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[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation

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PolareuD:
BVerfG: Möglichkeiten zur Vollstreckung von Entscheidungen


--- Zitat von: Besoldungswiderspruch am 02.03.2024 09:02 ---
….

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bundesverfassungsgericht-resilienz-vollstreckung-bundeszwang-rechtsstaat-politik/

--- End quote ---

Finanzer:
Sehr lesenswerte Geschichtsstunde über die Entwicklung der Rechtssprechung zur Besoldung ab Kind Nr. 3


--- Zitat von: SwenTanortsch am 06.03.2024 10:32 ---
--- Zitat von: Blablublu am 06.03.2024 07:03 ---https://www.spiegel.de/politik/der-super-eckmann-a-1f25789c-0002-0001-0000-000013687920

So alt ist das Thema amtsangemessene Alimentation schon, und bei dem 3. Kind hat man es mehr als 40 Jahre nicht auf die Reihe bekommen...

--- End quote ---

Du machst mit dem Link auf eine historische Entwicklung aufmerksam, die die erwartbare Blaupause für unsere heutige Situation darstellen dürfte, Blablublu. Betrachten wir also mal ein wenig Geschichte, um zu sehen, was offensichtlich nun alsbald vor uns liegt, und betätigen uns so als "rückwärtsgekehrter Prophet" (ich teile den Beitrag mal wieder in zwei Abschnitte, da er die 20.000 Zeichen überschreitet). Denn zunächst einmal bringt der Anspruch des Beamten, dass seine Alimentation per Gesetz zu regeln ist, Begehrlichkeiten mit sich, die beinahe so alt sind, wie dieser hergebrachte Grundsatz des Berufsbeamtentums. Das zu singende Lied ist also jenes von der ewigen Wiederkunft des Gleichen; manche der nachfolgenden Zitate aus der Vergangenheit werden den einen oder anderen an aktuelle erinnern:

Wie hier schon mehrfach dargelegt, sind hinsichtlich des alimentativen Mehrbedarfs ab dem dritten Kind mittlerweile vier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich, die zugleich mit hoher Wahrscheinlichkeit von ihrer Struktur her den Weg weisen für unsere heutige Alimentationssituation. Diese vier Entscheidungen sind in den Jahren 1977 als Verfassungsbeschwerde und ab 1990, 1998 und schließlich 2020 im Parallelverfahren zu unserer aktuellen Entscheidung als konkrete Normenkontrollverfahren ergangen (wobei das Parallelverfahren aus dem Jahr 2020 in gewisser Hinsicht eine Aktualisierung darstellt, ohne dass ich hierauf in diesem Beitrag weiter eingehen möchte).

1977 hat der Senat im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde unter anderem festgestellt, dass die vom Gesetzgeber gewährten familienbezogenen Besoldungskomponenten ab dem dritten Kind nicht hinreichten, um den alimentativen Mehrbedarf ab dem dritten Kind zu decken. Der entsprechende Zuschlag hatte zwischen 1964 und 1971 unverändert monatlich 50,- DM für alle Kinder betragen und war dann mit der gesetzlichen Regelung vom 26.07.1974 auf 52,17 DM für das erste Kind sowie auf 61,05 DM für jeweils das zweite bis fünfte Kind sowie auf 76,04 DM ab dem sechsten Kind erhöht worden. Ab 1975 griff eine Neuregelung als Folge der Neustrukturierung des Kindergelds, auf die hier nicht weiter eingegangen werden muss, die jedoch zu einer deutlichen Abschmelzung der familienbezogenen Besoldungskomponenten aller betroffenen Beamten (also nicht nur hinsichtlich von kinderreichen Beamten) führte; sie wurde 1977 mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen. Den Beschwerdeführern sprach der Senat damals Recht zu, um innerhalb der Komplexität des Verfassungsrechts in der Verfassungsbeschwerde nur zu folgendem Ergebnis gelangen zu können:

"Das Bundesverfassungsgericht mußte sich auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Rechtslage beschränken und es dem Gesetzgeber überlassen, die festgestellte Verfassungswidrigkeit durch eine verfassungsgemäße Regelung zu ersetzen. Diese muß nicht notwendigerweise zu einer Erhöhung der Gesamtausgaben für die Besoldung der Beamten und Soldaten führen." (vgl. hier die Rn. 101 unter https://openjur.de/u/173228.html).

