Autor Thema: Urteile bei Entfristung, wenn Sachgrund "falsch", "nicht eingehalten" ...?  (Read 2415 times)

maiklewa

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Bei einer Befristung mit Sachgrund muss die Dauer des vorliegenden Grundes nicht absehbar oder gar konkret bestimmbar sein. Das fordert das Gesetz nicht.

Zumindest der TVöD VKA sagt nicht viel zur Befristung mit Sachgrund, außer TzBfG gilt und nicht länger als 5 Jahre.

Zitat
Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, wenn
1.
der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht,

2.
die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt, um den Übergang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern,
3.
der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird,

4.
die Eigenart der Arbeitsleistung die Befristung rechtfertigt,
5.
die Befristung zur Erprobung erfolgt,
6.
in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe die Befristung rechtfertigen,
7.
der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind, und er entsprechend beschäftigt wird oder
8.
die Befristung auf einem gerichtlichen Vergleich beruht.

https://www.gesetze-im-internet.de/tzbfg/__14.html


Knackpunkt ist erst einmal, dass die Aufzählung unvollständig ist, vgl. "insbesondere."

In Betracht kommen häufig die fett markierten Gründe 1 und 3.

Nr. 1 regelt schon im Wortlaut, dass der Bedarf an Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Bedarf an Arbeitsleistung nicht dauerhaft besteht. Eingrenzen ließe sich das Ganze noch durch die Grenze von 5 Jahren. Dabei weiß aber niemand bei Abschluss des Vertrags, ob in 1, 2, 3 oder 5 Jahren noch ein Bedarf an Arbeitsleistung besteht.

Deutlich wirds in Nr. 2, die Vertretung eines anderen Arbeitnehmers. Bei Erkrankungen von Arbeitnehmern weiß niemand, ob oder wann die Erkrankung enden wird.

Und in die Zukunft sehen und diese vorhersagen können wir alle nicht.


Zitat
Der Grund für die Befristung liegt in Vertretungsfällen darin, dass der Arbeitgeber bereits zu einem vorübergehend wegen Krankheit oder aus sonstigen Gründen ausfallenden Mitarbeiter in einem Rechtsverhältnis steht und mit der Rückkehr dieses Mitarbeiters rechnet. Damit besteht für die Wahrnehmung der an sich dem ausfallenden Mitarbeiter obliegenden Arbeitsaufgaben durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis (BAG 5. Juni 2002 - 7 AZR 201/01 - BAGE 101, 257 = AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 235 = EzA BGB § 620 Nr. 192, zu 2 a der Gründe). Teil des Sachgrunds ist daher eine Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters. Davon kann grundsätzlich ausgegangen werden, weil in der Regel damit zu rechnen ist, dass der Vertretene nach Beendigung der Freistellung oder Erkrankung seine arbeitsvertraglichen Pflichten wieder erfüllen wird (BAG 11. Dezember 1991 - 7 AZR 431/90 - AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 141 = EzA BGB § 620 Nr. 110, zu II 2 a der Gründe).


Würde eine zeitliche Abschätzung oder eine konkrete Kenntnis der Dauer der Befristung vorhersehbar sein müssen, würde die Norm für Befristungsdauern von bis zu 2 Jahren inhaltsleer werden. Denn dann würde man für die 2 Jahre schlicht auf eine sachgrundlose Befristung ausweichen. Und das ganz ohne die Gefahr, dass der angedachte Sachgrund eine Befristung überhaupt nicht rechtfertigt und ein Gericht dies später feststellt.

Zudem normiert § 15 Abs. 2 TzBfG, ein zweckbefristeter Arbeitsvertrag endet mit Erreichen des Zwecks, frühestens jedoch zwei Wochen nach Zugang der schriftlichen Unterrichtung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber über den Zeitpunkt der Zweckerreichung.

§ 15 Abs. 2 TzBfG wäre inhaltsleer, wenn die Dauer des Zwecks / Sachgrundes schon vor Abschluss des Vertrags vorliegen würde.


Bei dem Personalmangel im öD würde ich die Zeit zur Qualifizierung nutzen. Insbesondere weil befristet Beschäftigte bevorzugt bei der Besetzung von Dauerarbeitsstellen zu berücksichtigen sind, wenn die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen, § 30 Abs. 2 S. 2 TvöD-VKA.



Irgendwann kann mit den Sachgrundbefristungen freilich auch schluss sein. Nämlich dann, wenn die Befristung rechtsmissbräuchlich ist.

Ausführlich dazu:

https://www.hensche.de/Kettenbefristung_Missbrauch_Kettenbefristung_kann_Missbrauch_sein_Kettenbefristung_BAG_7AZR443-09_Kuecuek.html



Zitat
Das sehe ich etwas gelassener, da im Gegensatz zu der Zeit, aus der das BAG-Urteil ist, heutzutage die Arbeitgeber selbst ein erheblich höheres Interesse hat, die Leute nach der Befristung weiter zu beschäftigen. Zumindest den Teil, der selbständig einigermaßen geradeaus laufen kann.


