Autor Thema: Strukturelle Besoldungsreformen Baden-Württemberg 2015-2025  (Read 507 times)

A6 ist das neue A10

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Hallo Leute,

ich schreibe das hier mal rein, weil ich mich auf die eventuell bald anstehende Klage in BW vorbereiten möchte und quasi eine Ablage suche, gleichzeitig möchte ich aber auch mein Wissen dahingehend Teilen, falls es jemand benötigt.
« Last Edit: 12.06.2025 04:34 von Admin »

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In Baden-Württemberg wurden zwischen 2015 und 2025 mehrere Besoldungsgesetze verabschiedet, die über die üblichen linearen Besoldungs- und Versorgungsanpassungen hinausgehende strukturelle Änderungen in der Beamtenbesoldung einführten. Im Folgenden sind die zentralen Gesetze dieses Zeitraums – mit Name und Fundstelle – dargestellt, jeweils mit den eingeführten strukturellen Neuerungen, den Beweggründen des Landes sowie den Reaktionen wichtiger Interessengruppen (insbesondere Beamtenbund BW und Richterbund BW).

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Besoldungsanpassung 2017/2018: Abschaffung der abgesenkten Eingangsbesoldung

Gesetz: Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Baden-Württemberg 2017/2018 (BVAnpGBW 2017/2018) vom 7. November 2017 (GBl. 2017, S. 565) .

Strukturelle Änderungen: Dieses Gesetz diente primär der Übertragung des Tarifabschlusses 2017 auf die Landesbeamten und führte dabei eine wichtige strukturelle Korrektur durch: die abschlagsfreie Einstiegsbesoldung. Konkret wurde die seit 2013 geltende abgesenkte Eingangsbesoldung vollständig abgeschafft . Bis Ende 2017 erhielten neu eingestellte Beamtinnen und Beamte in Baden-Württemberg in den ersten Dienstjahren ein um 4 % (BesGr A 9/A 10) bzw. 8 % (übrige BesGr) reduziertes Grundgehalt – eine Sparmaßnahme aus dem Haushaltsbegleitgesetz 2013/2014. Zum 1. Januar 2018 entfiel diese Kürzung ersatzlos , sodass neue Beamte fortan vom ersten Tag an das volle Grundgehalt ihrer Besoldungsgruppe erhalten. Außerdem wurden im Gesetz die Anwärterbezüge angehoben (2017 um 35 €, 2018 um weitere 35 €) und technische Änderungen im Versorgungsrecht (Pflegezuschläge) vorgenommen  .

Begründung des Landes: Die Landesregierung kam mit dieser Maßnahme einer Forderung der Gewerkschaften und Verbände nach, um die Attraktivität des öffentlichen Dienstes zu steigern und die Besoldung verfassungskonform auszugestalten. In einer Vereinbarung vom 17. März 2017 hatten sich das Finanzministerium, der Beamtenbund Baden-Württemberg (BBW) und der Richterverband des Landes auf die Umsetzung des Tarifabschlusses sowie die Beseitigung der Einstiegsabschläge verständigt . Durch den Verzicht auf die abgesenkte Eingangsbesoldung wurde der Besoldungsstruktur ein Fehler der Vergangenheit korrigiert, was insbesondere jungen Beamtinnen und Beamten zugutekam. Offiziell wurde dieser Schritt auch mit dem Argument begründet, dass die ursprüngliche Sparmaßnahme nicht mehr notwendig und eine amtsangemessene Alimentation aller Beamten sicherzustellen sei.

Reaktionen der Interessengruppen: Der BBW begrüßte die vollständige Wiederanhebung der Eingangsbesoldung ausdrücklich – er hatte diese Änderung seit Einführung der Kürzung gefordert. Die Aufhebung der Besoldungsabsenkung zum Jahreswechsel 2017/2018 wurde als wichtiger Erfolg verbucht, der zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Dienstes beitrage. Auch der baden-württembergische Richterbund zeigte sich zufrieden mit der Maßnahme, da sie die Attraktivität des Justizdienstes für Berufseinsteiger erhöhe. Insgesamt wurde die Abschaffung der Einstiegsbesoldungskürzung von den Interessenverbänden einhellig positiv aufgenommen und als Schritt zu einer verfassungskonformen Alimentation bewertet.

