Antworten der Landesregierung auf eine kleine Anfrage der CDU (TH-Drs. 7/6485 v. 14.10.22):
"7. Wie viele Widersprüche hat es im Geltungsbereich des Thüringer Besoldungsgesetzes gegen die Ali-
mentation 2020 und 2021 (bitte nach Jahren gliedern) gegeben (bitte bei der Antwort die der Aufsicht des
Landes unterstehenden dienstherrenfähigen Körperschaften berücksichtigen; falls Daten hierzu nicht zu
erlangen sind, genügt hilfsweise die Angabe der von Landesbeamten erhobenen Widersprüche)?
Antwort:
Es wird für den Landesbereich auf die Antwort zu Frage 1 der Kleinen Anfrage 7/3086 in Drucksache
7/5447 verwiesen.
8. Aus welchen Gründen hat sich die Landesregierung - entgegen der Praxis anderer Bundesländer - ange-
sichts der zahlreichen Widerspruchsverfahren gegen die Alimentation 2020 und 2021 gegen eine Mus-
terklagevereinbarung entschieden?
Antwort:
Bezüglich der Umsetzung der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2020 ist der Lan-
desregierung kein Land bekannt, welches sich für eine Musterklagevereinbarung entschieden hat. In-
soweit besteht keine Praxis. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 9 der Kleinen Anfrage 7/3086 in
Drucksache 7/5447 verwiesen.
9. Unter der Annahme, dass auf alle negativ beschiedenen Widersprüche gegen die Alimentation 2020 und
2021 Klage erhoben wird und unter Zugrundelegung des durchschnittlichen Jahrespensums eines Ver-
waltungsrichters in Thüringen: Wie viele Richter-Jahrespensa würde die Abarbeitung all dieser Verfah-
ren in Anspruch nehmen?
Antwort:
Derzeit sind nahezu alle Widersprüche durch das Thüringer Landesamt für Finanzen verbeschieden wor-
den. Auch wenn bislang noch nicht alle Klagefristen nach § 74 der Verwaltungsgerichtsordnung abgelau-
fen sind, registrierte das Thüringer Landesamt für Finanzen bis zum Stand 4. Oktober 2022 die Eingänge
von lediglich 730 Klagen, die bei den Verwaltungsgerichten erhoben worden sind. Sechs Klagen davon
wurden bereits wieder zurückgenommen. Die Annahme, dass gegen jeden Widerspruchsbescheid Kla-
ge erhoben wird, spiegelt daher die tatsächliche Situation nicht wider. Im Übrigen wird auf die Antworten
zu Fragen 6 und 10 der Kleinen Anfrage 7/3086 in Drucksache 7/5447 verwiesen.
10. Wie rechtfertigt die Landesregierung eine derart intensive Zusatzbelastung der Justiz, wo es doch an
Richtern seit Jahren mangelt und diese Situation durch eine Musterklagevereinbarung abwendbar war?
Antwort:
Die vorbenannte Situation ist durch eine Musterklagevereinbarung nicht abwendbar. Hierzu wird auf die
Antwort zu Frage 9 der Kleinen Anfrage 7/3086 in Drucksache 7/5447 verwiesen.
Taubert
Ministerin"
Zu
Frage 7 führt die Antwort 1 aus TH-Drs. 7/5447 v. 04.05.2022 das Folgende aus:
"1. Wie viele Anträge/Widersprüche auf amtsangemessene Alimentation sind in den Jahren 2020, 2021 und
2022 eingegangen (Auflistung getrennt nach Jahren)?
Antwort:
Im Jahr 2020 haben 13.296, im Jahr 2021 haben 6.654 und im Jahr 2022 haben 336 Beamte und Rich-
ter Widerspruch eingelegt."
Die Antwort zur Frage 1 als stellvertretene Antwort auf die ursprüngliche Frage 7 zeigt jedem Verantwortung empfindenden Politiker, dass in der Beamtenschaft ein offensichtlich massives Problem und also eine schwere Vertrauenskrise dem Dienstherrn gegenüber empfunden wird. Dieses Problem nicht zu beachten, muss in Anbetracht der schieren Anzahl an Widersprüchen - und in Anbetracht dessen, dass das Problem der deutlichen Unteralimentation nicht nur empfunden, sondern, wie auch Frau Taubert weiß, real gegeben ist - zu Folgenproblemen führen, die die Handlungsfähigkeit der Exekutive nicht vergrößern wird.
