Autor Thema: neue Tarifrunde  (Read 782841 times)

cyrix42

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Antw:neue Tarifrunde
« Antwort #2145 am: 08.08.2024 16:20 »
Zur Zulässigkeit eines solchen Mitgliederbonus (auch Differenzierungsklausel genannt): https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-bonus-fuer-gewerkschaftsmitglieder-6594.htm

Zitat
"Eva Kocher, Leiterin der Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main, hat die verschiedenen Differenzierungen nun auf ihre Rechtmäßigkeit untersucht. Ihr Ergebnis: Anreize für den Gewerkschaftsbeitritt über Differenzierungsklauseln sind rechtlich zulässig, solange sie nicht so stark werden, dass sie faktisch einen Beitrittszwang für nicht oder anders Organisierte bedeuten."

Was ich mich da immer frage: Formal verhandeln die Gewerkschaften doch nur für ihre Mitglieder. Ob Arbeitgeber mit den Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern unter ihren Arbeitnehmenden nun analoge Arbeitsverträge schließen, oder ganz andere, ist doch erst einmal aus Sicht der Gewerkschaften ein Geschäft unter Dritten, worauf sie keinen Einfluss haben.

Oder ist das eher eine freundliche "Erpressung" durch die Gewerkschaften, dass die Arbeitgeber eine (rechtlich nicht bindende?) Selbstverpflichtung eingehen, einen solchen Gewerkaftsmitgliedschafts-Bonus auch nur Gewerkschaftsmitgliedern anzubieten? Warum nicht übertariflich allen diesen zahlen?

Faunus

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« Antwort #2146 am: 08.08.2024 16:34 »
Die Gewerkschaften verhandeln für Ihre Mitglieder und die AG übertragen das auf alle - u.a. um den Hausfrieden zu wahren, usw.
Es gab dieses Jahre einen Abschluss in der Chemiebranche, der erstmalig (ich zumindest kann mich an so ein Vorgehen nicht erinnern) exklusiv für Gewerkschaftsmitglieder einen freien Tag mehr ausgehandelt hat, den nicht Mitglieder nicht erhaltem sollen.

Ich halte es für möglich, dass die AG nun versuchen möglichst viele AN in die Gewerkschaften zu treiben, weil die Lohnverhandlungen eher "für alle gedeckelt werden" und der Fachkräftemangel dann vom AN nicht so effektiv genutzt werden kann, da sich kein Wechsel für einen ähnlichen Gehalt kaum lohnt. Die AG wollen Stabilität im Lohngefüge

TVOEDAnwender

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« Antwort #2147 am: 08.08.2024 16:41 »
Zur Zulässigkeit eines solchen Mitgliederbonus (auch Differenzierungsklausel genannt): https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-bonus-fuer-gewerkschaftsmitglieder-6594.htm

Zitat
"Eva Kocher, Leiterin der Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main, hat die verschiedenen Differenzierungen nun auf ihre Rechtmäßigkeit untersucht. Ihr Ergebnis: Anreize für den Gewerkschaftsbeitritt über Differenzierungsklauseln sind rechtlich zulässig, solange sie nicht so stark werden, dass sie faktisch einen Beitrittszwang für nicht oder anders Organisierte bedeuten."

Was ich mich da immer frage: Formal verhandeln die Gewerkschaften doch nur für ihre Mitglieder. Ob Arbeitgeber mit den Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern unter ihren Arbeitnehmenden nun analoge Arbeitsverträge schließen, oder ganz andere, ist doch erst einmal aus Sicht der Gewerkschaften ein Geschäft unter Dritten, worauf sie keinen Einfluss haben.

Oder ist das eher eine freundliche "Erpressung" durch die Gewerkschaften, dass die Arbeitgeber eine (rechtlich nicht bindende?) Selbstverpflichtung eingehen, einen solchen Gewerkaftsmitgliedschafts-Bonus auch nur Gewerkschaftsmitgliedern anzubieten? Warum nicht übertariflich allen diesen zahlen?

Zu 1: Das Stimmt. Vom rein rechtlichen her kann (und muss) es den Gewerkschaften egal sein, was mit den Nichtmitgliedern geschieht.

