Autor Thema: Fiktives Partnereinkommen - Sammelthread  (Read 1877 times)

Hugo

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Fiktives Partnereinkommen - Sammelthread
« am: 15.12.2025 21:38 »
 Bitte hier Meinungen, Einschätzungen, Links, Urteile etc. sammeln. Werden wir vielleicht für die nächste Klage brauchen  ;) gerne auch Empfehlungen einer guten Kanzlei!

Angelsaxe

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Antw:Fiktives Partnereinkommen - Sammelthread
« Antwort #1 am: 16.12.2025 07:45 »
Da muss ich nachfragen: in welchem Zusammenhang?
Wir haben den Fall, dass meine Frau freiwillig in der GKV ist und ihr Beitrag an unserem gemeinsamen Einkommen gemessen wird. Aber das ist natürlich nicht fiktiv, sondern traurige Realität.  ::)
Mit der Berufung in das Beamtenverhältnis erlischt ein Arbeitsverhältnis zum Dienstherrn.

MrX

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Antw:Fiktives Partnereinkommen - Sammelthread
« Antwort #2 am: 16.12.2025 08:04 »
Die Hinzurechnung eines fiktiven Partnereinkommens widerspricht dem Grundsatz der Ämterwertigkeit und verletzt alleine schon deshalb eine amtsangemessene Besoldung, da der Beamte nicht auf Unterhaltsansprüche gegen seine Angehörigen verwiesen werden kann. Die Alimentationspflicht betrifft den Beamten selbst, nicht den Partner; und Art. 6 GG verbietet es, familiäre Verhältnisse zur Entlastung des Staates heranzuziehen.

Das Bundesverfassungsgericht hat dies eindeutig klargestellt. In der Entscheidung BVerfGE 44, 249 (Rn. 63–65) wird festgestellt, dass der Dienstherr seine Alimentationspflicht nicht durch Rückgriff auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Dritter kompensieren darf. Die Alimentationsverpflichtung ist personenbezogen und richtet sich ausschließlich an den Beamten.
Der Staat hat das Existenzminimum des Beamten eigenverantwortlich sicherzustellen.
Private Unterstützungsstrukturen oder Partnereinkommen dürfen nicht zur Entlastung des Dienstherrn herangezogen werden.
Damit ist jede Einbeziehung des Einkommens eines Ehe- oder Lebenspartners verfassungswidrig.

PS:

2 A 11745/17.OVG, Verfassungswidrigkeit der Besoldung A8 in Rheinland-Pfalz

https://www.landesrecht.rlp.de/bsrp/document/NJRE001589656

Vielleicht wird bei dem Verfahren über die Thematik geurteilt.
« Last Edit: 16.12.2025 08:17 von MrX »


Hugo

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Antw:Fiktives Partnereinkommen - Sammelthread
« Antwort #4 am: 16.12.2025 11:01 »
edit-Vorwort:
Zwei Lesarten - ein Beschluss
Vielleicht erklaert sich ein Teil der aktuellen Missverstaendnisse dadurch, dass derselbe Beschluss mit sehr unterschiedlichen Erwartungshorizonten gelesen wird.

Die allgemeine Forumslesart ist nachvollziehbar normativ gepraegt: Man liest das Urteil als Fortschreibung verfassungsrechtlicher Massstaebe und fragt primaer danach, "Wat nu, Gesetzgeber? Was musst du tun?". In dieser Perspektive erscheint die neue Prekaritaetsschwelle als klare Anhebung der Untergrenze, das Thema Partnereinkommen als weitgehend erledigt und der Beschluss insgesamt als ein weiterer Schritt hin zu einer materiell spuerbaren Verbesserung der Alimentation.