Zusammenfassung: Mit dem Besoldungsanpassungsgesetz 2017/2018 (GBl. 2017, S. 565) beseitigte Baden-Württemberg die seit 2013 praktizierte Besoldungskürzung für Berufsanfänger. Diese strukturelle Änderung – vereinbart im Einvernehmen mit dem Beamtenbund und dem Richterbund – stellte sicher, dass neue Beamtinnen und Beamte ab 2018 vom ersten Dienstjahr an das volle Grundgehalt erhalten . Die Verbände begrüßten diesen Schritt als überfällige Korrektur und Beitrag zur Attraktivität des öffentlichen Dienstes.

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Besoldungsstrukturreform 2022: Vier-Säulen-Modell (BVAnp-ÄG 2022)

Gesetz: Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Baden-Württemberg 2022 und zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften (Besoldungs- und Versorgungsanpassungs-Änderungsgesetz 2022 – BVAnp-ÄG 2022) vom 15. November 2022, verkündet am 21. Dezember 2022 (GBl. 2022, Nr. 41, S. 654) . Der Landtag beschloss das Gesetz am 9. November 2022, die meisten Regelungen traten zum 1. Dezember 2022 in Kraft .

Strukturelle Änderungen („Vier-Säulen-Modell“): Dieses Reformgesetz führte ein Bündel an strukturellen Besoldungsmaßnahmen ein, das als „4‑Säulen-Modell“ bekannt wurde . Ziel war es, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur amtsangemessenen Alimentation (insbesondere zwei Beschlüsse vom 4. Mai 2020) umzusetzen . Die vier Kernelemente waren:
   •   Neubewertung und Anhebung der Eingangsämter des mittleren und gehobenen Dienstes: Alle Beamtinnen und Beamten des mittleren Dienstes, die am 30.11.2022 im Eingangsamt waren, wurden zum 1.12.2022 eine Besoldungsgruppe höher gestuft . Zugleich wurde das Eingangsamt im gehobenen Dienst angehoben (z. B. A 9 nach A 10) . Diese Hochstufungen verbesserten insbesondere die Besoldung der unteren Laufbahnen und sorgten für einen größeren Abstand zum Mindestlohnniveau.
   •   Neustrukturierung der Erfahrungsstufen: Die Besoldungstabellen wurden umgebaut, indem die unteren Erfahrungsstufen wegfielen. Insbesondere wurden die bisherigen Stufen 1 und 2 abgeschafft, sodass neue Beamte direkt in einer höheren Stufe einsteigen . Dies erhöht das Einstiegsgehalt und verkürzt die Zeit bis zum Erreichen höherer Stufen. (Der BBW regte an, im Gegenzug am oberen Tabellenende neue Stufen 9 und 10 einzuführen, um langfristige Entwicklungsperspektiven zu erhalten ; dies wurde jedoch im Gesetz 2022 noch nicht umgesetzt.)
   •   Erhöhungsbeträge zu den kinderbezogenen Familienzuschlägen: Zur Wahrung des vom Bundesverfassungsgericht geforderten Mindestabstands von 15 % zum Grundsicherungsniveau wurden zusätzliche monatliche Zuschläge für das 1. und 2. Kind eingeführt . Die Höhe dieser Familienzuschlag-Erhöhungsbeträge staffelt sich nach Besoldungsgruppe und Erfahrungsstufe. Beispielsweise erhalten Beamtinnen und Beamte der BesGr A 7 bis A 10 für das erste Kind 50 € zusätzlich, in A 11 bis A 13 sind es 25 € . Auch für das zweite Kind wurden gestaffelte Zuschläge vorgesehen. Diese Maßnahme zielte darauf ab, insbesondere Mehr-Kind-Familien in unteren Besoldungsgruppen finanziell besser zu stellen und eine Unteralimentation zu vermeiden . Darüber hinaus wurde der kinderbezogene Familienzuschlag ab dem dritten Kind generell erhöht , um den Vorgaben des Verfassungsgerichts (Beschluss 2 BvL 6/17 zur Familienalimentation) gerecht zu werden.
   •   Nachzahlungsregelungen für die Vergangenheit: Das Gesetz sah einmalige Nachzahlungen vor, um etwaige verfassungswidrige Unteralimentierungen in zurückliegenden Jahren zu korrigieren . Beamtinnen und Beamte, die in den Jahren vor Inkrafttreten des Gesetzes Besoldungsanpassungen eingefordert (Widerspruch oder Antrag auf amtsangemessene Alimentation) und noch keine bestandskräftige Entscheidung hatten, erhielten rückwirkend Zahlungen . Damit reagierte das Land darauf, dass seit den Verfassungsgerichtsentscheidungen von 2020 mehrere Jahre ohne strukturelle Korrektur vergangen waren – diese Lücke wurde nun wenigstens teilweise geschlossen.

