Autor Thema: Begründungspflicht für wesentliche Verschlechterung einer Regelbeurteilung  (Read 3973 times)

Casa

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7. Erhebliche Verschlechterung des Gesamturteils im Vergleich zur Vorbeurteilung; unerklärliche Notensprünge

Nach der Rechtsprechung des BVerwG bedürfen erhebliche Verschlechterungen des Gesamturteils der dienstlichen Beurteilung im Vergleich zu einer vorangegangenen dienstlichen Beurteilung der Begründung (BVerwG v. 21.12.2016 — 2 VR 1.16 -, Rn. 33). Ohne nachvollziehbare Begründung ist die dienstliche Beurteilung rechtsfehlerhaft. Nach dem BVerwG ist eine erhebliche Verschlechterung des Gesamturteils nur denkbar, wenn die Vorbeurteilung fehlerhaft war, sich zwischenzeitlich die Leistungen erheblich verschlechterten oder wenn generell ein neuer (strengerer) Beurteilungsmaßstab eingeführt wurde (BVerwG v. 21.12.2016 — 2 VR 1.16 -, Rn. 33). Ein Notensprung kann nicht nur bei einer unerklärlichen Verschlechterung der eigenen Beurteilung gerügt werden. Eine Rüge kommt auch bei einem unerklärlichen Notensprung nach oben in der dienstlichen Beurteilung von Konkurrenten/innen im Konkurrentenstreitverfahren um die Vergabe eines Beförderungsdienstpostens in Betracht (BVerwG v. 25.10.2011 ‑2 VR 4.11 -, juris Rn. 26).

Eine erheblich begründungsbedürftige Verschlechterung ist anzunehmen, wenn die Gesamtnote mindestens um eine ganze Notenstufe (VG Köln v. 01.08.2012 — 19 K 1221/12 -, juris Rn 27) oder um zwei Notenstufen (BVerwG v. 21.12.2016 — 2 VR 1.16 -, Rn. 33) abgesenkt wird (VG Stuttgart v. 20.08.2019 — 2 K 16559/17 -, juris Rn 38). Derartige Herabstufungen bedürfen der Begründung, weil nur so das erheblich verschlechterte Gesamturteil nachvollzogen werden kann. Die Begründung hat schon in der dienstlichen Beurteilung selbst zu erfolgen. Anders als bei nachträglich erhobenen Einwänden gegen Einzelbewertungen genügt es nicht, das Gesamturteil nachträglich zu plausibilisieren (BVerwG v. 21.12.2016 — 2 VR 1.16 -, Rn. 33, 41; VG Karlsruhe v. 06.07.2017 — 2 K 729/16 -, juris Rn 23). Der angebliche Leistungsabfall muss hinreichend konkretisiert werden. Ferner muss dargelegt werden, warum sich die weitere Diensterfahrung der zu beurteilenden Person seit der vorangegangenen Beurteilung nicht positiv auf ihr Leistungsbild ausgewirkt hat (VG Köln v. 01.08.2012 — 19 K 1221/12 -, juris Rn 26 ff). Die Begründungspflicht betrifft besonders Anlassbeurteilungen, die nach der Rechtsprechung aus der vorherigen Regelbeurteilung zu entwickeln sind. Weichen Anlassbeurteilungen von der Regelbeurteilung ab, sind die Abweichungen zu begründen (BVerwG v. 22.11.2012 — 2 VR 5/12 -, juris Rn 30). 


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9. Verschlechterung des Gesamturteils nach einer Beförderung

Es entspricht weitverbreiteter von der Rechtsprechung gebilligter Praxis, nach einer Beförderung im Beurteilungszeitraum die Gesamtnote gegenüber der vorangegangenen Beurteilung im Beförderungsamt um eine Notenstufe abzusenken, wenn die Leistungen gleich geblieben sind, d.h. die Beamtin oder der Beamte die Leistungen im Beförderungsamt nicht gesteigert hat (u.a. OVG Sachsen-Anhalt v. 17.06.2016 — 1 M 71/16 -, juris Rn 26; OVG Lüneburg v. 09.02.2010 — 5 LB 497/07 -, juris Rn 35; OVG NRW v. 29.10.2008 — 6 B 1131/08 -, juris Rn 4; OVG NRW v. 29.07.2004 — 6 B 1212/04 -, juris Rn 18). Die Herabstufung wird damit begründet, dass die Leistungen am jeweilig innegehabten Statusamt zu messen sind und mit dem Aufstieg in ein höheres Amt höhere Anforderungen und der Wechsel in eine leistungsstärkere Vergleichsgruppe verbunden ist. Die Leistungen im Beurteilungszeitraum, in den die Beförderung fällt, werden nach dem Maßstab des am Beurteilungsstichtag innegehabten höheren Statusamtes gemessen; es findet kein Beurteilungssplitting statt (BVerwG v. 26.08.1993 — 2 C 37.91 -, juris Rn 13; OVG Lüneburg v. 09.02.2010 — 5 LB 497/07 -, juris Rn 34). In der dienstlichen Beurteilung muss nicht nur der Beurteilungszeitraum, sondern auch der Zeitpunkt der Beförderung aufgeführt werden (BVerwG v. 26.08.1993 — 2 C 37.91 -, juris Rn 12).

