Die Möglichkeiten habe ich ja skizziert: Sie sind verfassungsrechtlich verbrieft, also gangbar
Sorry, das sehe ich anders.
Es gibt eigentlich nach meiner Auffassung unserer Verfassung nur einen gangbaren Weg innerhalb einer Legislaturperiode eine Regierungskonstellation zu ändern.
Das ist verfassungsrechtlich nur bedingt richtig und wiederholt weitgehend eher das, was im Interesse zumindest von SPD, Union, Bündnisgrüne sowie FDP und BSW, höchstwahrscheinlich auch von der AfD ist. Allenfalls die Linke wird ggf. andere Interessen haben, weil für sie die kommende Bundestagswahl mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit das Aus bedeuten könnte. Insofern dürfte hier das Interesse eher sein, dass möglichst spät gewählt werden wird.
Jeder einzelne Abgeordnete und damit der Bundestag in seiner Ganzheit sind verfassungsrechtlich an keinen politischen Auftrag, sondern jeder Abgeordnete ist nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ausschließlich an ihr Gewissen gebunden, worauf Du berechtigt hinweist. Darüber hinaus bestimmt Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG den Regelfall einer Legislaturperiode, nämlich vier Jahre. Innerhalb dieser vier Jahre hat der Bundestag jederzeit das Recht, innerhalb der zu beachtenden Fristen mit einfacher Mehrheit nach Art. 63 Abs. 2 Satz 1 GG auf Vorschlag des Bundespräsidenten den Bundeskanzler nach Art. 63 Abs. 1 GG zu wählen. Eine Einschränkung dieser Möglichkeit, die über zeitliche Fristen hinausreichte, kann es verfassungsrechtlich wegen des genannten freien Mandats aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht geben. Entsprechend ist 1966 wie dargestellt genau das geschehen, nämlich innerhalb einer regelmäßigen Legislaturperiode einen neuen Bundeskanzler zu wählen, der vom Bundespräsidenten wie dargestellt vorgeschlagen worden war, nachdem der vorherige Bundeskanzler über keine Mehrheit verfügt hat: also in der von der Form her identischen Situation zur derzeitigen Lage. Entsprechend hat MoinMoin Recht, verfasungsrechtlich könnte jederzeit der alte Bundeskanzler in einer neuen Regierung und unter anderen Regierungsfraktionen wiedergewählt werden - das wäre also verfassungsrechtlich möglich, wenn auch politisch zumeist eher unwahrscheinlich.
Die von uns in den letzten Beiträgen dargestellten Wege sind verfassungsrechtlich allesamt gangbar. Wie dargestellt, wäre allerdings die Bildung einer großen Koalition mit dem Ziel, dem Land in einer krisenhaften Zeit zu dienen, der wenig bequemere und darüber hinaus für die SPD und Union mit nicht zu kalkulierenden Risiken verbunden. Das Hauptrisiko wäre dabei: regieren zu müssen, was allerdings alle drei Parteien wollen, ansonsten würden sie jetzt nicht zunächst um den Zeitpunkt der Vertrauensfrage ringen, und zwar mit der von mir in meinem letzten Beitrag skizzierten Folge, dass in dieser und der weiteren Zeit die meisten der für uns als Souverän wichtigen Probleme eher nicht im Mittelpunkt der politischen Bearbeitung stehen dürften, eben insbesondere weil in dieser Zeit der Regierung keine regelmäßige Mehrheit zur Verfügung stehen wird, solange keine Regierungskoalition vorhanden ist.
Dem Kanzler steht eine komplette Änderung seiner Regierung, in deinem Beispiel, FDP und Grüne aus der Regierung werfen und eine große Koalition mit der CDU eingehen explizit nicht zu.
Diese Recht hat ebenfalls nur der Bundestag.
Dazu müsste er aber über ein konstruktives Mißstrauensvotum einen
neuen Kanzler wählen.
Solltest du das als gangbar ansehen, fehlt bei der SPD aber sicher wieder die staatspolitische Verantwortung.
Denn die SPD würde nie in dieser Form ihren Kanzler opfern.
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Das wiederum ist verfassungsrechtlich richtig - aber da es ja um staatspolitische Verantwortung geht, politisch nicht zwangsläufig. Denn ein konstruktives Misstrauensvotum ist nach Art. Art. 67 Abs. 1 Satz GG nicht möglich, wenn der vormalige Bundeskanzler zuvor aus freien Stücken zurücktritt, wovon ihn niemand abhalten kann.
Der Bundeskanzler hat ja in seiner
auch auf eigene Entlastung abzielende Erklärung vom letzten Mittwoch, deren Wahrheitsgehalt in gewichtigen Teilen als gegeben betrachtet werden dürfte (wenn auch ggf. nicht in allen Teilen), darauf hingewiesen, woran seine Regierung gescheitert ist: Er hat sich nicht hinreichend in der Lage gesehen, gemeinsam insbesondere mit dem Finanzminister (nicht aber den anderen Bundesministern der FDP, die er nicht zur Entlassung vorgesehen hatte) eine Regierung so zu gestalten, dass sie eine sachlich notwendige Regierungsarbeit bereits in der Vergangenheit, jedenfalls ebenso in der Gegenwart und in der zu erwartenden der Zukunft gewährleisten könnte.