Beide Sätze und also auch der letzte Satz des Zitats waren nun die Konsequenz daraus, dass das Alimentationsprinzip gebietet, das Gehalt als Ganzes zu betrachten, das zu regeln der Besoldungsgesetzgeber im Rahmen seines verfassungsrechtlich bestehenden weiten Entscheidungsspielraum verpflichtet ist: Der Besoldungsgesetzgeber musste also als Folge der Entscheidung nicht zwangsläufig familienbezogene Besoldungskomponenten anheben, sondern er sah sich in der Pflicht, am Ende für eine gesetzliche Regelung zu sorgen, mit der alle Beamten amtsangemessen alimentiert werden mussten. Hier konnte der Senat also im Zuge der Verfahrensart der Verfassungsbeschwerde nur den verfassungswidrigen Zustand feststellen, als dessen Konsequenz sich der Besoldungsgesetzgeber gezwungen sah, ein Gehalt als Ganzes zu gewähren, das zu einer amtsangemessenen Alimentation führen musste.

Folge der Entscheidung war nun allerdings, dass der Besoldungsgesetzgeber 1978 zwar zunächst geplant hatte, die familienbezogenen Besoldungskomponenten wieder deutlich anzuheben, um dann allerdings in den uns heute nicht ganz unbekannten Einsparmodus zurückzufallen. Entsprechend dürfte die nachfolgende Passage dem einen oder anderen hier nicht gänzlich unbekannt vorkommen, wie sie der Zweite Senat 1990 im betreffenden ersten Normenkontrollverfahren wie folgt zusammengefasst hatte:

"Die Bundesregierung habe [als Folge der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung aus dem Jahr 1977] weiter beschlossen, daß das Siebente Bundesbesoldungserhöhungsgesetz insoweit nur für die Zeit bis zum 31. Dezember 1978 Auswirkungen haben könne. Vom 1. Januar 1979 an wären danach die kinderbezogenen Anteile des Ortszuschlags ab Stufe 5 wieder auf die Beträge zu senken, die einer Anhebung um 4,5 v.H. entsprächen. Die Ortszuschlagsanteile wären demnach - wieder - abzusenken in Stufe 5 von 90 DM auf 39,45 DM, in den Stufen 6 und 7 von je 110 DM auf 74,77 DM und in den Stufen 8 ff. von 110 DM auf 93,13 DM. [...] Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern führte in seiner Stellungnahme u.a. aus (a.a.O., S. 9278 [D f.]), einer der schwierigsten Punkte sei die korrekte Erfüllung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur familiengerechten Besoldung gewesen. Die Bundesregierung sei sich dabei eines gewissen, wenn auch geringen, verfassungsrechtlichen Risikos bewußt. Sie gehe aber davon aus, daß der Gesetzentwurf das finanziell und politisch zur Zeit Mögliche vorsehe." (hier die Rn. 19 ff.)

Hinsichtlich des alimentativen Mehrbedarfs hatte der Besoldungsgesetzgeber nun nach der 1977 erlassenen Entscheidung des Senats also zwar eine unmittelbare Entscheidung getroffen, um dann jedoch ab 1979 in alte Fahrwasser zurückzukehren und sich entsprechend bis 1990 weiterhin in weitgehender Untätigkeit zu üben, entsprechend hob der Senat nun im ersten betreffenden Normenkontrollverfahren hervor: "Nachdem der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 im Juli dieses Jahres bekannt geworden war, wäre der Gesetzgeber verpflichtet gewesen, die in dieser Entscheidung als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit Wirkung vom 1. Januar 1977 generell mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen." (hier die Rn. 81)

In diesem Kontext ist nun der Spiegelbeitrag aus dem Jahr 1992 zu sehen; 1990 war eine Entscheidung in einem konkreten Normenkontrollverfahren und nicht mehr in einer Verfassungsbeschwerde ergangen. Der Senat hatte in diesem Rahmen die familienbezogenen Besoldungskomponenten ab dem dritten Kind, wie sie unter anderem 1979 per Gesetz geregelt worden waren, als verfassungswidrig betrachtet und also für den Klagezeitraum von Juli 1976 bis Januar 1981 einen nicht verfassungskonformen Familienzuschlag ab dem dritten Kind festgestellt (vgl. hier weiterhin die Rn. 81).