Die Lesart eines Grundsaetzers ist strukturell eine andere. Dort wird ein solcher Beschluss weniger als Handlungsanweisung, sondern als neuer Rahmen mit definierten Bindungen und verbleibenden Spielraeumen gelesen. Die zentrale Frage lautet nicht, was rechtspolitisch wuenschenswert waere, sondern wo die verfassungsrechtlichen Leitplanken verlaufen und wie sich innerhalb dieser noch steuerungsfaehige Modelle begruenden lassen.
Bei einer Tagung in Bad Godesberg sagte einer aus dem BMF mal zu mir:
Urteile beenden keine ministeriellen Prozesse...sie strukturieren den naechsten Durchgang
find ich nach wie vor nach all den Jahren klasse :)

Trennung.

@alle Verfassungsblogleser hier im Forum
Der verlinkte Beitrag trifft einen wichtigen Punkt, allerdings weniger dort, wo viele jetzt reflexartig hinschauen. Entscheidend ist nicht die bloße Feststellung, dass die Prekaritaetsschwelle hoeher liegt als fruehere Mindestabstaende...denn das ist letztlich nur die rechnerische Konsequenz.
Spannend ist vielmehr, welche Denkrichtung das Gericht damit vorgibt und welche es bewusst offenlaesst :)

Die neue Schwelle zwingt den Gesetzgeber, sich nicht mehr hinter Existenzsicherungsargumenten zu verstecken. Gesellschaftliche Teilhabe als Massstab ist qualitativ etwas anderes und bislang ausschliesslich Lagerfeuerromantik. Gleichzeitig laesst das Gericht aber Raum fuer Typisierung, Vergleichsbetrachtungen und modellhafte Annahmen. Genau in dieser Spannung zwischen erhoehtem Anspruch und offener Ausgestaltung liegt der Kern des Problems und der Grund, warum von einem Befreiungsschlag keine Rede sein kann.

Das gilt insbesondere fuer die Frage des Partnereinkommens. Dass das BVerfG hier Entwicklungsoffenheit signalisiert, ist kein Freibrief, sondern eher eine Warnung: Wer versucht, die neue Schwelle ueber Haushaltsbetrachtungen „einzufangen“, bewegt sich sehr schnell an der Grenze zur Aufloesung der bilateralen Struktur des Dienstverhaeltnisses. Ob und wie weit das verfassungsrechtlich traegt, ist gerade nicht entschieden ...sondern vertagt.

Insofern wuerde ich den Beschluss weniger als Richtungsentscheidung im Detail lesen, sondern als Verschiebung der Argumentationslast. Der Gesetzgeber kann nicht mehr mit Minimalabstaenden operieren, er muss seine Modelle jetzt substantiell rechtfertigen. Dass er dabei versuchen wird, fiskalische Steuerungslogik, Typisierung und zeitliche Streckung weiterhin maximal auszureizen, ist keine Unterstellung, sondern Erfahrung.

Das Urteil macht es dem Gesetzgeber schwerer, aber nicht unmoeglich. Es erhoeht den Preis fuer schlechte Gesetze, garantiert aber keine guten. Unterschaetzt bitte nicht die Beharrungskraefte im Besoldungsrecht.

Um es mit Helmut Schmidt's Worten zu sagen:
"...denn das Grundgesetz erlaubt sowohl schlechte Politik als auch gute Politik.
Schlechte Politik ist nicht grundgesetzwidrig, die ist bloß schlecht."




Rentenonkel

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Antw:Fiktives Partnereinkommen - Sammelthread
« Antwort #7 am: 19.12.2025 07:41 »
Ich hatte Swen gefragt, wie er das fiktive Partnereinkommen nach dem bayrischen Modell einschätzt und was er davon hält, dass die Besoldungsgesetzgeber sich daran möglicherweise orientieren könnten.

