Autor Thema: Alterdiskriminierde Besoldung für Bundesbeamte/Versorgungsempfaenger  (Read 5162 times)

SwenTanortsch

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Hab Dank für Deine Zeilen, Eike: Der von Dir vorgenommene Aufbau scheint mir schlüssig und ich freue mich auf Deine weiteren Ausführungen, aus denen ich einiges werde lernen können, was ich immer gut finde!

PS. Ich bleibe konsequent beim "Du", weil das hier im Forum üblich ist.

Eike1966

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II. Stand der Rechtsprechung des EuGH
Zum deutschen Besoldungsrecht gab es insgesamt nur drei Vorlagen und Urteile des EuGH:
- EuGH vom 19.06.2014 in den Rs. Specht u.a., C-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C-541/12
- EuGH vom 09.09.2015 in der Rs. Unland C-20/13
- EuGH vom 27.02.2020 in den Rs. TK (C‑773/18), UL (C‑774/18) und VM (C‑775/18)
(Erwähnung: Das deutsche Tarifrecht zur Bezahlung nach Lebensalter wurde in Urteil vom 08.09.2011 in der Rs. Hennings und Mai (C-297/10 und C-298/10) als nicht unionsrechtskonform bewertet).

Die wichtigste Entscheidung war vom 19.06.2014, in der der EuGH die Unionsrechtswidrigkeit des alten Systems der Bezahlung nach Lebensalter („Besoldungsdienstaltersystem“) feststellte.
Diese Altersdiskriminierung ist auch von Verwaltungsgerichten und den Behörden in der Vergangenheit abgearbeitet worden. Offen könnten eigentlich nur noch Verfahren sein, die ggfls. noch Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG vor dem 19.06.2014 („rechtzeitig“) gemäß der EuGH-Entscheidung vom 27.02.2020 zum Gegenstand haben.

Nachfolgend sollen Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung aus nicht deutschen Angelegenheiten auf die Überleitungsvorschriften und die Einführung des Erfahrungsstufensystems dargestellt werden.
(Hinweis: Das Beurteilungskriterium, dass Menschen in einer vergleichbaren Situation eine Ungleichbehandlung erfahren, ist den jeweiligen Urteilen zu entnehmen und kann nicht pauschal dargestellt werden. Es ist nicht meine Absicht in diesem Thread eine umfassende wissenschaftliche Abhandlung zu liefern).

1. Überleitungsvorschriften
1.1 Ausgangslage: negatives Urteil 19.6.2014 Specht
Wie schon im vorherigen Beitrag ausgeführt, ist aus deutscher Sicht das Thema eigentlich erledigt, da der EUGH am 19.06.2014 (Specht u. a.) folgende Auffassung vertrat (Tenor 3):
„Die Art. 2 und 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorschriften die Modalitäten der Überleitung von Beamten, die vor dem Inkrafttreten dieser Rechtsvorschriften verbeamtet worden sind, in ein neues Besoldungssystem festlegen und vorsehen, dass zum einen die Besoldungsstufe, der sie nunmehr zugeordnet werden, allein auf der Grundlage des unter dem alten Besoldungssystem erworbenen Grundgehalts ermittelt wird, obgleich dieses alte System auf einer Diskriminierung wegen des Alters des Beamten beruhte, und dass sich zum anderen der weitere Aufstieg in eine höhere Besoldungsstufe nunmehr allein nach der seit dem Inkrafttreten dieser Rechtsvorschriften erworbenen Berufserfahrung bemisst.“

Damit gab es einen Persilschein alle Klagen zum Überleitungsrecht und neuen Erfahrungsstufensystem konsequent abzuweisen. Deshalb gibt es auch keine neuen Vorlagen von deutschen Verwaltungsgerichten an den EuGH!
Diese „katastrophale“ Entscheidung des EuGH lag u.a. daran, dass das Vorlageersuchen des VG Berlin leider nicht perfekt war, so dass der EuGH viel mutmaßte. U. a. waren keine Besoldungstabellen vorgelegt worden, die das Funktionieren des Systems verdeutlichten. Desweitern ging der EuGH davon aus, dass den Bestandsbeamten ein Einkommensverlust drohe, wenn sie neu in das neue Erfahrungsstufensystem eingestellt würden. Diese Besitzstände galt es zu schützen?! Eine weitere Auseinandersetzung mit dem Urteil möchte ich zumindest an dieser Stelle nicht führen, weil sie nicht zielführend wäre. Auf Rn. 83 möchte ich nur hinweisen. Zudem kein gültiges Bezugssystem.

