https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.beamtenrecht-vom-glueck-der-staatlichen-alimentation.6d76a565-170e-464c-aab8-f0bb79a2b8fc.html"Vom Glück der staatlichen Alimentation
01.10.2025 - 10:06 Uhr
Beamte erfreuen sich des Wohlwollens der Gerichte. Dort sind ihre Privilegien in guten Händen. Auch die Politik steckt voller Staatsdiener. Und das hat Folgen.
Winfried Kretschmann sagte einmal, wenn die Leute Kenntnis hätten, welche Privilegien den Beamten zukämen, gebe es eine Revolution. Der Ministerpräsident weiß, wovon er spricht, schließlich ist er selbst ein Beamter, nämlich Gymnasiallehrer. Dennoch kann er keinesfalls als intimer Freund des Beamtenwesens gelten. Als Mitglied der ersten Föderalismuskommission trat er vor zwei Jahrzehnten dafür ein, den Artikel 33 des Grundgesetzes zu streichen, mindestens zu reformieren. Dort steht: „Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.“ Die Option des Fortentwickelns ist das Produkt von Kretschmanns einsamen Drängen – nur der damalige Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) stand ihm seinerzeit zur Seite. Getan hat sich seitdem allerdings nichts, außer, dass im Zuge der Föderalismusreform das Beamtenrecht vom Bund auf die Länder übertragen wurde. In den Länderparlamenten tummeln sich jede Menge Beamte, die eisern darüber wachen, dass ihnen und ihresgleichen keine Unbill widerfährt.
Wütende Pensionäre im feinen Anzug
Das gilt auch für die Gerichte. Richter sind formal keine Beamte, das verlangt das Gebot der Unabhängigkeit, werden aber materiell so behandelt. Als Kretschmanns grün-rote Koalition (2011 bis 2016) wenige minimalinvasive Sparschnitte bei den Beamten vornahm, reagierten diese mit Rechtsmitteln und einer bizarren Protestkundgebung, bei der ältere Herren in gepflegten Anzügen, aber mit wutverzerrten Gesichtern jene Regierungsmitglieder niederbrüllten („Aufhören!“), die sie über den Beamtenbund selbst eingeladen hatten. In der Stuttgarter Liederhalle plärrten die Vuvuzelas. Die Gerichte kassierten die bescheidenen grün-roten Sparbeschlüsse umgehend ein.
Gerechtfertigt wird die Pflege von Beamtenreservaten regelmäßig mit Berufung auf die ominösen „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“, deren Herkunft aus dem vorrepublikanischen Obrigkeitsstaat gesichert ist. Vor Augen tritt der königlich preußisch-württembergisch-bayerische Eisenbahnstationsvorsteher, der allenfalls zum Schlafen, wenn er denn einmal dazu kam, die Uniform auszog. Schließlich hatte er eine Hausfrau sowie eine stattliche Schar von Kindern zu versorgen. Sein Dasein widmete er seinem Dienstherrn, dieser verpflichtete sich – unter anderem – zur Alimentation. Der Monarch gewährte ein Rundumsorglospaket, das als Gegenleistung den ganzen Mann verlangte, wenn nicht gar verschlang.
Heute wird mitunter recht respektlos über das Beamtentum geredet; es ist sogar ein Quell von Witzen wie diesen: Frage: „Wann holt der Beamte alles aus sich heraus?“ Antwort: „Wenn er in der Nase popelt.“ Solch billige Scherze verkennen allerdings, dass es sich beim Beamtentum um eine geschichtsmächtige Formation handelt. Max Weber, der bedeutendste deutsche Soziologe, unterscheidet drei Formen der Herrschaft: die traditionale (feudale) Herrschaft, die charismatische Herrschaft (Negativbeispiel: Hitler) – und die bürokratische Herrschaft, die sich in der Verwaltung konkretisiert. Sie durchdringt mit den Mitteln der geistigen Rationalisierung immer mehr Lebensbereiche. Letztlich regiert die Bürokratie die Republik, sie verhält sich zur Politik wie die Bratwurst zum Senfaufstrich.
