Die in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anwartschaften spiegeln das gesamte Erwerbsleben wider – wer viel eingezahlt hat, bekommt eine hohe Rente, wer wenig eingezahlt hat, eine geringe. Viel eingezahlt haben in der Regel abhängig Beschäftigte, die kontinuierlich und in Vollzeit erwerbstätig waren. Wenig eingezahlt haben in der Regel Beschäftigte, die lange Phasen der Krankheit oder der Arbeitslosigkeit erlebt haben sowie Phasen der Erwerbsunterbrechung etwa zur Ausübung privater Sorgearbeit. Außerdem haben diejenigen wenig eingezahlt, die weniger verdienen, was zu einem großen Teil das höhere Armutsrisiko von Frauen oder auch das viel höhere Armutsrisiko von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit erklärt.
Im Alter von Armut betroffen zu sein, kann also verschiedene individuelle und biografische, aber auch strukturelle und systembedingte Gründe haben. Als biografische Faktoren, die zu diskontinuierlichen Erwerbs- und Versicherungsverläufen führen und somit das Risiko für Armut im Alter erhöhen, sind erstens gesundheitliche Beeinträchtigungen, Krankheit und Erwerbsunfähigkeit sowie Behinderung zu nennen. Mehr als 1,8 Millionen Menschen beziehen Erwerbsminderungsrenten, deren Beträge nicht immer für ein individuelles Einkommen oberhalb der Armutsschwelle ausreichen. Dem begegnet der Gesetzgeber durch Erhöhung der Zurechnungszeit für Neurentner und Erhöhung der bisherigen Renten wegen Erwerbsminderung ab Juli 2024.
Zweitens sind familiäre Verpflichtungen zu nennen. Menschen unterbrechen ihre Erwerbsarbeit oder reduzieren den Stundenumfang in verschiedenen Phasen des Familienlebens. Bei der Geburt von Kindern sind es meist die Mütter, die ihre Erwerbsarbeit unterbrechen. Bei den heute Älteren war der Anteil von Hausfrauen noch besonders hoch. Nicht zu unterschätzen ist auch, wie viele Angehörige Pflegebedürftige – meist die Eltern, aber auch Partnerinnen und Partner oder kranke Kinder – betreuen. Und während durch Anerkennung von Erziehungszeiten, Anerkennung von Pflegezeiten und die gemeinsame Altersvorsorge im Haushaltskontext inklusive der Hinterbliebenenabsicherung der gesetzlichen Rentenversicherung oft Armut im Alter abgewendet wird, bergen Trennung und Scheidung vor allem für Frauen ohne ausreichende eigene Anwartschaften ein hohes Armutsrisiko – auch beim sogenannten Versorgungsausgleich im Rahmen der Scheidung.
Drittens ist der Faktor Migration zu nennen. Wer einen Teil seines Erwerbslebens außerhalb des bundesdeutschen Systems verbracht hat, dem fehlen möglicherweise entsprechende Anwartschaften bei der Deutschen Rentenversicherung. Prinzipiell können ältere Menschen auch aus mehreren Ländern Renten beziehen, die hohen Armutsquoten der älteren Migrantinnen und Migranten verweisen jedoch darauf, dass dies insbesondere für die heute Älteren kaum in nennenswertem Umfang der Fall ist. Das liegt auch daran, dass Deutschland nicht mit allen Ländern Sozialversicherungsabkommen hat und es auch in vielen Ländern kein vergleichbares Rentenversicherungssystem gibt. Zudem haben Ältere mit Migrationshintergrund auch häufiger durch geringe Einkommen und Arbeitslosigkeit geprägte Erwerbsverläufe in Deutschland.
Viertens ist der Faktor Selbständigkeit zu nennen. Wer ein Teil seines Erwerbslebens in einer Selbständigkeit verbracht hat, hat oft nicht oder nicht ausreichend vorgesorgt. Das Risiko, als Selbständiger in die Altersarmut zu kommen, ist siebenmal höher als ein Arbeitnehmer. Das liegt auch daran, dass manche Sparmodelle für den Fall einer Insolvenz nicht ausreichend geschützt sind oder bei Rückkehr in ein Arbeitnehmerverhältnis nicht mehr bespart werden können. Vielfach sind auch gesundheitliche Gründe und eine mangelnde Absicherung bei Erwerbsminderung der Grund, warum Selbständige bei Krankheit häufiger von Armut betroffen sind als Arbeitnehmer. Diese Personen hat Hubertus Heil daher besonders im Blick, wenn er für eine Altersvorsorgepflicht plädiert.