Der EuGH übersah aber selbst eine andere Diskriminierung: Zeiten vor dem 21. Lebensjahr wurden im alten BDA-System nicht berücksichtigt. So ist es unwahrscheinlich, dass junge Beamte, die vor dem 21. Lebensjahr ernannt wurden bei einer Neueinstellung in das neue Erfahrungsstufensystem Besitzstandsverlusten unterliegen.

1.2 Österreich Hütter 18.09.2009: Unionsrechtswidrig (Diskriminierung) Zeiten vor 18. Lebensjahr nicht zu berücksichtigen
Bereits am 18.09.2009 hatte der EuGH in der österreichischen Rs. Hütter (C‑88/08) eigentlich schon diese Diskriminierung als unionsrechtswidrig beanstandet:
„Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die, um die allgemeine Bildung nicht gegenüber der beruflichen Bildung zu benachteiligen und die Eingliederung jugendlicher Lehrlinge in den Arbeitsmarkt zu fördern, bei der Festlegung der Dienstaltersstufe von Vertragsbediensteten des öffentlichen Dienstes eines Mitgliedstaats die Berücksichtigung von vor Vollendung des 18. Lebensjahrs liegenden Dienstzeiten ausschließt.“

1.3 Österreich Schmitzer 11.11.2014: Besitzstandwahrung für Übergangszeitraum und keine Dauerwirkung der Benachteiligung
Diesen unionsrechtswidrigen Diskriminierungstatbestand bestätigte der EuGH in der österreichischen Rs. Schmitzer vom 11.11.2014 (C‑530/13), welche nur ca. 5 Monaten nach der deutschen Angelegenheit erging:
„1. Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach zur Beendigung einer Diskriminierung wegen des Alters Schulzeiten und Zeiten der Berufserfahrung, die vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt wurden, berücksichtigt werden, aber für die von dieser Diskriminierung betroffenen Beamten zugleich eine Verlängerung des für die Vorrückung von der jeweils ersten in die jeweils zweite Gehaltsstufe jeder Verwendungs- bzw. Entlohnungsgruppe erforderlichen Zeitraums um drei Jahre eingeführt wird.“

Beim Studium des Urteils, stolpert man über folgende Rn. 42 und 44:
Die Besitzstandwahrung und den Schutz des berechtigten Vertrauens der vom früheren System begünstigten Beamten in Bezug auf ihr Entgelt betrifft, ist festzustellen, dass sie legitime Ziele der Beschäftigungspolitik und des Arbeitsmarkts darstellen, die die Beibehaltung der bisherigen Vergütungen und somit einer Regelung, die zu einer Diskriminierung wegen des Alters führt, während eines Übergangszeitraums rechtfertigen können (vgl. in diesem Sinne Urteil Hennigs und Mai, C‑297/10 und C‑298/10, EU:C:2011:560, Rn. 90 und 92).
      Diese Ziele können jedoch eine Maßnahme nicht rechtfertigen, mit der – sei es auch nur für bestimmte Personen – eine Ungleichbehandlung wegen des Alters endgültig festgeschrieben wird, die durch die Reform eines diskriminierenden Systems, zu der diese Maßnahme gehört, beseitigt werden soll. Eine solche Maßnahme ist, auch wenn sie die Wahrung des Besitzstands und den Schutz des berechtigten Vertrauens der vom früheren System begünstigten Beamten sicherzustellen vermag, nicht geeignet, für die vom früheren System benachteiligten Beamten ein diskriminierungsfreies System zu schaffen.

D.h. Besitzstandwahrung für die Begünstigten nur für einen Übergangszeitraum! Keine dauerhafte (perpetuierende) Benachteiligung. Klingt irgendwie anders als die Entscheidung vom 19.06.2014.