(Hinweis: Neben den vier genannten „Säulen“ enthielt das Gesetz 2022 weitere Änderungen, z. B. die Rücknahme einer früheren Beihilfe-Verschlechterung. So wurde der Beihilfebemessungssatz für Neueinstellungen ab 2013 wieder auf das alte Niveau angehoben . Diese Änderung betraf jedoch das Beihilferecht, nicht die Besoldungsstruktur direkt, und wird daher hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.)

Begründung des Landes: Das Finanzministerium begründete die Reform mit der notwendigen Umsetzung der höchstrichterlichen Vorgaben zur Besoldung. Insbesondere sollten die Beschlüsse des BVerfG vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 und 2 BvL 6/17 – erfüllt werden  . Diese hatten konkrete Parameter für eine verfassungsgemäße Alimentation definiert, u. a. einen Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau und eine angemessene Berücksichtigung von Familien. Das sogenannte Vier-Säulen-Modell diente dazu, diese Vorgaben systemgerecht umzusetzen . Gleichzeitig wurde betont, dass die Maßnahmen die Attraktivität des öffentlichen Dienstes steigern sollen. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und vieler unbesetzter Stellen sah die Landesregierung die Notwendigkeit, besonders die unteren Besoldungsgruppen und kinderreiche Familien finanziell besser zu stellen  . Die lineare Besoldungserhöhung von 2,8 % (Tarifergebnis TV-L 2021) wurde ebenfalls zeitgleich übernommen , reichte aber alleine nicht aus, um die Alimentation verfassungskonform zu gestalten. Daher schnürte das Land dieses Paket zusätzlicher struktureller Verbesserungen. Finanzminister Danyal Bayaz betonte, man wolle die Vorgaben des Gerichts gerade noch rechtskonform erfüllen, zugleich aber die Leistungsfähigkeit des Staatshaushalts im Blick behalten. Kurz gesagt: Das Vier-Säulen-Modell war ein Kompromiss, um einerseits drohende Verfassungswidrigkeit abzuwenden und andererseits die Mehrkosten zu begrenzen.

