@ PolareuD
Ich habe mir gerade das Anhörungsverfahren angeschaut. Insbesondere die Aussagen des ehemaligen BVR Huber blieben für mich streckenweise eher vage, was für einen ehemaligen Richter am Bundesverfassungsgericht allerdings sicherlich - um's mal so auszudrücken - nicht als atypischer Einzelfall zu betrachten wäre; denn er wird peinlich genau darauf achtgeben, in seinen Aussagen nicht unverhältnismäßig in den weiten Entscheidungsspielraum einzugreifen, über den der Besoldungsgesetzgeber weiterhin (wenn auch mittlerweile in deutlich kanalisierter und alsbald wohl eingehegter Art und Weise) verfügt, auch wenn er heute kein Richter am Bundesverfassungsgericht mehr ist. Diese ihn m.E. grundsätzlich leitende Motivation sollte man im Hinterkopf haben, wenn man verstehen will, was er sagt.
Wenn ich unter dieser Prämisse seine mündlichen Darlegungen in seinem Eingangsstatement richtig verstehe, enthält er sich hier insbesondere im Hinblick auf den geplanten § 71b zum Ergänzungszuschlag zum Familienzuschlag also weitgehend sachlicher Urteile und referiert stattdessen mit eigenen Worten in der Regel die bislang erfolgte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, um sie über den geplanten § 71b hinaus mal stärker auf den jeweiligen Sachverhalt zu transferieren und mal weniger, und zwar - so würde ich das interpretieren - je weniger stark transferierend, je stärker davon grundlegende Interessen des Besoldungsgesetzgebers betroffen sind (wenn es also politisch heikel wird, nicht zuletzt fiskalisch), und je eher, je weniger grundlegende Interessen des Besoldungsgesetzgebers betroffen sind. Das muss man - wie gerade hervorgehoben - im Blick haben, wenn man seine Ausführungen betrachten will: Der § 71b hat einen hohen Interessenswert für den Besoldungsgesetzgeber (bzw. bislang noch nur für die Landesregierung); entsprechend bleibt der ehemalige BVR sachlich eher vage, muss das, was er sagt, also kontextualisiert werden, was ich für den uns hier interessierende Teil seines Statements nachfolgend versuchen werde, um also "Verfassungsrechtsdeutsch" in allgemein verständliche deutsche Sprache zu übersetzen. In einer solchen "Übersetzung" wird hingegen recht deutlich, was er sagt, denke ich.
In seiner Eingangspassage ab Min. 11:28 führt der ehemalige BVR Huber zunächst aus, dass er in dem Entwurf eine geradezu schulmäßige Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorfinde, insbesondere die prozeduralen Anforderungen seien vorbildlich erfüllt. Dabei setzt er zugleich voraus, dass er den Entwurf richtig verstehe und die Zahlen stimmten; hier finden wir nun eine wichtige Aussage hinsichtlich seines weiteren Fokus. Er stellt hier klar, dass er die Zahlen und Aussagen des Entwurfs als sachlich betrachtet, sie also nicht im Einzelnen prüft, sondern auf Grundlage der Voraussetzung ihrer Sachlichkeit diesen Entwurf betrachtet. Das beim Hören im Hinterkopf zu behalten, ist m.E. wichtig, um zu verstehen, was er sagt. Unter den Prämissen also, dass er den Entwurf richtig verstehe und die von ihm verwendeten Zahlen stimmten, spreche keiner der Parameter der ersten Prüfungsstufe mit Ausnahme des zweiten Parameters (Vergleich mit dem Nominallohnindex) für die Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation (vgl. zum zweiten Parameter Vorlage 18/2495 v. 26.04.2024, S. 52 Tabellensatz 1;
https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV18-2495.pdf). Jene Vermutung sehe er auf der beschriebenen Grundlage richtigen Verständnisses von seiner Seite und stimmender Zahlen des Gesetzentwurfs in weiter Entfernung.