Hier seine Einschätzung dazu:

Der Gesetzgeber hat weiterhin im Rahmen seiner gesetzgeberischen Pflichten sein Gesetz zu begründen, ebenso sind die Protokolle der Fachausschüsse und auch die Plenardebatte weiterhin Teil des Gesetzgebungsverfahrens, was spätestens das Bundesverfassungsgericht in konkreten Normenkontrollverfahren ggf. heranziehen wird. Zwar schuldet nun der Besoldungsgesetzgeber im Rahmen der aktuellen Entscheidung ebenfalls weitgehend "nur das Gesetz" (vgl. den LS 6 i.V.m. mit der Rn. 61). Nichtdestotrotz wird er sich weiterhin veranlasst sehen, der Verpflichtung zur sachgerechten Gesetzgebung weiterhin nachzukommen. Insofern dürfte es im eigenen Interesse sein, auch weiterhin das nun neu gestaltete "Pflichtenheft" im Verlauf des Gesetzgebungverfahren hinreichend zur Kenntnis zu nehmen und das auch im laufenden Verfahren zu dokumentieren. Darüber hinaus ist es dem Dienstherrn möglich, weitere Gründe in laufenden Gerichtsverfahren "nachzuschieben", sofern er das als sinnvoll erachtet oder von den Fachgerichten oder am Ende im konkreten Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit dazu erhält. Das, was ich also nach dem einleitenden Satz nach dem Doppelpunkt ausführe, basiert auf dem genannten LS 6 der aktuellen Entscheidung und wird in der Entscheidung noch weiter mit Leben gefüllt. Entsprechend würde ich noch einmal unter III. ab der Seite 14 hier lesen: https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2025/12/01-Darlegungslast-und-Prozessstrategie-08.12.25.pdf

Wenn der Bundesgesetzgeber nun also das bayerische Modell mitsamt eines 20.000,- € (bzw. in Bayern mittlerweile erheblich höher liegenden) Partnereinkommens zur Grundlage einer neuen Runde der Never Ending Story machen will, wird er bestimmt auch wissen, wie er das im Hinblick auf die Rn. 70 der aktuellen Entscheidung vor den Fachgerichten und am Ende hier dann in jedem Fall vor dem Bundesverfassungsgericht begründen will, dass er also eine solche Betrachtung dann in Gerichtensverfahren nicht vornehmen will. Ich gehe also davon aus, dass er ganz bestimmt sicherlich die 20.000,- € im Gesetzgebungsverfahren voraussetzen möchte, um sie dann nicht weiter vorauszusetzen und sie also nicht zu betrachten, um dann ab nächstem Jahr jährlich einmal pro Jahr die Houdini-Medaille in Gold für besonders verdiente Gesetzesbegründer, in Silber für verdiente Gesetzesbegründer und in Bronze für das regelmäßig Seepferdchen zu verleihen:

"Die Bezugsgröße [lies: der gerichtliche Kontrollmaßstab, ST.] für die Bemessung der Mindestbesoldung ist eine vierköpfige Familie, die aus dem Beamten, seinem Ehegatten und zwei Kindern, von denen eines jünger als 14 Jahre ist, besteht, deren alleiniges Einkommen im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 3 MZG die Besoldung – einschließlich der Familienzuschläge für den Ehegatten und die ersten beiden Kinder – ist. Das Bundesverfassungsgericht geht – jedenfalls auf der Grundlage des vom Berliner Besoldungsgesetzgeber für den Prüfungszeitraum gewählten Besoldungsmodells – grundsätzlich davon aus, dass der Gesetzgeber die Besoldung so bemessen wollte, dass eine vierköpfige Familie durch einen Beamten als Alleinverdiener amtsangemessen unterhalten werden kann, ohne dass es weiterer Einkommensquellen – etwa einer Nebentätigkeit oder der Erwerbstätigkeit des Ehegatten – bedarf (vgl. BVerfGE 155, 1 <24 Rn. 47>; Blackstein/Diesterhöft, in: Müller/Dittrich, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 6, 2022, S. 153 <189>)." (Rn. 70).

Darüber hinaus müssen Bundesgesetze in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin ausgefertigt werden, woran Verfassungorgane sicherlich nicht immer und ausschließlich in jedem Fall beizeiten öffentlich erinnert werden wollten, könnte ich mir vorstellen. Daran muss ja sicherlich irgendwann in der Zukunft sicherlich auch niemand erinnert werden, da das Wissen über die Ausfertigung von Bundesgesetzen ja allseits vorausgesetzt werden kann.

