Autor Thema: Was kann die Basis tun, um die Gewerkschaften zum Strategiewechsel zu bewegen?  (Read 6403 times)

Lothar57

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Der jetzige Tarifabschluss ist ein Desaster für die Gewerkschaften.
Keine der Forderungen konnte wirklich durchgesetzt werden. Gefordert waren 5 Prozent bei einem Jahr Laufzeit. Es kam: 15 Monate gar keine Erhöhung. Danach gerade mal 2,8 Prozent - also weit entfernt vom Inflationsausgleich.
Statt des geforderten, tabellenwirksamen Sockelbetrages in Höhe von 150 Euro gibt es eine Einmalzahlung in Höhe von 1300 Euro, wobei die Arbeitgeber zusätzlich die steuerlichen Vorteile der Corona-Regeln ausnutzen. Ein echtes Schnäppchen.
Stufengleiche Höhergruppierung - Fehlanzeige; Erhöhung der Garantiebeträge - Fehlanzeige; Paralleltabelle für Lehrkräfte - Fehlanzeige; Erhöhung der Angleichungszulage ebenfalls für TB-Lehrkräfte - Fehlanzeige. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen und  auf andere Berufsgruppen erweitern.
Einzig für die Pflegekräfte konnten geringfügige Verbesserungen erreicht werden, die aber ebenfall weit unter den ursprünglichen Forderungen liegen.

Und wie Verhalten sich die Gewerkschaften, nachdem sie wochenlang martialische Reden gehalten haben: Anstatt die Niederlage einzugestehen, kommt die übliche Schönfärberei.
  • "Ein in weiten Teilen respektables Ergebnis" (ver.di)
  • "Verantwortungsvoller Abschluss in schwieriger Corona-Zeit." (GEW)
  • Der dbb macht mit der Headline auf "Anschlag auf die Eingruppierung abgewehrt", dabei wird dieses Problem vorrangig vor Gericht und nicht am Verhandlungstisch geklärt.
  • Gegenüber den Medien wird das Ergebnis dreist verkürzt als Erhöhung von 2,5 Prozent zzgl. Coronabonus dargestellt.

  • Halten Gewerkschaften ihre Mitglieder für so dumm, dass sie nach jeder Verhandlungsrunde zu solch platten Taschenspielertricks greifen müssen, statt einfach mal Niederlagen einzugestehen?
  • Warum richten die Gewerkschaften keine Foren ein, um sich ein echtes Bild von der Stimmung der Basis zu machen?
  • Warum finden keine Mitgliederbefragungen zu Tarifergebnissen statt?
  • Haben die Gewerkschaften so wenig Vertrauen in die Kampfbereitschaft ihres Klientels, dass sie es jedes Mal nur zu ein paar symbolischen Warnstreiks aufrufen?

Was kann die Basis tun, um die Gewerkschaften endlich zu einem Wechsel der Strategie und der Kommunikation mit ihren Mitgliedern zu bewegen?
Ceterum censeo paralleltabellum esse einzufuehrendam.

ACDSee

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Es sehe drei Möglichkeiten:

1. Mit möglichst vielen Freunden gleichzeitig in die bestehende Gewerkschaft eintreten und den Laden übernhemen/umbauen.
2. Eine eigene Gewerkschaft gründen und in Konkurrenz zur bestehenden Gewerkschaft treten (siehe: GDL vs. EVG).
3. Die anderen machen lassen was sie wollen und sich direkt mit dem Arbeitgeber vereinbaren (außertariflich).

Alles nicht sehr leicht.

Sozialarbeiter

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Ich hab sehr Unterschiedliche Bewertungen über das Ergebnis mitbekommen. Während die Bundesebene den Spaß schön redet, geht der Hamburger Landesverband in heftige Kritik und Auseinandersetzung. Siggi Frieß habe bei der Runde in Potsdam die Verhandlungsführung immer wieder darauf hingewiesen, dass mehr auf Hamburg geguckt werden muss. Naja, es hat nicht ausgereicht. Dann muss man es wohl selbst machen und aktiv werden, idealerweise mit einer Gruppe von Kollegen und Freunden.
So wie man relativ schnell Parteien in kleinen Kreisen korrumpieren und übernehmen kann, sollte sowas auch in der Gewerkschaft möglich sein.
Aber letztlich hilft es nicht, wenn der Organisationsgrad nicht steigt. Daran muss gearbeitet werden. Mit unter zehn Prozent kannst du nichts erstreiken/durchstreiken.
Mail-Aktion zur TV-L Tarifrunde:
Solidarisch zeigen und die Verantwortlichen in Hamburg via Mail auffordern auf eine bessere Bezahlung hinzuwirken: https://wastunfuerhamburg.de/

Ich empfehle den Thread zur Hamburg Zulage unter der Rubik Allgemeines, den ich seit 1-2 Jahren stetig füttere.

