Autor Thema: Chancen auf Anpassung der angemessenen Alimentation durch Preisexplosion.  (Read 12768 times)

TheOffice

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Hallo,

für mich ist das Thema relativ neu und ich habe bisher auch noch keine Art von Wiederspruch gestellt.
Könntet ihr kurz erklären warum es Sinn machen würde einen Wiederspruch zu stellen, an wen der W. zu stellen wäre (Dienstherr oder BVA etc) und ob es wahrscheinlich ist das der W. was bringt und ob man den W. dann jedes jahr stellen muss, oder ob der auch rückwirkend bzw. in die Zukunft wirksam wäre?

Vielen Dank

emdy

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Danke an Rentenonkel für die sehr gut gewählten, klar verständlichen Worte. Ich greife auch noch mal einige "Knackpunkte" heraus, bei denen wichtig ist, sie in Realtion zueinander zu verstehen.

Alleinverdienermodell und Familienzuschläge
Das Bundesverfassungsgericht hat u.A. das Mindestabstandsgebot (zur Grundsicherung) und das allgemeine Abstandsgebot (zwischen den Besoldungsgruppen) herausgearbeitet und mit einer Prüfsysthematik unterfüttert. Sollten die Besoldungsgesetzgeber das Gericht weiterhin so krass ignorieren wie bisher, werden bisher noch relativ unkonkrete Bereiche der Besoldungsrechtsprechung weiter konkretisiert werden, z.B. wie hoch der Anteil von Zuschlägen an der Gesamtbesoldung sein darf. Sobald hier Klarheit besteht, erübrigt sich m.E. die Debatte um die "Abkehr vom Alleinverdienerprinzip" denn besoldet wird der Beamte primär für das ausgeführte Amt(!). Ich halte es insoweit für ein großes Missverständnis, dass die Besoldungsgesetzgebung aus der Zeit gefallen sei mit ihrem "Alleinverdienermodell". Die vierköpfige Alleinverdienerfamilie ist mehr Bezugsgröße in der Besoldungsrechtsprechung als in der Besoldungsgesetzgebung. Dass die Alimentation von Beamten etwas qualitativ anderes ist, als die soziale Grundsicherung spiegelt sich auch darin wieder, dass das BVerfG eben nicht den Bezug zur Grundsicherung von Alleinstehenden sucht.

Inflation, Mindestabstandsgebot und Abstandsgebot   
Gesunken ist in den letzten Monaten das Angebot an Energieträgern, die Nachfrage ist, grob gesagt, gleich. Inflation entsteht wenn die Nachfrage an Gütern oder Dienstleistungen nicht mehr gedeckt werden kann. Die Preissteigerungen betreffen primär Güter (Strom, Gas), die zur Existenzsicherung benötigt werden und damit von der sozialen Grundsicherung erfasst sind. Aus Mindestabstandsgebot und Abstandsgebot leitet sich hier selbstverständlich ab, dass diese Kostenexplosionen bei der Besoldung entsprechend berücksichtigt werden müssen. Das heißt aber nicht, dass es eine Linearanpassung durch alle Besoldungsgruppen in Höhe der Inflationsrate geben müsste. Auch die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen dürfen ja grundsätzlich sinken. Im Grunde haben wir hier keine andere Situation als 2020, nur verschärft. Auch 2020 hatten wir schon drastisch gestiegene Kosten für die Existenzsicherung (durch zu wenig Wohnraum).

allgemeine wirtschaftliche Verhältnisse
Ich stimme WasDennNun zu, wenn er darauf hinweist, dass der Beamte nicht vor jeglichem Wohlstandsverlust geschützt ist. Die Referenz zu den allgemeinen Lebensverhältnissen gilt nicht nur im Positiven.

Was wir aber erleben ist eine immer deutlichere Spaltung der Gesellschaft in arm und reich. Kapitalbildung und Altersvorsorge durch Immobilienbesitz oder am Aktienmarkt sind gerade schwierig wie lange nicht. Es ist nicht Aufgabe oder Ziel der Besoldungsgesetzgeber, dies irgendwie "abzubilden". Der öffentliche Dienst kann aber als Korrektiv einen gewissen Wert von Erwerbsarbeit vorgeben. Er kann so bezahlen, dass ein bestimmter Lebenskomfort durch Erwerbsarbeit ermöglicht wird. Das Beamtenverhältnis ist keine Erwerbsarbeit im üblichen Sinne sondern ein besonderes Dienst- und Treueverhältnis. Das Vorgesagte sollte hier in besonderem Maße gelten.

