Autor Thema: Völlige Entkoppelung von Besoldung und Gehalt nach BVerfG Urteil  (Read 38398 times)

Thomber

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Die Aussage "Da die Mehrzahl der Bürgergeldempfänger keine erwerbsfähige Arbeitslose sind. sondern bedürftige Menschen sind" ist zu erläutern...
Sorry, war überspitzt formuliert.
Natürlich sind es alle Bedürftige.

Was ich sagen wollte:
Sind bedürftige Bürger, denen es nicht so einfach möglich ist, durch die einfache Annahme einer entsprechenden Arbeitsstelle ihre Bedürftigkeit zu beenden.
Da sie eben nicht zu 100% dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Besser?

btw ich gehe von 1,71 Mio  erwerbsfähige Arbeitslose  aus.


Du meinst, dass PErsonen, die nur z.B. 50% arbeiten können, nach Arbeitsaufnahme immer noche bedürftig sein würden/könnten?     Tja, leider....damit bilden sie dann den Hauptteil der Empfänger, die man Aufstocker nennen kann.

btw meine Zahl stammt aus August-Statistik, ist also aktuell.

BVerfGBeliever

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lerne lesen

Du hast Recht. Ich hatte leider nur deinen Satz gelesen und daher "denen" fälschlicherweise auf "Beamte" bezogen. Sorry, mea culpa!
[im Übrigen meine ich mich zu erinnern, dass MoinMoin zumindest schon mal teilweise in diese Richtung argumentiert hat. Aber das warst dann natürlich nicht du, und ich habe leider eine Zeit lang zu wenig darauf geachtet, welche Beiträge von wem von euch stammen und wie sie sich in ihrer Qualität unterscheiden.]


Und das ist einfach nur der Widerspruch zwischen Leistungsprinzip und Alimentation der gesamten Familie. Das ist einfach nicht auflösbar! Mit genügend vielen Kindern kriegt auch der einfache Dienst mehr als ein kinderloser Bundeskanzler...

[...]

Richtig: Die Grundbesoldung muss amtsangemessen sein und darf nicht nur einen Bedarf befriedigen. Letzterer muss aber für insbesondere die Kinder durch die Alimentation gegeben sein. Und diese ist eben nicht amtsabhängig: Ein A5-Kind hat den gleichen Bedarf wie ein B5-Kind. (Wohl aber muss damit dem B5-Beamten ein höherer Brutto-Betrag ausgezahlt werden, damit Netto das gleiche ankommt.)

Dieser Punkt dürfte vermutlich einer derjenigen sein, an dem sich unsere Interpretationen unterscheiden. Spontan würde ich sagen, dass das BVerfG bereits 1977 versucht hat, diesen Widerspruch aufzulösen, indem es die klare Abgrenzung zwischen Kind 1+2 (nahezu keine zusätzliche Alimentation) sowie den restlichen Kindern (voller Anspruch auf zusätzliche Alimentation) eingeführt hat, mit diversen sich daraus ergebenden Konsequenzen (unter anderem die Begrenzung der Zuschläge für die ersten beiden Kinder). Aber da muss ich bei Gelegenheit erst noch mal recherchieren. Und wie im Beamtenforum von anderen angemerkt habe ich ebenfalls im Hinterkopf, irgendwann auch schon mal etwas von Swen gelesen zu haben, das gegebenenfalls Licht in mein (urlaubsbedingt heruntergefahrenes, daher auch obiger Lese-Lapsus ;)) Hirn bringen könnte..


Ich wünsche (ernst gemeint) einen erholsamen Urlaub!

Danke!  :)

Rentenonkel

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Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass eine angemessene Alimentation von Familien mit Kindern ein „Muss“ ist. Soweit hier Verbesserungen erfolgt sind, wird das im Sinne der betroffenen Familien unabhängig von rechtlichen Wertungen und der nachfolgenden Kritik begrüßt. Eine Umsetzung der sog. Berliner Entscheidung, mit der aber deutliche Verbesserungen nahezu ausschließlich für Familien mit Kindern vorgenommen werden, verkennt die Tragweite der Entscheidung und greift daher deutlich zu kurz!