Umso wichtiger ist, dass die Verwaltung funktioniert, was mehr und mehr in Frage steht. Man muss dazu nicht allein auf die Bürgerbüros in Stuttgart schauen oder das Ausländeramt. Ein hoher Beamter des Landes klagte dieser Tage über die um sich greifende Entscheidungsschwäche in den Ministerien, deren Spitzenbeamte gut versorgt, aber verantwortungsscheu seien. Endlos kursierten die Vermerke, wenn irgend möglich, würden Themen, die Ärger eintragen könnten, weitergeschoben. „Selbstbewusste Ermessensentscheidungen sind Mangelware“, sagte der Fachmann. Als handlungsleitendes Prinzip nennt er die Vermeidung von Risiken. Dem entschlusslosen Beamten entspricht der rechtsschutzversicherte Bürger, der unerbetene staatliche Bescheide mit dem Anwalt beantwortet.
Filigran wie eine gotische Kathedrale
Beamte und Richter sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts so zu bezahlen und zu versorgen, dass die Bezüge „einen je nach Dienstrang, Bedeutung und Verantwortung des Amtes und entsprechender Entwicklung der allgemeinen Verhältnisse angemessenen Lebensunterhalt gewähren und als Voraussetzung dafür genügen, dass sich der Beamte ganz dem öffentlichen Dienst als Lebensberuf widmen und in wirtschaftlicher Unabhängigkeit zur Erfüllung der dem Berufsbeamtentum vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu sichern, beitragen kann“.
Der hier zitierte Teilsatz gehört zu einem noch längeren Satzungeheuer, von dem man annehmen muss, dass Richter deshalb so formulieren, weil sie vermeiden wollen, dass ein Nichtjurist erfasst, was sie meinen. Tatsächlich ähnelt die Rechtsprechung zum Beamtenrecht einer filigran gebauten gotischen Kathedrale, die vom Einsturz bedroht erscheint, wenn nur ein Stein entfernt wird. Wenn zum Beispiel in den unteren Besoldungsgruppen – Beamte im einfachen Dienst gibt es beim Land kaum noch – der Abstand zur Grundsicherung schmilzt, dann reicht es nicht aus, dass dort die Bezahlung angehoben wird. Denn damit verringerte sich der Unterschied zum mittleren Dienst. Würde aber auch dort die Besoldung erhöht, dann verkürzten sich die Distanzen zum gehobenen Dienst und zum höheren Dienst. Was schlussfolgert ein Beamtenrechtler daraus? Genau: Allen Beamten steht eine höhere Besoldung zu. Dann bleiben die Lohnabstände im Gesamtgefüge intakt. Dieser Logik des „Mehr Geld für alle Beamten“ wollte das Finanzministerium in Stuttgart im Fall der viel kritisierten Anhebung des Familienzuschlags fürs dritte Kind aufwärts entkommen.
Apropos Familienzuschlag: Davon steht nichts im Grundgesetz, er ist Teil des vom Bundesverfassungsgericht weit ausgelegten Alimentationsprinzips. Ein Beamter, der verheiratet ist und/oder Kinder hat, darf demnach netto nicht weniger Geld zur Verfügung haben als ein lediger Beamter. Kinder zählen für Otto Normalverbraucher, finanziell gesehen, zum Lebensrisiko; nicht für Beamte. „Die Berücksichtigung der Kinderzahl bei der Besoldung ist daher kein ‚Beamtenprivileg‘, sondern Inhalt der geschuldeten Alimentation“, meinen die Karlsruher Verfassungsrichter. Das übliche Kindergeld gibt es natürlich obendrauf. Ungerecht sei das nicht, denn der Gesetzgeber könne ja Gleiches für alle Übrigen beschließen, finden die Richter. Woher das Geld dafür herkommen könnte, sagen sie nicht. So viel Chuzpe darf dann schon sein. Schließlich sind Richter unabhängig."