Im Anschluss hebt er allerdings drei kritische Punkte hervor, und zwar zunächst den nach seiner Meinung vielleicht ein bisschen tönend eingeführten Wechsel des Familienleitbilds hin zum Doppelverdienermodell; hier sei er sich unsicher, ob der Entwurf tatsächlich einen Wechsel des Familienleitbilds vollziehe, da hier jenseits der Besoldungsgruppe A 5 für die vierköpfige Familie vermutlich keine grundlegenden Veränderungen gegeben sein würden, womit der ehemalige BVR offensichtlich zwar auf den ersten Blick vage, verfassungsrechtlich aber augenscheinlich eine recht deutliche Kritik äußert, nämlich dass hier für die in der untersten Besoldungsgruppe eingruppierten Beamten eine grundlegende Veränderung vollzogen wird - nämlich hinsichtlich der Verletzung des Mindestabstandsgebots, von dem das Bundesverfassungsgericht in seinem aktuellen Judikat in der Rn. 46 von "der Missachtung des gebotenen Mindestabstands zum Grundsicherungsniveau in der
untersten Besoldungsgruppe" ausgeht (
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html; Hervorhebung durch mich). Sofern sich also bewahrheiten würde, dass der Besoldungsgesetzgeber Regelungen auf Basis des neuen Familienleitbilds weitgehend nur zum Zwecke der Einhaltung des Mindestabstandsgebots in der untersten Besoldungsgruppe vollzöge - diese Kritik klingt in der Aussage an -, um darüber hinaus damit keine sachlich hinreichenden Auswirkungen für alle weiteren Besoldungsgruppen unter dem neuen Leitbild des Doppelverdienermodells zu vollziehen, stellte sich die Frage, ob damit eventuell eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 3 Abs. 1 GG einherginge. Dieser vage formulierte Kritikpunkt einer ggf. verfassungsrechtlich nicht haltbaren Einführung des neuen Familienleitbilds sollte hier durchscheinen.
Daran anschließend führt der ehemalige BVR aus, dass der Ergänzungszuschlag zum Familienzuschlag darüber hinaus von Gewerkschaftsseite als Rechentrick stigmatisiert worden sei und es auch in gewisser Weise sei bzw. könne er auch als salvatorische Klausel für Einzelfälle verstanden werden. Hinsichtlich von salvatorischen Klauseln hat das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit bspw. im Zusammenhang mit Enteignungen festgestellt - auch das wird der ehemalige BVR im Hinterkopf haben -, dass eine solche Klausel, um verhältnismäßig zu sein, garantieren muss, dass eine verfassungswidrige Inanspruchname des Eigentums in erster Linie durch Ausnahme- und Befreiungsregelungen sowie sonstige administrative und technische Vorkehrungen vermieden wird und dass sie so geregelt ist, dass dem Rechtsschutz des Betroffenen hinreichend Rechnung getragen wird (BVerfGE 100, 226 <246 f.>;
https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv100226.html). Entsprechend kann sie offensichtlich nur in Einzelfällen angewandt werden, wie das auch der ehemalige BVR Huber hier hervorhebt.
Mit dieser Hevorhebung bezieht er sich hier offensichtlich auf den Gesetzentwurf, der auf der Seite 73 ausführt (Hervorhebung durch mich): "Sofern ein solches Einkommen [des Ehepartners; ST.] nicht oder ein geringeres Einkommen vorhanden ist, wird im
Einzelfall die Gewährleistung des erforderlichen Abstandes zum grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarf auf Antrag durch die Gewährung eines mit diesem Gesetz neu geschaffenen Ergänzungszuschlages zum Familienzuschlag (§ 71b des Landesbesoldungsgesetzes) sichergestellt." Dabei dürfte der ehemalige BVR gleichfalls im Blick haben - auch deshalb sollte er eingangs unbesehen davon ausgegangen sein, dass die Zahlen des Gesetzentwurfs stimmten -, dass das Bundesverfassungsgericht in der Rn. 52 der akutellen Entscheidung ausführt (Hervorhebungen durch mich):
"Weder der in erster Linie zur Durchführung einer entsprechenden Berechnung berufene Besoldungsgesetzgeber noch das zur Nachprüfung berufene Bundesverfassungsgericht muss sich an atypischen Sonderfällen orientieren. Die Herangehensweise muss jedoch von dem Ziel bestimmt sein, sicherzustellen, dass die Nettoalimentation
in möglichst allen Fällen den gebotenen Mindestabstand zu dem den Empfängern der sozialen Grundsicherung gewährleisteten Lebensstandard wahrt (vgl. BVerfGE 82, 60 <91>; 99, 246 <261>)."