Sowohl aus den bisherigen Gesetzesänderung der Länder als auch aus den jeweiligen Gesetzesbegründungen lässt sich der systematische Ansatz erkennen, dass es bei der Erarbeitung der Gesetzentwürfe ausschließlich darauf ankam, exakt und möglich centgenau die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts für diesen Teilbereich abzubilden, also die Familien zu stärken. Es ging – einmal mehr – darum, die Besoldung für den betroffenen Personenkreis, ausgehend von dem Maßstab des Grundsicherungsbedarfs einer vierköpfigen Vergleichsfamilie, in einem (vielleicht noch) verfassungsrechtlichen Rahmen zu halten. Einmal mehr orientieren sich die Besoldungsgesetzgeber also nicht an der Angemessenheit des Amtes und seiner Bedeutung, sondern allein an der Untergrenze der noch nicht verfassungswidrigen Unteralimentation. Faktisch dienen die von vielen Ländern nunmehr vorgesehenen Familienzuschläge ausschließlich dazu, die finanzielle Ausstattung von Kindern über dem Mindestabstand von 15% zu halten – und zwar ausschließlich kindbezogen mit nur geringer Berücksichtigung der unterschiedlichen Besoldungsstufen. Evident wird dies vor allem bei den hohen Zuschlägen ab dem dritten Kind. Die Einführung regionaler Ergänzungszuschläge ausschließlich für Familien mit Kindern bestätigt dies, ebenso wie die Berechnung der erforderlichen Jahresalimentation.

Kindbezogene Zuschläge können also deutlich höher ausfallen als das Erreichen eines höheren Amtes. Auch wenn der Besoldungsgesetzgeber diese Beträge mit den Berechnungen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigen will, ergeben sich neue Fragestellungen: Nach meinem Verständnis ist auch die Amtsbezogenheit der Besoldung ein hergebrachter verfassungsrechtlicher Grundsatz. Je höher das statusrechtliche Amt, desto höher ist es zu alimentieren. Familienbezogene Bestandteile dienen zwar der Ergänzung, spiegeln jedoch nicht die Amtsbezogenheit der Besoldung wider. Es ist zweifelhaft, ob eine Grundbesoldung noch angemessen ist, wenn schon bei üblichen Familiengrößen die zur Verfassungsmäßigkeit der Familienalimentation erforderlichen zusätzlichen Bestandteile teilweise mehr als 30% der „eigentlichen“ Besoldung des Amtes betragen müssen.

In Frage zu stellen ist auch, ob das mit der Besoldung ebenfalls verknüpfte Prinzip der leistungsbezogenen Besoldung noch eingehalten ist. Von einem gedachten Modell „gleiche Arbeit und gleiche Leistung“ ist ein stark familienzuschlagsbezogenes Alimentationsmodell weit entfernt.

Insoweit ergeben sich also neue klärungsbedürftige verfassungsrechtliche Fragen. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass dieses Modell junge Beschäftigte vor der Familiengründung erheblich benachteiligt. Jüngeren Kolleginnen und Kollegen ist es nicht selten unmöglich, in Gebieten mit hohen Mieten, die Voraussetzung für eine Familie mit Kindern zu schaffen. Es ist nicht unrealistisch, dass z.B. die Schaffung angemessenen Wohnraums vor der Entscheidung stehen kann, die Familie mit Kindern zu bereichern. Schließlich muss auch an dieser Stelle noch einmal wiederholt werden, dass dieses Alimentationsmodell den Einstieg der besten Köpfe in den öffentlichen Dienst nicht attraktiver macht.

In einem weiteren Schritt wäre nun zu prüfen, ob die tatsächliche Ungleichbehandlung beider Normgruppen (den Unverheirateten und kinderlosen Beamten und dem verheirateten Familienvater mit Ehefrau und zwei Kindern) verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann, ob also bspw. die konkrete Höhe der genannten Familienzuschläge sachgerecht ist oder nicht. Dabei ist jener prozentuale Anteil der genannten Familienzuschläge, der sich seit langer Zeit im Bund als weitgehend unverändert zeigt (die Familienzuschläge werden i.d.R. prozentual entsprechend der Erhöhung der Grundgehaltssätze angehoben) bislang nicht vor dem Bundesverfassungsgericht beklagt worden. Da sich diese Höhe offensichtlich auch anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sachlich rechtfertigen lässt, können wir davon ausgehen, dass diese Familienzuschläge von ihrer Struktur und Höhe verfassungskonform sind - anders sieht das allerdings offensichtlich mit vielen familienbezogenen Besoldungskomponenten in den Ländern aus, wie sie seit 2021 eingeführt worden sind und denen entweder eine neue Struktur zugrunde liegt oder die sich von ihrer Höhe sachlich nicht mehr rechtfertigen lassen, da sie - vereinfacht zusammengefasst - die jeweilige Ämterwertigkeit nicht hinreichend beachten (das wäre im Einzelnen jeweils genauer zu betrachten,).