Reaktionen der Interessengruppen: Die Besoldungsreform 2022 wurde von den Verbänden aufmerksam und teils kontrovers begleitet:
   •   BBW Beamtenbund: Der BBW würdigte die meisten Maßnahmen als Schritt in die richtige Richtung. BBW-Chef Kai Rosenberger begrüßte insbesondere die Anhebung der Eingangsämter im mittleren und gehobenen Dienst, welche einer langjährigen Forderung des BBW entsprach  . Auch die Streichung der untersten Erfahrungsstufen fand der BBW „gut und richtig“ , da neue Kollegen damit schneller ein angemessenes Gehalt erreichen. Positiv vermerkt wurde zudem die Erhöhung des Familienzuschlags ab dem 3. Kind, durch die der BVerfG-Beschluss 2 BvL 6/17 endlich umgesetzt werde . Gleichzeitig übte der BBW Kritik an einzelnen Aspekten: So monierte man, dass die Erhöhungsbeträge für das 1. und 2. Kind sehr unterschiedlich ausfielen und an die Besoldungsgruppe sowie Stufe gekoppelt sind . Diese Differenzierung sei schwer vermittelbar und führe „mittelbar zu einer Einebnung des Abstandsgebots“ zwischen den Besoldungsgruppen, argumentierte der BBW . Auch würden Stufenaufstiege und Beförderungen durch gedeckelte Zuschläge an Wirkung verlieren (weniger Leistungsanreiz) . Insgesamt lobte der BBW zwar die Umsetzung der Verfassungsvorgaben, kritisierte aber, dass das Land nur das verfassungsrechtlich gerade noch Zulässige tue und nicht darüber hinausgehe: Die Änderungen orientierten sich an der „untersten Grenze dessen, was […] gerade noch rechtskonform erscheint“. Rosenberger forderte, die Alimentation nicht nur knapp verfassungskonform, sondern deutlich großzügiger auszugestalten, um echte Wertschätzung zu zeigen . Dennoch überwog aus BBW-Sicht zunächst die Zufriedenheit, dass nach jahrelanger Untätigkeit endlich gehandelt wurde – wenngleich es bedauerlich sei, dass erst ein Urteil des BVerfG nötig war, um den Dienstherrn zum Einlenken zu bewegen .
   •   Richterbund Baden-Württemberg: Die baden-württembergischen Richterinnen und Richter reagierten auf das Vier-Säulen-Modell mit großer Skepsis und rechtlichen Schritten. Der Landesverband (Vereinigung der Richter und Staatsanwälte) sah durch die ausschließliche Fokussierung auf die unteren Besoldungsgruppen das Abstandsgebot gefährdet. Zwar stiegen die Bezüge in A-Besoldungen spürbar, jedoch blieben die R-Besoldungen (Richterbesoldung) unberührt. Dies führe zu einer „Stauchung“ der Besoldungsstruktur: Der Abstand zwischen den höchsten Ämtern des höheren Dienstes und den nun angehobenen unteren Besoldungen schrumpfe . Nach Auffassung des Richterbunds verletzte das Gesetz 2022 insofern das verfassungsrechtlich gebotene Proportionalitätsprinzip innerhalb der Besoldungshierarchie  . Der Richterbund kündigte daher noch 2022 an, die Regelungen gerichtlich überprüfen zu lassen und Klage gegen das Vier-Säulen-Modell einzureichen  . In der Tat leitete der DRB Baden-Württemberg kurz darauf ein Verfahren ein, um feststellen zu lassen, ob das BVAnp-ÄG 2022 den Anforderungen des Art. 33 Abs. 5 GG genügt. Die Landesregierung reagierte auf den Druck: Finanzminister Bayaz gab die Zusage, dass das Land rückwirkend nachzahlen werde, falls das Vier-Säulen-Modell vom Gericht gekippt würde . Diese Zusicherung – etwaige Nachzahlungen von Amts wegen zu leisten – begrüßte der BBW ausdrücklich , änderte aber nichts an der grundsätzlichen Kritik des Richterbunds. Aus dessen Sicht verstößt das Gesetz in mehrfacher Hinsicht gegen das Alimentationsprinzip, insbesondere gegen das traditionelle Leitbild der beamtenrechtlichen Besoldung, wonach ein Beamter mit seinem Gehalt eine vierköpfige Familie alleine versorgen können muss. Genau dieses Leitbild sah der Richterbund durch das Vier-Säulen-Paket aufgeweicht.

