Heute im Rundblick:
RECHT
Verwaltungsrichter rufen Lies im Streit mit Heere um die Beamtenbesoldung zur Hilfe
Rollt eine neue Klagewelle auf die Verwaltungsgerichte zu? Viele Richter und Beamte befürchten das, weil sich die Landesregierung im Streit um die Besoldung hartleibig zeigt. Der Ton im Streit um die Frage, wie die Landesregierung mit Widersprüchen gegen die Beamtenbesoldung umgehen soll, wird erkennbar schärfer. Vor wenigen Wochen hat der Vorsitzende des Verbandes der Verwaltungsrichter, Prof. Gert Armin Neuhäuser, einen Brief an Ministerpräsident Olaf Lies (SPD) geschrieben. Darin wird Lies „dringend gebeten, die bisherige Handlungsweise zu überdenken und zu ändern“. Indirekt fordert Neuhäuser, im Hauptberuf Präsident des Verwaltungsgerichts Osnabrück, Lies zum Eingreifen gegen seinen Finanzminister Gerald Heere (Grüne) auf.
Bisher hat der Regierungschef allerdings in offiziellen Einlassungen keinen Grund gesehen, Heeres Kurs zu korrigieren. Im Finanzministerium selbst rät man zur Gelassenheit. Offenbar sind bisher vom Land auch noch keine Widerspruchsbescheide abschlägig entschieden worden. Damit werde erst für die kommenden Wochen gerechnet, wenn noch offene Verfahrensfragen geklärt ist, heißt es aus Regierungskreisen.
Es geht um die Besoldung der niedersächsischen Beamten und Richter, die seit vielen Jahren höchst umstritten ist. Dem Bundesverfassungsgericht liegen mehrere Beschwerden vor, über die allerdings immer noch nicht entschieden worden ist. Die Kernfrage lautet, ob das von den Karlsruher Richtern wiederholt hervorgehobene „Abstandsgebot“ der Beamtenbesoldung zur Grundsicherung (mindestens 15 Prozent) eingehalten wird. Dies betrifft dann im Endeffekt nicht nur die unteren Besoldungsgruppen, sondern das gesamte System der Beamtenbesoldung, da je nach Eingruppierung der Tätigkeiten alle höheren Statusämter auf den jeweils unteren aufgebaut sind. Da die Beamtenbesoldung seit vielen Jahren umkämpft ist, haben viele Beamte und Richter regelmäßig Widerspruch gegen ihre Gehaltsbescheinigungen eingereicht. Für die bis Ende 2022 betre enden Bescheide galt die Vereinbarung zwischen Landesregierung und Berufsverbänden der Beamten, dass die Widersprüche „ruhend“ gestellt wurden. Das heißt, ihre Wirksamkeit blieb erhalten bis zum Zeitpunkt eines Karlsruher Urteils, das dann Klarheit schafft.
Vor wenigen Wochen nun änderte das Finanzministerium diesen Kurs und entschied, dass für die Gehaltsbescheinigungen der Jahre 2023, 2024 und alle weiteren keine aufschiebende Wirkung mehr besteht. Das heißt, diese Widersprüche sollen vom Land abgelehnt werden ‑ mit der Folge, dass nur noch die Beamten und Richter später ihre Ansprüche zu den Gehältern erfolgversprechend vortragen können, die gegen einen abgelehnten Widerspruch des Landes Klage eingereicht haben. Formal begründet das Finanzministerium den neuen Kurs damit, dass inzwischen mit dem „Familienergänzungszuschlag“ ein Instrument vom Landtag beschlossen worden sei, das die Verfassungsmäßigkeit der unteren Besoldungsgruppen sicherstelle. Der Beamtenbund und Verdi hingegen sehen diese Begründung als nicht überzeugend an.
Neuhäuser bittet Lies nun um ein Aufhalten des neuen Kurses ‑ und zwar aus Sorge vor einer Klageflut. In Hamburg sei man den jetzt in Niedersachsen eingeschlagenen Weg schon seit längerem gegangen ‑ und annähernd 8000 Klagen lägen schon vor. Hochgerechnet auf die Zahl der niedersächsischen Beamten rechne er nun mit mehr als 31.000 Klagen ‑ und verweist auf den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, Frank-Thomas Hett, der im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick sogar von 62.000 zu bescheidenden Widersprüchen gesprochen hatte. Bereits jetzt, fügt Neuhäuser hinzu, steige die Zahl der Eingänge vor den Verwaltungsgerichten in Niedersachsen, 2024 war es ein Plus von 21,7 Prozent, beispielsweise wegen Asylverfahren. Wenn jetzt noch viele neue Verfahren wegen der Beamtenbesoldung hinzukämen und „in einem riesigen Ausmaß richterliche Arbeitskraft binden“, sei das sonderbar. Da der Streit in der Sache sowieso nur in Karlsruhe entschieden werden könne, sei „kein Grund bekannt oder vorstellbar“, weshalb das sinnvoll sein könne.
Allerdings ist es so, dass erst einige Kommunen für ihre Beamten die Widerspruchsbescheide entsprechend der neuen Weisung des Finanzministeriums abgelehnt haben. Hier sollen die ersten Betroffenen schon geklagt haben. Das Land indes hat offenbar noch über keinen solchen Widerspruchsbescheid entschieden. In rot-grünen Kreisen herrscht die Auffassung, dass der Streit „von interessierter Seite aufgebauscht” werde. Aus dem Finanzministerium heißt es, mit dem „Familien-ergänzungszuschlag” sei die Beamtenbesoldung jetzt rechtssicher und verfassungsgemäß. Wer eine andere Auffassung vertrete, müsse den Rechtsweg beschreiten - und das gehe eben nur über die Klage gegen einen abgelehnten Widerspruchsbescheid. Erst wenn Klagen vorlägen, könne man über die Frage reden, ob weitere Widerspruchsbescheide „ruhend gestellt” werden und der Ausgang eines Musterprozesses abgewartet wird.