1.4 Österreich Starjakob 28.01.2015: Bei gültigem Bezugssystem sind, solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen wurden, den Benachteiligten dieselben Vorteile zu gewähren wie den Priviligierten (Rn. 46)
Nochmals bekräftigt der EUGH diesen unionsrechtlichen Diskriminierungstatbestand am 28.01.2015 in der österreichischen Rs. Starjakob (C‑417/13):
„1. Das Unionsrecht – insbesondere Art. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die zur Beseitigung einer Altersdiskriminierung die vor dem vollendeten 18. Lebensjahr zurückgelegten Vordienstzeiten berücksichtigt, aber zugleich eine tatsächlich nur für Bedienstete, die Opfer dieser Diskriminierung sind, geltende Bestimmung enthält, die den für die Vorrückung in den jeweils ersten drei Gehaltsstufen erforderlichen Zeitraum um jeweils ein Jahr verlängert und damit eine Ungleichbehandlung wegen des Alters endgültig festschreibt.
2. Das Unionsrecht – insbesondere Art. 16 der Richtlinie 2000/78 – ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, mit der eine Altersdiskriminierung beseitigt werden soll, es einem Bediensteten, dessen vor der Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegte Vordienstzeiten bei der Berechnung seiner Vorrückung nicht berücksichtigt worden sind, nicht zwingend ermöglichen muss, einen finanziellen Ausgleich zu erhalten, der der Differenz zwischen dem Entgelt entspricht, das er ohne die Diskriminierung erhalten hätte, und dem Entgelt, das er tatsächlich erhalten hat. Gleichwohl bedeutet die Herstellung der Gleichbehandlung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, solange kein System zur Beseitigung der Diskriminierung wegen des Alters in einer mit der Richtlinie 2000/78 in Einklang stehenden Art und Weise eingeführt worden ist, dass den Bediensteten, die ihre Berufserfahrung, sei es auch nur teilweise, vor der Vollendung des 18. Lebensjahrs erworben haben, hinsichtlich der Berücksichtigung der vor der Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegten Vordienstzeiten, aber auch hinsichtlich der Vorrückung in der Gehaltstabelle dieselben Vorteile zu gewähren sind, wie sie den Bediensteten, die nach der Vollendung des 18. Lebensjahrs eine gleichartige Berufserfahrung in vergleichbarem zeitlichem Umfang erworben haben, zuteil geworden sind.“

1.5 Österreich Leitner 08.05.2019: erneut: Besitzstandswahrung für Übergangszeitraum und keine Dauerwirkung der Benachteiligung. Andere Auslegung (des Tenor) des Urteils Specht!
Wiederum in einer österreichischen Angelegenheit in der Rs. Leitner (C-396/17) traf der EuGH am 08.05.2019 und im Parallelverfahren in der Rs. Österreichischer Gewerkschaftsbund (C-24/17) folgende bedeutsame Entscheidung:
„1. Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer rückwirkend in Kraft gesetzten nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach zur Beseitigung einer Diskriminierung wegen des Alters die Überleitung von Beamten im Dienststand in ein neues Besoldungs- und Vorrückungssystem vorgesehen ist, in dem sich die erste Einstufung dieser Beamten nach ihrem letzten gemäß dem alten System bezogenen Gehalt richtet.
3. Das nationale Gericht ist, wenn nationale Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit der Richtlinie 2000/78 ausgelegt werden können, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den Rechtsschutz, der dem Einzelnen aus dieser Richtlinie erwächst, zu gewährleisten und für ihre volle Wirkung zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass die Wiederherstellung der Gleichbehandlung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt wurde und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen wurden, voraussetzt, dass den durch das alte Besoldungs- und Vorrückungssystem benachteiligten Beamten die gleichen Vorteile gewährt werden wie den von diesem System begünstigten Beamten, sowohl in Bezug auf die Berücksichtigung vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegter Vordienstzeiten als auch bei der Vorrückung in der Gehaltstabelle, und dass den diskriminierten Beamten infolgedessen ein finanzieller Ausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem Gehalt, das der betreffende Beamte hätte beziehen müssen, wenn er nicht diskriminiert worden wäre, und dem tatsächlich von ihm bezogenen Gehalt gewährt wird.“

