dass damit der Mehrbedarf für den Ehepartner vollständig gedeckt würde. (445 EUR netto plus anteilig Wohnung und anteilig Heizung)
Wenn man davon ausgeht, dass es auch einem pensionierten Beamten zuzumuten ist, mit seiner Versorgung den Bedarf seines Ehepartners vollständig zu decken (und davon gehe ich derzeit aus), dann wäre in der Rechtslogik des BVerfG die unterste Grenze einer gerade noch amtsangemessene Versorgung des kleinsten Beamten 115 % des Jahresnettoeinkommens, dass das benachbarte Rentner Ehepaar mit Grundsicherung erhält. Wie hoch das ab dem nächsten Jahr ist, habe ich bereits geschildert. Wenn also die Rentner durch den Grundrentenzuschlag erheblich mehr Einkommen haben, darf auch die Beamtenversorgung von dieser Entwicklung nicht abgekoppelt werden.
Auch hier gibt es sicherlich große regionale Unterschiede. Die Zuschläge werden sich nach meiner Glaskugel zukünftig weniger an der Tatsache orientieren (dürfen), ob ein Pensionär verheiratet ist oder nicht, sondern vielmehr daran, wo er wohnt. Auch wird es sicherlich höhere Familienzuschläge für diejenigen geben müssen, die tatsächlich noch kindergeldberechtigte Kinder haben, bspw. wegen Dienstunfähigkeit oder sehr später Familienplanung.
Bis auf den vorletzten Absatz ist das, was Du schreibst, hinsichtlich der Besoldungsdogmatik des Bundesverfassungsgericht richtig und in sich schlüssig, Rentenonkel. Das, was Du zu Versorgungsempfängern schreibst, ist aber - ohne dass es eine entsprechende bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung schon gäbe - insgesamt, wenn ich das richtig sehe, zweifelhaft (nachfolgend werden (a) zunächst die Bedarfe betrachtet und (b) dann die Problematik der Vergleichbarkeit von Grundsicherungs-, Renten- und Versorgungsleistungen; am Ende dürfte sich eine andere Rechtslogik ergeben als die, von der Du im vorletzten Absatz ausgehst).
(a) Der Gesetzgeber ist gehalten, sich in seiner Gesetzgebung an den tatsächlichen Bedarfen zu orientieren. Da ein kinderloser Beamter tatsächlich hinsichtlich seiner nicht vorhandenen Kinder geringere Bedarfe hat, ist es dem Gesetzgeber gestattet, die Besoldung nach dem Familienstand zu differenzieren. Insofern ist er berechtigt, an den tatsächlichen Bedarfen ausgerichteten Familienzuschläge zu gewähren; er verfügt also über das Recht und nicht eine Pflicht, familienbezogene Besoldungskomponenten zu gewähren (entsprechend gilt das auch für den Ortszuschlag, worauf vorhin photosynthese und Du berechtigt hingewiesen haben). Das gilt unbenommen auch für Versorgungsempfänger, denen aber in der Regel keine Bedarfe für Kinder mehr eigen sind. Von daher darf - sofern das der Fall ist, also keine Kinder mehr vorhanden sind, deren Bedarfe vom Versorgungsempfänger zu decken wären - der Gesetzgeber eine geringere Versorgung als verfassungskonform ansehen als eine entsprechende Besoldung. Damit aber kann die an dem Vier-Personen-Haushalt ausgerichtete Mindestalimentation mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so ohne Weiteres auf die Betrachtung einer amtsangemessenen Versorgung übertragen werden.
