Es wird immer wieder heute noch behauptet, dass die Rente mit 63 abgeschafft gehört/eine Belastung der Rentenkasse darstellt/blablabla...
Daher auch meine Antwort #5 auf #3.
Das ist "Quatsch".
Die Kritik zu einer ungeminderten Altersrente vor Erreichen der Regelaltersgrenze basiert auf folgenden Argumenten:
Grundsätzlich orientieren sich die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung am sog. Äquivalenzprinzip. Das bedeutet, dass im Grundsatz die Rentenhöhe von der Höhe der früheren Entgelte abhängt, soweit für diese Beiträge entrichtet wurden: Wer in einem Jahr höhere Beiträge zahlt, erwirbt dafür einen höheren Rentenanspruch; für gleiche Beitragsleistung gibt es auch die gleiche Rente. Durch die Sonderregelung erhalten besonders langjährig Versicherte, die abschlagsfrei bereits mit 65 Jahren in Rente gehen, im Durchschnitt jedoch für die gleiche Beitragszahlung eine höhere Gegenleistung als alle übrigen Versicherten. Das ist letztlich darauf zurückzuführen, dass die Rentenabschläge - anders als manchmal unterstellt - keine „Bestrafung” für einen vorgezogenen Rentenzugang darstellen, sondern nur die vorzeitige Auszahlung der monatlichen Rente ausgleichen. Versicherungsmathematisch erhält jemand, der vorzeitig mit Abschlägen in Rente geht, bezogen auf eine durchschnittlich lange Bezugsdauer in etwa das gleiche Geld, wie jemand, der später ohne Abschläge die Rente in Anspruch nimmt.
Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Versicherter Meier tritt nach Anschluss einer Fachschulausbildung mit 20 Jahren ins Erwerbsleben ein und ist durchgängig sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Mit Vollendung des 65. Lebensjahres hat er eine Rentenanwartschaft von 1000 Euro erworben. Sein Kollege, Herr Schulz, beginnt aufgrund unvorhergesehener „Warteschleifen” erst zwei Jahre später, mit 22 Jahren, seine Berufstätigkeit, ist dann aber ebenso wie Meier durchgängig sozialversicherungspflichtig beschäftigt und verdient auch genauso viel wie dieser. Dementsprechend hat Herr Schulz mit 67 Jahren ebenfalls eine Rentenanwartschaft von 1000 Euro erworben. Beide waren insgesamt 45 Jahre beschäftigt, haben dabei das Gleiche verdient, die gleichen Beiträge gezahlt und damit auch die gleiche Rentenanwartschaft erworben.
Geht Herr Meier mit 65 in Rente, Herr Schulz dagegen erst mit 67, dann bezieht Herr Meier – unterstellt man bei beiden Versicherten die gleiche Lebenserwartung – seine Rente zwei Jahre länger als Herr Schulz. Wenn der vorzeitige Rentenbeginn von Herrn Meier nicht mit Rentenabschlägen verbunden wäre, erhielte er also – nach den Zahlen unseres Beispiels – trotz exakt gleicher Beitragszahlung über die gesamte Rentenlaufzeit betrachtet 24 000 Euro mehr Rente als Herr Schulz. Wenn Herr Schulz auch mit 65 Jahren neben der Berufstätigkeit eine Rente mit 7,2 % Abschlag in Anspruch nehmen würde, würde er sein Leben lang monatlich 72 EUR (der Betrag steigt mit jeder Rentenanpassung) weniger Rente als Herr Meier erhalten, was bezogen auf eine durchschnittlich lange Rentenlaufzeit in etwa auch rund 24.000 EUR ausmachen würde.
Die Rentenabschläge stellen dagegen sicher, dass die im 66. und 67. Lebensjahr bereits ausgezahlten Renten im Verlauf der gesamten Rentenlaufzeit durch die Rentenminderungen gerade ausgeglichen werden. Erst die Rentenabschläge führen dazu, dass beide Kollegen bei der gleichen Beitragsleistung auch tatsächlich die gleiche Gegenleistung von der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten.