Allerdings harrte nach 1990 - anders, als das der Spiegelbeitrag vermuten ließe - auch der "Super-Eckermann" seiner gesetzlichen Regelung und fand schließlich nur eine weitgehend "abgespeckte" Version seinen gesetzlichen Widerhall, sodass der Zweite Senat nun seine 1977 und 1990 ausgeformte Rechtsprechung Ende der 1990er Jahre noch weiter konkretisierte, um so seine Besoldungsdogmatik zum alimentativen Mehrbedarf weiter zu präzisieren. Wie also eben festgehalten - und wie es nicht nur für die seit 2021 hinsichtlich der Bundesbesoldung ergangenen Schritte nicht ganz untypisch ist -, wurden erste Reformvorstellungen, wie sie eingangs des Gesetzgebungsverfahren vorhanden waren, in dessen Verlauf zunehmend "abgeschmirgelt", um am Ende vor allem als Kosteneinsparungskonzept bestehen zu bleiben und entsprechend verabschiedet zu werden. Entsprechend hob der Senat 1998 zunächst in seinem ersten Leitsatz hervor, den Besoldungsgesetzgeber an seine verfassungsrechtlichen Pflichten erinnernd:

"Der Dienstherr ist aufgrund des Alimentationsprinzips (Art. 33 Abs. 5 GG) verpflichtet, dem Beamten amtsangemessenen Unterhalt zu leisten. Dies umfaßt auch die Pflicht, die dem Beamten durch seine Familie entstehenden Unterhaltspflichten realitätsgerecht zu berücksichtigen. Damit trägt der Dienstherr nicht zuletzt der Aufgabe des Berufsbeamtentums Rechnung, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu gewährleisten (Bestätigung von BVerfGE 44, 249; 81, 363)." (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 24. November 1998 - 2 BvL 26/91 -, https://www.bverfg.de/e/ls19981124_2bvl002691.html).

Zugleich betrachtete der Senat nun die Sachlage, wie sie sich seit 1977 entwickelt hatte, für den Zeitraum des konkreten Normenkontrollverfahren, der sich von 1988 bis 1996 erstreckte, und fasste sie wie folgt zusammen, auch hier dürften euch hinsichtlich der hervorgehobenen Passagen die Ohren klingeln; denn auch hier findet sich das ewig gleiche Lied des von Beamten zu erbringenden "Sonderopfers", weshalb diese Hervorhebungen sich auch später immer wieder in Gesetzesbegründungen fanden (man beachte dabei die abschließende Passage ab dem Ende der dritten Randnummer, der das Handeln der damaligen Politik nach 1992 zusammenfasst, wie es sich in dem Spiegelbeitrag im vorletzten Absatz abgezeichnet hatte):

"Durch die Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze 1987, 1988, 1991, 1992, 1993, 1994 und 1995 paßte der Gesetzgeber die Besoldungs- und Versorgungsbezüge der Beamten, Richter, Soldaten und Versorgungsempfänger der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse an. Die Erhöhungen traten im Vergleich zu den Tarifabschlüssen für den Arbeitnehmerbereich des öffentlichen Dienstes teilweise mit zeitlichen Verzögerungen in Kraft. Dadurch sollte ein spürbarer besonderer Beitrag zum Ausgleich der Kostenbelastungen geleistet werden, die nach der Einigung Deutschlands durch den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern entstanden waren (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 93, BTDrucks 12/5472, S. 21). Zudem sollte durch das zeitliche Hinausschieben der linearen Erhöhungen ein besonderer Beitrag zur Haushaltsentlastung erbracht werden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 94, BTDrucks 12/7706, S. 23). Der Ortszuschlag ab dem dritten Kind wurde über die allgemeinen Anpassungen hinaus nicht erhöht, obgleich das nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 (BVerfGE 44, 249) und vom 22. März 1990 (BVerfGE 81, 363) geboten war. Dort hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile vom dritten Kind an hinter den verfassungsrechtlichen Erfordernissen zurückgeblieben waren (vgl. BVerfGE 44, 249 <279>; 81, 363 <379>). Die Bundesregierung begründete ihre Entscheidung, die verfassungsgerichtlichen Vorgaben nicht umzusetzen, mit dem Zusammenhang von kinderbezogenen Besoldungsbestandteilen und der Neuordnung des Familienleistungsausgleichs, dessen endgültige Ausgestaltung erst feststehen müsse (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 95; BTDrucks 13/2210, S. 22).