Mit dem Verweis auf die Rn. 47 der Entscheidung vom 4. Mai 2020 hat der Senat darüber hinaus klargestellt, dass es sich im dort ausgeführten Obiter Dictum ebenfalls um eine weiterhin direktiv gemeinte Ausführung zum Kontrollmaßstab gehandelt hat, was niemanden überraschen kann, weil daran m.W. niemand, der bei klarem Verstand ist, jemals hat zweifeln können oder gar gezweifelt hätte. Dabei ist hier auch weiterhin § 8 Abs. 1 Nr. 3 MZG zur Kenntnis zu nehmen, worauf der Senat im Zitat hinweist (https://www.gesetze-im-internet.de/mzg/BJNR282610016.html). Der Kontrollmaßstab ist in gerichtlichen Verfahren solange anzuwenden, wie das Bundesverfassungsgericht keine anderen entsprechenden Maßstäbe ins Feld führt. Ein sachlicher Grund, wieso es hier alsbald andere Maßstäbe anlegen sollte, ist für mich weiterhin nicht ersichtlich, insbesondere auch deshalb, weil darüber m.W. bislang noch nie irgendein Gesetzgeber ein sachliches Sterbenswörtchen in irgendeinem Gesetzgebungsverfahren der letzten ausgeführt hätte. Eine Veranlassung für einen anderen Kontrollmaßstab ist also offensichtlich weiterhin nicht ersichtlich.

Darüber hinaus liegt wegen der ihn treffenden materiellen Darlegunglast der Ball nun - sofern die Fachgerichte sich ihrer Bindung an das aktuelle Judikat erinnern (wovon im Regelfall auszugehen ist) - im Feld der Dienstherrn: Letztere haben in den letzten Jahren darum gebettelt, nun endlich den verfassungskonformen Gehalt der von ihnen gewährten Besoldung im laufenden Gesetzgebungsverfahren hinreichend nachzuweisen, und jetzt wird ihnen kein Gericht in Deutschland es im Regelfall verwehren, entsprechend endlich ihr Wunschkonzert im Gerichtsverfahren abzuspielen. Das Leben aber ist kein Wunschkonzert und Wünsch Dir was wird auch schon seit mehr als 50 Jahren nicht mehr im ZDF gesendet und ist vor dem Bundesverfassungsgericht m.W. noch nie gesendet worden.

Da also das neu gestaltete "Pflichtenheft" in keinem bisherigen Gesetzgebungsverfahren zur Anwendung gekommen ist - ich wüsste jedenfalls keinen Fall zu nennen, in dem bislang eine Vorab- und Fortschreibungsprüfung auf Basis des aktuellen Judikates vollzogen worden wäre -, wird sich jedes Fachgericht, das sich an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht gebunden sieht (wovon im Regelfall auszugehen ist), nun zunächst einmal, sobald es die aktuelle Judikatur hinreichend durchdrungen haben wird, veranlasst sehen, dem Beklagten - also dem Dienstherrn - die Möglichkeit zu geben, nun im Rahmen der ihn treffenden materiellen Darlegungslast entsprechend Sachliches "nachzuschieben" (vgl. den LS 8 als Ganzen). Dem Kläger wird darauf im Anschluss die Möglichkeit zur Entgegnung gegeben werden. Auch deshalb war ja schon lange vor dem 10. Dezember bspw. absehbar, dass das VG Gera an jenem Tag nicht zur Tat würde schreiten können.

Ergo: Ich würde den Ball jetzt erst einmal dort belassen, wo er sich befindet und wo nun auch sein Ort ist, nämlich im Strafraum der Dienstherrn. Dort ist bekanntlich für Dribbelkünstler und Flankengötter eher kein Platz. Da aber wichtig auf'm Platz ist, sind nun zunächst einmal die Abwehrspieler der Dienstherrnmannschaft gefragt. Eventuell sollte der Trainer auch überlegen, nun doch alsbald mal einen Torwart einzuwechseln, denn mit einem solchen wären höchstwahrscheinlich die vielen Eigentore der letzten Jahre zu verhindern gewesen.

