Autor Thema: Leidensgerechter Arbeitsplatz  (Read 3371 times)

Abendsonne83

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Leidensgerechter Arbeitsplatz
« am: 15.03.2023 19:26 »
Hallo zusammen,

Meine derzeitige Situation sieht folgendermaßen aus: ich bin seit einem Jahr im Krankenstand. In meinem BEM Gespräch wurde vereinbart, dass ich meine Tätigkeit auf meiner letzten Stelle nicht mehr ausüben kann. Ein Attest der Ärzte liegt vor. In diesem Gespräch habe ich auch zugestimmt, dass man mich eventuell Gehaltsmäßig herabstufen kann. Weiter bin ich bereit, von einer Vollzeitstelle auf eine Teilzeitstelle zu wechseln.
Nach langer Zeit habe ich nun ein Schreiben erhalten, dass es im Moment keine andere Tätigkeit für mich gibt, mir aber meine alte Stelle angeboten wird (hier mit Wiedereingliederung).
Der PR ist leider keine große Hilfe...
Nun habe ich mitbekommen, dass es bei uns im Haus demnächst zwei offene Stellen geben wird. Die eine wäre perfekt.  Anscheinend hat der PR den Chef auch darauf angesprochen, leider kommen hier fadenscheinige Ausreden (Stelle entspreche nicht meiner Entgeldgruppe - ich hatte aber zugestimmt, dass ü er das Gehalt gesprochen werden kann usw). Schriftlich habe ich hierüber gar nichts... Es sind immer Gespräche zwischen Chef und PR, die mir dann der Herr vom PR beiläufig erzählt.
Laut meinen Ärzten könnten wir schon lange einen Versuch der Wiedereingliederung gestartet haben, aber halt nicht auf dieser Stelle... :( Ich bin so langsam echt verzweifelt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass da mehr dahinter steckt und ich 'gehen' soll.

Habt ihr einen Rat für mich?  Wie geht man in so einer Situation vor? Ich bin so verzweifelt,dass ich fast dazu bereit bin, meine alte Stelle wieder anzunehmen.
Macht es Sinn, den Chef schriftlich um Versetzung auf diesen anderen Arbeitsplatz zu bitten?

Vielen Dank :)


Casa

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #1 am: 15.03.2023 20:33 »
Am Besten alles nachweisbar und schriftlich beim Arbeitgeber UND beim SB-BEM UND beim PR einreichen.
1. Art und Umfang der Einschränkungen
2. Bereitschaft zur Arbeit auf anderer Stelle - einem leidensgerechten Arbeitsplatz - verlangen
3. Grundsätzliches Einverständnis mit einer geringer bewerten Stelle geben

Dann müssen die Stellen nur noch frei sein oder werden und der AG muss tätig werden. Andernfalls kann er sich schadensersatzpflichtig machen.
Bestenfalls liegt schon eine konkrete Stellenbeschreibung vor, sonst eröffnet dies AG die Möglichkeit die Stellen so zu gestalten, dass sie nicht leidensgerecht sind. Das führt nur zu weiteren Problemen
Die Stellen müssen natürlich auch zur Qualifikation passen. Die Dame in der Schulküche kann nun nicht die Amtsleitung werden. Die Verwaltungsfachangestellte im Außendienst E9a kann aber sehr wohl als VFA am Schreibtisch mit einer E6 arbeiten.


Auch mal über eine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft nachdenken, um in den Genuss von Rechtsschutz zu kommen.
Gib mir ein Minus, wenn dir meine Beiträge gefallen. :-)

Abendsonne83

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #2 am: 15.03.2023 20:44 »
Hallo Casa,

Ich danke dir für deine sehr hilfreiche Antwort.

Ja, der Chef hat bereits bei der zuständigen Kollegin eine Stellenbeschreibung verlangt. Diese hat sie ihm gleich erstellt, liegt also vor.
Diese Stelle wird im Sommer frei, weil die Stelleninhaberin in Rente geht.
Auch von der Qualifikation passt es. Ich habe sogar in diesem Sachgebiet vor einigen Jahren für eine kurze Zeit ausgeholfen. Das werde ich in dem Schreiben auch vermerken.