Erst mit dem Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz) vom 24. Februar 1997 (BGBl I S. 322) zog der Bundesgesetzgeber für den Zeitraum vom 1. Januar 1977 bis 31. Dezember 1989 Folgerungen aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990. Kläger und Widerspruchsführer, die ihren Anspruch innerhalb des genannten Zeitraums geltend gemacht haben, ohne daß über diesen schon abschließend entschieden worden ist, erhalten für das dritte und jedes weitere im Ortszuschlag zu berücksichtigende Kind einen monatlichen Erhöhungsbetrag von 50,-- DM (Art. 14 § 3 Reformgesetz)." (Rn. 3 f.; Hervorhebungen durch mich)

Vergleicht man nun also die 1997 ergangene rückwirkende Erhöhung um monatlich 50,- € mit den Beträgen, die der Spiegelbeitrag auf Basis des Berichts der Reformkommmission 1992 als Teil der damaligen Planungen genannt hat, dann findet man hier weiterhin genau ein solches Handeln, wie wir es seit 2021 nun in nicht unähnlicher Form in den mittlerweile 17 Rechtskreisen finden: Nicht zuvörderst das Verfassungsrecht leitet(e) das Handeln des Gesetzgebers, sondern es wurde und wird vor allem durch das Interessen an Kosteneinsparungen dominiert. Weiterhin ging es also so wie heute vor allem darum, möglichst geringste Folgen aus den Rechtsprechung des Senats zu ziehen, um so weiterhin Kosteneinsparungen vorzunehmen, von denen der Gesetzgeber auch damals wusste, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum verfassungskonform sein konnten.

--- End quote ---

Finanzer:
Die Entwicklung der Besloldung ab Kind Nr.3, Teil Zwei


--- Zitat von: SwenTanortsch am 06.03.2024 10:32 ---Um dem entgegenzuwirken, hatte Karlsruhe in den genannten drei Entscheidungen der Jahre 1977, 1990 und 1998 nun hinsichtlich des alimentativen Mehrbedarfs nach und nach den 15 %igen Mindestabstand zum Grundsicherungsniveaus ausgeformt, der 1998 also zunächst nur hier - für den alimentativen Mehrbedarf - unmittelbare Realität wurde (vgl. den Zweiten Leitsatz und dann ab Rn. 57) und den der Senat dann in der aktuellen Entscheidung nun als einen hergebrachten Grundsatz auf das Alimentationsprinzip insgesamt übertrug, um so seine neue Dogmatik zum Besoldungsrecht weiter auszuformen: Die Sprengkraft dieser Entscheidung zeigt sich nun darin, dass sich seit dem 04. Mai 2020 ein verfassungskonformes Alimentationsniveau als deutlich höher darstellt, als man das bis dahin vermuten konnte. Auch hier wird die dogmatische Entwicklung der bundesverfassungsrichtlichen Rechtsprechung deutlich, die nur erkennbar wird, wenn man die konkreten Entscheidungen historisch-genetisch und also systematisch betrachtet.