Das größte Missverständnis aber ist, wohl weil darüber selten öffentlich diskutiert wird, dass der Verdienst in der Privatwirtschaft den gesellschaftlichen Wert einer bestimmten Tätigkeit wiederspiegeln würde. Der Verdienst spiegelt nur wieder, wie viel Gewinn unternehmerisch mit der ausgeübten Tätigkeit erzielt werden kann. In Zeiten von skalierbaren Produkten (Software) und dringend benötigten, aber nicht skalierbaren und oft auch nicht gewinnbringenden Dienstleistungen (Pflege) kann man nicht oft genug auf diesen Unterschied hinweisen. Wenn wir gesellschaftliche Probleme wie die Wohlstandsschere und den Pflegenotstand überwinden wollen, muss die Politik hier Rahmenbedingungen viel aktiver gestalten. Und deswegen sind für mich bei der Bezahlung in Privatwirtschaft und im öD Argumente, die auf den Marktwert abzielen, wertlos. Über Marktwert kann man mit Fußballern und in der BWL reden. Ich hätte gerne eine Debatte über gesellschaftlichen Wert. Und da sehe ich den öD recht weit vorne.  ;)
« Last Edit: 07.09.2022 23:34 von emdy »

Rentenonkel

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Vielen Dank emdy für die ergänzenden Erläuterungen.

Das, was das BVerfG in seinem Urteil im Rahmen der Rechtsprechung aus meiner Sicht bahnbrechend gemacht hat, ist die Definition von amtsangemesser Besoldung näher zu konkretisieren. Dabei wird oft die Tragweite der Rechtsprechung übersehen und das Alleinverdienermodell zu Unrecht als aus der Zeit gefallen kritisiert.

Mit Einführung von ALG II und Grundsicherung hat der Gesetzgeber im Jahre 2002 ein soziales Existenzminimum definiert. Dabei stellt er ab auf Bedarfe der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zuzüglich der Kosten für Miete und Heizung. Das ist der Bedarf, der gedeckt sein muss.

Dieses soziale Existenzminimum im Sozialrecht hat allerdings auch Auswirkungen auf alle anderen Bereiche aus Gründen des Gleichheitsgrundsatzes. Es muss daher Anwendung finden im Steuerrecht als auch im Bereich der Beamtenbesoldung.

Um berechnen zu können, ob dieses soziale Existenzminimum gedeckt ist, wurde zunächst angefragt, für wie viele Personen denn die Besoldung gedacht ist. Dabei wurde seitens des Besoldungsgesetzgebers argumentiert, dass es dem Beamten immer zuzumuten sei, von seiner Besoldung den Unterhalt für eine vierköpfige Familie zu tragen.

Kleiner Exkurs: Für jedes weitere Mitglied der Haushaltsgemeinschaft, für das die Besoldung nicht gedacht ist, müsste andernfalls der Gesetzgeber (wie auch bei der sozialen Grundsicherung) den Mehrbedarf in Form von Grundbedarf und höhere Wohn- und Heizkosten vollständig durch zusätzliche (deutlich höhere) Familienzuschläge decken. Dieses Modell wäre für den Besoldungsgesetzgeber sicherlich noch sehr viel kostenintensiver.

Das bedeutet daher, dass eine Besoldung nur dann amtsangemessen sein kann, wenn auch der kleinste Beamte in der Lage ist, den Bedarf einer vierköpfigen Familie mit seiner Besoldung zu decken. Der Besoldungsgesetzgeber hat selbst erklärt, dass es dem Beamten zumutbar sein soll, von seinen Bezügen den Bedarf einer vierköpfigen Familie zu decken. Daher ist das der Maßstab, der vom Besoldungsgesetzgeber gezogen wird und der dann lediglich verfassungsrechtlich zu prüfen ist. Das alle anderen Modelle deutlich teurer wären, habe ich in meinem kleinen Exkurs bereits versucht, zu verdeutlichen.

Auch im Sozialrecht gibt es riesige Unterschiede bei der Höhe der Miete und Nebenkosten je nach Region. Daher wäre es auch dem Besoldungsgesetzgeber erlaubt, hier bei seiner Besoldung hier zu differenzieren.

Und genau an der Stelle wird die Tragweite des Urteils oft missverstanden: Das BVerfG hat nunmehr definiert, wann eine Besoldung amtsangemessen ist. Dabei kommt es überhaupt nicht darauf an, ob der Beamte tatsächlich verheiratet ist oder Kinder hat.

Anders sieht es allerdings bei den Wohnkosten aus. Hier dürfte der Gesetzgeber differenzieren und sich an den tatsächlichen Verhältnissen am Wohnort des Beamten orientieren. Daher gehe ich bei meinem Blick in meine Glaskugel davon aus, dass bei weiterer Ausgestaltung der Definition ("was ist amtsangemessen") es ein nach Mietstufen zerklüftetes Besoldungssystem geben wird. Ob man das nun regionalen Ergänzungszuschlag oder Ortszuschlag nennt, ist zweitrangig.