Dude23

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Halten Gewerkschaften ihre Mitglieder für so dumm, dass sie nach jeder Verhandlungsrunde zu solch platten Taschenspielertricks greifen müssen, statt einfach mal Niederlagen einzugestehen?

Ich denke die Formulierung "ein in weiten Teilen respektables Ergebnis" ist Verdi-Sprech für das Eingestehen einer Niederlage. Zumindest in meiner Erinnerung wurden ähnlich schlechte Abschlüsse in der Vergangenheit immer spürbar euphorischer vorgetragen.

Bastel

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Gibt es eigentlich Statistiken über die Mitgliederzahl von Verdi? Das müssten doch Jahr für Jahr weniger werden...

Dude23

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Eine Rückkehr zu kleineren Spartengewerkschaften hätte zumindest den Vorteil, dass man sich vertreten fühlen würde. Bei Verdi gilt irgendwie "alle und doch keiner".

Sozialarbeiter

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Gibt es eigentlich Statistiken über die Mitgliederzahl von Verdi? Das müssten doch Jahr für Jahr weniger werden...
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/74814/umfrage/mitglieder-der-gewerkschaft-verdi-seit-2001/
Aktuell noch ca 1,94 Mio. Im letzten Jahrzehnt gab es jährlich stets Verluste.
Mail-Aktion zur TV-L Tarifrunde:
Solidarisch zeigen und die Verantwortlichen in Hamburg via Mail auffordern auf eine bessere Bezahlung hinzuwirken: https://wastunfuerhamburg.de/

Ich empfehle den Thread zur Hamburg Zulage unter der Rubik Allgemeines, den ich seit 1-2 Jahren stetig füttere.

JahrhundertwerkTVÖD

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Die Gewerkschaft ist viel zu groß geworden und damit völlig unbeweglich.
Sie muss nun mehrere Sparten und mehrere Interessen gleichzeitig vertreten. Dies führt dazu dass deutliche Verbesserungen in einigen Bereichen, zu Problemen in anderen Bereichen führt.
Also bedient sich die Gewerkschaft dem Sozialismusgedanken und behandelt alle gleich.
Dass dies nicht funktioniert, sieht man bei jeder Tarifverhandlung und auch etliche Staaten mussten diesen Gedanken aufgeben.
Er ist zum Scheitern verurteilt.

Die Ergebnisse sind katastrophal und das seit Einführung des TVÖD
Die Beweihräucherung und die dreisten Lügen nach jeder Tarifverhandlung sind echt zum ko.... Entweder glauben sie dass auch noch, was echt schlimm wäre, oder sie wissen dass ihre Schäfchen dass mit sich machen lassen und das wäre noch schlimmer.
Es werden die Probleme und Nöten schlichtweg ignoriert und auch keine Gegenmaßnahmen ergriffen.
Die Verhandlungsführung ist dilettantisch, genau so wie die eigene PR und die Außendarstellung der Bediensteten.
Der versuch die Gehälter anzugleichen ( höhere Prozente und Sonderzahlungen in unteren Gruppen, bei gleichzeitigen Kürzungen in oberen Gruppen) ist schlichtweg Blödsinnig. On Top auch noch Einmalzahlungen, statt prozentuale Erhöhungen. Unterm Strich verhandelt die Gewerkschaft gegen ihre eigenen Mitglieder.

Ich frage mich schon lange, ob eine Gewerkschaft welche bewusst Nachteile für höhere Entgeltgruppen vereinbart, für diese Gruppen verhandeln darf. Wenn sie sich immer nur für ihre Hauptklientel in den unteren Gruppen stark macht, dann darf sie aber nicht für alle Bedienstete im öffentlichen Dienst verhandeln.
Warum darf eine Gewerkschaft für mich Tarifverhandlungen durchführen, wenn sie bewusst Nachteilig verhandelt? Auf welcher Grundlage basiert dies?

Weiterhin frage ich mich, nach jeder Tarifverhandlung, wie es denn sein kann dass die Basis, in den folgenden Abstimmungen diesem Murks noch zustimmt.


XTinaG

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Zu groß geworden? Hat Verdi nicht seit der Gründung ca. 1 Mio. Mitglieder verloren?

WasDennNun

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Zu groß geworden? Hat Verdi nicht seit der Gründung ca. 1 Mio. Mitglieder verloren?
8)

Ach was habe die sich seinerzeit Gefeiert, was für Durchschlagskraft sie jetzt haben werden durch den Zusammenschluss..
und die lieben EG<9 habe es alles bezahlt.

Was bin ich froh, nicht von denen abhängig zu sein.