Dabei sind die Rn. 45, 48 und 49 wichtig:
Die genannten Ziele können jedoch keine Maßnahme rechtfertigen, mit der – sei es auch nur für bestimmte Personen – eine Ungleichbehandlung wegen des Alters endgültig festgeschrieben wird, die durch die Reform, zu der diese Maßnahme gehört, beseitigt werden soll. Eine solche Maßnahme ist nicht geeignet, für die benachteiligte Personengruppe ein diskriminierungsfreies System zu schaffen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Januar 2015, Starjakob, C‑417/13, EU:C:2015:38, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
    Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass im Unterschied zu den Rechtssachen, die Gegenstand der Urteile vom 19. Juni 2014, Specht u. a. (C‑501/12 bis C‑506/12, C‑540/12 und C‑541/12, EU:C:2014:2005), und vom 9. September 2015, Unland (C‑20/13, EU:C:2015:561), waren, in denen der Besoldungsunterschied zwischen den beiden dort in Rede stehenden Gruppen von Bediensteten geringer wurde bzw. in bestimmten Fällen sogar schrittweise verschwand, in der vorliegenden Rechtssache aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht hervorgeht, dass die in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung vorgesehenen Mechanismen eine schrittweise Angleichung der Behandlung der durch das alte System benachteiligten Beamten an die Behandlung der begünstigten Beamten dergestalt erlauben, dass Erstere mittel- oder sogar kurzfristig die Letzteren gewährten Vorteile aufholen würden. Diese Mechanismen führen nicht dazu, dass sich nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums der Besoldungsunterschied verringert, der zwischen den begünstigten und den benachteiligten Beamten besteht (Rn 48).
Auch wenn die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung somit die Wahrung des Besitzstands und den Schutz des berechtigten Vertrauens der vom früheren System begünstigten Beamten sicherzustellen vermag, ist sie nicht geeignet, für die vom alten Besoldungs- und Vorrückungssystem benachteiligten Beamten ein diskriminierungsfreies System zu schaffen, da sie ihnen gegenüber die durch das frühere System geschaffene Diskriminierung wegen des Alters endgültig festschreibt.

D. h. der EUGH hat auch in den Rechtssachen Specht u. a. sowie Unland hinsichtlich der Überleitungsregelungen des Landes Berlin die Besitzstandswahrung nur als auslaufende Übergangsregelung für einen mittel- oder kurzfristigen Zeitraum bewertet und akzeptiert, da die Ungleichbehandlung der benachteiligten Beamten nicht endgültig festgeschrieben werden dürfe und die Besoldungsunterschiede der ungleich behandelten Beamten sich verringern oder verschwinden müssten.

Auffällig ist, das die verschiedenen Begriffe „Übergangszeitraum“, „Überleitung“ [und „Überleitungsregelungen“ bei Hennings und Mai sowie Unland] vom EUGH gleich bewertet werden, obwohl dies was völlig Unterschiedliches ist.

1.6 BRD: TK, UL, VM 20.20.2020 773/18 bis 775/18: Bestätigung anderer Auslegung des Urteils Specht. Besitzstandwahrung für Übergangszeitraum und keine Dauerwirkung der Benachteiligung
Diese Entscheidung befasst sich zum einen mit den Folgen einer Gehaltsnachzahlung der Umsetzung zweier Urteile des Bundesverfassungsgerichts wegen nicht amtsangemessener Besoldung in Form einer prozentualen Nachzahlung auf die Lebensalterstufen und zum anderen um Fristenfragen.

Wichtig ist hier der Tenor:
„1. Die Art. 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer Maßnahme nicht entgegenstehen, mit der Beamten und Richtern im Hinblick auf die Gewährleistung einer angemessenen Vergütung eine Besoldungsnachzahlung in Höhe eines Prozentsatzes des Grundgehalts gewährt wird, das sie zuvor u. a. gemäß einer für die jeweilige Besoldungsgruppe bei ihrer Einstellung nach ihrem Lebensalter bestimmten Grundgehaltsstufe bezogen haben, soweit eine solche Maßnahme erforderlich ist, um unter Umständen, die insbesondere sowohl durch eine hohe Zahl von betroffenen Beamten und Richtern als auch durch das Fehlen eines gültigen Bezugssystems gekennzeichnet sind, den Schutz erworbener Rechte zu gewährleisten, und soweit sie nicht dazu führt, eine Ungleichbehandlung wegen des Alters zeitlich unbegrenzt zu erhalten.