Ergo: Die zurzeit im Bund gewährten Familienzuschläge sollten sich sowohl von ihrer Struktur als auch von ihrer Höhe sachlich rechtfertigen lassen können. Der unverheiratete Beamte in der Besoldungsgruppe A 8 hat andere Lasten zu tragen als der vierköpfige Familienvater in der Besoldungsgruppe A 3, der zugleich hinsichtlich seiner aus Art. 6 GG resultierenden Grundrechte ggf. anders zu betrachten wäre als ersterer. Die Familienzuschläge sollen also am Ende mit dazu führen, dass sich zwei dasselbe Amt bekleidende Beamten (also in diesem Fall ein kinderloser Beamter und ein verheirateter Familienvater, die beide nach A3 oder nach A 8 besoldet werden) am Ende "annähernd das gleiche leisten" können, wie das das Bundesverfassungsgericht in seiner ersten maßgeblichen Entscheidung über den alimentativen Mehrbedarf für diesen Mehrbedarf festgestellt hat, ohne dass ein Zweifel bestehen könnte, dass das auch für den Unterschied zwischen einem unverheirateten und kinderlosen Beamten und dem verheirateten Familienvater von zwei Kindern gilt (was dahingegen heute als überholt anzusehen sein muss, ist die Aufzählung des Ausgabenpools im zweiten Teil des Zitats, der sich in der sozialen Wirklichkeit des Jahres 2024 deutlich komplexer darstellt):

"Art. 33 Abs. 5 GG, der heute auch im Zusammenhang mit den in Art. 6 GG und im Sozialstaatsprinzip enthaltenen Wertentscheidungen der Verfassung zu sehen ist, verlangt aber, daß jedenfalls in der Lebenswirklichkeit die Beamten ohne Rücksicht auf die Größe ihrer Familie 'sich annähernd das gleiche leisten' können. Führt eine Regelung eindeutig evidentermaßen dazu, daß die Familie wegen der größeren Zahl der Kinder und der mit ihrem Unterhalt und ihrer Erziehung verbundenen Ausgaben - also regelmäßig für die Jahre, in denen sie zum Haushalt gehören - auf den Abschluß eines Bausparvertrags, auf die Anschaffung der üblichen Haushaltsmaschinen, auf die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, auf Urlaub verzichten und sich im Zuschnitt ihres Privatlebens, beispielsweise bei dem Kauf von Bekleidung, Einschränkungen auferlegen muß, also in diesem Sinne bescheidener leben muß als der - beamten- und besoldungsrechtlich gleich eingestufte - ledige Beamte, kinderlos verheiratete Beamte oder die Beamtenfamilie mit einem oder zwei Kindern, so ist der Grundsatz amtsangemessener Alimentierung für jene Familie mit größerer Kinderzahl verletzt." (Beschluss vom 30.03.1977 - 2 BvR 1039/75; https://openjur.de/u/173228.html - hier die Rn. 55)

Alles in allem wird man wohl zu dem Ergebnis kommen, dass es dem Besoldungsgesetzgeber erlaubt ist, familienbezogene Anteile in die Alimentation einzubauen. Somit ist die verfassungsrechtliche Untergrenze des unverheirateten Beamten ohne Kinder sicherlich nicht 115 % des Grundsicherungsbedarfes einer vierköpfigen Familie. Auf der anderen Seite ist es zweifelhaft, ob eine Grundbesoldung noch angemessen ist, wenn schon bei üblichen Familiengrößen die zur Verfassungsmäßigkeit der Familienalimentation erforderlichen zusätzlichen Bestandteile teilweise mehr als 30% der „eigentlichen“ Besoldung des Amtes betragen müssen. Diese Frage ist jedoch noch nicht abschließend geklärt.

Im Übrigen möchte das BVerfG gar keine Besserstellung von Kindern von Beamten gegenüber anderen Kindern. Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, eine Verbesserung der Einkommenssituation aller Familien mit Kindern bspw durch höheres Kindergeld, stärkere Berücksichtigung bei der Einkommenssteuer (Stichwort: Familiensplitting) oder durch die diskutierte Kindergrundsicherung zu gewährleisten.