Zu 2: Erpressung wäre jetzt übertrieben. Es ist auch keine rechtlich nicht bindende Selbstverpflichtung, sondern es begründet ja schon einen Rechtsanspruch aus dem Tarifvertrag - jedoch zunächst erst einmal tatsächlich nur für Mitglieder. Der AG könnte - bei der sog. "einfachen Differenzierungsklausel" (nur diese ist nach BAG-Rechtsprechung zulässig) - die zusätzliche Leistung für Gewerkschaftsmitgliedern (genau wie den gesamten restlichen Tarifvertrag) auch den Nichtmitgliedern gewähren bzw. vertraglich zusichern, das könnten die Gewerkschaften auch nicht unterbinden. Er muss es aber nicht, selbst wenn eine Bezugnahmeklausel auf den Tarifvertrag abgeschlossen wurde. Vielleicht könnten ja auch die Arbeitgeber als TVP ein Interesse haben, dass Ihre Gegenseite noch so stark bleibt, dass Sie überhaupt noch Tarifmächtig ist. Bei einem Organisationsgrad von vielleicht 10-20 % im Bereich den TVöD Bund/Kommunen könnte man diese Frage ja irgendwann mal stellen, ob ver.di und der Beamtenbund überhaupt noch Tarifmächtig sind... Ich denke, die AG sollten schon ein Interesse daran haben, dass die Gewerkschaften weiter bestehen. Einige Dinge (z.B. Verlängerung der Arbeitszeit bei Bereitschaftszeiten/Bereitschaftsdiensten über 10 Stunden hinaus) gehen ja auch einfach nicht ohne einen Tarifvertrag.

BAT

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« Antwort #2148 am: 08.08.2024 17:30 »

Nö, da du ja nicht verpflichtet bist, dem AG mitzuteilen, dass Du Gewerkschaftsmitglied bist. Die Frage ist in einem Vorstellungsgespräch und auch in einem Personalbogen unzulässig und Du hättest das Recht auf Lüge.
Ich würde es erst nach Ablauf der sechsmonatigen Wartefrist/Probezeit dem AG dann mitteilen. Dann bist Du auf der sicheren Seite.

Unzulässig könnte demnach auch die Weitergabe des Austrittes aus der Gerwerkschaft von ebendieser an den AG sein, also für sechs Monate eintreten und 20 Jahre kassieren. ;)

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« Antwort #2149 am: 08.08.2024 21:39 »
In der Regel wird eine solche Bonus- oder Vorteilsregelung so gestaltet, dass Du - um in den Genuss ebendieser zu kommen - dem Arbeitgeber zu bestimmten Stichtagem einen Nachweis über das Bestehen der Mitgliedschaft vorlegen musst.

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« Antwort #2150 am: 08.08.2024 22:08 »
Also du musst dem AG nicht sagen das Du Gewerkschaftsmitglied bist, eine Frage danach ist unzulässig. Nur wenn Du den Bonus haben willst, musst Du dich "outen".

BAT

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« Antwort #2151 am: 09.08.2024 09:00 »
In der Regel wird eine solche Bonus- oder Vorteilsregelung so gestaltet, dass Du - um in den Genuss ebendieser zu kommen - dem Arbeitgeber zu bestimmten Stichtagem einen Nachweis über das Bestehen der Mitgliedschaft vorlegen musst.

Evtl. gibt es ja dann einen Wettlauf der Gewerkschaften. Bei Verdi 1 Zusatztag Urlaub, bei Komba 3 Tage?

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« Antwort #2152 am: 09.08.2024 09:16 »
In der Regel wird eine solche Bonus- oder Vorteilsregelung so gestaltet, dass Du - um in den Genuss ebendieser zu kommen - dem Arbeitgeber zu bestimmten Stichtagem einen Nachweis über das Bestehen der Mitgliedschaft vorlegen musst.

Evtl. gibt es ja dann einen Wettlauf der Gewerkschaften. Bei Verdi 1 Zusatztag Urlaub, bei Komba 3 Tage?