Das BVerwG hat die Beförderung im Beurteilungszeitraum nicht als einen möglichen Anlass für eine erhebliche Verschlechterung des Gesamturteils aufgeführt (BVerwG v. 21.12.2016 — 2 VR 1.16 -, Rn. 33). In einer früheren Entscheidung hat das BVerwG die Möglichkeit der Verschlechterung der Gesamtnote wegen einer Beförderung im Beurteilungszeitraum gesehen. Das BVerwG hat eine solche Vorgehensweise aber davon abhängig gemacht, dass die Beurteilungsrichtlinie und die Beurteilungspraxis ein solches Verfahren vorsehen (BVerwG v. 11.12.2008 — 2 A 7.07 -, juris Rn 27). Außerdem darf nach der Rechtsprechung ein solches Verfahren nicht schematisch ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalles angewandt werden.

Daraus ergibt sich, dass unter folgenden Umständen von der Rechtswidrigkeit der Herabsetzung einer Gesamtnote, die mit einer Beförderung im Beurteilungszeitraum begründet wird, auszugehen ist:

    In der Behörde fehlt es an einer Regelung oder einer Beurteilungspraxis für ein solches Verfahren.
    Es besteht zwar eine entsprechende Beurteilungspraxis; diese wird aber in der Vergleichsgruppe nicht einheitlich und gleichmäßig angewandt, so dass ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vorliegt.
    Die Rechtsvermutung, dass eine Beförderung im Beurteilungszeitraum eine Herabsetzung der Gesamtnote auslöst, wenn die Leistungen im Beförderungsamt nicht gesteigert wurden, wird im Einzelfall widerlegt. Das heißt, die Prüfung im Einzelfall ergibt, dass die Rechtsvermutung aufgrund besonderer Umstände nicht zutrifft (OVG Saarland v. 26.07.2007 — 1 B 304/07 -, juris Rn 12).

Es ist unerlässlich, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Regelvermutung zutrifft oder nicht. Die Einzelfallprüfung kann ergeben, dass dienstliche Leistungen, die im niederrangigen Amt mit einer Spitzennote beurteilt wurden, auch nach der Beförderung im ranghöheren Amt überdurchschnittlich sind oder sogar das Spitzenniveau erreichen, weil die beurteilte Person im niederrangigen Amt ihr Leistungs- und Befähigungspotential noch nicht voll ausgeschöpft hatte (VG Frankfurt v. 17.02.2016 — 2 K 1254/13 -, juris Rn 33). In einem solchen Fall wäre eine schematische Herabsetzung der Gesamtnote rechtswidrig. Das gilt für alle Fälle, in denen Beamte/innen ihre bisherigen Leistungen im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG im Beförderungsamt gesteigert haben. Zudem ist zu berücksichtigen, dass z.B. Beförderungen im mittleren Dienst in der Regel gerade nicht mit Aufgabenwechsel verbunden sind, die eine Einarbeitungsphase und damit einen Neuanfang erfordern (VG Frankfurt v. 17.02.2016 — 2 K 1254/13 -, juris Rn 33). Das gilt in gleicher Weise für Beförderungen auf gebündelten Dienstposten aller Laufbahngruppen, d.h. auf Dienstposten, die mehreren Besoldungsgruppen zugeordnet sind (sog. Topfwirtschaft im dienstrechtlichen Sinne).

Auch die Beurteilungspraxis selbst kann wegen Verletzung des Gleichheitssatzes rechtlich angreifbar sein. In einem dem OVG NRW vorgelegten Fall, war es gängige Praxis, Beamte/innen bei ihrer erstmaligen Beurteilung im Beförderungsamt schematisch mit der Durchschnittsnote zu beurteilen, ohne zu unterscheiden, ob sie zuvor im rangniedrigerem Amt eine Spitzenbeurteilung erhalten hatten oder nur durchschnittlich beurteilt worden waren (OVG NRW v. 29.10.2008 — 6 B 1131/08 -, juris Rn. 4 f). Das führte in dem dem OVG NRW vorgelegten Fall zu einer Herabstufung einer Spitzenbeurteilung um zwei Notenstufen, was vom OVG NRW als nicht nachvollziehbar und rechtlich zweifelhaft bezeichnet wurde. 

Beides: https://anwalt-tomfroehlich.de/beispiele-fuer-beurteilungsfehler/
Gib mir ein Minus, wenn dir meine Beiträge gefallen. :-)

clarion

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Das ganze Beurteilungswesen ist in meinen Augen eine Farce.

Fragmon

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Hier kannst du aus gefühlt aktuell allen jemals ergangenen Urteilen zum Beurteilungsverfahren deine notwendige Begründung rausnehmen.

https://jimdo-storage.global.ssl.fastly.net/file/60d23b20-8b94-4869-afac-0ecadf41eb4e/Dienstliche_Beurteilung_Rechtsprechung-8.pdf

bebolus

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Hallo, ich habe die 457 Seiten überflogen. Konkrete Begründungen zu wesentlichen Verschlechterungen einer Beurteilung nach einer Beförderung konnte ich konkret nicht finden. Außerdem dürften sich manche Ausführungen aus älteren Urteilen nun durch das o.g. Urteil erledigt haben.