Rentenonkel

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1,53 Mio nicht erwerbsfähige Empfänger von Bürgergeld
4,01 Mio erwerbsfähige Empfänger von Bürgergeld

Ergo 31% sind erwerbsfähige Arbeitslose Bürgergeldempfänger.

Oder ?

Hier werden viele Dinge miteinander vermischt. Nicht Arbeitslos ist kein Synonym für nicht erwerbsfähig.

Neben den 43 %, die in der Arbeitslosenstatistik auftauchen, befinden sich

13 % in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme
11 % in Schule oder Studium
10 % in ungeförderter Erwerbstätigkeit (Aufstocker)
7 % in Elternzeit oder pflegen ihre Angehörigen
6 % in Arbeitsunfähigkeit
2 % in Sonderregelungen für ältere Arbeitslose (Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung)
7 % unbekannt

Die anderen Prozente tauchen zwar nicht als "Arbeitslose" auf, sind aber grundsätzlich erwerbsfähig und gehen auch in nicht unerheblichem Umfang einer Erwerbstätigkeit nach.

Es ist lediglich ein politischer Taschenspielertrick, um die Arbeitslosenquote zu senken.

MoinMoin

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Die Aussage "Da die Mehrzahl der Bürgergeldempfänger keine erwerbsfähige Arbeitslose sind. sondern bedürftige Menschen sind" ist zu erläutern...
Sorry, war überspitzt formuliert.
Natürlich sind es alle Bedürftige.

Was ich sagen wollte:
Sind bedürftige Bürger, denen es nicht so einfach möglich ist, durch die einfache Annahme einer entsprechenden Arbeitsstelle ihre Bedürftigkeit zu beenden.
Da sie eben nicht zu 100% dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Besser?

btw ich gehe von 1,71 Mio  erwerbsfähige Arbeitslose  aus.


Du meinst, dass PErsonen, die nur z.B. 50% arbeiten können, nach Arbeitsaufnahme immer noche bedürftig sein würden/könnten?     Tja, leider....damit bilden sie dann den Hauptteil der Empfänger, die man Aufstocker nennen kann.

btw meine Zahl stammt aus August-Statistik, ist also aktuell.
Ok meine Zahlen:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/242062/umfrage/leistungsempfaenger-von-arbeitslosengeld-ii-und-sozialgeld/
1,53 Mio nicht erwerbsfähige Empfänger von Bürgergeld
4,01 Mio erwerbsfähige Empfänger von Bürgergeld

Verteilung der erwerbsfähigen Leistungsempfänger von Bürgergeld in Deutschland nach Gruppen im April 2024

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/666880/umfrage/verteilung-der-leistungsempfaenger-von-arbeitslosengeld-ii-in-deutschland-nach-gruppen

43% der erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger sind Arbeitslos

4,01 * 43% sind 1,72 Mio  erwerbsfähige, arbeitslose Empfänger von Bürgergeld
(die für einige dem Bild des faulen Sozialabzockers entspricht, der sich keine Arbeit sucht, weil er ja Bürgergeld hat.)
und
3,82 Mio sind keine erwerbsfähige und/oder nicht arbeitslose Empfänger von Bürgergeld
(die diesem Bild nicht entsprechen können, da sie entweder arbeiten, oder anderweitig nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen (Umschulung ...)  oder nicht erwerbsfähig sind.

BVerfGBeliever

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Auf der anderen Seite ist es zweifelhaft, ob eine Grundbesoldung noch angemessen ist, wenn schon bei üblichen Familiengrößen die zur Verfassungsmäßigkeit der Familienalimentation erforderlichen zusätzlichen Bestandteile teilweise mehr als 30% der „eigentlichen“ Besoldung des Amtes betragen müssen.

Danke!

Und nur als kurzer Hinweis: In NRW betragen zurzeit die Zuschläge für zwei Kinder nicht nur "mehr als 30%", sondern sogar bis zu 58,5%.

Hugo Stieglitz

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Am Rande: Diese Lösung würde auch den zunehmenden Sozialneid auf das Bürgergeld eindämmen. Wenn die AfD erstmal eine 2/3 Mehrheit hat, dann macht das Verfassungsgericht sowieso erstmal Pause und für die Beamten gewinnt die "Gesinnungsfrage" an Bedeutung ::) :(
Das ist allerdings völlig ausgeschlossen. Selbst die absolute Mehrheit.