Jockel

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Es fehlt bei Verdi an zwei Dingen. Erstens Realismus und zweitens Kommunikation. Wenn ich 6 Wochen lang alle Mitglieder pushe mit unrealistischen Kampagnen und dann nicht liefern kann, habe ich ein Problem. Außerdem packe ich nicht ohne Not lauter Sachen in eine Lohnrunde, die ungekündigt sind. Dafür kann Verdi gar nicht streiken. Ohne Maßregelungsklausel hätte es jetzt Verfahren gehagelt. Danke an die freundlichen Arbeitgeber.

Richtig wäre gewesen, lediglich Lohnerhöhungen zu fordern oder vorher mehr zu kündigen.

schopenhauer

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Auf den ersten Blick erscheint die Corona-Sonderzahlung von 1.300 € pro VZÄ, unter dem Aspekt, daß sie steuer- und sozialversicherungsfrei gestellt ist, gut aus.

Die Tücke liegt aber im Detail und in einer längerfristigen Betrachtung:

Die Corona-Sonderzahlung, ohne gleichzeitige Gehaltssteigerung, führt mittel- und langfristig zu Gehaltsverlusten.

Keine Gehaltserhöhung von 12 Monaten heißt, daß auch alle anderen zukünftigen Gehaltserhöhungen vom jetzigen Gehalt ausgehen bzw. eine jetzt nicht vorgenommene Gehaltssteigerung dauerhaft zukünftig nicht in den Gehältern enthalten sein wird - die Corona-Sonderzahlung wird ja nicht berücksichtigt. Bei einer regulären Gehaltserhöhung würden die nächsten Gehaltssteigerungen auf die jeweils erhöhten Gehälter der Vorjahre aufgeschlagen (bis auf wenige Ausnahmefälle) - sie fließt zudem auch nicht in die Jahressonderzahlungen der Zukunft ein.

Weil die Corona-Sonderzahlung rentenversicherungsfrei ist, erhöht sie auch nicht die Entgeltpunkte - auch hier dauerhaft ein Minus; das gleiche gilt für die Altersvorsorge. Bei einer regulären Gehaltserhöhung wäre das dagegen der Fall.

Die Inflation mindert, ohne Gehaltserhöhung, voll die Kaufkraft des jetzigen Gehaltes; auch die zukünfigen Inflationsraten werden, mangels einer fehlenden jetzigen Gehaltssteigerung, zu einer zusätzlichen Minderung der Kaufkraft des Gehaltes führen.

Wenn man diese Aspekte einrechnen würde, wären die 1.300 € in einigen Jahren aufgebraucht und man hätte dauerhaft eine Gehaltsminderung oder man könnte auch sagen, man wird teil-enteignet.

Zudem entspricht die Corona-Sonderzahlung nicht dem Willen des Gesetzgebers - sie ist als zusätzliche Leistung gedacht - also Gehaltserhöhung + Corona-Sonderzahlung wäre angemessen gewesen.

Es handelt sich hier oofensichtlich um eine, zu kurz gedachte, Kompensationszahlung für eine Null-Runde.

Nun haben also Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öD Warnstreiks für Gehaltsminderungen durchgeführt.

Ver.di kann hier definiert werden:

"Aus viel weniger machen" - das ist Ver.di gelungen...

Aber man glaubt wohl, daß die Beschäftigten nicht rechnen können...



« Last Edit: 02.12.2021 07:43 von schopenhauer »

Christian79

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Alles jammern nützt schlussendlich nix.
Arbeitskampf wird auf der Straße geführt...Streik!
Aber wo waren denn die "Großdemonstrationen" - es trifft sich nur noch der harte Kern oder die engagierte Jugend. Die Mehrzahl der Beschäftigten im öD sind doch gar nicht mehr organisiert. Das wissen auch die AG.


Johann

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Dass viele Menschen sich mit dem Rechnen schwer tun, ist allgemein bekannt. Sonst würden wohl viel mehr Menschen lieber in irgendwas investieren, statt sich auf Raten oder vom Dispo etwas zu kaufen. Insofern kann man Verdi da keinen Vorwurf machen, dass sie das ausnutzen.

Für die wenigen im öD verbliebenen, die aber noch rechnen können, ist es natürlich schwer erträglich mit anzusehen.
Sobald meine Bindungsfirst vom dualen Studium abläuft und ich meinen Master nebenberuflich fertig gemacht habe, werde ich auch meine sieben Sachen packen.

If you pay peanuts, you get monkeys.

Bastel

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Alles jammern nützt schlussendlich nix.
Arbeitskampf wird auf der Straße geführt...Streik!
Aber wo waren denn die "Großdemonstrationen" - es trifft sich nur noch der harte Kern oder die engagierte Jugend. Die Mehrzahl der Beschäftigten im öD sind doch gar nicht mehr organisiert. Das wissen auch die AG.

Weist du wie ich kämpfe? Ich gehe einfach wenn es mir nicht mehr passt.