Zusammenfassung: Das Besoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetz 2022 (GBl. 2022, S. 654) etablierte in Baden-Württemberg ein umfangreiches Vier-Säulen-Modell . Kernpunkte waren die Hebung von Eingangsämtern, die Entfernung unterster Stufen, neue Familienzuschläge für 1./2. Kind und Nachzahlungen für zurückliegende Jahre  . Motiviert durch zwei BVerfG-Beschlüsse von 2020 stellte das Land so die verfassungskonforme Alimentation – zumindest knapp über der Mindestgrenze – sicher. Der BBW begrüßte viele Maßnahmen (attraktivere Einstiegsämter, bessere Familienzulagen) grundsätzlich  , kritisierte aber deren begrenzten Umfang und komplexe Ausgestaltung . Der Richterbund hingegen befürchtete eine Verletzung des Abstandsgebots zugunsten der höheren Besoldungsgruppen und leitete rechtliche Schritte gegen das Modell ein . Trotz dieser Kritik markierte das Gesetz 2022 einen Wendepunkt: Erstmals seit Jahren wurde die Besoldungsstruktur in BW grundlegend reformiert, um die amtsangemessene Alimentation verfassungskonform auszugestalten.

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Besoldungsanpassung 2024/2025: Familienergänzungszuschlag und Partnereinkommen (BVAnp-ÄG 2024/2025)

Gesetz: Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Baden-Württemberg 2024/2025 und zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften (BVAnp-ÄG 2024/2025) vom 5. November 2024, verkündet am 15. November 2024 . Dieses Gesetz wurde vom Landtag am 23. Oktober 2024 beschlossen . Es trat überwiegend rückwirkend zum 1. November 2024 in Kraft (Zeitpunkt der Besoldungserhöhung) bzw. zum Jahresbeginn 2024 für einzelne Bestandteile.

Strukturelle Änderungen: Neben der Übernahme des Tarifabschlusses der Länder von Dezember 2023 (linear +5,5 % in zwei Stufen zum Nov. 2024 und Feb. 2025, plus 200 € Sockelbetrag ab Nov. 2024) brachte dieses Gesetz eine grundlegende Neuerung im Alimentationsprinzip: die Abkehr vom Leitbild der Alleinverdiener-Ehe hin zur Hinzuverdienerfamilie. Konkret bestand die Reform aus zwei eng verknüpften Elementen:
   •   Anrechnung des Partnereinkommens als neue Bezugsgröße: Erstmals wird in Baden-Württemberg bei der Prüfung der amtsangemessenen Alimentation ein mögliches Einkommen der Ehepartnerin/des Ehepartners berücksichtigt . Bislang wurden Besoldungstabellen und Alimentationsprüfungen fiktiv auf der Grundlage einer vierköpfigen Beamtenfamilie mit alleinverdienendem Beamten kalkuliert. Dieser Grundpfeiler wird nun geändert: Das Gesetz 2024/2025 unterstellt, dass typischerweise beide Ehepartner verdienen (Doppelverdiener-Familie) . Daher soll ein (Hinzu-)Verdienst der Partnerin/des Partners von bis zu 6.000 € netto jährlich künftig mit eingerechnet werden, wenn beurteilt wird, ob die Besoldung ausreichend über dem Sozialniveau liegt  . Praktisch bedeutet dies, dass Beamtengehälter am unteren Ende gerade noch als verfassungskonform gelten können, selbst wenn sie nur knapp über dem Existenzminimum liegen, solange der Partner wenigstens 6.000 € im Jahr dazuverdient . Die fiktive Annahme eines Zweitverdienstes verschafft dem Dienstherrn also Spielraum nach unten. Hinweis: Die 6.000-€-Grenze entspricht einem sehr geringen Einkommen (∼500 € netto/Monat); ein darüber hinausgehender Verdienst des Partners würde ohnehin das Familiennettoeinkommen erhöhen. Die 6.000 € stellen demnach die Schwelle dar, bis zu der von einer „Alleinverdienerfamilie“ ausgegangen wird. Alles darüber wird als normaler Hinzuverdienst betrachtet.
   •   Einführung eines antragsabhängigen Familienergänzungszuschlags (FEZ): Um echte Härtefälle – nämlich Beamtenhaushalte, in denen tatsächlich nur ein Einkommen vorhanden ist – abzufedern, wurde im Zuge der Partnereinkommens-Anrechnung der Familienergänzungszuschlag geschaffen. Dieser neue Zuschlag steht verheirateten Beamtinnen und Beamten mit mindestens einem kindergeldberechtigten Kind zu, wenn der Ehegatte/Lebenspartner weniger als 6.000 € Netto-Jahreseinkommen erzielt . Der FEZ muss beantragt werden und wird abhängig von Besoldungsgruppe, Erfahrungsstufe und Kinderzahl gewährt  . Typischerweise kommt er Beamten der unteren Besoldungsgruppen (A 7 bis A 9) mit mehreren Kindern zugute, die keine oder nur geringfügig verdienende Partner haben. Die Höhe des FEZ ist gestaffelt (siehe z. B. Tabelle in FAQ des LBV: in A 7 Stufe 1 mit einem Kind 270 € monatlich, abnehmend in höheren Stufen; bei zwei Kindern höher)  . Der FEZ ist also ein familienbezogener Auffüllbetrag, der gezahlt wird, wenn die Annahme eines Zweitverdienstes nicht zutrifft. Durch diese Neuerung verschiebt das Land familienbezogene Besoldungsbestandteile teilweise aus der regulären Besoldungstabelle hinaus in ein separates, bedarfsabhängiges Zuschlagssystem .