Es wird eigentlich keine Unionsrechtswidrigkeit festgestellt, aber unterstellt das die Maßnahme nicht dazu führen darf, dass eine Ungleichbehandlung wegen Alters zeitlich unbegrenzt fortwirkt.

In Rn. 48 wird ausgeführt:
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in den Rn. 63, 72 und 86 des Urteils vom 19. Juni 2014, Specht u. a. (C‑501/12 bis C‑506/12, C‑540/12 und C‑541/12, EU:C:2014:2005), entschieden hat, dass die Art. 2 und 6 der Richtlinie 2000/78 einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die darauf abzielt, eine Diskriminierung wegen des Alters zu beseitigen und die für einen Übergangszeitraum auf die frühere, auf einer Ungleichbehandlung wegen des Alters beruhende Besoldungsregelung Bezug nimmt, wenn ein solcher Bezug erforderlich ist, um den Schutz erworbener Rechte zu gewährleisten und seine Auswirkungen mit der Zeit abnehmen und verschwinden.
    Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung ist festzustellen, dass, soweit eine Maßnahme wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende erforderlich ist, um unter Umständen, die insbesondere sowohl durch eine hohe Zahl von betroffenen Beamten und Richtern als auch durch das Fehlen eines gültigen Bezugssystems gekennzeichnet sind, den Schutz erworbener Rechte zu gewährleisten, und soweit sie nicht dazu führt, eine Ungleichbehandlung wegen des Alters zeitlich unbegrenzt zu erhalten, die Art. 2 und 6 der Richtlinie 2000/78 es nicht verbieten, dass an ein solches früheres Besoldungssystem eine Besoldungsnachzahlung anknüpft, mit der Beamten und Richtern für eine begrenzte Übergangszeit vor Inkrafttreten einer neuen Regelung, die das Ziel verfolgt, eine Diskriminierung wegen des Alters zu beseitigen, eine Besoldung gewährleistet werden soll, die der Bedeutung der ausgeübten Funktionen entspricht (Rn 50).

Rn 86 in Specht lautet aber:
Somit ist auf die sechste und die siebte Frage zu antworten, dass die Art. 2 und 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorschriften die Modalitäten der Überleitung von Beamten, die vor dem Inkrafttreten dieser Rechtsvorschriften verbeamtet worden sind, in ein neues Besoldungssystem festlegen und vorsehen, dass zum einen die Besoldungsstufe, der sie nunmehr zugeordnet werden, allein auf der Grundlage des unter dem alten Besoldungssystem erworbenen Grundgehalts ermittelt wird, obgleich dieses alte System auf einer Diskriminierung wegen des Alters des Beamten beruhte, und dass sich zum anderen der weitere Aufstieg in eine höhere Besoldungsstufe nunmehr allein nach der seit dem Inkrafttreten dieser Rechtsvorschriften erworbenen Berufserfahrung bemisst.

Dies bedeutet jedoch, wie bereits oben ausgeführt, dass der 2. Tenor des Urteils Specht so nicht mehr anwendet und verstanden werden darf.

« Last Edit: 06.11.2022 16:03 von Eike1966 »

Eike1966

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Fazit zu 1 (Überleitungsvorschriften):
Der EuGH beurteilt Überleitungs- und Überführungsregelungen (vom unionsrechtswidrigen Lebensaltersystem in ein Erfahrungsstufensystem) als nicht europarechtskonform, wenn diese Vorschriften die Benachteiligung dauerhaft festschreiben. Eine Besitzstandswahrung der Bevorteilten ist nur für einen Übergangzeitraum zulässig. Die Benachteiligung muss auslaufen.


Die Rechtsprechung des EuGH hierzu ist als beständig und gefestigt zu betrachten. Sofern deutsche Besoldungs-Überleitungsvorschriften die Benachteiligung dauerhaft festschreiben, sollte eigentlich ein Vorabentscheidungsgesuch erfolgversprechend sein.

