Autor Thema: Tarifverhandlungen TVöD 2023 - Diskussion I  (Read 802644 times)

SVAbackagain

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Antw:Tarifverhandlungen TVöD 2023 - Diskussion
« Antwort #1605 am: 05.02.2023 11:30 »
Ich sehe da zwei Ebenen. Die eine ist Gewerkschaftsfolklore ohne Wert, die zurecht niemanden interessiert, der relevant für die Verhandlungen ist. Die andere ist die Arbeitskampfmaßnahme Streik, bei der der Arbeitgeber merkt, dass (noch mehr) Arbeiten unerledigt bleiben und die bei längerer Dauer sich auch auf dessen Verwaltungsobjekte auswirken. Ich sehe keine „Ich habe mit Gewerkschaftsforderungen sympathisiert und der zur Wahl stehende Protagonist hat sie nicht erfüllt“-Wahlentscheidungen, wohl aber „Die haben es nicht mal geschafft, mir [beliebige Transferleistung] auszuzahlen/meine Kinder zu betreuen/meinen Bauantrag zu genehmigen/meinen Müll abzuholen“-Wahlentscheidungen.

Opa

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« Antwort #1606 am: 05.02.2023 11:38 »
Ich sehe einen qualitativen Unterschied zwischen einem Streik und einem Warnstreik. Letzterer ist in erster Linie eine Botschaft an den Arbeitgeber mit dem Inhalt: „Wir sind im Ernstfall in der Lage, deine Betriebsabläufe erheblich zu stören. Falls du uns in der Verhandlung nicht entgegenkommst, musst du mit Arbeitsniederlegung in entsprechendem Umfang rechnen.“
Der eigentliche Streik ist die Realisierung dieser Warnung.

SVAbackagain

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« Antwort #1607 am: 05.02.2023 11:46 »
Durchaus. Und das demontiert man damit, dass man es kurzzeitig tut. Und nicht etwa, indem man sich Urlaub nimmt, um Fähnchen zu schwingen. Siehe die sehr wirkungsvollen GDL-Warnstreiks vs. Kommando Warnweste in die bayrische Provinz.

Opa

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« Antwort #1608 am: 05.02.2023 11:54 »
Eine Frage der Verhandlungstaktik. Fange ich mit Nadelstichen an, um den Druck im weiteren Fortgang zu erhöhen oder schieße ich direkt beim ersten Widerstand mit Kanonen auf Spatzen.
Die Demonstration der eigenen Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen durch die Teilnahme an einer Kundgebung unter Verzicht auf einen Urlaubstag ist ebenfalls ein unmissverständliches Signal an den Arbeitgeber.
Aufgrund der fehlenden Datengrundlage mangelt es aber an hinreichend konkreten Grundlagen für eine Bewertung.

SVAbackagain

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« Antwort #1609 am: 05.02.2023 11:59 »
Ein Warnstreik ist stets nur ein kleiner Nadelstich, weil er zeitlich und ggfs. räumlich begrenzt ist. Wofür jemand Erholungsurlaub nimmt, interessiert den Arbeitgeber nicht. Das darf er ja nicht mal erheben. Wie man dem Arbeitgeber etwas signalisieren könnte, was dieser nicht einmal wahrnimmt, erschließt sich mir nicht. Erst recht nicht, wenn es eine Kundgebung ist, die die öffentliche Wahrnehmung völlig unterläuft.

FearOfTheDuck

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« Antwort #1610 am: 05.02.2023 13:24 »
Die eine ist Gewerkschaftsfolklore ohne Wert, die zurecht niemanden interessiert, der relevant für die Verhandlungen ist.

Das ist ein wichtiger Punkt. Wenn Verdi von 10000 Teilnehmern berichtet, ist doch nicht einmal sicher, ob auch nur ein Streikender darunter ist. Genauso wenig ist die Teilnahme auf Verdi-Mitglieder beschränkt. Wenn also theoretisch 9992 Sympathisanten durch die Straßen ziehen, welchen Bezug soll das dann zu einem Streik haben. Eher "viel Lärm um nichts" oder ein Döschen Symbolik, als dass ein AG Schweißausbrüche bekäme. 