Darüber hinaus enthielt das Gesetz 2024/2025 einige weitere strukturelle Verbesserungen zugunsten von Familien und unteren Besoldungsgruppen, um die Übergangszeit bis zur Neuregelung abzudecken und die Vorgaben des BVerfG vollständig zu erfüllen:
   •   Erhöhung der kinderbezogenen Zuschläge für viele Kinder: Der Familienzuschlag für das dritte und jedes weitere Kind wurde rückwirkend zum 1. Januar 2023 deutlich angehoben und zum 1. Januar 2024 nochmals erhöht . Dies stellt sicher, dass gerade größere Beamtenfamilien seit 2023 ausreichend alimentiert sind. Ergänzend wurden Nachzahlungen für 2023 vorgesehen: Beamtinnen und Beamte der BesGr A 7 bis A 9 mit einem ersten Kind erhielten für 2023 einmalig einen Ausgleichsbetrag, um rückwirkend die inzwischen beschlossenen höheren Sätze zu erfüllen .
   •   Anhebung der Strukturzulage für niedrige Besoldungsgruppen: Die monatliche Strukturzulage für den einfachen/mittleren Dienst (BesGr A 7 und A 8) wurde zum 1. 12. 2022 bereits eingeführt und nun nochmals erhöht . Diese Zulage verbessert das Grundgehalt in den niedrigsten Laufbahnen zusätzlich. (Für 2024 plante man zudem, die Strukturzulage zu vereinheitlichen – weg von unterschiedlichen Beträgen je Besoldungsgruppe hin zu einem einheitlichen Betrag für alle im mittleren Dienst .)

Begründung des Landes: Die Landesregierung begründete diesen Paradigmenwechsel mit gesellschaftlichen Realitäten. Statistik und Erfahrungswerte zeigten, dass die Doppelverdiener-Familie heute die deutlich vorherrschende Konstellation in Baden-Württemberg sei . Es sei daher nicht mehr zeitgemäß, bei der Besoldungsentwicklung vom Bild der Alleinverdienerehe auszugehen . Vielmehr wolle man den Familienbegriff im Besoldungsrecht „weiterentwickeln“, indem ein übliches Hinzuverdienstszenario zur neuen Bezugsgröße erklärt wird . Dies entlaste den Staat finanziell, da die Besoldungstabellen nun niedrigere Mindestsätze aufweisen können, ohne verfassungswidrig zu sein – die Differenz wird ja durch ein unterstelltes Partnereinkommen gedeckt. Für echte Alleinverdienerfamilien verspricht das Land dennoch ausreichende Unterstützung über den FEZ. Laut Finanzministerium schafft man so einen Ausgleich zwischen moderner Realität und dem verfassungsrechtlichen Anspruch: „Für die Fälle tatsächlicher Alleinverdienerfamilien wird ein antragsabhängiger Familienergänzungszuschlag eingeführt“, während ansonsten ein Hinzuverdienst berücksichtigt wird . Zudem argumentierte das Ministerium, man halte damit den erforderlichen 115%-Abstand zur Grundsicherung ein, ohne allen Beamten pauschal mehr zahlen zu müssen – gewissermaßen eine zielgenauere Form der Alimentation. Darüber hinaus wurden mit diesem Gesetz die Tarifabschlüsse 2023/24 vollständig übertragen (inkl. 200 € Sockelerhöhung ab Nov. 2024 und 5,5 % Erhöhung 2025)  sowie die Inflationsausgleichsprämien des Tarifbereichs 1:1 auf die Beamten erstreckt  . All dies stelle sicher, dass die Besoldung in Baden-Württemberg auch in Zeiten hoher Inflation verfassungskonform und attraktiv bleibe – so die Sicht des Landes.