Lässt man für bestimmte Personengruppen einen vorzeitigen Rentenbeginn ohne Rentenabschläge zu, ist damit stets eine Begünstigung dieser Gruppe verbunden. Die Betroffenen erhalten für jeden Beitragseuro eine höhere Rentenleistung als alle anderen Versicherten. Das ist natürlich auch der Bundesregierung bewusst. Aus der Begründung des damaligen Gesetzentwurfs wird deutlich, dass die Altersrente für besonders langjährig Versicherte als bewusste Vergünstigung für Personen mit einer besonders belastenden Erwerbstätigkeit gedacht ist. Allerdings stellt sich die Frage, ob das Kriterium der 45 Beitragsjahre ein geeigneter Maßstab dafür sein kann, ob eine Erwerbstätigkeit besonders belastend ist. So kann beispielsweise vermutet werden, dass viele Beschäftigte in besonders belastenden Tätigkeiten bereits vor Erreichen von 45 Beitragsjahren erwerbsgemindert werden oder schwerbehindert sind. Zudem ist davon auszugehen, dass gerade Arbeitnehmer in solchen Tätigkeiten, z. B. Beschäftigte in der Baubranche, auch vergleichsweise häufig von Zeiten einer Arbeitslosigkeit betroffen waren. Das dürfte das Erfüllen der vorgesehenen 45 Versicherungsjahre erheblich erschweren. Daher gibt es derzeit Überlegungen, das Kriterium der besonders belasteten Berufe neu zu definieren.
Dagegen haben vor allem Beschäftigte im öffentlichen Dienst aufgrund des hier gegebenen besonderen Kündigungsschutzes überdurchschnittliche Chancen, lange und kontinuierliche Erwerbsverläufe zu erreichen, und profitieren deshalb besonders von der Sonderregelung. Aber sind das wirklich die besonders belasteten Versicherten, die mit dieser Regelung begünstigt werden sollten?
Die Besserstellung von Versicherten mit 45 Beitragsjahren führte zu sozialpolitisch kaum wünschenswerten Umverteilungseffekten. Während Versicherte, deren Erwerbsverläufe zeitlebens nicht unterbrochen wurden, seitdem davon profitieren, werden Versicherte mit Lücken in den Erwerbsbiografien im Alter im Vergleich dazu schlechter gestellt. Das betrifft vor allem Versicherte, die zwischenzeitlich arbeitslos, aber auch solche, die zeitweise als nicht rentenversicherungspflichtige Selbstständige tätig waren, die studiert haben oder Mütter, die wegen der Betreuung von Kindern längere Zeit ausgesetzt haben. Keinen Nutzen aus der geplanten Regelung ziehen darüber hinaus Versicherte, die vorzeitig erwerbsgemindert geworden sind und deswegen keine 45 anrechenbare Jahre erreichen. Von der Besserstellung weitgehend ausgenommen sind vor allem auch Frauen. Sie erreichen die erforderlichen 45 Beitragsjahre weitaus seltener als Männer, selbst vor dem Hintergrund, dass Zeiten der Kindererziehung bei der Wartezeit von 45 Jahren einbezogen werden.
Zudem ist festzustellen, dass Versicherte mit 45 oder mehr Beitragsjahren im Durchschnitt ein höheres Jahresentgelt erzielten als Versicherte mit weniger Beitragsjahren. Daher weisen die Begünstigten der „45- Jahre-Regelung” vergleichsweise hohe Rentenanwartschaften auf.
Dass dieser Personenkreis deshalb eine überdurchschnittlich hohe Rente bezieht, ist wegen der zugrunde liegenden Beitragszahlungen auch gerechtfertigt. Ob es allerdings sinnvoll bzw. gerecht ist, gerade diese Versicherten auch noch dadurch besser zu stellen, dass man ihnen pro Beitragseuro eine höhere Gegenleistung zahlt als allen übrigen Versicherten, erscheint dagegen sozialpolitisch nur schwer nachvollziehbar.
Schließlich ist zu bedenken, dass bei einem Verzicht auf Rentenabschläge bei den Versicherten mit 45 und mehr Beitragsjahren die Besserstellung umso stärker ausfällt, je höher die jeweilige Rente ist. Kann ein Versicherter z. B. zwei Jahre vorzeitig abschlagsfrei in Rente gehen, erspart man ihm auf Kosten aller Beitragszahler den an sich fälligen Rentenabschlag von 7,2 Prozent. Für einen Versicherten mit einer Rente von 2000 Euro wären das 144 Euro im Monat, für einen Versicherten mit 2 500 Euro Rente schon 180 Euro monatlich.
Die Möglichkeit, die Rente nicht "nur" zwei Jahre vor dem eigentlichen Rentenbeginn ohne Abschläge in Anspruch nehmen zu können, sondern sobald die 45 Jahre erfüllt sind, würde diese oben beschriebene Unwucht weiter verschärfen.