1.7 Welche deutschen Übergangsregelungen dürften unionsrechtswidrig und damit altersdiskriminirend sein?

Hierzu kann ich nur was zu NRW und Berlin sagen, da ich mir nur diese Regegelungen angeschaut habe.

a) NRW:
Durch die Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe a (und Artikel 2) des Dienstrechtsanpassungsgesetzes vom 16.05.2013 (GV. NRW. S. 234) wurde das Bundesbesoldungsgesetz in der Bekanntmachung der Neufassung des Bundesbesoldungsgesetzes vom 06.08.2002 (BGBl. I. S. 3020) in nordrhein-westfälisches Landesrecht unter der Bezeichnung „Übergeleitetes Besoldungsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (ÜBesG NRW)“ zum 01.06.2013 (Artikel 13) überführt.
In Artikel 2 Nr. 5 ff wurde die neuen Vorschriften für das Erfahrungsstufensystem für neu eingestellte Beamte geregelt (§ 27 ff ÜBesG NRW). Der Wortlaut ist hier nicht wichtig.
Artikel 2 Nr. 12 lautete wie folgt:
„Anlage IV wird wie folgt geändert:
1. In der Grundgehaltstabelle A werden die Werte der Stufe 3 in den Besoldungsgruppen A 12 bis A 14 und die Werte der Stufe 4 in den Besoldungsgruppen A 13 und A 14 gestrichen
Mit Artikel 3 des Dienstrechtsanpassungsgesetzes wurde mit Wirkung vom 01.06.2013 das „Gesetz zur Überleitung der vorhandenen Beamtinnen, Beamten, Richterinnen, Richter, Versorgungs-empfängerinnen und Versorgungsempfänger in die neuen Grundgehaltstabellen“ in Kraft gesetzt.
§ 1 des Gesetzes hatte folgenden Wortlaut:
„(1) Beamtinnen und Beamten der Besoldungsordnung A werden den Stufen des Grundgehalts der Anlage IV Nummer 1 des Übergeleiteten Besoldungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen mit den Änderungen nach Artikel 2 zugeordnet. Die Zuordnung erfolgt jeweils zu der Erfahrungsstufe der Besoldungsgruppe, die der Nummerierung der Stufe des Grundgehalts am Tag vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes entspricht. Weist die neue Grundgehaltstabelle in der entsprechenden Stufe keinen Betrag aus, erfolgt die Zuordnung zu der ersten mit einem Betrag ausgewiesenen Stufe der entsprechenden Besoldungsgruppe….
(2) Mit der Zuordnung zu einer Erfahrungsstufe beginnt das Aufsteigen in den Stufen nach § 27 Absatz 3 des Übergeleiteten Besoldungsgesetzes für das Land Nord-rhein-Westfalen in der Fassung des Artikels 2 Nummer 5. Bereits in einer entsprechenden Stufe verbrachte Zeiten mit Anspruch auf Dienstbezüge ab dem Monat, in dem die Beamtin oder der Beamte das 21. Lebensjahr vollendet hat, werden angerechnet, § 28 Absatz 2 des Übergeleiteten Besoldungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung des Artikels 2 Nummer 6 gilt entsprechend.“


Für übergeleitete Bestandsbeamte hat sich genau nichts verändert:

Aus dem Wort „Stufe“ wurde das Wort „(Erfahrungs-)Stufe.“ Da die Stufenlaufzeiten in den Regelungen des § 27 Abs. 3 S. 1 ÜBesG NRW mit denen des § 27 Abs. 2 BBesG a.F. identisch sind (selber Wortlaut), die Grundgehaltssätze in den Stufen die gleichen sind und die Stufennummerierungen die gleichen sind, sind die Gesetzesänderungen rein deklaratorisch und perpetuieren die Benachteiligten dauerhaft!

Sogar die weitere Diskriminierung, dass hauptberufliche Zeiten vor dem 21. Lebensjahr nicht berücksichtigt werden, wird dauerhaft festgeschrieben.

Fazit für NRW:
Die Überleitungsregeln des Landes NRW führen zu einer dauerhaften Festschreibung der Benachteiligung. Sie sind daher nicht unionsrechtskonform, unwirksam und können nicht angewendet werden.


b) Berlin:
Im Urteil Specht wurde in Rn 83 ausgeführt:
Im Übrigen geht aus den Vorlageentscheidungen hervor, dass das BerlBesÜG zur Folge hat, dass die Besoldungsdifferenz nahezu gleich bleibt, und zwar solange, bis die Bestandsbeamten die höchste Stufe ihrer Besoldungsgruppe erreicht haben; sie enthalten dazu allerdings keine näheren oder konkreteren Angaben. Die deutsche Regierung hat ausgeführt, es gebe zwei Mechanismen, die geeignet seien, den Besoldungsunterschied, der dadurch entstehe, dass zwei Beamte aufgrund ihres Alters in unterschiedliche Stufen eingestuft würden, zu verringern oder sogar zu beseitigen. Die Verringerung der Stufenzahl und die Neueinstufung der Beamten in eine Besoldungsstufe, die ihrem früheren auf den vollen Euro-Betrag aufgerundeten Grundgehalt entspreche, führe dazu, dass sich die Besoldungsdifferenz verringere und in bestimmten Fällen nach einigen Jahren entfalle.