Das glaube ich nicht, da ver.di und der dbb gemeinsam verhandeln. Theoretisch wäre es möglich das man unterschiedliche Regelungen zwischen den Gewerkschaften trifft, da der TVöD zwischen Bund/VKA und beiden Gewerkschaften separat abgeschlossen wurde (jedoch wortgleich, bis auf das Rubrum).

BAT

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« Antwort #2153 am: 09.08.2024 09:29 »
Na das reicht doch. Also eine Gewerkschaft möchte sich attraktiv machen durch Sonderkonditionen für Mitglieder. Da eine Wettbewerb mit anderen Gewerkschaften nicht ausgeschlossen ist, bin ich der Auffassung, dass der Schuss auch noch hinten losgehen kann.

Was viel schlimmer ist: das wäre ja Akquise. Wenn mir da eine Verdi kommt mit einen Tag mehr Urlaub oder 200 oder 300 € mehr im Jahr, sehe ich das eher abschreckend. Wie klein kann man sich machen?

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« Antwort #2154 am: 09.08.2024 10:01 »
Na das reicht doch. Also eine Gewerkschaft möchte sich attraktiv machen durch Sonderkonditionen für Mitglieder. Da eine Wettbewerb mit anderen Gewerkschaften nicht ausgeschlossen ist, bin ich der Auffassung, dass der Schuss auch noch hinten losgehen kann.

Was viel schlimmer ist: das wäre ja Akquise. Wenn mir da eine Verdi kommt mit einen Tag mehr Urlaub oder 200 oder 300 € mehr im Jahr, sehe ich das eher abschreckend. Wie klein kann man sich machen?

Der Wettbewerb zwischen den Gewerkschaften (ver.di und dbb/komba) läuft ja jetzt schon seit Jahrzehnten, häufig über Leistungen und unterschiedliche Beiträge. Nur am Verhandlungstisch gibt es seit 2008 klare Absprachen, dass man sowohl die Forderungen gemeinsam aufstellt und auch gemeinsam verhandelt. Wenn eine Forderung "Bonus für Gewerkschaftsmitglieder" jemals aufgestellt würde, denke ich auch, dass diese dann für beide gleich aufgestellt würden und in dieser Frage keine Differenzierung stattfinden würde und auch die Arbeitgeber dann nicht differenzieren wollen (falls Sie sich denn jemals auf so etwas einlassen sollten).

Zu der zweiten Frage:
Natürlich dient das der Akquise. Wenn es für Dich abschreckend ist, ist es für andere sicherlich nicht abschreckend, wenn man ihm quasi die Mitgliedschaft "schenkt"/subventioniert. Von alleine kommen die Beschäftigten ja nicht mehr in die Gewerkschaften, die Organisationquoten - gerade in der klassischen Kommunalverwaltung - sowohl von ver.di/dbb sind erschreckend gering. Selbst wenn ver.di/dbb beim nächsten Mal 20 % plus Arbeitszeitverkürzung auf 32 h/Woche durchsetzen würden, würden doch ganz viele noch sagen "ich bekomme das ja auch so (weil mein AG nicht differenziert, was er ja grundsätzlich nach TVG könnte), warum soll ich da denn eintreten und einen Beitrag zahlen?"....

Alternative ist: Die Gewerkschaften bluten immer weiter aus - die Abschlüsse werden immer schlechter - die Gewerkschaften bluten noch weiter aus - noch schlechtere Abschlüsse - bis wir zu dem Punkt kommen, an welchen es die Gewerkschaften nicht mehr gibt und keiner mehr Tarifverträge abschließt. Ob das im Interesse der Mehrheit (!) der Beschäftigten im öD ist, weiß ich auch nicht.

MoinMoin

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« Antwort #2155 am: 09.08.2024 10:32 »
Alternative ist: Die Gewerkschaften bluten immer weiter aus - die Abschlüsse werden immer schlechter - die Gewerkschaften bluten noch weiter aus - noch schlechtere Abschlüsse - bis wir zu dem Punkt kommen, an welchen es die Gewerkschaften nicht mehr gibt und keiner mehr Tarifverträge abschließt. Ob das im Interesse der Mehrheit (!) der Beschäftigten im öD ist, weiß ich auch nicht.
Und die AGs würden immer mehr die anderen AN via Zulagen auf ein angemessenes Entgelt anheben.
Im TV-L machen aktuell die Gewerkschaften eine Abschlusspolitik gegen die Mehrheit der AN, in der Kommune für die Mehrheit, dass dürfte im TV-L die Gewerkschaften noch schneller ausbluten lassen.