Wenn Du willst, kannst Du diese PM im Forum öffentlich stellen...


SchrödingersKatze

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Antw:Fiktives Partnereinkommen - Sammelthread
« Antwort #8 am: 19.12.2025 12:32 »
Könnte man das folgendermaßen Zusammenfassung;

Das BVerfG hat in dem Urteil eine Art "Beweislastumkehr" festgestellt, so dass nicht der Beamte als Kläger in der Beweislast ist, dass die Besoldung nicht verfassungsgemäß ist.

Wenn der Staat als Gesetzgeber keine ausreichende Begründung  und Hintergründe für seinen Leitbildwechsel im Gesetzgebungsverfahren kenntlich gemacht hat, ist er in Form der Exekutive als im Gerichtsverfahren dann in Zugzwang, diese Nachzureichen.

Auf dieser Grundlage kann dann der Kläger entsprechend reagieren.

Insofern könnte man sich als Kläger jetzt erst mal zurücklehnen und abwarten, bis der oder die Beklagte die entsprechende Begründung nachgereicht hat.

?

lotsch

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Antw:Fiktives Partnereinkommen - Sammelthread
« Antwort #9 am: 19.12.2025 18:44 »
Die bayer. Begründung:

Systemwechsel zur Mehrverdiener-Familie als neuer Bezugsgröße
Bisheriger Bezugspunkt für die Bemessung der Besoldung ist – wie auch das Bundes-
verfassungsgericht in seinen Entscheidungen vom 4. Mai 2020 darlegt1 – die sog. Al-
leinverdiener-Familie. Das Bundesverfassungsgericht führt dabei zum Familienbild aus,
dass mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nach wie vor davon auszugehen sei, dass
die Besoldungsgesetzgeber das Grundgehalt von vornherein so bemessen, dass – zu-
sammen mit den Familienzuschlägen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder
– eine bis zu vierköpfige Familie amtsangemessen unterhalten werden könne (weshalb
es einer gesonderten Prüfung der Besoldung mit Blick auf die Kinderzahl (erst) ab dem
dritten Kind bedürfe). Die vierköpfige Alleinverdiener-Familie sei demnach eine aus der
bisherigen Besoldungspraxis abgeleitete Bezugsgröße, jedoch nicht das Leitbild der
1 BVerfG, Beschluss v. 4. Mai 2020, Az. 2 BvL 4/18, Rn. 47.
Drucksache18/25363 Bayerischer Landtag 18. Wahlperiode Seite 20
Beamtenbesoldung, wie das Bundesverfassungsgericht weiter in seinen Entscheidun-
gen vom 4. Mai 2020 klarstellt.
Tatsächlich sind Familienbilder in der heutigen Gesellschaft genauso wie Erwerbsbio-
grafien deutlich vielschichtiger geworden und haben sich – vor allem in jüngster Ver-
gangenheit – stark gewandelt.
Bis in die 1970er-Jahre war das Modell der Hausfrauenehe mit der Formulierung, dass
die Frau ihre Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der
Regel durch die Führung des Haushalts erfüllt, in § 1360 des Bürgerlichen Gesetzbu-
ches (BGB) verankert. Zu einer Erwerbstätigkeit war sie nur verpflichtet, soweit die Ar-
beitskraft des Mannes und die Einkünfte der Ehegatten zum Unterhalt der Familie nicht
ausreichten. Mit der Reform des Ehe- und Familienrechts im Jahr 1977 hat sich das
BGB von dem Leitbild der Hausfrauenehe verbschiedet. Die Eheleute entscheiden nach
der Leitvorstellung des BGB seither autonom über die Aufgabenverteilung in der Ehe
und den Umfang der Erwerbstätigkeit.
In tatsächlicher Hinsicht teilen Eltern sich die Betreuung gemeinsamer Kinder in der
heutigen Gesellschaft zunehmend auf, und immer weiter verbesserte Kinderbetreu-
ungsangebote verbunden mit einem sich vollziehenden gesellschaftlichen Wandel im