Leider gibt es hier noch ein Problem: vor einigen Jahren wurde der Kollegin (bei der die Stelle frei wird) und mir ein schriftliches Kontaktverbot erteilt.
D.h. in diesem Schreiben steht, dass ich zb die Küche nicht betreten darf wenn sie sich dort aufhält. Ich darf ihr Büro nicht betreten, bevor nicht die ausdrückliche Erlaubnis vom Chef oder seines Stellvertreters vorliegt. Umgekehrt ist es natürlich auch so usw.
Ich würde es selber nicht glauben, wenn dieses Schreiben nicht vor mir liegen würde.
Laut Aussage PR beruft sich der Chef nun auch, unter anderem, auf dieses Schreiben und deshalb könnte ich nicht auf diese Stelle.

Ist so ein Schreiben rechtens? Darf dass soweit gehen?



FearOfTheDuck

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #3 am: 15.03.2023 20:45 »
Am Besten alles nachweisbar und schriftlich beim Arbeitgeber UND beim SB-BEM UND beim PR einreichen.
1. Art und Umfang der Einschränkungen
2. Bereitschaft zur Arbeit auf anderer Stelle - einem leidensgerechten Arbeitsplatz - verlangen
3. Grundsätzliches Einverständnis mit einer geringer bewerten Stelle geben

Dann müssen die Stellen nur noch frei sein oder werden und der AG muss tätig werden. Andernfalls kann er sich schadensersatzpflichtig machen.
Bestenfalls liegt schon eine konkrete Stellenbeschreibung vor, sonst eröffnet dies AG die Möglichkeit die Stellen so zu gestalten, dass sie nicht leidensgerecht sind. Das führt nur zu weiteren Problemen
Die Stellen müssen natürlich auch zur Qualifikation passen. Die Dame in der Schulküche kann nun nicht die Amtsleitung werden. Die Verwaltungsfachangestellte im Außendienst E9a kann aber sehr wohl als VFA am Schreibtisch mit einer E6 arbeiten.


Auch mal über eine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft nachdenken, um in den Genuss von Rechtsschutz zu kommen.

Warum nicht?

Tarifbeschäftigte sind entsprechend ihrer nicht nur vorübergehend auszuübenden Tätigkeit eingruppiert. Damit könnte grundsätzlich auch die Küchenperle Aufgaben der Amtsleitung übertragen bekommen.

An die Fragestellerin: Bist du schwerbehindert oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt?

Abendsonne83

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #4 am: 15.03.2023 20:53 »
@FearoftheDuck: Nein, weder noch

Casa

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #5 am: 15.03.2023 20:57 »
Zitat
Warum nicht?

Tarifbeschäftigte sind entsprechend ihrer nicht nur vorübergehend auszuübenden Tätigkeit eingruppiert. Damit könnte grundsätzlich auch die Küchenperle Aufgaben der Amtsleitung übertragen bekommen.[/quote


Wird von der Qualifikation so gar nicht passen.



Zitat
Leider gibt es hier noch ein Problem: vor einigen Jahren wurde der Kollegin (bei der die Stelle frei wird) und mir ein schriftliches Kontaktverbot erteilt.
D.h. in diesem Schreiben steht, dass ich zb die Küche nicht betreten darf wenn sie sich dort aufhält. Ich darf ihr Büro nicht betreten, bevor nicht die ausdrückliche Erlaubnis vom Chef oder seines Stellvertreters vorliegt. Umgekehrt ist es natürlich auch so usw.
Ich würde es selber nicht glauben, wenn dieses Schreiben nicht vor mir liegen würde.
Laut Aussage PR beruft sich der Chef nun auch, unter anderem, auf dieses Schreiben und deshalb könnte ich nicht auf diese Stelle.