Reaktionen der Interessengruppen: Die Einführung des Familienergänzungszuschlags und die Abkehr von der Alleinverdienerehe stießen auf herbe Kritik von Beamtenvertretungen und Oppositionspolitikern:
   •   BBW Beamtenbund: Der BBW zeigte sich „vor den Kopf gestoßen“ von diesen Plänen . Landeschef Kai Rosenberger beklagte, dass die Regierung ohne frühzeitige Einbindung der Verbände einen Grundpfeiler des Besoldungssystems aufgibt . Aus Sicht des BBW muss ein Beamter jederzeit in der Lage sein, eine vierköpfige Familie allein zu ernähren . Die Kopplung der Besoldung an ein Partnereinkommen widerspreche den Leitentscheidungen des BVerfG, das noch in seinen Urteilen 2015, 2017 und 2020 ausdrücklich von einer Alleinverdiener-Ehe als Referenz ausgegangen sei . Rosenberger warf dem Land vor, sich mit der Anrechnung des Partnereinkommens ein „Sparinstrument“ zu schaffen, um künftig jede auftretende Lücke zum 115%-Mindestabstand einfach wegrechnen zu können . Er warnte, die zunächst willkürlich gewählte Grenze von 6.000 € könne jederzeit vom Gesetzgeber erhöht werden, um weiteren Spardruck abzubauen – auf Kosten der Beamtenfamilien . Auch den neu geschaffenen Familienergänzungszuschlag sieht der BBW kritisch: Dieser antragsabhängige Zuschlag baue neue Bürokratie auf und erweitere erneut die familienbezogenen Leistungen außerhalb der regulären Besoldungstabelle, was das Problem des Abstandsgebots eher verlagere oder sogar verschärfe . Durch immer mehr Zuschläge parallel zur Tabelle werde das Besoldungssystem komplexer und anfälliger für neue Ungerechtigkeiten, so die Befürchtung. Rosenberger verwies darauf, dass nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in anderen Bundesländern erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel geäußert werden, wenn die amtsangemessene Alimentation plötzlich von einem Partnereinkommen abhängig gemacht werde . Sein Fazit: Die Maßnahmen der Grün-Schwarzen Landesregierung seien “keine Attraktivitätssteigerung, sondern Flickschusterei“ . Der BBW forderte stattdessen langfristige, planbare Lösungen (z. B. Arbeitszeitverkürzung, bessere Besoldung insgesamt) anstelle solcher kurzsichtigen Einschnitte . Insgesamt lehnt der BBW das neue Modell ab und prüft, inwieweit hier erneut der Gang vor Gericht nötig sein könnte.
   •   Richterbund Baden-Württemberg: Auch die baden-württembergischen Richter und Staatsanwälte sehen die Neuerungen äußerst kritisch. Schon beim Vier-Säulen-Modell 2022 hatte der Richterbund vor dem Aufweichen des Abstandsgebots gewarnt – die Anrechnung von Partnereinkommen bestätigt nun diese Befürchtung. Der Deutsche Richterbund (DRB) hat in einer Stellungnahme grundsätzlich klargestellt, dass eine vom Partner- oder Familieneinkommen abhängige Beamtenbesoldung weder dem bisherigen Alimentationsprinzip noch den üblichen Entgeltsystemen entspricht . Eine solch fundamentale Abkehr von der tradierten Struktur dürfte nach Ansicht vieler Juristen einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung kaum standhalten. Der Landesrichterbund BW hat die Entwicklung mit großer Sorge verfolgt. Öffentlich machte er insbesondere geltend, dass gut ausgebildete Juristen für den Staatsdienst gewonnen werden müssen und hierzu eine konkurrenzfähige, verlässliche Besoldung brauchen. Die neue Regelung schaffe aber Unsicherheit: Junge Richter könnten befürchten, finanziell schlechter dazustehen, wenn ihr Partner nicht berufstätig ist – was die Attraktivität des Richteramts mindern könnte. Auch weist der Richterbund darauf hin, dass es sozialpolitisch bedenklich sei, Ehegatten mit Erwerbseinkommen faktisch für die Alimentationspflicht des Dienstherrn haftbar zu machen. Zwar hat der Landesrichterbund noch keine eigene Klage eingereicht, jedoch unterstützt er die kritische Linie des BBW und des Deutschen Richterbundes in dieser Frage vollumfänglich. Sollte ein konkreter Fall auftreten, in dem ein Beamter oder Richter wegen der Partnereinkommens-Regelung eine bestimmte Besoldung nicht erhält, wäre eine Klage wegen Unteralimentierung wahrscheinlich.
   •   Weitere Stimmen: Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Baden-Württemberg und Oppositionspolitiker schlossen sich der Kritik an. Der DGB bezeichnete den Familienergänzungszuschlag als fragwürdige Neuerung, die „statt Sicherheit unnötigerweise weitere Rechtsunsicherheit […] in das System der Besoldung“ bringt . Anstatt Probleme zu lösen, schaffe man neue Unruhe. Der FDP-Finanzexperte Stephen Brauer nannte die Partnereinkommens-Anrechnung „nur einen faulen Trick“, um zu verhindern, dass die Besoldung andernfalls verfassungswidrig würde . Er warnte zudem, der FEZ könne unbeabsichtigt Minijobs unattraktiv machen  – etwa wenn ein Beamtenpartner einen Minijob hat, der knapp über 6.000 € im Jahr einbringt, ginge der FEZ verloren und damit eventuell mehr Geld als der Minijob netto einbringt. Auch der SPD-Finanzsprecher Nicolas Fink kritisierte das Vorgehen als „permanente Flickschusterei“ und forderte stattdessen eine grundlegende Verbesserung von Arbeitszeit und Bezahlung im öffentlichen Dienst . Lediglich aus der AfD gab es verhaltenes Verständnis für den Schritt: Man könne nachvollziehen, dass man statistisch die Doppelverdiener-Ehe als Bezugsgröße wähle; allerdings dürfe der Sozialstaat nicht aus den Fugen geraten .