Entsprechend hebt der Senat hier hervor, dass der Besoldungsgesetzgeber das Recht habe, sich nicht an atypischen Sonderfällen zu orientieren, jedoch zugleich die Pflicht habe, in möglichst allen Fällen den gebotenen Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau zu garantieren. In dieser Spannbreite sind nun ggf. Einzelfälle einzuordnen, die also atypische Sonderfälle sind und als solche eben nicht über die Anzahl an Einzelfällen hinausreichen.
Damit aber - denke ich - wird sachlich deutlich, wenn auch in der dargelegten Ausführung wie oben von mir bewertet vage hervorgehoben, dass die geplante Regelung des § 71b kaum mit der Verfassung in Einklang zu bringen sein sollte. Denn weiterhin sollte die Zahl an alleinverdienden Familienernähern in der Bundesrepublik kein "atypischer Sonderfall" sein, sondern eines der vielen typischen Familienmodelle, und zwar das nur umso mehr, je jünger die Kinder der beiden Ehepartner sind. Darüber hinaus sollte weiterhin - sofern die geplante Regelung des § 71b Gesetzeskraft erlangte - ein nicht geringe Zahl an anspruchsberechtigten Beamten in Nordrhein-Westfalen gegeben sein, sodass sich die Behauptung, hier lägen nur Einzelfälle vor, kaum in der Realität erhärten lassen sollte. Dahingegen hebt der ehemalige BVR Huber ab der Min. 13:56 hervor: "Und solang sich das [die Gewährung des Ergänzungszuschlags zum Familienzuschlag; ST.] auf Einzelfälle beschränkt, sehe ich da auch keine Einwände und Bedenken."
Da nun aber - denke ich - das Alleinverdienermodell kein atypischer Sonderfall ist, so wie das neue Leitbild der Doppelverdienerfamilie nicht die weit überwiegende Zahl gesellschaftlich gegebener Verhältnisse repräsentiert, und zwar das nur umso mehr, je jünger die jeweiligen Kinder sind, da also in der gesellschaftlichen Verfasstheit der Bundesrepublik deutlich zu viele Alleinverdienerfamilien gegeben sind, was sich ebenso in den Beamtenfamilien weitgehend so darstellen dürfte, kann man offensichtlich nicht hinsichtlich der Anspruchsberechtigung eines mit diesem Gesetz neu geschaffenen Ergänzungszuschlages zum Familienzuschlag von wenigen Einzelfällen ausgehen. Damit aber entfiele die verfassungsrechtliche Voraussetzung für eine salvatorische Klausel und bliebe am Ende das Stigma des Rechentricks, den der ehemalige BVR offensichtlich in seinem Statement für den Fall bestätigt, dass sich eine entsprechende salvatorische Klausel nicht formulieren ließe. So verstanden dürfte diese Betrachtung eindeutig sein: Sofern sich die vom ehemaligen BVR nicht geprüfte Aussage des Entwurfs, von der Anspruchsberechtigung zum Ergänzungszuschlag zum Familienzuschlag seien nur Einzelfälle betroffen, als unbegründet zeigte, wäre verfassungsrechtlich keine Möglichkeit für eine Art salvatorische Klausel gegeben; jene Regelung entpuppte sich dann als ein Rechentrick, der als solcher verfasungsrechtlich nicht begründbar wäre und sich entsprechend als evident sachwidrig und damit verfassungswidrig entpuppte.
Da allerdings in solchen Anhörungen "das gesprochene Wort gilt", wäre es für mich deutlich interessanter, seine schriftliche Stellungnahme zu lesen, die - davon darf man ausgehen - noch einmal sprachlich deutlich präziser (wenn auch sicherlich sachlich kaum weniger vage) sein dürfte. In den bislang veröffentlichten Gesetzgebungsmaterialien habe ich sie allerdings nicht gefunden. Wo oder wem liegt sie vor? PS. Ich lese gerade, dass Du sie hier eingestellt hast. Ich werde sie nachher mal lesen und bin gespannt auf sie!
PS. Übrigens sind die Ausführung zum Nivellierungsverbot ab der Min. 14:30 ebenfalls recht interessant.