Ist das die Kollegin, die in Rente geht? Falls nicht, gibts da kein Problem.


Ist die Kollegin dann noch da, wird dem Arbeitgeber als organisatorische Maßnahme eine räumliche Trennung zuzumuten sein oder er muss darüber nachdenken, ob die Gründe eines "Kontaktverbots" noch bestehen.


Die Schwerbehinderung oder eine Gleichstellung ist auch ein Thema. Gibt die Erkrankung einen GdB von wenigstens 30 her?
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Abendsonne83

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #6 am: 15.03.2023 21:04 »
@Casa: das Kontaktverbot besteht zwischen mir und der Kollegin, bei der die Stelle frei wird. Also hat nichts mit der Kollegin zu tun, die in Rente geht.
Laut PR sagt der Chef, dass das Kontaktverbot noch Bestand hat und deswegen ein Wechsel nicht in Frage kommen würde.

Ich müsste mal mit meinen Ärzten sprechen, ob hier eine Behinderung vorliegt. Erwähnt hat es bis dato noch niemand.

Casa

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #7 am: 15.03.2023 21:26 »
Zitat
Laut PR sagt der Chef, dass das Kontaktverbot noch Bestand hat und deswegen ein Wechsel nicht in Frage kommen würde.


Dann muss der Arbeitgeber prüfen und ggf. umorganisieren.
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Organisator

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #8 am: 15.03.2023 22:21 »
@Casa: das Kontaktverbot besteht zwischen mir und der Kollegin, bei der die Stelle frei wird. Also hat nichts mit der Kollegin zu tun, die in Rente geht.
Laut PR sagt der Chef, dass das Kontaktverbot noch Bestand hat und deswegen ein Wechsel nicht in Frage kommen würde.

Ich müsste mal mit meinen Ärzten sprechen, ob hier eine Behinderung vorliegt. Erwähnt hat es bis dato noch niemand.
Wenn dir ein Kontaktverbot zu einer Kollegin ausgesprochen wurde, scheint noch mehr im Argen zu sein. Ggf. Spielen da noch andere Gründe mit rein?

Abendsonne83

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #9 am: 15.03.2023 22:34 »
Hallo Organisator,

Ich bin schon sehr lange bei dieser Behörde und konnte mich eigentlich immer gut behaupten. Klar, es gab immer wieder mal Differenzen. Die Probleme fingen letztes Jahr an, als ich privat sehr viel durchmachen musste und es dann noch Entscheidungen im Amt gab, die es mir sehr schwer gemacht haben. Ein Zusammenbruch kommt nicht einfach so, also ja, im Bezug auf deine Frage: es gibt schon einige Punkte.
Bzgl dem Verbot: es wurde damals ohne Anhörung von mir oder der Kollegin erstellt. Selbst der oberste Chef, der uns das Schreiben aushändigen musste, entschuldigte sich bei uns dafür.
Es gehören immer zwei Seiten dazu, weißt wie ich meine?

Organisator

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #10 am: 15.03.2023 23:28 »
Klar, verstehe ich, was du meinst. Ich wollte nur sensibilisieren, dass neben den offiziellen und rechtlich möglichen Maßnahmen auch häufig eine menschliche Komponente mitspielt. Und letztere auch häufig dazu führt, dass Maßnahmen ergriffen werden oder eben nicht ergriffen werden, ohne dass einem klar ist, warum.

Um da Neutralität und Professionalität reinzubringen bin ich bei Case, indem du deine Anforderungen und Ziele gegenüber dem AG schriftlich und nachvollziehbar äußerst.

FearOfTheDuck

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #11 am: 16.03.2023 16:47 »
Gab es denn damals solch unüberbrückbare Differenzen und würden diese heute noch bestehen mit der Kollegin, die du nicht treffen darfst? Oder ließe sich das mittlerweile ausbessern?