Die Antwort auf die
Frage 8 ist eine für Frau Taubert typisch instrumentelle: Vordergründig ist sie richtig, dass es seit 2020 bislang in keinem Besoldungsrechtskreis Musterwiderspruchsverfahren gibt. Allerdings sind in fast allen anderen Rechtskreisen seitdem auch keine negative Bescheidungen von Widerspruchsverfahren erfolgt, sodass es keine Veranlassung und Möglichkeiten für Verfahren und damit auch Musterwiderspruchsverfahren gibt. Dahingegen haben sich Musterwiderspruchsverfahren in der Vergangenheit im Sinne der Rechtssicherheit und Entlastung der (Verwaltungs-)Gerichtsbarkeit für alle Beteiligten als ein effizientes Mittel zur Klärung von Sachfragen erwiesen, was auch Frau Taubert weiß. Zugleich betrifft das Problem der Frage, wie mit dem nicht erst seit 2020 bestehenden Fehlbetrag zwischen der Mindest- und gewährten Nettoalimentation zu verfahren ist, ausnahmslos (mindestens potenziell, höchstwahrscheinlich aber auch real) alle Landes- und Kommunalbeamten in Thüringen. Darüber hinaus hat nicht nur das Battis-Gutachten, sondern ebenso der Wissenschaftliche Dienst des Landtags den unzureichenden Charakter der 2021 gesetzlich vollzogenen Regelungen zweifelsfrei aufgezeigt; das Finanzministerium sah sich jedenfalls nicht in der Lage, deren Argumente sachlich zu entkräften. Insofern blieb ebenso schon die in der Antwort 9 aus der TH-Drs. 7/5447 v. 04.05.2022 (auf die die aktuelle Antwort verweist) ausgeführte Darlegung instrumentell, die entsprechend hier ebenfalls vollständig zitiert werden soll:
"9. Warum schließt die Landesregierung keine Musterklagevereinbarung ab, um landeseigenes Personal
zu entlasten?
Antwort:
Jeder Widerspruchsführer hat einen Anspruch auf Bearbeitung seines Widerspruchs und auf eine indi-
viduelle, von der Sach- und Rechtslage abhängende Entscheidung. Hieran ändert eine Musterklagever-
einbarung nichts, da sie für vergleichbare Fälle regelmäßig nur eine Bindungswirkung bezüglich materi-
eller Rechtsfragen bewirkt. Das einzelne Widerspruchsverfahren wird allein dadurch nicht beendet und
bedarf weiterhin der Bearbeitung sowie einer individuellen Entscheidung. Daher ist die Annahme unzu-
treffend, eine Musterklagevereinbarung würde landeseigenes Personal entlasten.
Darüber hinaus eignet sich eine Musterklagevereinbarung lediglich bei vergleichbaren Sachverhalten.
Das Gesetz zur Gewährleistung einer verfassungsgemäßen Alimentation sowie über die Gewährung ei-
ner Anerkennungsleistung für ehemalige angestellte Professoren neuen Rechts vom 2. November 2021
(GVBl. S. 547) bewirkt hingegen jeweils jahresbezogen verschiedene besoldungsrechtliche Änderungen,
die sich auf die einzelnen Beamten mit Blick auf deren jeweilige Besoldungsgruppen und deren sich än-
dernden tatsächlichen familiären Verhältnisse unterschiedlich auswirken. Daher ist eine Musterklagever-
einbarung auch wegen der einzelfallbezogenen Besonderheiten bei der Überprüfung der Verfassungsge-
mäßheit nicht zielführend. So hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinen bisherigen Beschlüssen
nur jeweils über die verfassungsgemäße Alimentation zu den jeweils vorgelegten Besoldungsgruppen
beziehungsweise kinderbezogenen Familienzuschlägen in den entsprechenden Jahren entschieden.
Zudem bestehen aus Sicht der Landesregierung in rechtlicher Hinsicht keine Zweifel an der Richtigkeit
der Umsetzung der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts, die den Abschluss einer Musterkla-
gevereinbarung rechtfertigen würden. Insoweit verweise ich auf die Erörterungen im Rahmen des Ge-
setzgebungsverfahrens, in dem die Verfassungsgemäßheit des oben genannten Gesetzes dargelegt
wurde. So hat sich der Gesetzgeber nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts an seinen Gestal-
tungsspielraum, wie er bei der Festsetzung der Bezüge den Anforderungen des Gebots eines Mindest-
abstands zum Grundsicherungsniveau Rechnung tragen kann, gehalten. Danach komme neben der An-
hebung der Grundgehaltssätze und Veränderungen im Beihilferecht insbesondere auch eine Anhebung
des Familienzuschlags in Betracht. Vorliegend wurde den Anforderungen des Gebots des Mindestab-
stands mit einer Anhebung des kinderbezogenen Familienzuschlags Rechnung getragen. Es wird da-
her derzeit keine Notwendigkeit für eine Musterklagevereinbarung gesehen."
In der Antwort auf die
Frage 9 zeigt sich, dass das Finanzministerium es offensichtlich als einen Erfolg ansieht, dass "bis zum Stand 4. Oktober 2022 die Eingänge von
lediglich 730 Klagen" zu verzeichnen seien (Hervorhebung durch mich). Die offensichtliche Erfolgsempfindung dürfte ihre Ursache darin finden, dass sich der Thüringer Haushalt so weiterhin verfassungs- und rechtswidrig materielle Güter aneignet, indem er sie denen, denen diese Güter zustehen, weiterhin entzieht. Formal ist das keine Enteignung; real kommt es dieser gleich. Unter anderen Rechtsumständen als dem Beamtenwesen wäre nun ggf. wohl zu klären, ob §§ 242 und 243 als Tatbestände vorlägen.