Zu den gravierendsten Veränderungen des Arbeitsmarktes der vergangenen Jahrzehnte zählen der Ausbau des Niedriglohnsektors, die Ausweitung der atypischen Beschäftigung sowie die Zunahme hybrider Selbstständigkeit und das Ausüben mehrerer Beschäftigungsverhältnisse. Sowohl die dauerhafte Beschäftigung im Niedriglohnsektor als auch eine dauerhafte Tätigkeit in Teilzeit führen zu geringen Rentenanwartschaften. Bei den heutigen Rentnerinnen und Rentnern haben zudem Phasen hoher Arbeitslosigkeit, aber auch neue Formen der nicht-sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wie Minijobs – neben der klassischen Schattenwirtschaft – zu vielen vergleichsweise geringen Renten beigetragen. Insbesondere in Ostdeutschland wird sich die hohe Arbeitslosigkeit nach der Wiedervereinigung bis zum Ende der Finanzkrise in den nächsten Jahren wahrscheinlich in noch stärkerem Maße im Anstieg der Armutsquote der rentennahen Jahrgänge zeigen.
Zu den alterssicherungspolitischen Faktoren gehören mangelnde Vorsorgefähigkeit und -bereitschaft. Nur wer Erwerbseinkommen in ausreichender Höhe und über einen ausreichenden Zeitraum erzielt, kann individuell ausreichend Anwartschaften auf Leistungen aus einem Alterssicherungssystem erwerben. Die Vorsorgebereitschaft ist nicht nur voraussetzungsreich, weil sie Vorsorgefähigkeit benötigt. Um langfristig und vorausschauend vorsorgen zu können, benötigen Menschen ausreichendes Wissen über die Notwendigkeit und die Möglichkeiten einer adäquaten Altersvorsorge. Dem steht sowohl die Komplexität der Alterssicherungssysteme entgegen, die durch die Teilprivatisierung im Mehrschichtsystem stark gestiegen ist, als auch die Schwierigkeit, zukünftige Entwicklungen der Kapitalmärkte korrekt einschätzen zu können. So hat sich die Riester Rente beispielsweise nicht vollständig etabliert. Von über 40 Mio Förderberechtigten haben nur etwa 17 Mio einen Vertrag. Davon werden nur noch etwa 10 Mio bespart, über die Hälfte der Sparer erhält allerdings nicht die volle Förderung, da der Sparbeitrag zu gering ist.
Diese Diskussion hat allerdings alles wenig mit der Ausgangsfrage zu tun, ob Beamte nun wie Arbeitnehmer eigene Beiträge für ihre Altersvorsorge aufbringen sollten oder müssten oder ob Heils Vorschlag realistisch zeitnah umgesetzt werden wird.
Politisch lässt sich die Vorsorgepflicht für Selbständige voraussichtlich deutlich besser durchsetzen, wenn es auch im Beamtenrecht eine solche Verpflichtung zum Eigenbeitrag geben würde.
Wenn damit auch eine Leistungsverbesserung für Beamte einhergeht, wäre ich sogar dafür.
Das mit einer solchen Einführung der Beamten die Rentner besser gestellt würden, vermag ich nicht zu erkennen. Wie ich schon mal erwähnt habe, gibt es bei der Rentenanpassung einen Dämpfungsfaktor, wenn sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern ungünstig verschiebt. Da das Verhältnis von aktiven Beamten zu Pensionären deutlich ungünstiger ist als das Verhältnis von Arbeitnehmern zu Rentnern, hätte die Einbeziehung der Beamten in das Rentensystem für alle Rentner die Konsequenz, dass zukünftige Rentenanpassungen kleiner ausfallen würden.
Alles in allem darf man jedoch nicht vergessen, dass der Anteil an Beziehern von ergänzenden Sozialleistungen im Alter im Verhältnis zu den übrigen Bevölkerungsschichten nach wie vor sehr gering ist. Bei Einführung der Grundsicherung im Jahr 2003 bezogen 257734 Personen Grundsicherung im Alter, ein Anteil von 1,7 Prozent. Im Jahr 2020 waren es mit 564110 Personen bereits weit mehr als doppelt so viele, ein Anteil von 3,2 Prozent. Dabei ist der Anteil der Männer mit 3,3 Prozent ähnlich hoch wie der Anteil der Frauen mit 3,2 Prozent.
Große Unterschiede zeigen sich vor allem zwischen Menschen mit und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit: Während unter denjenigen mit deutscher Staatsangehörigkeit lediglich 2,6 Prozent der Männer und 2,4 Prozent der Frauen Grundsicherung im Alter beziehen, sind es in der Gruppe ohne deutsche Staatsangehörigkeit 15,0 Prozent der Männer und 19,2 Prozent der Frauen. Die große Mehrheit der Empfängerinnen und Empfänger stocken eine niedrige Rente durch Grundsicherungsleistungen auf, nur etwa ein Viertel von ihnen ist ohne Rentenanspruch.