Wenn das auch nach Jahren nicht zu klären ist, tut sich wahrscheinlich auch keiner einen Gefallen damit, wenn ihr dann jetzt zusammenarbeiten sollt. Dir wahrscheinlich am allerwenigstens, aber auch die Vorgesetzten werden solche Konstellationen vermeiden wollen.

Ansonsten wie meine Vorredner sagen: Klar dem AG deine Wünsche äußern und dann darauf aufbauend sehen, was sich machen lässt. Vor allem, wenn dir der PR alles "beiläufig" nur erzählt.

Casa

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #12 am: 16.03.2023 19:18 »
Zitat
Gab es denn damals solch unüberbrückbare Differenzen und würden diese heute noch bestehen mit der Kollegin, die du nicht treffen darfst? Oder ließe sich das mittlerweile ausbessern?

Das ist auf jeden Fall zu überprüfen. Und genau hier sehe ich das größte Fehlerpotenzial des AG und damit den größten Angriffspunkt für einen möglichen Schadensersatzanspruch.

Die Fürsorgepflicht des AG umfasst nämlich, einen kranken AN auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz zu beschäftigen. Dafür sind organisatorische Maßnahmen zumutbar. Unternimmt der AG nichts oder nicht genug, verletzt er die Fürsorgepflicht. Die Fürsorgepflicht ist eine vertragliche Nebenpflicht. Eine Nebenpflichtverletzung ist  schadensersatzfähig.
I. E. Zahlung Differenz aus aktuellem Einkommen (Krankengeld oder bei Auslaufen ALG1 gem. Nahtlosigkeitsregelung oder gar keinem Einkommen) und möglichem Einkommen auf neuer Stelle als Schadensersatz.

Gerade wenn der AG kleiner und rechtlich weniger versiert ist, würde ich frühzeitig Gewerkschaft oder RA mit ins Boot holen. Wobei man den RA vorgerichtlich und in erster Instanz selbst zahlt. Da ist die Gewerkschaft deutlich  günstiger und mit dem Beitrag werden die Kolleginnen und Kollegen bei Streiks finanziert und natürlich auch die Gewerkschaftsarbeit.

Btw. bitte ein paar Euro für die mögliche Steuernachzahlung beiseite legen. Krankengeld unterliegt dem Progressionsvorbehalt.
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Abendsonne83

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #13 am: 16.03.2023 19:19 »
Mit der Kollegin hatte und habe ich keinerlei Probleme. Im Gegensatz, ich harre ja früher schon mal für kurze Zeit bei ihr mitgeholfen und dass war eine meiner schönsten Zeiten in dem Amt...
Eines Tages wurden wir vom obersten Chef angerufen und ich und sie mussten zu ihm. Dort wurde uns dieses "Kontaktverbotsschreiben" ausgehändigt. Wir sind beide aus allen Wolken gefallen... Warum das unser Chef gemacht hat, wissen wir bis heute nicht!! Wir waren damals so unter Schock, dass wir es irgendwie akzeptiert hatten. Und jetzt ist eben diese Stelle gerade bei ihr frei und selbst der PR sprach sich für diese Stelle aus. Schriftlich habe ich von meinem Chef nichts, es wird mir halt telefonisch vom PR mitgeteilt dass er mich nicht auf diese Stelle versetzen könne, da dass Kontaktverbot noch bestand hätte.

Aber wie gesagt, ich hatte nie Probleme oder Differenzen mot dieser Kollegin. Im Gegenteil. Das ist ja das unbegreiflich. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Schreiben rechtlich so korrekt ist, dass ich die Stelle aufgrund Krankheit nicht wechseln kann.

Abendsonne83

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Antw:Leidensgerechter Arbeitsplatz
« Antwort #14 am: 16.03.2023 19:22 »
@Casa: ich danke dir für deine Ausführungen.
Ich habe gestern noch mit einem Anwalt gesprochen und der sieht es auch so wie du. Er nannte es hinauszögern.
Er stellte die Wirksamkeit von diesem Kontaktverbotsschreiben komplett in Frage.