BAT

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« Antwort #2156 am: 09.08.2024 10:37 »
Das ist sicherlich ein Problem, wenn zu wenig organisiert sind. Aber auch auf hohem Niveau. Man muss ja historisch sehen, wofür Gewerkschaften eigentlich da waren/ sind. Also keine Ausbeutung, Schutz vor giften Dämpfen, Flüssigkeiten, Pausen, keine Schläge, keine Fronarbeit, etc.

Das was heute gemacht wird sind arbeitsrechtlich ja insofern Petitessen. Und das ist ja auch gut so.

Ich will es mal vergleichen mit meinem örtlichen Tierheim, die kriegen von mir auch keine Spenden, weil sie sich nicht auf ihre Kernaufgaben konzentrieren, sondern Tier aus Rumänien, etc. holen. Ebenso bei den Gewerkschaften, die politisch für mich als Haltung untragbar sind. Da können die auch auf 1 € Monatsbetrag runtergehen. Njet.


BAT

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« Antwort #2157 am: 09.08.2024 10:38 »

Im TV-L machen aktuell die Gewerkschaften eine Abschlusspolitik gegen die Mehrheit der AN,

Mal neugierig gefragt: kannst Du kurz zusammenfassen, was genau da gerade passiert?

MoinMoin

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« Antwort #2158 am: 09.08.2024 11:00 »

Im TV-L machen aktuell die Gewerkschaften eine Abschlusspolitik gegen die Mehrheit der AN,

Mal neugierig gefragt: kannst Du kurz zusammenfassen, was genau da gerade passiert?
Stauchung der Tariftabelle, und damit seit langem (also die aktuellen Abschlüsse und die der letzten Dekade) eine Benachteiligung der EGs ab 9, die die Mehrheit der AN im TV-L sind.
nachzulesen hier:
https://oeffentlicher-dienst.info/tv-l/allg/a/2024/a/vergleich.tv-l-2023.j.html

TVOEDAnwender

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« Antwort #2159 am: 09.08.2024 12:31 »
Alternative ist: Die Gewerkschaften bluten immer weiter aus - die Abschlüsse werden immer schlechter - die Gewerkschaften bluten noch weiter aus - noch schlechtere Abschlüsse - bis wir zu dem Punkt kommen, an welchen es die Gewerkschaften nicht mehr gibt und keiner mehr Tarifverträge abschließt. Ob das im Interesse der Mehrheit (!) der Beschäftigten im öD ist, weiß ich auch nicht.
Und die AGs würden immer mehr die anderen AN via Zulagen auf ein angemessenes Entgelt anheben.
Im TV-L machen aktuell die Gewerkschaften eine Abschlusspolitik gegen die Mehrheit der AN, in der Kommune für die Mehrheit, dass dürfte im TV-L die Gewerkschaften noch schneller ausbluten lassen.

"die AGs" glaube ich nicht, wenn werden es nur einige sein. Das werden dann nur die machen können, die es sich leisten können (passiert ja jetzt schon bei diesen ÜT/AT-Fachkräfte-Zulagen). Die Kommunen, die z.B. im Haushaltssicherungskonzept oder in Nothaushalten hängen und daher (schon jetzt) keine ÜT/AT-Zulagen zahlen dürfen, laufen dann noch mehr leer. Der "Kanibalismus" wird dadurch einfach nur noch größer, als er jetzt schon ist. Außerdem hängen am TVöD ja nicht nur Bund und Kommunen. Viele freie Träger (Jugendhilfe, Behindertenhilfe, Pflege, Rettungsdienste, KiTa) sind direkt oder indirekt an die Lohnentwicklung des TVöD und an den Mantel/die Eingruppierungsvorschriften gebunden (i.d.R. durch die Finanzierungsvorschriften durch die öffentliche Hand bzw. die Krankenkassen). Der TVöD ist hier in der Regel der "Referenztarifvertrag". Die schauen dann auch schön in die Röhre.