Autor Thema: [NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen  (Read 68324 times)

lotsch

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #60 am: 18.05.2022 20:52 »
Der deutsche Gesetzgeber hat die EU-Verzugsrichtlinie durch Änderungen im BGB umgesetzt.

Für die An­wend­bar­keit von § 288  BGB zu­guns­ten von Ar­beit­neh­mern in Fällen des Lohn­ver­zugs spre­chen fol­gen­de Über­le­gun­gen:

Ar­beit­neh­mer sind "Gläubi­ger ei­ner Ent­gelt­for­de­rung". Denn sie ha­ben ei­nen An­spruch auf Zah­lung von Lohn bzw. Ge­halt, das der Ar­beit­ge­ber für die er­hal­te­ne Ar­beits­leis­tung be­zah­len muss.
Der Ar­beit­ge­ber ist kein Ver­brau­cher, son­dern Un­ter­neh­mer im Sin­ne von § 14 Abs.1 BGB. Da­nach ist Un­ter­neh­mer je­de "natürli­che oder ju­ris­ti­sche Per­son oder ei­ne rechtsfähi­ge Per­so­nen­ge­sell­schaft, die bei Ab­schluss ei­nes Rechts­geschäfts in Ausübung ih­rer ge­werb­li­chen oder selbständi­gen be­ruf­li­chen Tätig­keit han­delt."

Mit deiner Einwendung, dass es sich bei der Besoldung nach deutschem Recht um kein Entgelt handelt, aber der EuGH hat in verschiedenen Urteilen wiederholt darauf hingewiesen, dass nach EU-Recht Beamte als Arbeitnehmer zu betrachten sind.
Der EuGH hat in seiner Vorbemerkung zum Fall Kreuziger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Einzelne seine nach EU-Recht bestehenden Ansprüche unabhängig davon geltend machen kann, ob der Staat in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber oder als Hoheitsträger (Dienstherr von Beamten) handelt. In dem einen wie dem anderen Fall muss nämlich verhindert werden, dass der Staat aus der Nichtbeachtung des Unionsrechts Nutzen ziehen kann.
Es kommt somit grundsätzlich nicht auf den Status (als Beamter und/oder Angestellter) an, sobald, wie hier, ein Bezug zum EU-Recht besteht.
Die Vergleichbarkeit von Beschäftigten ist von allgemeiner Bedeutung für alle Sachverhalte, in denen der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung des Unionsrechts gemäß Art. 20 EU-GRCh anzuwenden ist, was daraus folgt, dass nationales Recht gem. Art. 51 Abs. 1 EU-GRCh – objektiv – der Durchführung von Unionsrecht dient, auch wenn kein ausdrücklicher Bezug darauf erfolgen sollte. Im Recht der Mitgliedstaaten vorgenommene Statuseinteilungen sind insoweit als solche daher ohne Relevanz; denn eine Differenzierung ist nur in Bezug auf die jeweilige Beschäftigungsbedingung und einen objektiven Unterschied in der Aufgabenstellung rechtfertigungsfähig. Eine Vergleichbarkeit besteht schon dann, wenn Arbeitnehmer und Beamte in den gleichen Aufgabenfeldern eingesetzt werden und die gleiche berufliche Verantwortung haben, wie das bei Lehrkräften, den meisten Kommunalbeschäftigten, aber auch in vielen anderen Verwaltungsbereichen einschließlich der in Ministerien Tätigen der Fall ist (a. a. O.). (vgl. von Roetteken, jurisPR-ArbR 29/2019 Anm.)

Es gibt auch in allen Beamtengesetzen die explizite Regelung, dass Gehaltsnachforderungen nicht zu verzinsen sind, aber es ist meiner Ansicht nach fraglich, ob das mit dem höherrangigen EU-Recht vereinbar ist, denn in der Begründung zur EU-Richtlinie heißt es, insbesondere sollte der vollständige Ausschluss des Anspruchs auf Zinsen immer als grob nachteilig angesehen werden, während vermutet werden sollte, dass der Ausschluss des Rechts auf Entschädigung für Beitreibungskosten grob nachteilig ist.