Darüber hinaus führt die TH-Drs. 7/5447 v. 04.05.2022 in der Antwort zu Frage 6 aus, auf die in der Antwort 9 hingewiesen wird:
"6. Wie viele Klagen kann ein Verwaltungsrichter erfahrungsgemäß im Jahr bearbeiten?
Antwort:
Der Bedarf an Verwaltungsrichtern berechnet sich nach dem Personalbedarfsberechnungssystem
(PEBB§Y). Im Rahmen dieses Berechnungssystems wurden in der Praxis für einzelne Sachgebiete
durchschnittliche Bearbeitungszeiten erhoben. Diese Basiszahlen können als Anhaltspunkt dienen, wie
lange ein Richter für die Bearbeitung eines Verfahrens benötigt, es sind aber ausdrücklich keine "Schlag-
zahlen" für Richter.
Klagen auf amtsangemessene Alimentation fallen dabei in das Sachgebiet "Recht des öffentlichen Diens-
tes (ohne Disziplinarrecht)". Für dieses Sachgebiet wurde in der letzten PEBB§Y-Erhebung eine Basiszahl
von 1.073 Minuten für Richter am Verwaltungsgericht sowie 1.762 Minuten für Richter am Oberverwal-
tungsgericht ermittelt. Rechnerisch kann danach am Verwaltungsgericht ein Richter in diesem Sach-
gebiet rund 92 Verfahren und am Oberverwaltungsgericht rund 56 Verfahren in einem Jahr erledigen."
Daraus folgt, dass in Anbetracht von 730 Klagen derzeit übertragen rund acht Verwaltungsrichter bis Ende Oktober 2023 nichts anderes tun werden, als jene Klagen zu bearbeiten, deren Ergebnis im Vorhinein feststeht. Da die Arbeitskraft dieser Richter in jener Zeit der Klärung offener Rechtsfragen entzogen wird, wird der Rechtssicherheit und ggf. dem Rechtsfrieden in Thüringen durch die Landesregierung deutlicher Schaden zugefügt. Frau Taubert hätte insofern ggf. besser antworten sollen: "Der Schaden, dem wir der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden wissentlich und willentlich zufügen, fällt deutlich kleiner aus, als es von unserer Seite erwartet wurde. Das sehen wir als einen großen Erfolg der Landesregierung an." Darüber hinaus zeigen lotschs Anmerkungen, dass die Zahl der Klagefälle mittlerweile noch einmal deutlich höher zu liegen scheint, als das die Ministerin ausführt.
Auch die Antwort auf die
Frage 10 zeigt weiterhin, dass zwischen dem Rechtsverständnis von Beamten und Richtern, die per Eid an Recht und Gesetz geunden sind, und dem von Frau Taubert ein offensichtlich grundlegender Unterschied besteht.
Ulrich Battis hat zwischenzeitlich nicht zuletzt in seinem Fazit zum sächsischen Gesetzentwurf alles, was nötig ist, zu solch in verschiedenen Ansichten die Verfassungsordnung und das Beamtenwesen destruierenden Ideen gesagt, wie sie Frau Taubert stellvertretend für die Landesregierung wie gehabt formuliert (
https://www.sbb.de/aktuelles/news/amtsangemessene-alimentation-stellungnahme-abgegeben/).
Offensichtlich ist, dass jeder Unternehmer, der entsprechend so wie die Landesregierung und der Landtag (bzw. die Abgeordneten des Landtags, die diesem Handeln zustimmen) handeln würde, von Gerichten schwere Strafen zu gewärtigen hätte, wenn er sich so gegenüber seinen Beschäftigten verhielte. Da sich der Beamte in einem besonderen Gewaltverhältnis befindet, also anders als Beschäftigte in der Privatwirtschaft nur über verfassungsrechtlich eingeschränkte Rechtsmittel verfügt, um diese seine individuellen Rechte durchzusetzen, kehrt auch die thüringische Landesregierung spätestens seit 2020 - wie alle Dienstherrn hinsichtlich ihrer Beamtenschaft - zu einer offensichtlich modernen Form der Leibeigenschaft zurück. Darin liegt das desturierende Momentum, das unserer Verfassungsordnung und dem Beamtenwesen wiederkehrend irreparablen Schaden zufügt, wie jeder weiß, der auch nur mindestens ein grundlegendes Buch gelesen (bzw. wohl eher: gelesen und verstanden) hat, das sich mit entsprechenden historischen Prozessen beschäftigt. Da dieses Handeln, das nicht mehr als rechtsstaatlich zu begreifen ist, für Politiker wie Frau Taubert mittlerweile Normalität darstellt, ist die Verfassungskrise da, von der Ulrich Battis spricht. Denn mit jedem weiteren solchen Handelns wird der Boden bereitet, unsere Verfassung und Rechtsordnung zu zerstören - anders kann man es offensichtlich leider nicht nennen.