Nichts ist völlig ausgeschlossen - aber das war ja auch nur eine Überspitzung meinerseits (zumal meine 2/3-Mehrheit doch oberhalb deiner absoluten Mehrheit (50%) liegt ;)).

Man munkelt auch, dass der Krieg in der Ukraine gegen das Völkerrecht verstoßen soll und damit absolutes Unrecht sei ... seltsamerweise findet er dennoch statt. Hmmm!

Die Welt war, ist, und wird im Wandel bleiben - Verfassungen, die über 1000 Jahre Bestand haben, betrachte ich als eine Illusion.

/offtopic :)
Weder die 2/3, noch die absolute Mehrheit werden in den nächsten 20 Jahren im Bund für die AFD erreichbar sein. Da wette ich eine gute Flasche Wein. Das Wählerpotential dieser Partei ist im Osten bereits ausgeschöpft. Selbst die Anschläge kurz vor der Wahl haben da nicht zu mehr Stimmen verholfen. Im Westen Kinder von Gastarbeitern, eingebürgerte Menschen mit Fluchtgeschichte usw. mit der Blut und Boden Idealogie der AFD anzusprechen ist eher wenig erfolgsversprechend. In den Kitas im Westen liegt der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund z. T. bei ü 80%. Einen Umsturz von der Geriatrie aus wird es nicht geben.

Rentenonkel

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Erwerbsfähig ist ein juristischer Begriff. Erwerbsfähig sind Menschen, die mindestens 3 Stunden am Tag oder mindestens 15 Stunden in der Woche unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten könnten. E

Auch Menschen, die derzeit arbeitsunfähig sind, sind grundsätzlich erwerbsfähig. Das ändert sich erst, wenn jemand wegen einer Krankheit oder einer Behinderung für mindestens 6 Monate unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht erwerbsfähig ist. Dann ist man erwerbsgemindert und bekommt Rente oder Grundsicherung.

Die Erwerbsfähigkeit ist eine Grundvoraussetzung für den Bezug von Bürgergeld. Daher tue ich mich schwer damit, aus diesen Zahlen lesen zu wollen, dass es Menschen geben soll, die nicht erwerbsfähig sein sollen, obwohl sie Bürgergeld bekommen. Wenn das der Fall wäre, dürften sie ja qua Definition gar kein Bürgergeld erhalten.

Das einzige was ich daraus lesen kann ist folgendes: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.

cyrix42

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@Rentenonkel: Danke für die sachliche Darstellung! (Ich muss auch konstatieren, dass ich in der Diskussion nicht immer frei von Emotionen geblieben bin. Die ad hominem Einwürfe waren nicht zielführend...)

Was ich persönlich zur Klärung der aufgeworfenen Problematik sinnvoll halten würde, wäre eine generelle Stärkung aller Familien mit entsprechender Wertschätzung; ob Beamte oder nicht. Dann würde es keine Sonderbehandlung von Beamten-Familien mehr geben müssen. Auch finde ich, dass der Leistungsgedanke sich in der amtsangemessenen Besoldung widerspiegeln muss. Das sind aber eben zwei verschiedene Paar Schuhe: Die Förderung der Kinder vs. die Wertschätzung der Tätigkeit/ Verantwortung der arbeitenden Person. (Und im Übrigen finde ich nicht, dass es noch zeitgemäß ist, wenn der/die Ehepartner_in mitalimentiert wird; die Alleinverdiener-Ehe ist doch eher in den 1950ern anzusiedeln. Eine Unterstützung, wenn die Erwerbstätigkeit des Ehepartners/ der Ehepartnerin aus relevanten Gründen nicht möglich ist, ist eine nette soziale Geste -- aber die generelle Annahme, dass nur eine Person die Verantwortung für das Familieneinkommen trägt, ist i.A. nicht mehr gerechtfertigt.)