Zum Anspruch auf die Verzugspauschale nach § 288 (5) BGB gibt es außerdem schon eine Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Das Bundesarbeitsgericht lehnt die Zahlung der Verzugspauschale ab, aber ge­gen die An­wend­bar­keit von § 288 Abs.5 BGB im Ar­beits­recht spricht al­ler­dings § 12a Abs.1 Satz 1 Ar­beits­ge­richts­ge­setz (ArbGG). Die­se Re­ge­lung lau­tet:

"In Ur­teils­ver­fah­ren des ers­ten Rechts­zugs be­steht kein An­spruch der ob­sie­gen­den Par­tei auf Entschädi­gung we­gen Zeit­versäum­nis und auf Er­stat­tung der Kos­ten für die Zu­zie­hung ei­nes Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten oder Bei­stands."

Es steht jedoch absolut fest, dass das Arbeitsgerichtsgesetz bei Beamten nicht angewendet wird. Das steht in der Einleitung des ArbGG.

Kurzum, es gibt noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung bezüglich eines Verzugsschadens eines Beamten wegen Besoldung in Bezug auf die EU-Verzugsrichtlinie. Ich tue mich natürlich schwer irgendeine juristische Empfehlung abzugeben und werde dies auch auf gar keine Fall machen. Deswegen formuliere ich es so. Ich werde wenn es zu einer Klage vor dem Verwaltungsgericht kommen sollte, Verzinsung und Verzugspauschale fordern  und auf die EU-Verzugsrichtlinie verweisen und gleichzeitig anregen , die diesbezügliche Rechtsfrage dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren vorzulegen. Falls es zu Nachzahlungen kommt, werde ich die Verzinsung + Verzugspauschale fordern und ggf. Klage erheben. Die Nachzahlung ist ja praktisch als Schuldeingeständnis zu werten.


clarion

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #61 am: 18.05.2022 21:17 »
Leute, ihr seid einfach klasse.  Ich habe gar nicht  so viel  Sitzfleisch,,all die Gesetze und Urteilsbegründungen zu lesen und dann anzuwenden.  Dank Euch kann ich aber als Trittbrettfahrer profitieren  wenn es denn mal so weit ist.

SwenTanortsch

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #62 am: 18.05.2022 23:39 »
Sieh einfach das, was ich schreibe, als Möglichkeit an, Deine Argumentation sachlich weiter auszuschärfen, lotsch. Dabei wäre insbesondere zu bedenken, dass das Bundesverfassungsgericht mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterhin darauf beharren wird, die Europäische Gerichtshöfe in all jenen Fällen als nicht entscheidungsberechtigt zu betrachten, wo es um die originäre Auslegung grundgesetzlicher Forderungen geht, die ggf. nicht im Gleichklang mit EU-Recht stehen, sondern in jenen Fällen auch weiterhin das Recht auf Letztauslegung zu behaupten und also in diesem Fällen auch hinsichtlich des EuGH von "Ultra-vires-Akten" auszugehen, wie sich das unlängst im sog. PSPP-Urteil gezeigt hat (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 05. Mai 2020 - 2 BvR 859/15). Sofern Du also eine Klage anstrebst, von der absehbar ist, dass sie am Ende als Vorlage vor dem Bundesverfassungsgericht landen könnte, wirst Du damit rechnen müssen, dass das Bundesverfassungsgericht Definitionen des EuGH hinsichtlich deutscher Beamter mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht anerkennen wird, sofern es diesbezüglich zu anderen Auffassung gelangte als der EuGH, welches nun die für das Bundesverfassungsgericht vorrangig zu beachtende Forderungen des Grundgesetzes sind - und das wird es nach meiner Auffassung mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens hinsichtlich der "Entgelte" entsprechend so tätigen wie vorhin dargelegt (s. in meinem letzten Beitrag am Ende des vorletzten Absatzes). Nicht umsonst hat es in der für die Dogmatik des Alimentationsprinzips einen zentralen Eckpfeiler darstellenden Entscheidung gegen ein Streikrecht von Beamten, als dessen Folge überhaupt erst die weitreichende Entscheidung vom 04. Mai 2020 in ihrer Form möglich geworden ist, diesbezüglich grundlegende Entscheidungen des EGMR zwar zur Kenntnis genommen, aber einen eventuellen Vorrang von dessen Rechtsprechung freundlich, aber entschieden zurückgewiesen:

"Die Bestimmungen des Grundgesetzes sind völkerrechtsfreundlich auszulegen. Der Text der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes [...] Während sich die Vertragsparteien durch Art. 46 EMRK verpflichtet haben, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen [...], sind bei der Orientierung an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jenseits des Anwendungsbereiches des Art. 46 EMRK die konkreten Umstände des Falles im Sinne einer Kontextualisierung in besonderem Maße in den Blick zu nehmen. Die Vertragsstaaten haben zudem Aussagen zu Grundwertungen der Konvention zu identifizieren und sich hiermit auseinanderzusetzen. Die Leit- und Orientierungswirkung ist dann besonders intensiv, wenn Parallelfälle im Geltungsbereich derselben Rechtsordnung in Rede stehen, mithin (andere) Verfahren in dem von der Ausgangsentscheidung des Gerichtshofs betroffenen Vertragsstaat betroffen sind. [...] Die Grenzen einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung ergeben sich aus dem Grundgesetz. Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint [...]. Im Übrigen ist auch im Rahmen der konventionsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte möglichst schonend in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechtssystem einzupassen." (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 12. Juni 2018 - 2 BvR 1738/12 -, LS. 3a bis 3c; Hervorhebungen durch mich).

Zur Erinnerung, der EGMR betrachtet das Streikrecht als ein Menschenrecht, das also auch Beamten nicht verwehrt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht sieht sich aber entsprechend wie oben dargelegt nicht an diese Sichtweise gebunden. Denn nur durch die Aufrechterhaltung eines Streikverbots für Beamte kann das Alimentationsprinzip - verinfacht betrachtet, aber als letzte Konsequenz - genauso wie das Streikverbot als ein besonders wesentlicher hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachtet werden mit der Folge, das beide vom Gesetzgeber nicht nur zu berücksichtigen, sondern zu beachten sind (vgl. ebd., LS. 2b i.V.m. Rn. 120 u. 123). Da also das Alimentationsprinzip zu beachten und nicht nur zu berücksichtigen ist, kann es letztlich erst einen absoluten Alimentationsschutz und damit eine Mindestalimentation geben, die also zu beachten und nicht nur zu berücksichtigen ist (ein absoluter Alimentationsschutz könte formal nicht berücksichtigt werden, denn dann wäre er kein absoluter Schutz, sondern er muss als absoluter Schutz Beachtung finden). Handelte es sich bei der Alimentation also um "Entgelte" für erbrachte Leistungen, gäbe es wie vorhin herausgearbeitet nach Ansicht des Bundesverfassungsgericht keine Alimentation mehr und die gesamte neue Dogmatik würde zu Fall kommen. Von daher halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht eine - weitgehend unbestimmte - EU-Richtlinie in Deinem Fall als entscheidungsrelevant betrachten dürfte, die darüber hinaus an entscheidender Stelle nicht mit der Auslegung des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht in Einklang zu bringen wäre.