Ich erlaube es mir hier einfach das Ergebnis darzustellen. Schließlich sollen die Berliner Kollegen selber nachdenken, wenn es für Sie wichtig wäre. Die Darstellung der Gesetzesmaterialien ist sehr aufwendig.
Festzustellen ist schon mal zunächst, dass nicht in allen Besoldungsgruppen eine Verringerung der Stufenanzahl erfolgte; vgl. BesGrp. A6 von 7 auf 8 Stufen hoch!
Durch eine betragsmäßige Überleitung aufgrund der erreichten Stufe wird die Benachteiligung perpetuiert. Menschen, die früh (16. Lebensjahr) in die Beamtenlaufbahn eingestiegen sind, bekommen diese gewonnene Erfahrung nicht honoriert gegenüber Späteinsteigern beispielsweise im Alter von 30 Jahren. Sie haben dieselbe Lebensalterstufe am Tage der Überleitung erreicht.
Im Falle der direkten Stufenzuordnung gibt es keinen Aufholmechanismus.
Bei der Zuteilung in einer Übergangsstufe gibt es evtl. einen Aufholmechanismus, da die max. Verweildauer in der Überleitungsstufe 2 Jahre beträgt.
Aufholeffekte wirken nur, wenn zum Zeitpunkt der Überleitung das 30. Lebensjahr bereits vollendet wurde und zudem noch eine Überleitung in eine Überleitungsstufe erfolgt. Der evtl. Aufholeffekt beträgt in der Überleitungsstufe maximal zwei Jahre an Erfahrungszeiten. Der Aufholeffekt ist die zwei Jahre übersteigende (ursprüngliche) Stufenrestlaufzeit. Dabei können schon bei Einstellungen im Alter von 18 Jahren über 12 Jahre an Erfahrungszeiten nicht berücksichtigt worden sein. Das System benachteiligt junge Beamte!

Fazit Berlin:
Die Feststellungen in Rn. 48 des Urteils des EuGHs vom 08.05.2019 in der Rs. Leitner (C-396/17) sind auch für die Überleitungsregelungen des Landes Berlin zutreffend, da die diskriminierende Überleitungsvorschriften zeitlich unbegrenzt fortwirken!


Wer hätte das gedacht?
Das Urteil war bezüglich des 3. Tenor in der Sache Specht einfach falsch!

Zu Anträgen bei den Dienstherren wegen altersdiskriminiernder Besoldung sowie die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem AGG mache ich keine Ausführungen.

SwenTanortsch

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Ein richtig schöner Beitrag, Eike, den ich gerade nur überflogen und sicherlich mindestens noch einmal gründlich lesen werde (ich bewerte im Forum i.d.R. keine Beiträge, weder positiv noch negativ; Deinen habe ich gerade positiv bewertet, leider konnte ich nicht beide entsprechen bewerten)! Auch wenn Du schreibst, Du wolltest hier keinen wissenschaftlichen Artikel schreiben, so ist er das nach meinem Empfinden doch schon weitgehend. Soll heißen: Ich würde an Deiner Stelle überlegen, ihn zu einem entsprechenden Artikel auszuarbeiten - also insbesondere zu Beginn eine Fragestellung zu erstellen (sie ist ja praktisch schon gegeben und wird im Artikel mehr als deutlich) und den an ihr dann so erarbeiteten Beitrag z.B. der DÖV anzubieten. Ob des qualitativen Gehalts Deiner Ausführungen würde es mich wundern, wenn er nicht zur Veröffentlichung angenommen werden würde. Ich gehe davon aus, dass in der Fachöffentlichkeit (und nicht zuletzt auch von Gewerkschaftsseite) ein Interesse an Deiner Betrachtung besteht.