Um es etwas verständlicher auszudrücken: Ich verstehe das Urteil so, dass auch der kleinste Beamte immer ein Jahres Nettoeinkommen haben muss, das mindestens 15 % über dem liegt, das der Nachbar, der ALG II bezieht und 2 Kinder hat, erhält. Das wäre aus meiner Sicht die absolut unterste Grenze einer amtsangemessenen Besoldung.

Dabei rückt wie gesagt zunächst das Amt in den Mittelpunkt der Betrachtung und die Unterscheidung der tatsächlichen Verhältnisse beziehen sich dabei eher auf den Wohnort als die Anzahl der Familienmitglieder. Die dienen in der Besoldungsrechtsprechung eher der Orientierung.

Ohne jetzt irgendwem irgendwelche Tipps geben zu wollen: Es wäre aus meiner bescheidenen Sicht mit der Verfassung vereinbar, wenn es Familienzuschläge nur noch ab dem dritten Kind geben würde, die bisherige Grundbesoldung auf das, was ich oben geschildert habe, angehoben würde, und es dann Ortszuschläge geben würde, sobald jemand in einer Region ab Mietstufe 2 wohnen würde.

Für eine solche, grundlegende Besoldungsreform fehlt den Besoldungsgesetzgebern allerdings bisher offensichtlich der Mut.

Warzenharry

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Danke für die beiden sehr konkreten Ausführungen.

Wir können also festhalten, dass die Besoldung grds. angepasst werden sollte, dies aber aufgrund des Aufwandes und des politischen Willens derzeit nicht passiert.

Die Frage ist nun, was muss passieren, damit der Dienstherr von selbst auf die Idee kommt, was tun zu müssen.

Muss es wirklich erst dazu kommen, dass Beamte, egal ob Land oder Bund, in München, Berlin, Hamburg, Düsseldorf oder sonstwo, ggf. in finanzielle Schwierigkeiten geraten, oder aufgrund der Sorge, in solch eine Situation zu rutschen, die Arbeitsleistung leidet?

Bestes Beispiel bleiben die Polizisten im mD welche in München oder Berlin zur Miete wohnen. Da kann es meiner Meinung nach sehr sehr schnell gehen, selbst wenn der betrffende Beamte bis dato noch NIE Zahlungsausfälle bei Verbindlichkeiten vorzuweisen hatte.

Rentenonkel

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Danke für die beiden sehr konkreten Ausführungen.

Wir können also festhalten, dass die Besoldung grds. angepasst werden sollte, dies aber aufgrund des Aufwandes und des politischen Willens derzeit nicht passiert.

Die Frage ist nun, was muss passieren, damit der Dienstherr von selbst auf die Idee kommt, was tun zu müssen.

Muss es wirklich erst dazu kommen, dass Beamte, egal ob Land oder Bund, in München, Berlin, Hamburg, Düsseldorf oder sonstwo, ggf. in finanzielle Schwierigkeiten geraten, oder aufgrund der Sorge, in solch eine Situation zu rutschen, die Arbeitsleistung leidet?

Bestes Beispiel bleiben die Polizisten im mD welche in München oder Berlin zur Miete wohnen. Da kann es meiner Meinung nach sehr sehr schnell gehen, selbst wenn der betrffende Beamte bis dato noch NIE Zahlungsausfälle bei Verbindlichkeiten vorzuweisen hatte.

Das BVerfG wird derzeit mit Vorlagenbeschlüssen zur Verfassungswidrigkeit geflutet und wird sich beispielhaft in absehbarer Zeit mit der A-Besoldung in Bremen befassen. Mindestens bis zu dieser Entscheidung werden wohl alle Geduld bewahren müssen. Dabei arbeitet das BVerfG naturgemäß etwas langsamer und daher dauern diese Verfahren auch recht lange.

Je länger die Besoldungsgesetzgeber warten, um eine verfassungsgemäße Besoldung zu gewährleisten, desto enger wird das BVerfG die Grenzen ziehen und den Gestaltungsspielraum einengen. Das kann eigentlich kaum im Sinne des Gesetzgebers sein.

Der scheint sich allerdings derzeit mit anderen Themen zu beschäftigen, weil die Mehrkosten wohl immens sein dürften und so Wahlgeschenke/Entlastungspakete schwieriger zu verteilen wären.

Bis zu einer endgültigen Entscheidung hofft der Besoldungsgesetzgeber wohl, ordentlich Geld sparen zu dürfen.

Da streiken für Beamte nicht in Frage kommen, bleibt nur der Rechtsweg über jährlich wiederkehrende Anträge auf amtsangemessene Besoldung.

Pensionär

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Der Gesetzgeber setzt auf den Faktor Zeit. Letztlich ist kein Geld vorhanden und das Thema erledigt.