Zusammenfassung: Das Besoldungsanpassungsgesetz 2024/2025 brachte einen Systemwechsel: Künftig wird die Besoldung nach dem Leitbild der Zwei-Verdiener-Familie bemessen, wobei ein Partnereinkommen bis 6.000 € jährlich als vorhanden unterstellt wird . Für echte Alleinverdiener wurde ein Familienergänzungszuschlag eingeführt . Diese Neuerungen sollen die Alimentation zeitgemäß und rechtssicher machen – wurden jedoch vom Beamtenbund und Richterbund scharf kritisiert. Der BBW sieht darin einen Verstoß gegen bewährte verfassungsrechtliche Prinzipien und befürchtet ein Aushöhlen des Alimentationsprinzips zugunsten von Haushaltsentlastungen . Der Richterbund lehnt eine Besoldung “nach Kassenlage und Ehestand“ ebenso ab . Es ist davon auszugehen, dass auch diese Reform juristisch überprüft werden wird. Die Landesregierung hat zwar eine vollständige Tarifübertragung (inkl. Inflationsprämie) und gezielte Familienleistungen umgesetzt  , steht aber nun im Kreuzfeuer der Kritik, einen Alleingang zu wagen, der möglicherweise verfassungswidrig ist und die Attraktivität des öffentlichen Dienstes nicht erhöht, sondern eher gefährdet  .

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hervorragende Zusammenfassung!