Opa

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« Antwort #1611 am: 05.02.2023 14:06 »
Wie bei jeder Verhandlung ist doch die Frage, wie die Gegenseite dazu bewegt werden kann, möglichst weitgehend auf meine Forderung einzugehen.
Ein paar Seiten vorher habe ich auf die aus meiner Sicht wesentliche Aspekte von Leidensdruck (fehlende Arbeitskräfte) sowie Produktivität hingewiesen.

Unterhalb dessen lassen sich weitere Angriffspunkte differenzieren; wie Image, politischer Druck, Mitarbeitermotivation.

Bei öffentlichen Arbeitgebern kommt die Besonderheit hinzu, dass über das Geld der Allgemeinheit sowie den Nutzen seiner Verwendung und nicht über den Gewinn einer begrenzten Interessengruppe wie Gesellschafter, Anteilseigner oder Inhaber zu verfügen ist.

Worin also bestehen die Hebel für den einzelnen Arbeitnehmer und wo für die organisierten Arbeitnehmer, Forderungen umzusetzen?

SVAbackagain

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« Antwort #1612 am: 05.02.2023 14:10 »
Durch Arbeitsniederlegungen die öffentlichen Dienstleistungen derart massiv zu stören, dass man überall meint, man sei in Berlin.

Organisator

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« Antwort #1613 am: 05.02.2023 14:12 »
Durch Arbeitsniederlegungen die öffentlichen Dienstleistungen derart massiv zu stören, dass man überall meint, man sei in Berlin.
Und was machen dann die Berliner, wenn streiken nicht hilft?

armerknecht

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« Antwort #1614 am: 05.02.2023 14:16 »
Ist eines der Ziele einer Gewerkschaft bei einer Verhandlung einen Reallohnverlust zu vermeiden?

Ist es wahrscheinlich das Herr Scholz nun endlich darum bittet das der öffentliche Dienst die 3000 Euro Netto an seine Mitarbeiter auszuschütten?

SVAbackagain

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« Antwort #1615 am: 05.02.2023 14:18 »
Durch Arbeitsniederlegungen die öffentlichen Dienstleistungen derart massiv zu stören, dass man überall meint, man sei in Berlin.
Und was machen dann die Berliner, wenn streiken nicht hilft?
Die sind doch im Dauerstreik.

SVAbackagain

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« Antwort #1616 am: 05.02.2023 14:19 »
Ist eines der Ziele einer Gewerkschaft bei einer Verhandlung einen Reallohnverlust zu vermeiden?

Ist es wahrscheinlich das Herr Scholz nun endlich darum bittet das der öffentliche Dienst die 3000 Euro Netto an seine Mitarbeiter auszuschütten?

Eines der Ziele irgendeiner Gewerkschaft bestimmt. Wen interessieren Bitten von Herrn Scholz?

FearOfTheDuck

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« Antwort #1617 am: 05.02.2023 14:23 »
Durch Arbeitsniederlegungen die öffentlichen Dienstleistungen derart massiv zu stören, dass man überall meint, man sei in Berlin.
Und was machen dann die Berliner, wenn streiken nicht hilft?

Business as usual? ;)

Opa

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« Antwort #1618 am: 05.02.2023 14:27 »
Als öffentlicher Arbeitgeber habe ich im Gegensatz zu privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen beispielsweise nicht (oder kaum) das Druckmittel, mit Stellenabbau zu drohen. Wohingegen der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst seit einigen Jahren immer mehr das Druckmittel hat, zu einem privaten Unternehmen zu wechseln. Ich denke schon, dass sich das Kräfteverhältnis im Gegensatz zu 1999 spürbar zugunsten der Arbeitnehmer verschoben hat.

FearOfTheDuck

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« Antwort #1619 am: 05.02.2023 14:45 »
Das mag schon stimmen, hat aber nicht etwas mit dem Streik oder seinem vermummten Pseudobruder zu tun.

SVA hat effektive Beispiele genannt, bei denen die Arbeitsniederlegung auch im ÖD Druck erzeugen kann (Kita, Müll, Bauantrag, Transferleistungen). Damit hast du dann auch die Hebel für Gewerkschaft oder den einzelnen Mitarbeiter.

Wobei die Frage ist, wie sehr Verdi und Co überhaupt weh tun wollen, etwa im Vergleich mit den GDL-Warnstreiks...
Oder inwieweit sie so mächtig sind.