So wie ich das Bundesverfassungsgericht kenne (oder zu kennen meine), würde es die EU-Richtlinie, sofern sie ins Feld geüfhrt werden würde, als nicht weiter entscheidungsrelevant betrachten, sondern sie als das betrachten, was sie letztlich auch ist: eine Richtlinie, die als solche normativ keine Gesetzeskraft entfaltet, sondern die nationalen Gesetzgeber auffordert, gesetzliche Regelungen im eigenen Rechtskreis im Sinne der Richtlinie in die Wege zu leiten. Dabei dürfte dem deutschen Gesetzgeber klar sein, dass das Bundesverfassungsgericht hervorheben wird, dass die "Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung" dort endet, "wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint". Dass wird der deutsche Gesetzgeber in diesem Fall zugleich gerne beherzigen, weil es ihn um die Gefahr von Verzugszinsen herumbrächte. Von daher ist es unwahrscheinlich, dass der deutsche Gesetzgeber Gesetze verabschiedete, die das Bundesverfassungsgericht im Anschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit kassierte und die zuvor auch noch einem substanziellen Interesse des Dienstherrn - nämlich keine (Verzugs-)Zinsen für als entschieden zu betrachtende Widersprüche zu zahlen - entgegenständen.

Von daher habe ich vorhin geschrieben, dass es eventuell wahrscheinlicher sein könnte, argumentatv von der Vorsorge für das Alter her zu kommen, um entsprechende Zinsen zu begründen. Ob das sinnvoll ist, kann ich aber gleichfalls nicht sagen, es ist einfach nur eine Idee.

lotsch

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #63 am: 19.05.2022 09:58 »
Sieh einfach das, was ich schreibe, als Möglichkeit an, Deine Argumentation sachlich weiter auszuschärfen, lotsch.

Das mache ich auf jeden Fall. Für konstruktive Kritik bin ich immer dankbar.

Wird eine EU-Richtlinie nicht fristgerecht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt, kann sie dennoch unmittelbar wirken und von Behörden angewendet werden. Dazu muss die Richtlinienbestimmung inhaltlich so genau und konkret gefasst sein, dass sie sich zu einer unmittelbaren Anwendung eignet und sie darf keine unmittelbare Verpflichtung für einen Einzelnen beinhalten. Daher ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien unter Privaten (horizontale Direktwirkung) nicht möglich. Erleidet ein Einzelner nach Ablauf der Umsetzungsfrist infolge der fehlenden oder mangelhaften Umsetzung einen Nachteil, kann er unter Umständen den Mitgliedstaat im Wege der Staatshaftung wegen Schadensersatz in Anspruch nehmen. Aus der Nicht-Umsetzung der Richtlinie soll nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) − insbesondere nach den in der Francovich-Entscheidung vom 19. November 1991 (C-6/90 und C-9/90) formulierten Grundsätzen − dem Bürger kein Schaden erwachsen.

Siehe auch: Mangold-Entscheidung
Bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist haben aber Richtlinien insoweit Rechtswirkung (sog. Vorwirkung), dass die nationalen Rechtsnormen im Wege einer „europarechtskonformen Auslegung“ soweit möglich unter Beachtung der Vorgaben der Richtlinie zu interpretieren sind, um Kollisionen zwischen europarechtlichen Vorgaben und innerstaatlichem Recht zu vermeiden (vergleiche Kollisionsregel).[4]

Zu deiner Ausführung des Streikverbotes für Beamte in Zusammenhang mit BVerfG und EGMR habe ich nachgelesen, dass dieser Rechtsstreit auf Betreiben der GEW noch geführt wird. Für so einen Rechtsstreit muss erst der gesamte Instanzenweg durchlaufen sein, dazu gehört in Deutschland auch das BVerfG. Die von dir vorgetragene Entscheidung des BVerG ist also nur ein Instanzenschritt. Mit der Entscheidung des EGMR ist 2023/2024 zu rechnen.

Ich finde meine Argumentationskette bisher recht plausibel und auf jeden Fall prüfenswert. Natürlich kann es sein, dass ein Gericht irgendeine Paragraphen aus der Tasche zieht, den ich bisher nicht beachtet habe. Vor Gericht und auf hoher See befindet man sich in Gottes Hand. Aus meiner Sicht wäre eine positive Gerichtsentscheidung auch wünschenswert, zum einen materiell, zum anderen würde es den Dienstherrn vielleicht eher dazu bewegen verfassungsgemäße Besoldungsgesetze zu erlassen, weil ihm sonst noch höhere Kosten entstehen.