Dabei spielt ebenso eine Rolle, dass der Versorgungsempfänger i.d.R. nicht mehr in der Eingangsstufe besoldet wird, sodass im Regelfall von einem höheren Besoldungsniveau auszugehen ist, von dem aus der Versorgungsfall eintritt als beim i.d.R. erst die Familienplanung beginnenden frisch Verbeamteten (der ja den Vergleichsmaßstab für die Mindestalimentation bildet, der Prozentwert von 115 % ist von daher ggf. nicht ohne Weiteres übertragbar); auch ist generell davon auszugehen, dass der Versorgungsempfänger über geringere Bedarfe verfügt - z.B. dadurch, dass i.d.R. kein Wohnraum für den Nachwuchs mehr gegeben ist - und auch ist der Beamte gehalten, während seiner Dienstzeit Rücklagen zu bilden (also beispielsweise die Möglichkeit zu nutzen, Eigentum zu erwerben, sodass sich seine Wohnkosten gegenüber dem eines jungen aktiven Beamten positiv verändern), um im Versorgungsfall seinen amtsangemessenen Lebensstandard aufrechterhalten zu können (auch eine solche Verpflichtung, für den aufrechtzuerhaltenden Status, der sich aus dem Amt ergibt, mit Sorge zu tragen, kennt das Rentensystem nicht, da ihm ein entsprechendes Statusrecht fremd ist). Deshalb darf eine verfassungskonforme Alimentation während der Dienstzeit nicht so bemessen sein, dass sie dazu führt, dass der aktive Beamte gezwungen wird, seine im Laufe seiner Dienstzeit zu bildenden Rücklagen aufzuzehren.
(b) Dabei ist - die vorherigen Gedanken im gewissen Sinne zusammenfassend - insgesamt zu beachten, dass es zwischen der sozialhilferechtlichen Grundsicherung und der Alimentation von Beamten - die Versorgung unterliegt gleichfalls dem Alimentationsprinzip - einen qualitativen Unterschied gibt, der eine Vergleichbarkeit wiederkehrend verunmöglicht; auch kann eine Parallelität zwischen dem Rentensystem und der Beamtenversorgung nicht zugrundgelegt werden, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner grundlegenden Entschscheidung vom 27. September 2005 - 2 BvR 1387/02 -, Rn. 130 ff. hervorgehoben hat. Als Folge ist ggf. der letzte Satz Deines vorletzten Absatzes nicht so ohne Weiteres sachgerecht.
Und zur allgemeinen Diskussion über den Zwei-Personen-Haushalt, wie sie auf den letzten Seiten geführt wird: Sie ist als solche erst einmal gegenstandslos, da die Mindestalimentation in ihrem materiellen Gehalt an dem Vier-Personen-Haushalt bemessen wird und weil die neue Kategorie der "Mindestbesoldung" indizielle Rückschlüsse auf das Besoldungsniveau zulässt, die der Besoldungsgesetzgeber erst einmal innerhalb seinen prozeduralen Pflicht zu beachten hat. Erst im Anschluss daran könnte er sich dann mit einem Zwei-Personen-Haushalt beschäftigen. Da aber in allen 17 Besoldungsrechtskreisen indiziell erst einmal zu beachten wäre, dass ausnahmslos ein massives Indiz der Unteralimentation gegeben ist, weil allüberall ein Fehlbetrag zwischen der tatsächlich gewährten Besoldung und der Mindestbesoldung deutlich bis eklatant gegeben ist, müsste der Besoldungsgesetzgeber zunächst erst einmal begründen, wieso er keine Anhebung von Grundgehaltssätzen erwägt. Erst als dessen Folge könnte er dann beispielsweise einen Zwei-Personen-Haushalt betrachten, was aber verfassungsrechtlich weitgehend gegenstandslos wäre, da es dafür keine bundesverfassungsgerichtlichen Direktiven gibt, die es ermöglichten, zu entscheiden, ob die entsprechende Betrachtung sachgerecht wäre oder nicht (vgl. zum entsprechenden Vorgehen S. 23 f. unter
https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2021/01/Untersuchung-von-BerlBVAnpG-2021-24.01.21.pdf)
Und schließlich ist auch gerade Niedersachsen dabei, das "Alleinverdienermodell" abschaffen zu wollen, wobei wie schon in Schleswig-Holstein die unabhängigen Landtagsjuristen auf die verfassungswidrigen Konsequenzen entsprechender gesetzlicher Regelungen hinweisen (vgl. die heutigen Posts auf der Niedersachsen-Seite).