Hinblick auf alte Rollenbilder ermöglichen es gerade auch Frauen, Familie und Berufs-
leben erheblich besser zu vereinbaren als noch vor wenigen Jahren. Dies verdeutlicht
nicht zuletzt die Entwicklung der Erwerbstätigenquote von Frauen in der Bundesrepub-
lik Deutschland, die in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Schub erfahren hat
und zwischen 1991 und 2020 von ca. 57 % auf knapp 72 % angestiegen ist, sich mithin
der Erwerbstätigenquote von Männern nahezu angenähert hat, welche im gleichen Zeit-
raum unverändert bei etwa 79 % lag.2 Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist damit heute
der Regelfall und dies unabhängig vom Familienstand und der Familiensituation. Auch
wenn die Gründung einer Familie in der Zeit unmittelbar nach der Geburt weiterhin oft-
mals zu einer vorübergehenden Verminderung der Erwerbstätigkeit eines Elternteils
führt, sorgen mittlerweile staatliche Leistungen wie das Elterngeld dafür, dass auch in
dieser Zeit beide Elternteile zum Familienunterhalt beitragen können.
Flankierend hierzu hat auch der Gesetzgeber im Beamtenrecht eine Reihe von Rege-
lungen getroffen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern sollen, wie
beispielsweise weitreichende Regelungen im Bereich der Arbeitszeit (Einführung der
Teilzeitbeschäftigung und in jüngster Zeit die Ausweitung besonderer Arbeitsformen wie
das mobile Arbeiten oder das Arbeiten im Homeoffice).
Seit der Reform des Ehe- und Familienrechts im Jahr 1977 hat sich das Besoldungs-
recht demzufolge nicht nur nahezu vollständig vom Familienleitbild des bürgerlichen
Rechts abgekoppelt, sondern auch die rein tatsächlichen gesellschaftlichen Verände-
rungen diesbezüglich nicht mehr nachvollzogen.
Auch fließen in die Ermittlung der sozialrechtlichen Grundsicherung beim Vergleich mit
der Besoldung Komponenten ein, die ihren Entstehungsgrund in dem geschilderten
Wertewandel haben. So dürfen beispielsweise seit 1. August 2019 von Grundsiche-
rungsempfängern und Grundsicherungsempfängerinnen keine Beiträge mehr für die
Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen erhoben werden. Einen solchen Bedarf
zur Kinderbetreuung in Tageseinrichtungen hat es in früheren Dekaden, als die Allein-
verdiener-Familie noch das weit überwiegend praktizierte Familienmodell war, nicht ge-
geben. Er ist erst durch die weitgehende Berufstätigkeit beider Elternteile und die dar-
aus abgeleitete (und erfüllte) politische Forderung, durch die Schaffung solcher Tages-
einrichtungen eine bessere Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Verpflichtun-
gen zu ermöglichen, entstanden. Diese soziale Verbesserung für Grundsicherungs-
empfänger und Grundsicherungsempfängerinnen ist wegen des vom Bundesverfas-
2 Erwerbstätigenquoten nach Gebietsstand und Geschlecht in der Altersgruppe 15 bis unter 65 Jahren,
Ergebnis des Mikrozensus in %, Statistisches Bundesamt (Destatis);
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Tabellen/erwerbstaetigen-
quoten-gebietsstand-geschlecht-altergruppe-mikrozensus.html
In Bayern bspw. 2018 Erwerbstätigenquote von ca. 80 % bei Müttern in Paarfamilien mit Kindern von
sechs bis unter 18 Jahren (18,2 % Vollzeit, 61,3 % Teilzeit);
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/05/PD20_N023_132.html
Drucksache18/25363 Bayerischer Landtag 18. Wahlperiode Seite 21
sungsgericht vorgegebenen Mindestabstandsgebots bei der Ermittlung der Mindestali-