SwenTanortsch

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #64 am: 19.05.2022 10:39 »
Ich würde es an Deiner Stelle ebenso versuchen, denn erstens wird sich ohne entsprechende Versuche nichts ändern, zweitens hat das sicherlich auch etwas damit zu tun, dass man sich dann selbstwirksam als handelnd und nicht der Sache ausgesetzt begreift, und drittens ist's, wie Du schreibst, vor Gericht und auf hoher See...

Das Bundesverfassungsgericht steht ja innerhalb der nationalen Rechtsprechung als einziges Gericht in keinem Instanzenzug und hat insofern auch innerhalb der deutschen Gerichtshöfe ein Alleinstellungsmerkmal. Es ist eben das höchste deutsche Gericht. Mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2018 dürfte es insofern alles, was zum Streikrecht zu sagen sei, als gesagt ansehen. Darüber hinaus erkennt es den Vorrang des  Gemeinschaftsrecht zwar im Grundsatz an, betrachtet aber anders als der EuGH, der das Gemeinschaftsrecht aus sich selbst heraus als vorrangig begreift, Gemeinschaftsrechte nur als dann vorrangig gegeben an, sofern sie durch entsprechende konkrete Rechtsakte von den nationalen Parlamenten an die Gemeinschaft übertragen worden sind, um dann weiterhin festzuhalten, dass das Faktum der Übertragung oder Nicht-Übetragung aus dem deutschen Verfassungsrecht begründet werden muss, das ja diese Übertragung erst gewährleisten müsse, wobei über das deutsche Verfassungsrecht ausschließlich das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden habe. Das heißt: Sofern das Bundesverfassungsgericht eine Übertragung von Kompetenzen als nicht gegeben ansieht, handelt es sich nach seiner Ansicht im konkreten Fall um einen kompetenzlosen europäischen Rechtsakt, sodass kein Vorrang des Gemeinschaftsrecht gegeben sein kann. Das wirkt ein wenig tautologisch. Allerdings hat sich das Bundesverfassungsgericht bislang auf diesen Standpunkt gestellt.

Ein sachlich schlüssiger Artikel zum Thema findet sich in der schon mehrfach genannten Aufsatzsammlung Dieter Grimms (Verfassungsgerichtsbarkeit) aus dem letzten Jahr auf den S. 346 ff.

Viel Glück Dir!

justilegal

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #65 am: 20.05.2022 14:48 »
Was ich nicht verstehe ist, wie die Staatskanzlei in Anbetracht des verzapften Murkses auch noch verkünden kann: Besoldung verfassungsgerecht geregelt. Der, der die aktuellen Entscheidungen gelesen hat, kann so etwas wohl kaum verkünden!!! Unfassbar!!! Die Einebnung des Abstandsgebots bei der 2-Kind-Familie wurde hier ja schon erwähnt. Aber wenn das Urteil bezüglich der 3+Kind-Familie eigentlich zu einem deutlich höheren Familienzuschlag hätte führen müssen, kann die nun präsentierte Regelung dem wohl nicht gerecht werden. Bis A8 wird der Abstand nun sogar verringert, denn die Sonderzahlung erhöht sich für die ersten beiden Kinder stärker als für die weiteren. 100 EUR brutto monatlich ab Kind 3 ab A9 führen nach mathematischen Überlegungen auch nicht zu der Netto-Erhöhung von ca 200 EUR pro Kind, die in Umsetzung der Rechtsprechung notwendig gewesen wäre. Vielleicht war es ja Arbeitsteilung: der eine sollte die Urteile lesen, der nächste hat mit der Gießkanne Geld verteilt, 100 EUR hier, 50 EUR da, dann hat noch einer ne Pressemitteilung geschrieben und ein weiterer sollte sich eine Überschrift ausdenken. Anders ist der Murks nicht zu erklären.