Was ich jedoch erwarte, ist, dass die Besoldungsgesetzgeber alles versuchen werden, um sich nur gerade so oberhalb des als klar verfassungswidrig erkannten Niveaus zu halten. Und es wird also immer, wenn ein Kriterium, was für Verfassungswidrigkeit spricht, formuliert wurde, geschaut, dass man dies gerade so einhält. Das heißt zwar nicht, dass aus der Nichterfüllung dieses Kriteriums direkt die Verfassungsmäßigkeit folgt -- aber so lang es nicht höchstrichterlich anderweitig beschieden ist, kann es als erlaubt angesehen werden. Entsprechend glaube ich auch nicht daran, dass die Grundbesoldungssätze massiv steigen -- denn das würde zu einer Kostenexplosion führen, die auch gar nicht einfach abbildbar -- geschweige denn politisch vermittelbar -- wäre. Also wird man feststellen, dass man vom bisherigen Vorgehen, die 4K-Familie als Ausgangspunkt zu nehmen, abweichen und dem Single-Beamten einen geringeren Bedarf als der 4K-Familie zuerkennen wird. Entsprechend wäre das Kriterium der Mindestalimentation >= 115% des Bürgergelds ggf. billiger zu erfüllen (weil man den Single-Beamten nicht allein deshalb so viel zahlen müsste wie für die 4K-Familie). Und, insbesondere bei den Ländern als Besoldungsgesetzgebern, kann man ja auch kaum auf die Steuergesetzgebung bzw. Sozialleistungen wie beim Kindergeld für alle -- ob nun Beamte oder nicht -- Einfluss nehmen; bzw. würde das ja noch teurer werden. Also wird man in den sauren Apfel der hohen Kinderzuschläge beißen, dies aber dafür nutzen, halt dieses Kriterium möglichst dadurch zu erfüllen, ohne jemandem mehr zahlen zu müssen, als er für dieses Kriterium benötigt. Heißt: Wenn die Grundbesoldung für den Single-Beamten nicht als verfassungswidrig niedrig ausgewiesen wird, kriegt er keinen Cent mehr. Beides zusammen führt dann für Beamte mit mehreren Kindern zu einer Alimentation, die zu einem großen Teil aus den familienbezogenen Bestandteilen besteht...

btw: Ich persönlich bin derzeit Single-Angestellter und ggf. irgendwann in mittlerer Zukunft Beamter im höheren Dienst. Natürlich würde ich massiv davon profitieren, wenn die Grundgehaltssätze um 40% angehoben würden. Allein, ich glaube nicht, dass dies passieren wird.

NelsonMuntz

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Weder die 2/3, noch die absolute Mehrheit werden in den nächsten 20 Jahren im Bund für die AFD erreichbar sein. Da wette ich eine gute Flasche Wein. Das Wählerpotential dieser Partei ist im Osten bereits ausgeschöpft. Selbst die Anschläge kurz vor der Wahl haben da nicht zu mehr Stimmen verholfen. Im Westen Kinder von Gastarbeitern, eingebürgerte Menschen mit Fluchtgeschichte usw. mit der Blut und Boden Idealogie der AFD anzusprechen ist eher wenig erfolgsversprechend. In den Kitas im Westen liegt der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund z. T. bei ü 80%. Einen Umsturz von der Geriatrie aus wird es nicht geben.

OK, hier hatte ich Deinen Post fehlinterpretiert (auf die Unmöglichkeit, die Verfassung final auszuhebeln).

Zur AfD im Speziellen gebe ich Dir hier Recht, aber es gibt genügend andere, spinnerte Parteien (wie das aktuell erfolgreiche BSW) - Ein Kernproblem ist zumindest in meiner Beobachtung, dass die Spanne zwischen Bürgergeld, Mindestlohn, Median- und Durchschnittseinkommen aktuell etwas zu sehr gestaucht wurde. Das hat alles Gründe, aber erreicht eine "Unfairnessgrenze". Letztlich geht es im Thema Alimentation von Beamtenkindern genau darum (auch wenn man sich hier hervorragend auf die Rechtslage stützen kann). Das sollten die Parteien der Mitte im Auge behalten, sonst verlieren sie eben weiter Vertrauen - was zu bedauern wäre!

Rentenonkel

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@cyrix42:

Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass die Grundbesoldung um 40 % angehoben werden wird. Allerdings wird aus meiner Sicht eine spürbare Erhöhung der Grundbesoldung und der Familienzuschläge unumgänglich sein.

Diese Feststellung treffe nicht nur ich, sondern bezogen auf Richter und Staatsanwälte auch die EU-Kommission. In ihrem Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2024, Länderkapitel zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland, werden im dritten Jahr infolge konkrete Gefahren für den Rechtsstaat als Folge einer nicht ausreichenden Besoldung der Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen Staatsanwälte beschrieben, die grundsätzlich auch auf andere Bereiche des öffentlichen Dienstes übertragen werden können:

Es wurden zwar einige Fortschritte dabei erzielt, die Gesamtressourcen für die Justiz durch zusätzliche Investitionen zu ergänzen, die Höhe der Richterbesoldung stellt aber nach wie vor ein Problem dar.