Man kann nun zu Christian Lindner stehen, wie man will. Eines ist aber offensichtlich: Er ist ein Politiker, der durchsetzungsstark ist und eigene Vorstellungen hat, also das, wofür ihn und seine Partei - davon darf man ausgehen - seine Wähler gewählt haben werden, eben als Vorsitzenden seiner Partei. Ebenfalls war 2021 offensichtlich, dass dem so ist, das Christian Lindner, wenn ich mich recht erinnere, zu jenem Zeitpunkt kein Unbekannter gewesen ist; der Bundeskanzler hat sich trotz der möglichen anderen Option einer großen Koalition unter seiner Führung für die nun gescheiterte entscheiden. Damit hat der Bundeskanzler gesagt, dass er offensichtlich die falsche Wahl getroffen hat und dass es ihm bereits in der Vergangenheit in einer weiterhin schwierigen Sachlage nicht möglich gewesen ist, mit einem durchsetzungsstarken und eigene Vorstellungen habenden Charaker wie Christian Lindner eine hinreichend regierungsfähige Regierung zu bilden, obgleich er sich weiterhin in der Lage gesehen haben dürfte, mit den anderen drei Bundesministern der FDP nach wie vor eine Regierung zu bilden. Er hat also ein personales Problem in den Mittelpunkt seiner Erklärung gerückt.
Welche Folgen darf man daraus ziehen? Sobald er nach den Neuwahlen eine neue Regierung mit nun der Union als Juniorpartner bilden wollte - eine andere Opion wäre realistisch für ihn kaum möglich (unabhängig davon, dass es kaum realistisch wäre, davon auszugehen, dass die SPD bei Neuwahlen vor der Union landete) -, würde er nun mit anderen Personen auf dieselben Probleme stoßen, weshalb anzunehmen sein dürfte, dass er dann als Bundeskanzler genauso überfordert sein würde, wie er das nach eigenem Bekunden in der Vergangenheit gewesen ist, und zwa das nur umso mehr.r wenn er nicht so viel Glück haben würde, wie er es in den letzten drei Jahren gehabt hat, indem er nun also bspw. in Gestalt eines Markus Söders und Friedrich Merz auf mehr personale Probleme als nur einem Christian Lindner treffen dürfte oder könnte. So verstanden bliebe die Reihenfolge egal, ob erst Person, dann Partei, dann Land oder erst Land, dann Partei und dann Person: Offensichtlich wäre es zum Wohle aller drei, dass der Bundeskanzler nun aus dem Eingeständnis, dass er sich, der SPD und dem Land gegeben hat, dass er in schwierigen Zeiten nicht die Gewähr dafür leisten kann, für eine stabile und handlungsfähige Regierung gemeinsam mit durchsetzungsstarken Politikern anderer Parteien, die über eigenen Vorstellungen verfügen, zu sorgen, die notwendigen Konsequenzen zöge und also den Weg frei machte, und zwar nachdem er zuvor mitsamt seiner Partei und der Union Absprachen tätigen würde, wie bis zu einer neuen Regierung im Gefolge der Wahl vom 28. September 2025 zu handeln wäre. Als staatspolitisch verantwortungsvoll würde ich es dabei betrachten, wenn alle Beteiligten nun in Anbetracht der Krisenhaftigkeit der Zeit das Wohl des Landes in den Mittelpunkt stellten: Ein Eintrag in das Geschichtsbuch der Zeit wäre ihnen gewiss.
Nachdem der Bundeskanzler am 27. Oktober 1966 zurückgetreten war, stand bis zur Wahl des neuen Bundeskanzlers zum 30. November 1966 eine neue Regierung, der klar war, dass sie noch über zweieinhalb Jahre regieren würde. Wieso sollte das zum Wohle des Landes nicht auch heute möglich sein, wo es um eine Regierungszeit von rund einem Jahr geht und die krisenhaften Probleme, die gelöst werden müssen, in einem noch einmal deutlich stärkeren Maße vorhanden sind als 1966, also binnen Monatsfrist so zu handeln, dass im Anschluss an den gegebenen Problemen politisch gearbeitet werden könnte? Die Frage wird rhetorisch bleiben, da sie weitgehend nicht gestellt werden wird - und genau darin sehe ich ein Problem, das eines der wichtigen Ursachen für die Krise unseres Staatswesens darstellt: Anstatt zu regieren, wird Politik ob der Komplexität der jeweiligen Probleme, die gelöst werden müssen, wiederkehrend simuliert, und zwar in diesem Fall des zu erwartenden rund halben Jahrs in zähem Ringen um die Vertrauensfrage und im Wahlkampf und danach weiterhin in den Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen. Das ist allemal bequemer, als nun staatspolitisch und nicht wahlpolitisch zu handeln, denke ich. Denn es ist allemal leichter, um die Vertrauensfrage zu streiten, Wahlkampf zu machen, zu sondieren und Koalitionsgrspräche zu führen, als an den anstehenden Problemen zu arbeiten, die gelöst werden müssen. Ob allerdings dann im nächsten Jahr die anstehenden Probleme, die gelöst werden müssen, bis dahin eher kleiner sein werden, mag ich bezweifeln, ohne in die Zukunft blicken zu können.
Meiner Meinung nach könnte also diese kommende Zeit besser genutzt werden und sollte das auch, indem mit der einfachen Mehrheit aus SPD und Union regiert werden würde. Wären die Zeiten anders und die Probleme nicht so groß, dass besser heute als morgen an ihren Lösungen gearbeitet werden sollte, wäre mir das politische Geschäft, wie es sich nun vollzieht, eher egal. In Zeiten wie diesen würde ich mir Politiker wünschen, die in staatspolitischer Verantwortung den eher weniger bequemen Weg gingen. Aber wie gesagt: Politik ist kein Wunschkonzert.