Jepp. Manchmal können sie auch nur gerade so geradeaus laufen.
Bei manche habe ich Zweifel daran, dass sie sich morgens allein die Schnürsenkel binden.

Bei den hier und bei uns und in den Nachbarkommunen "herumschwirrenden" Ukraineverträgen wäre dann aber Punkt 1 vom 14er TzBfG schlicht und ergreifend falsch, weil bei der Verpflegung und besonders Unterkunft mit allen dazugehörigen Aufgaben keine vorübergehende Aufgabe ist, sondern eine dauerhafte Aufgabe und das war schon bei Kriegsbeginn und somit bei Vertragsbeginn klar, dass Geflüchtete nach D kommen, gekommen sind, kommen werden und einige/viele ..., aus der Erfahrung mind. aus 2015/2016 heraus in D bleiben werden.

Außerdem liegt wohl in vielen Fällen, die z. T. auch hier im Forum erwähnt sind, eine Kombination einer zeitlichen und einer Zweckbefristung (nach Erreichen von ...) vor. Das ist rechtlich wohl soweit unbedenklich, aber muss dann im Arbeitsvertrag nicht zwingend z. B. stehen:

"Das Arbeitsverhältnis endet bei Erreichen von ..., ohne dass es einer Kündigung bedarf, frühestens jedoch 2 Wochen nach Zugang der schriftlichen Unterrichtung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber über den Zeitpunkt der Zweckerreichung."

Oder irre ich mich da?

Der Arbeitnehmer muss doch zwingend im Arbeitsvertrag noch mal explizit auf diese Doppelbefristung hingewiesen werden, auch unter Angabe der Rechtsgrundlage, - mit entsprechenden Konsequenzen, oder?!

Wäre sonst der Arbeitsvertrag nicht sogar von Beginn an entfristet, wenn dieser Passus und/oder die Rechtsgrundlagen fehlen?

Max

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Maiklewa, wenn die Ukraineflüchtlinge kein vorübergehender Bedarf sind,  dann kann man den ganzen Punkt 1 in die Tonne werfen.
Der Arbeitsanfall war hier doch ohne Zweifel  vorübergehend, mit der Flüchtlingswelle, enorm. Wenn die Flüchtlinge erstmal versorgt sind,  fällt auch die Arbeitsbelastung.


maiklewa

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@BalBund hat sich diesbzgl. ja schon ausrechend unter Bezugnahme eines entsprechenden BAG-Urteils geäußert.

Max

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Könntest du mich bitte auf den Beitrag stoßen?
Ich kann kein entsprechendes BAG/LAG Urteil finden.



Max

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Im diesem Thread hat BALBund seine Einschätzung geteilt. Ein einschlägiges Urteil wurde dort nicht zitiert, so dass ich vorerst an meiner Einschätzung festhalte.

Casa

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Die Frage, ob es sich um eine dauerhafte Aufgabe handelt, ist ohne Bedeutung.

Dauerhafte Aufgaben bleiben zwar dauerhaft, jedoch kann sich ihr Umfang ändern. Der Umfang der Aufgabe hat nichts mit der Dauer der Aufgabe zu tun.

Kleine Rechenaufgabe:

5 Mitarbeiter können die laufende Unterbringung von 500 Flüchtlingen bearbeiten.

Nach 2 Jahren sind nur noch 300 Flüchtlinge laufend unterzubringen. Die anderen 200 Flüchtlinge unterfallen dann einem anderen Rechtsgebiet (bspw. SGB II), haben eine Arbeit und Wohnung gefunden, sind in die Ukraine zurückgekehrt oder in eine andere Kommune verzogen. 
Wie viele Mitarbeiter werden nach 2 Jahren noch benötigt?

Genau 3.


Jetzt verstehe ich auch die Frage in diversen Einstellungstests im öD. 5 Arbeiter bauen 5 Häuser in 5 Tagen. Wie viele Arbeiter brauche ich, um 2 Häuser in 5 Tagen zu bauen?


Der Sachgrund bezieht sich freilich auch auf den Umfang der Aufgaben und nicht allein auf deren Dauer.
Gib mir ein Minus, wenn dir meine Beiträge gefallen. :-)

maiklewa

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"bis zum Erreichen folgenden Zwecks: vorübergehende Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen aus der Ukraine."

Besonders die Unterbringung kann gar nicht vorübergehend sein. Bei weitem nicht alle können außerhalb von Kommunal-Unterbringungen untergebracht werden, weil es schlicht und ergreifend keine Wohnungen gibt, Privatvermieter wollen keine Flüchtlinge ...