mentation zu berücksichtigen. Konsequenterweise sind insofern nicht nur die durch die
Beiträge für die Kinderbetreuung entstehenden zusätzlichen Kosten in die Vergleichs-
berechnungen aufzunehmen, sondern auch die durch die Kinderbetreuung erst ermög-
lichte und tatsächlich praktizierte Berufstätigkeit ist bei der Bestimmung des typisierend
zugrunde zu legenden Familienbilds zu berücksichtigen.
Auch die Entwicklung der seitens des Freistaates Bayern als Dienstherr gewährten Bei-
hilfeleistungen bestätigt den vorstehend geschilderten Trend in doppelter Hinsicht: Zum
einen beläuft sich der Anteil der beihilfefähigen Aufwendungen, die auf Ehegatten ent-
fallen, mittlerweile auf rund 4 %, was für eine entsprechende eigene, wirtschaftliche Ab-
sicherung durch entsprechende Einkünfte der ganz überwiegenden Mehrzahl der be-
rücksichtigungsfähigen Ehegatten spricht. Zum anderen fällt dieser Anteil bei den akti-
ven Beamten und Beamtinnen sowie Richtern und Richterinnen in erheblichem Maße
niedriger aus, als bei den Versorgungsempfängern und Versorgungsempfängerinnen,
was den Wandel der Familien- und Rollenbilder weiter unterstreicht.
Die Alleinverdiener-Familie mit zwei Kindern, die über viele Dekaden hinweg Bezugs-
größe und damit Grundlage für die Bemessung der Besoldung der Beamten und Be-
amtinnen sowie Richter und Richterinnen war, bildet insofern die tatsächlichen Famili-
enverhältnisse der modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht mehr realitätsge-
recht ab. Sie ist daher auch als Bezugsgröße für die Bemessung familienbezogener
Besoldungsbestandteile nicht mehr zwingend.
Im Hinblick auf den von diesen Entwicklungen getragenen, zeitgemäßen Leitgedanken
der Besoldung, dass in der modernen Gesellschaft grundsätzlich beide Elternteile zum
Familienunterhalt beitragen, bilden die Tabellenbeträge der Anlage 5, die Grundlage
der Bemessung des Orts- und Familienzuschlags sind, künftig die Bedarfe einer sog.
Mehrverdiener-Familie ab. Die für den Familienunterhalt erforderlichen orts- und fami-
lienbezogenen Bezügebestandteile werden diesem Leitbild folgend künftig in einer
Höhe gewährt, die berücksichtigt, dass regelmäßig auch von dem anderen Elternteil ein
Beitrag zum Familieneinkommen zu erwarten ist. Als Größe wird dabei in Anlehnung an
den bereits im Bereich der Beihilfe mit ähnlicher Zielrichtung bewährten Betrag ein Ein-
kommen i. H. v. 20.000 € p. a. zugrunde gelegt.
Um die immer größeren Herausforderungen hinsichtlich der Möglichkeit zur Erwerbstä-
tigkeit abzumildern, die mit steigender Familiengröße im Hinblick auf den Aufwand zur
Betreuung von Kindern einhergehen, wird der Orts- und Familienzuschlag ab dem vier-
ten Kind um einen nach den Ortsklassen gestaffelten Zuschlag erhöht.
Bezugspunkt des Wechsels zu dem Leitbild der Mehrverdiener-Familie sind die orts-
und familienbezogenen Besoldungsbestandteile. Die Grundbesoldung bleibt unberührt
und soll auch weiterhin entsprechend der Stellung des Freistaates Bayern im Spitzen-
bereich des Besoldungsgefüges von Bund und Ländern weiterentwickelt werden.
Im Hinblick auf die Familiengröße eignet sich die Familie mit zwei Kindern hingegen
weiterhin als Bezugsgröße. Während Beamtenfamilien mit drei oder mehr Kindern auch
in der aktuellen Personalstruktur weiterhin die Ausnahme darstellen, gibt es in der Ge-
samtheit der Beamtenfamilien mit bis zu zwei Kindern in etwa 1,7-mal so viele Familien
mit zwei Kindern wie mit nur einem Kind.