1998 hat der Senat seine Rechtsprechung dabei insbesondere auf den Inhalt des Reformpapiers gestützt, das Grundlage für den Spiegelbericht gewesen ist. Er hat also entsprechend den folgenden Bezug genommen, indem er ausgehend von dem in den Randnummern zuvor festgelegten 15 %igen Abstand des alimentativen Mehrbedarfs vom Grundsicherungsniveaus feststellte:

"Diese Vergleichsberechnungen zeigen, daß die Besoldung verheirateter Beamter mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern in den die Vorlageverfahren betreffenden Besoldungsgruppen in bezug auf das dritte und jedes weitere Kind den verfassungsgebotenen Mindestabstand von 15 v.H. zur Sozialhilfe nicht eingehalten hat. Es wurde nicht einmal der sozialhilferechtliche Gesamtbedarf für ein Kind durch die bei steigender Kinderzahl gewährten Nettomehrbeträge ausgeglichen. Dies gilt in den Jahren 1988 und 1989 für die hier allein zu überprüfende Besoldungsgruppe B 2 auch unter Hinzurechnung von 50,-- DM je Kind im Monat (Art. 14 § 3 Reformgesetz).

Nach alledem hat der Gesetzgeber den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten. Er ist mit den zur Prüfung vorgelegten Regelungen deutlich unterhalb der Grenze geblieben, welche die den Beamten der jeweiligen Besoldungsgruppen mit mehr als zwei Kindern geschuldete Alimentation nicht unterschreiten darf.

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch den 'Bericht der Besoldungskommission Bund/Länder [s. den Spiegelbeitrag; ST.] über besoldungsrechtliche Folgerungen für eine verfassungskonforme kinderbezogene Besoldung aus dem Beschluß des BVerfG vom 22. März 1990 (2 BvL 1/86)' aus dem Jahre 1992 (BLK-Bericht 1992). Dort wird eine erhebliche Unteralimentierung über den gesamten Zeitraum 1. Februar 1981 bis 31. Dezember 1989 und ab 1. Januar 1990 festgestellt (vgl. S. 24 des Berichts). Auch in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1995 (BTDrucks 13/2210, S. 22) wird ausgeführt, daß 'die im Hinblick auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 - 2 BvL 1/86 - zur amtsangemessenen Alimentation von Beamten mit drei und mehr Kindern gebotene Erhöhung des Ortszuschlags ab dem dritten Kind (...) noch nicht umgesetzt werden' konnte." (Rn. 62 ff.; Hervorhebungen durch mich)

Und damit waren wir 1998 - 21 Jahre nach der Verfassungsbeschwerde aus dem Jahr 1977 und acht Jahre nach dem ersten konkreten Normenkontrollverfahren - hinsichtlich des alimentativen Mehrbedarfs weitgehend dort angekommen, wo wir uns heute hinsichtlich des Alimentationsprinzips ebenfalls befinden, indem der Senat dort das fortgesetzt aufrechterhaltene verfassungswidrige Handeln des Besoldungsgesetzgebers feststellte und den Sachverhalt entsprechend wie folgt zusammenfasste:

"In seinem Beschluß vom 22. März 1990 (vgl. BVerfGE 81, 363 <383 ff.>) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, der Gesetzgeber sei - nachdem die Entscheidung vom 30. März 1977 (BVerfGE 44, 249) im Juli desselben Jahres bekannt geworden war - verpflichtet gewesen, die in jener Entscheidung als seit dem 1. Januar 1975 verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit Wirkung vom 1. Januar 1977 mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Allerdings sei eine allgemeine rückwirkende Behebung dieses Verfassungsverstoßes nicht (mehr) geboten gewesen. Die rückwirkende Korrektur habe sich auf solche Beamte beschränken können, die ihren Anspruch auf amtsangemessene Alimentation zeitnah, also während des laufenden Haushaltsjahres, gerichtlich oder durch Widerspruch geltend gemacht hätten (vgl. BVerfGE 81, 363 <385>). Das Bundesverfassungsgericht hat dies aus den Besonderheiten des Beamtenverhältnisses gefolgert (vgl. BVerfGE 81, 363 <384 ff.>). Hieran wird festgehalten." (Rn. 67)