Bei der Richterbesoldung werden fast alle Länder und der Bund den jüngsten Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, in dem Pauschalzahlungen zum Ausgleich der Inflation und eine Erhöhung der Bezüge spätestens ab Februar 2025 vorgesehen sind, auf die Justiz anwenden. Allerdings sind die Jahresbezüge von Richtern zu Beginn ihrer Laufbahn im Vergleich zu den Durchschnittsgehältern insgesamt nach wie vor die niedrigsten in der EU. Die Kritik hat deutlich gemacht, wie schwierig es angesichts der Gehälter in der Privatwirtschaft für die Justiz ist, qualifizierte Bewerber einzustellen. Nach europäischen Standards sollte die Besoldung von Richtern ihrem Beruf und ihrer Verantwortung entsprechen und hinreichend sein, um sie vor Druck von außen, der ihre Entscheidungen  beeinflussen soll, zu schützen.

MoinMoin

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@cyrix42:

Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass die Grundbesoldung um 40 % angehoben werden wird. Allerdings wird aus meiner Sicht eine spürbare Erhöhung der Grundbesoldung und der Familienzuschläge unumgänglich sein.
Bin ich der gleichen Meinung, die Grundbesoldung, weil sie eben nicht mehr amtsangemessen ist und hinterherhinkt.
Unabhängig von der Mindestalimentations Debatte für die Familien (egal wieviele Kinder), sondern auch für den Single Beamten.
Und die Familienzuschläge, weil keiner für sein Kinder in einem solchem hohem Maße wie jetzt, seine Grundbesoldung anknappern darf.

KlammeKassen

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Solche Diskussionen zwischen Beamten und TBs münden stets in Grabenkämpfen, ohne je eine gemeinsame Idee zu entwickeln ... die AG können sich dieses Schauspiel quietschvergnügt anschauen. Läuft! Darauf einen Lachshappen ;)

Noch 4 Monate und 14 Tage, dann gibt es die ersten delikaten Lachshäppchen.
Für den Bund wird ja dann nochmal Nancy antreten; für die VKA bleibt es spannend?! Karins Amtszeit endet am 31.12.2024; aber Niklas kennt sich mit dem Drücken von Forderungen aus.
Es wird wahrscheinlich gerade unter Hochdruck ermittelt, welche Stadt mindestens genauso grenzenlos verschuldet ist wie Gelsenkirchen. Es wird wohl nie mal einen VKA Präsidenten von einer solventen Kommune/Stadt/Landkreis geben.

Elur

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1) Bei den letzten Tarifrunden haben die Beamten aber merkwürdigerweise eine 1:1 Übertragung bekommen  :-X... also keinen Teil geleistet?!
Ich nehme Bezug auf Bundesbeamte, da für diese der TVÖD-VKA/Bund wesentlich ist

Doch, auch bei der letzten Erhöhung wurden statt der 5,5 % der Tarifangestellten nur 5,3 % auf die Beamten übertragen zzgl. zum Sockel.

Rentenonkel

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@Rentenonkel: Danke für die sachliche Darstellung! (Ich muss auch konstatieren, dass ich in der Diskussion nicht immer frei von Emotionen geblieben bin. Die ad hominem Einwürfe waren nicht zielführend...)

Was ich persönlich zur Klärung der aufgeworfenen Problematik sinnvoll halten würde, wäre eine generelle Stärkung aller Familien mit entsprechender Wertschätzung; ob Beamte oder nicht. Dann würde es keine Sonderbehandlung von Beamten-Familien mehr geben müssen. Auch finde ich, dass der Leistungsgedanke sich in der amtsangemessenen Besoldung widerspiegeln muss. Das sind aber eben zwei verschiedene Paar Schuhe: Die Förderung der Kinder vs. die Wertschätzung der Tätigkeit/ Verantwortung der arbeitenden Person. (Und im Übrigen finde ich nicht, dass es noch zeitgemäß ist, wenn der/die Ehepartner_in mitalimentiert wird; die Alleinverdiener-Ehe ist doch eher in den 1950ern anzusiedeln. Eine Unterstützung, wenn die Erwerbstätigkeit des Ehepartners/ der Ehepartnerin aus relevanten Gründen nicht möglich ist, ist eine nette soziale Geste -- aber die generelle Annahme, dass nur eine Person die Verantwortung für das Familieneinkommen trägt, ist i.A. nicht mehr gerechtfertigt.)


