Danke für den anregenden Konter aus der Perspektive eines Historikers.
Zwar stimme ich zu, dass die Diskussion das Thema überstrapaziert, eine Antwort kann ich dennoch nicht zurückhalten. Zumindest stehen die angesprochenen Themen in einem ursächlichen Zusammenhang zur Haushaltslage, die Einfluss auf die Tarifverhandlungen hat.
Und ich nehme Dich mal auf dem Gepäckträger meines Fahrrads mit, da ich zumeist kein Auto fahre. So kommen wir langsamer voran und bleibt mehr Zeit zum Sprechen:
[I-IV, VII]
Um es klarzustellen: Selbstverständlich stellt der russische Angriff auf einen souveränen ukrainischen Staat unmissverständlich einen Verstoß gegen die am am 24.10.1945 in Kraft getretenen Charta der Vereinten Nationen dar, die die „Androhung oder Anwendung von Gewalt“ gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates verbietet. Dieser völkerrechtliche Vertrag wird von allen Kriegsparteien anerkannt und bildet damit die gemeinsame Rechtsgrundlage.
Zur Durchsetzung nach einer judikativen Klärung und Entscheidung über territoriale Streitigkeiten zwischen Staaten durch internationale Gerichte und Institutionen kennt das Völkerrecht auf internationaler Ebene nur wirtschaftlichen Druck und in Ausnahmefällen militärische Interventionen als Mittel der Rechtsdurchsetzung.
Führen - wie vorliegend im Angriff Russlands auf die Ukraine - beide Wege absehbar nicht zum Erfolg, sind die Möglichkeiten der Justiz an Ihr Ende gelangt. (Einen weiteren experimentellen Anwendungsfall, der völkerrechtlich bislang noch keinen Nachweis seiner Wirksamkeit erbracht hat, findet sich im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. - Dieses verstößt m.E. gegen das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Verträgen zwischen souveränen Völkerrechtssubjekten.)
Dementsprechend gilt das ,Unrecht’ des Stärkeren. Hat ein solcher Konflikt ein Kräftegleichgewicht erlangt, durch das er nicht mehr gelöst werden kann, so kann er nur durch eine innenpolitische Veränderung in einem der kriegführenden Staaten oder durch eine pragmatische Diplomatie im Sinne eines Interessenausgleichs gelöst werden.
Übrig bleibt nach Erschöpfung der Judikative meines Erachtens einzig der Pragmatismus. - Ein pragmatischer Ansatz kommt hier sogar dem Instrument einer juristischen Ermessensprüfung am nächsten, da er, wenn man so will, das Schutzgut des Rechts als solches mit dem Schutzgut der Wahrung von Menschenleben (einem Naturrecht - ius cogens) miteinander in eine Güterabwägung bringt.
Die notwendige Konsequenz eines solchen Handelns ist in meinen Augen ein unermüdlicher und bedingungsloser Einsatz für eine friedliche Lösung und ein Abweichen von Maximalpositionen, so moralisch gerechtfertigt sie auch sein mögen.
Kommt es zu keinem Interessenausgleich, drohen schlimmstenfalls endlose Dauerkriege, Konflikte wie u.a. in Kaschmir (seit 1947), Israel-Palästina-Konflikt, Myanmar (beide seit 1948), Jemen (seit 2004), Libyen und Syrien (beide seit 2011). Das Uppsala Conflict Data Program (UCDP) listet derzeit 59 bewaffnete Konflikte weltweit. Im Jahr 2000 waren es nur 40. Wir können und dürfen uns als Menschheit nicht noch mehr solcher Dauerkonflikte leisten.
Die beiden von mir angedachten und grob umrissenen Beispiele für eine mögliche Konfliktlösung – keine Waffenlieferung ohne eine zuvor gescheiterte Friedensinitiative und ein Gebietstausch in unbewohnbaren Regionen – wurden aus zweierlei Gründen idealisierend gewählt: Erstens, um die Alternativlosigkeit der derzeit eingeschlagenen Wege in Frage zu stellen, und zweitens, um zu verdeutlichen, dass der Konflikt letztlich auch als Teil eines größeren geopolitischen Spiels zwischen den USA und Russland zu verstehen ist. Diese Vorschläge sollten als Appell verstanden werden, aktiv nach innovativen Lösungen zu suchen, statt auf festgefahrene Konzepte zurückzugreifen.
Punkte V u. VI. passen nicht in diesen Beitrag.