Koi

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #66 am: 20.05.2022 17:02 »
In Anbetracht der Urteile sind die Beträge allein für sich genommen ein Witz. Soweit ich den Stuttmannaufsatz erinnere, begann die gerade verfassungsgemäße Mindestalimentation in NDS irgendwo bei A10. Da zu erwarten ist dass die Regelsätze ab 01/23 durch die Decke gehen wird sich die Unterdeckung vermutlich nicht wesentlich verringern…

martin0312

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #67 am: 23.05.2022 16:12 »
Wie kommt es eigentlich, dass der NBB schreibt die Minimalanforderungen wären nun erfüllt? Der SBB ist doch DIE Interessenvertretung der Beamten. Es ist doch offensichtlich nicht der Fall. Hat jemand die Verantwortlichen der NBB schon mit den ganzen vorhandenen Informationen (Baris Gutachten usw.) versorgt?


Porridge

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #69 am: 11.07.2022 09:35 »
Hallo an alle, ich bin leider nicht so ganz auf dem Laufenden und das alles nachzulesen ist mir ehrlich gesagt zu viel.
Weiß jemand wann die Übertragung des Tarifergebnisses gesetzlich abgenickt wird? Soweit ich weiß, ist das noch nicht geschehen.

Und wegen dem Widerspruch zur amtsangemessenen Alimentation: Für 2021 ist es vermutlich schon zu spät oder? Kann mir da einer die Fristen sagen?

Liebe Grüße

justilegal

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #70 am: 11.07.2022 17:40 »
Hallo,
da es im Juni noch gar nicht auf der Tagesordnung des Landtages stand, muss wohl die letzte Sitzung vor der Landtagswahl (also Ende September) abgewartet werden… „abgenickt“ , also zweite Lesung dann erst vom neuen Landtag.
In 4 ABS 7 NBesG steht, dass der Widerspruch jährlich zu erheben ist. Allerdings erhält/ bzw. erhielt man in den letzten Jahren nach einem Widerspruch immer den Hinweis, dass das NLBV bittet von jährlichen Widersprüchen Abstand zu nehmen, aufgrund des großen Umlaufs, abweichend von der gesetzlichen Pflicht. Ob man sich darauf verlassen sollte…??? Fragen wir die Hamburger… wenn du also noch nie Widerspruch erhoben hattest, ist es definitiv zu spät für 2021.
Ich lege jedes Jahr Widerspruch ein. Soll sich doch das NLBV an den Gesetzesgeber wenden, wenn es denen zu viel wird.

Frustrierte Grüße

SwenTanortsch

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #71 am: 11.07.2022 18:38 »
Die Landesregierung hat den Gesetzentwurf offensichtlich nicht nach § 24 (1) der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtags eingebracht, wonach der Landtag Gesetzentwürfe in der Regel in einer ersten und einer zweiten Beratung behandelt, sondern dürfte den Ausnahmefall, den § 24 (2) GO vorsieht, zur Anwendung gebracht haben: Auf Antrag derjenigen, die ihn entsprechend einbringen, überweist daraufhin der Präsident einen Gesetzentwurf sogleich an einen Ausschuss, sodass die erste Beratung unterbleibt. Der Regelfall (§ 24 (1) GO) dürfte hier also durch den Antrag der Landesregierung umgangen worden sein (§ 24 (2) GO), sodass der Entwurf dann im Septemberplenum in zweiter und dritter Lesung zur Abstimmung gebracht werden dürfte. Die GO sieht dafür offensichtlich keine Begründungspflicht des Antragsstellers vor. Das offensichtlich so vollzogene Verfahren dürfte dabei sachlich aus zumindest zwei Gründen zu hinterfragen sein:

Die BVerfG-Entscheidung vom 04. Mai 2020 liegt seit Ende Juli 2020, also seit knapp zwei Jahren, öffentlich vor. Zugleich war der Regierung spätestens seitdem klar, dass die niedersächsische Alimentation verfassungswidrig und in der untersten Besoldungsgruppe um Netto mindestens 20 % zu gering bemessen ist (das zeigt entsprechend der DÖV-Beitrag aus dem März diesen Jahres, ist aber spätestens seit dem BVerwG-Vorlagebeschluss vom 30.10.2018 jedem klar). Darüber hinaus weiß die Landesregierung, dass der Gesetzgeber eine mit der Verfassung unvereinbare Rechtslage weder für die Gegenwart noch für die Vergangenheit fortbestehen lassen darf (vgl. die BVerfG-Entscheidung vom 22.03.1990 – 2 BvL 1/86 –, Rn. 65). Die Landesregierung hat sich also in den letzten zwei Jahren durch Handlungsuntätigkeit selbst in die Lage gebracht, nun am Ende der Legislatur beschleunigt handeln zu wollen; zugleich hat sie durch die Missachtung der Rechtslage – also durch Unterlassung – 2020 und 2021 verfassungswidrig Personalkosten in sehr großer Höhe eingespart, eben durch die rechtswidrige Fortführung des verfassungswidrigen Zustands (realistischerweise liegt dieser Wert in beiden Jahren jeweils deutlich über eine Mrd. €, wie eine im Auftrag der GEW erstellte Stellungnahme zeigt).

Zweitens wäre nach der Beratung in der erster Lesung – dem Regelfall – der Gesetzentwurf genauso in den oder die Ausschüsse überwiesen worden (§ 27 GO). Wäre also in der vorletzten Woche im Plenum in erster Lesung über den Gesetzentwurf beraten worden - wäre also der Regelfall des Gesetzgebungsverfahrens vollzogen worden  -, wären wir heute zeitlich im selben Zustand wie nun durch das beschleunigte Verfahren: Die Ausschussarbeit begönne und beginnt.

Der Unterschied wäre jedoch gewesen, dass Transparenz als der Regelfall parlamentarischer Arbeit hergestellt worden wäre (eben § 24 (1) GO). Die Regierung hätte sich vor dem Parlament und damit auch vor der Öffentlichkeit verantworten müssen, indem in erster Lesung die Grundzüge des Gesetzentwurfs besprochen worden wären, wie das § 26 GO als Regelfall vorsieht. Dem entzieht sich die Regierung nun offensichtlich durch das beschleunigte Verfahren, vermutlich, um sich hinsichtlich der anstehenden Landtagswahl keine offene Flanke zu geben, also nun die Möglichkeit der öffentlichen Debatte zeitlich und damit auch inhaltlich zu verringern bzw. zu begrenzen. Damit wird die spätestens seit Ende Juli 2020 vorgenommene thematische Verschleppung fortgesetzt – zur vormaligen Motivation, weiterhin sachwidrig Personalkosten in sehr großer Höhe einzusparen, tritt nun also offensichtlich die weitere Motivation zum eigenen Vorteil oder zur Vermeidung eines möglichen Nachteils: nämlich das Thema möglichst ohne viel öffentlichen Aufhebens durch‘s Parlament zu bringen.