Da hake ich gleich mal ein: Das BVerfG hat mehrfach und wiederholt gesagt, dass das Existenzminimum nicht besteuert werden darf und festgestellt, dass der Gesetzgeber im Sozialrecht ein soziales Existenzminimum durch Grundsicherung definiert hat, dieses aber nicht eins zu eins ins Steuerrecht übertragen hat.

Dieses war jedoch bei "normalen" Steuerpflichtigen ausnahmsweise dadurch gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber gleichzeitig ein Füllhorn an zusätzlichen Sozialleistungen kennt, die die zu hohe steuerliche Belastung wieder ausgleichen (Kindergeld, Wohngeld, Kinderzuschlag, Bürgergeld als Aufstockung, usw.). Deswegen hat das BVerfG dem Gesetzgeber ausnahmsweise auch erlaubt, das Existenzminimum zu besteuern, weil er es an anderer Stelle kompensiert.

Was allerdings früher als Ausnahme gedacht war, ist heute vielfach bittere Realität. Das größte Armutsrisiko haben in Deutschland Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern. Je höher die Kinderzahl, desto größer ist das Armutsrisiko.

Es ist geradezu ein irrsinniger Verwaltungsaufwand, den Beschäftigten zunächst ein Teil ihres Einkommens durch hohe Steuern weg zu nehmen, um es dann einem großen Teil der Betroffenen durch die Hintertür gegen Anträge in Form von ergänzenden Sozialleistungen wieder auszuzahlen.

Während es unter den Tarifbeschäftigten mit Kindern einen nennenswerten Anteil gibt, der zusätzlich zum Gehalt auf irgendeine ergänzende Sozialleistung angewiesen ist, darf der Besoldungsgesetzgeber den Beamten nicht dazu zwingen, solche Leistungen beantragen zu müssen, um sein Existenzminimum sicher zu stellen.

Genau das ist der große Unterschied zwischen Gehalt und Besoldung. Der Arbeitgeber muss nur Lohn für Arbeit zahlen. Alles andere ist Aufgabe des Staates. Der Dienstherr ist allerdings Arbeitgeber und Staat in Personalunion. Er hat quasi immer sicherstellen, dass das Nettoeinkommen des Beamten unabhängig von seinem Familienstand und der Anzahl der Kinder ohne Anrechnung von etwaigen ergänzenden Sozialleistungen mit der Besoldung (plus Kindergeld) von Amts wegen mindestens 15 % über dem Existenzminimum liegt.

Hier muss der Gesetzgeber möglichst nah an der Realität sein, auch schon alleine deswegen darf man den Ehegatten nicht außen vor lassen und auch wenn es längst nicht mehr üblich ist, dass jeder Ehepartner durch Kinderbetreuung komplett zu Hause bleibt, sind auf der anderen Seite auch nicht alle Ehepartner immer berufstätig. Ganz rausnehmen kann man den Partner aus der Betrachtung wegen der Alimentationspflicht nicht. Wenn man nur für nicht berufstätige Ehegatten einen Zuschlag zahlen würde, würde das auch noch andere verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen und außerdem volkswirtschaftlich kontraproduktiv sein. Dann stünde ja zu erwarten, dass viele Ehepartner ihre Beschäftigung aufgeben würden, wenn es sich finanziell nicht mehr lohnt.

Das BVerfG kann derzeit den Gesetzgeber leider nicht dazu zwingen, entsprechende Gesetzesänderungen im Steuerrecht für alle Steuerpflichtigen zu erreichen. Gleichwohl sind sie mehrfach angemahnt worden und es ist dem Gesetzgeber auch unbenommen, hier für alle für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen.

Allerdings kann das BVerfG den Gesetzgeber daran erinnern, dass auch die kleinste Beamtenfamilie ein höheres Nettoeinkommen haben muss, als das soziale Existenzminimum und daher die aktuelle Alimentation verfassungsrechtlich zu beanstanden ist.

Wie so oft versucht der Gesetzgeber dann allerdings nicht seinen weiten Ermessensspielraum zu nutzen, um allen Betroffenen zu helfen, sondern sucht immer eine möglichst kostengünstige Lösung und übersieht dabei die Tragweite der Entscheidungen.