Denn das Ergebnis war hier offensichtlich dasselbe, wie es sich aktuell für uns heute darstellt, nämlich dass nun alsbald mindestens Niedersachsen, Berlin, Sachsen und Baden-Württemberg die Vollstreckungsanordnung drohen dürfte, die nicht umsonst seit 2015 nach und nach dazu verpflichtet worden sind, eine amtsangemessene und also verfassungskonforme Alimentation ihrer Richter, Staatsanwälte und Beamte zu gewährleisten und das in ihren Gesetzgebungsmaterialien hinreichend zu dokumentieren. Entsprechend hob der Senat 1998 hinsichtlichdes alimentativen Mehrbedarfs hervor:

"Für die hier zu entscheidenden Verfahren folgt daraus:

1. Soweit Besoldungsansprüche der Jahre 1988 und 1989 in Rede stehen (Verfahren 2 BvL 26/91), war der Gesetzgeber aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 (BVerfGE 81, 363) gegenüber solchen Beamten, die ihre Ansprüche zeitnah geltend gemacht hatten, verpflichtet, eine der Verfassung entsprechende Besoldungsrechtslage herzustellen. Dieser Verpflichtung ist er nicht nachgekommen. Der mittlerweile in Art. 14 § 3 Abs. 1 des am 1. Juli 1997 in Kraft getretenen Reformgesetzes vorgesehene Erhöhungsbetrag von 50,-- DM je Kind und Monat ist hierzu nicht geeignet.

2. Für Besoldungsansprüche ab 1990 gilt: Der Gesetzgeber war - nachdem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 im Juli 1990 bekannt geworden war - verpflichtet, die in dieser Entscheidung als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit Wirkung zum 1. Januar 1990 mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Dies ist nicht geschehen.

3. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die in dieser Entscheidung als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Eine allgemeine rückwirkende Behebung des Verfassungsverstoßes ist mit Blick auf die bereits im Beschluß vom 22. März 1990 näher erläuterten Besonderheiten des Beamtenverhältnisses nicht geboten. Eine rückwirkende Behebung ist jedoch - jeweils soweit der Anspruch auf amtsangemessene Alimentation zeitnah gerichtlich geltend gemacht worden ist - sowohl hinsichtlich der Kläger der Ausgangsverfahren als auch solcher Kläger, über deren Anspruch noch nicht abschließend entschieden worden ist, erforderlich. Eine später eintretende Rechtshängigkeit ist unschädlich, wenn die Klage wegen der für ein erforderliches Vorverfahren benötigten Zeit nicht rechtzeitig erhoben werden konnte." (Rn. 69 ff.; Hervorhebungen durch mich)

Dabei hat sich im Zuge der bis heute ausgeformten neuen Besoldungsdogmatik ebenfalls seit 2018 herauskristallisiert - anders, als es noch 1998 ersichtlich war -, dass sich die rückwirkende Behebung nicht allein auf Kläger, sondern dass sie sich ausnahmslos auch auf Widerspruchsführer erstreckt, die mit den statthaften Rechtsbehelfen entsprechend tätig geworden sind. Das war zwar auch zuvor bereits vorauszusetzen, ist mittlerweile allerdings eindeutig geklärt.

Im Ergebnis wurde nun als Folge der wiederholten Missachtung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung der Gesetzgeber mit der Entscheidung aus dem Jahr 1998 erneut verpflichtet, vergangenheitsbezogen ab 1990 hinsichtlich des alimentativen Mehrbedarfs binnen Jahresfrist bis zum 31.12.1999 eine verfassungskonforme Regelung herzustellen. Darüber hinaus wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Grundlage von § 35 BVerfGG zur Vollstreckung der Entscheidung befugt, also in Anwendung des in der Entscheidung klargestellten Bemessungsverfahrens dazu ermächtigt, Klägern für den Klagezeitraum 1988 bis 1996 entsprechende Beträge zuzusprechen, mit denen der alimentative Mehrbedarf ab dem dritten Kind gesichert werden konnte:

"Die Entscheidungsformel zu 2. beruht auf § 35 BVerfGG. Die Maßnahme ist geboten, weil der Gesetzgeber trotz der ihm in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 und vom 22. März 1990 gegebenen Handlungsaufträge die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile von Beamten mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern bis zum Jahre 1996 (und möglicherweise auch danach) nicht in einer mit dem Grundsatz der Alimentation vereinbaren Höhe festgesetzt hat. Erfüllt der Gesetzgeber seine durch diese Entscheidung erneut festgestellte Verpflichtung nicht bis zum 31. Dezember 1999, so sind die Dienstherren verpflichtet, für das dritte und jedes weitere unterhaltsberechtigte Kind familienbezogene Gehaltsbestandteile in Höhe von 115 v.H. des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes zu gewähren (vgl. oben C. III. 3.). Die Fachgerichte sind befugt, familienbezogene Gehaltsbestandteile nach diesem Maßstab zuzusprechen." (Rn. 72; Hervorhebungen durch mich)

In Folge dessen hat der Gesetzgeber dann den alimentativen Mehrbedarf über längere Zeit offensichtlich amtsangemessen abgegolten, wobei auch hier mit der 2006 erfolgten Reföderalisierung des Besoldungsrechts in Länderhand nach und nach ein weiteres Mal das "alte Lied" zu erklingen begann, das dann die genannte Parellelentscheidung vom Mai 2020 - 2 BvL 6/17 - notwendig machte.

Ergo: Das alte Lied klingt immer wieder neu, jedoch weitgehend auf derselben Rille (das hat auch Spotify nicht ändern können). Wie 1998 dürften wir auch jetzt weitgehend am Ausgangspunkt zentraler Änderungen stehen, die verfassungsrechtlich nur als Folge einer wiederholt nachgewiesenen Untätigkeit (bzw. eines Handelns, das ihm gleichkommt) möglich sind. Der § 35 BVerfGG dürfte jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht zur Anwendung kommen - jedoch wenn nach den angekündigten Entscheidungen mindestens Sachsen, Berlin, Niedersachsen und Baden-Württemberg auf die Ankündigungsliste gesetzt werden, werden sie damit rechnen dürfen, dass sie die Vollstreckungsanordnung trifft, wenn sie nicht zuvor selbst anfangen wollten, hinsichtlich der von ihnen gewährten Besoldung und Alimentation wieder in den Rahmen der Verfassung zurückzukehren. Dafür gibt es allerdings weder bei diesen vier noch bei allen weiteren Besoldungsgesetzgeber keinerlei Anzeichen.

--- End quote ---

PolareuD:
Jahresvorschau 2024 des BVerfG


--- Code: --- 2 BvL 2/16, Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen
2 BvL 4/16,    zu der Frage, ob einzelne Vorschriften des bremischen Besoldungsrechts zur Höhe der Besoldung
2 BvL 5/16,    für verschiedene Besoldungsgruppen der Besoldungsordnungen A, C und R in den Jahren 2013 und
2 BvL 6/16.    2014 wegen Verstoßes gegen Art. 33 Abs. 5 GG verfassungswidrig sind.


2 BvL 5/18,    Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts zu der Frage, ob einzelne
2 BvL 6/18,    Vorschriften des Berliner Besoldungsrechts zur Höhe der Besoldung für verschiedene
2 BvL 7/18,    Besoldungsgruppen der Besoldungsordnung A in den Jahren 2010 bis 2015 wegen Verstoßes gegen
2 BvL 8/18,    Art. 33 Abs. 5 GG verfassungswidrig sind.
2 BvL 9/18

--- End code ---

Die Verfahren 2 BvL 3/16 (Bremen), 2 BvL 13/18 (Schleswig-Holstein) und 2 BvL 5/19 (Niedersachsen) werden in der Jahresvorschau 2024 nicht mehr aufgeführt.

https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresvorausschau/vs_2024/vorausschau_2024.html

PolareuD:
Sachstand (18.03.2024) zur Umsetzung des geplanten BBVAngG

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/streit-in-der-ampel-besoldungserhoehung-verzoegert-sich-19593353.html

https://www.dbb.de/artikel/bund-stoppt-besoldungsanpassung-scharfe-kritik-vom-dbb.html

https://oeffentlicher-dienst-news.de/oeffentlicher-dienst-ampel-regierung-streit-besoldungserhoehung/

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