Da der Landtagspräsident einen Gesetzentwurf im beschleunigten Verfahren sogleich an einen Ausschuss überweist und dieser Ausschuss, da der Entwurf zu Mehrausgaben führt, laut § 27 (4) GO der Haushalts- und Finanzausschuss ist, dürfte gleichfalls von Interesse sein, ob nicht mindestens auch der Rechtsausschuss (ggf. auch der Innenausschuss) mit einbezogen wird/werden, da der Entwurf ja auch ihre Gegenstände betrifft und es nach § 27 (2) i.V.m. § 27 (3) GO in der Freiheit des Präsidenten liegt, einen Entwurf an mehrere Ausschüsse zu überweisen, wobei Ausschüsse nach § 12 (2) GO auf Antrag einer Fraktion ebenso das Recht hätten, auch ohne Zuweisung durch den Präsidenten oder den Landtag entsprechend tätig zu werden. Je mehr Ausschüsse beteiligt sind, desto größer der Grad der Transparenz – zugleich wäre in einem ordentlichen Verfahren, denke ich, zu erwarten, dass mindestens der Rechtsausschuss zu beteiligen wäre, da ja zum einen ein rechtlicher Systemwechsel geplant und zum anderen nicht zuletzt in der genannten umfangreichen Stellungnahme zum Gesetzentwurf (sie beträgt über 60 Seiten) differenziert der Nachweis geführt worden ist, dass jener Entwurf als solcher in vielfacher Hinsicht verfassungsrechtlich nicht haltbar ist: Das betrifft nicht nur die unzureichende Prozeduralisierung und die Verletzung des allgemeinen Abstandsgebots mindestens in den Besoldungruppen A 8 und A 9, sondern offensichtlich darüber hinaus auch die mittelbare Geschlechterdiskriminierung, die in der geplanten Einführung einer "Herdprämie" liegt (vgl. auch, jedoch hinter einer Paywall, https://www.rundblick-niedersachsen.de/scharfe-kritik-an-beamten-plan-entwurf-verstoesst-gegen-die-gleichberechtigung/). Dass darüber hinaus ebenso die deutliche Erhöhung des kinderbezogenen Familienzuschlags gleichfalls zu einem Verstoß gegen die Mindestbesoldung führt, sollte zumindest den beteiligten Juristen klar sein, was mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Grund dafür sein dürfte, dass im Gesetzentwurf - gegen die Prozeduralisierungspflichten verstoßend - keinerlei Berechnungen hinsichtlich der Mindestalimentation vorgenommen werden. Summa summarum sollen die familienbezogenen Bezügebestandteile - also neben den erhöhten Familienzuschlägen ebenso durch die geplante "Herdprämie" - einer vierköpfigen Familie bei einem Grundgehalt von 2.445,50 € in der niedrigsten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe knapp 1.100,- € betragen, also rund 30 % der Bruttobesoldung umfassen, derzeit beträgt der Anteil rund 15 %, womit sie offensichtlich nicht mehr als Nebenkomponente zu betrachten wären.

Dogmatikus

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #72 am: 13.07.2022 07:20 »
Gibt es den zitierten Beitrag in der DÖV eigtl irgendwo einzusehen? Selbst in der Justiz ist die DÖV von keinem Abo der Datenbanken umfasst. Habe sogar die Kollegen aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit gefragt, auch dort kein Zugriff...

SwenTanortsch

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #73 am: 13.07.2022 11:46 »
... Die DÖV ist doch eine der zentralen beamtenrechtlichen Zeitschriften und insofern sowohl in Papierform vielfach abonniert als auch digital erfasst, nicht zuletzt beispielsweise hier: https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2fzeits%2fDOEV%2f2022%2fcont%2fDOEV%2e2022%2eH05%2eNAMEINHALTSVERZEICHNIS%2ehtm Darüber hinaus besteht, sofern nicht eine der nachfolgenden Unibibliotheken in der Nähe ist, jederzeit die Möglichkeit, in der nächsten Stadtbibliothek eine Fernleihe zu machen. Jene kostet hier in Niedersachsen 1,50 €: https://zdb-katalog.de/list.xhtml?t=d%C3%B6v&asc=false

xap

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Antw:[NI] Besoldungsrunde 2021-2023 Niedersachsen
« Antwort #74 am: 13.07.2022 11:50 »
Interessant. Mir war das System der Fernleihe neu. Allerdings stellt sich mir direkt die Frage, ob es nicht auch möglich ist Medien in digitalisierter Form zu leihen? Weiß das jemand? Oder geht das aus Urheberrechtsgründen nicht?