SchrödingersKatze

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Antw:Fiktives Partnereinkommen - Sammelthread
« Antwort #10 am: 19.12.2025 19:53 »
Spannend wie auch hier in der Begründung Rosinen gepickt werden und ungünstige Zahlen einfach weggelassen werden.

So beläuft sich das durchschnittliche Basiselterngeld bei Frauen auf weit unter 1000 Euro. Wenn man dann sein Kind nicht direkt mit 10 Monaten zur Eingewöhnung in die Krippe geben will, sind auf jeden Fall auch noch der ein oder andere Monat Elterngeldplus mit der Hälfte der Summe anzusetzen. Hier ist die Begründung also mindestens unsauber, aber eher bewusst ignorant. Spätestens mit weiteren Kindern und vorhergehender Teilzeitbeschäftifung entfernen wir uns dann immer weiter von den 20.000 Euro.

In der Statistik wird auch nur auf die Erwerbstätigkeit von Eltern mit Kindern über 6 Jahren verwiesen. Die Statistik über die Erwerbstätigkeit Eltern kleinerer Kinder wird geflissentlich ignoriert,ebenso wie die Lebensrealität Alleinerziehender, die gerade auch im Schichtdienst und auch sonst aufgrund der Betreuungssituation und Zeiten, die ja auch für Wegezeiten vonnöten sind, kaum in der Lage sind in VZ zu arbeiten.

Gerade für Kinder mit kleinen oder mehreren Kindern ist das ganze absolut nicht sauber durchdacht und ausformuliert. Ganz zu Schweigen für Familien die anderweitig Carearbeit leisten, zB durch die Pflege Angehöriger.

Gleichzeitig wird hier bewusst angeführt, dass die Familienarbeit gleichmäßig aufgeteilt wird. Dennoch wird in vielen Beamtentätigkeiten nach wie vor vollständige Flexibilität erwartet, zB kurzfristige Bereitstellung von Stundenplänen bei Lehrkräften in VZ so als wäre die Carearbeit nach wie vor alleinige Angelegenheit der Partner oder eben auch Versetzungen.

Dass eine Erwerbstätigkeit von Frauen unabhängig der individuellen Situatioen heute der Regelfall ist, lässt sich nicht leugnen. Jedoch lassen sich nicht in jeglicher Situation auch Einkommen in Höhe von 20.000 + Euro erzielen.

Wie man es eben aus dem Familienland Bayern kennt.

Ryan

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Antw:Fiktives Partnereinkommen - Sammelthread
« Antwort #11 am: 19.12.2025 21:02 »
Die ganze bayrische Begründung suggeriert, dass die Höhe der Besoldung korrekt ist, wenn nur das Leitbild "realitätsgerecht" ist. Entsprechend versucht man darzulegen, warum das Mehrverdienermodell soooo viel näher an der Realität ist. Das ist natürlich völliger Unsinn und lenkt nur vom eigentlich Relevanten ab. Es ist doch nicht Zweck der Besoldungsgesetzgebung, die Besoldung einem Leitbild unterzuordnen, das familiäre Realitäten möglichst gut abbildet.

Die Besoldung muss verschiedene Funktionen erfüllen. Und leider erfährt man recht wenig darüber, wie nun "heiße Luft" dazu beitragen soll, diese Funktionen zu erfüllen. Reduziert fiktives Einkommen die Wahrscheinlichkeit, dass z.B. ein Zöllner eine kleine Spende annimmt? Inwiefern tragen ausgedachte Geldbeträge zur Unabhängigkeit eines Beamten bei? Welche Rolle spielen die Ehepartner bei der Gewährleistung einer rechtsstaatlichen und unparteiischen Verwaltung? All das wäre interessanter gewesen als irgendwelche Statistiken darüber, wie Menschen Ihr Überleben gestalten.