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Beamte und Soldaten => Beamte der Länder und Kommunen => Thema gestartet von: SwenTanortsch am 15.02.2019 00:48

Titel: [NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: SwenTanortsch am 15.02.2019 00:48
Heute hat das Bundesverwaltungsgericht sein Urteil vom 30.10.2018 in der ausgeführten schriftlichen Form vorgelegt (Az. 2 C 32.17 und 2 C 34.17; https://www.bverwg.de/entscheidungen/pdf/301018B2C34.17.0.pdf). Damit liegen nun die vom Gericht berechneten Werte in dem seit 2009 laufenden Verfahren vor. Bereits mit der Urteilsverkündung hatte der Vorsitzende des zuständigen Zweiten Senats hervorgehoben, dass nach Ansicht des Gerichts die niedersächsische Besoldung seit 2005 „in erschreckender Weise“ verfassungswidrig gewesen sei (vgl. http://www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Der-Norden/Bundesgerichtshof-entscheidet-am-Dienstag-Verdienen-Beamte-in-Niedersachsen-bald-mehr).

Dieses Erschrecken bezog sich insbesondere darauf, dass nach Ansicht des Gerichts die absolute Untergrenze der Mindestalimentation in der niedrigsten Besoldungsgruppe A 2 in den betrachteten Jahren bis 2016 nicht eingehalten worden ist. Diese muss, um verfassungsgemäß zu sein, 15 Prozent über dem Niveau der sozialrechtlichen Grundsicherung liegen. Tatsächlich lag sie aber nach den nun vorliegenden Berechnungen des Gerichts in acht von zwölf Jahren sogar unter der sozialrechtlichen Grundsicherung (2016, als Tiefpunkt, lag sie bei 96,01 % der Grundsicherung, war also um mindestens 18,99 Prozentpunkte zu gering bemessen). Da nicht nur die Alimentation, sondern auch das Abstandsgebot – die Staffelung zwischen den Besoldungsgruppe – ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums ist, muss eine Anhebung der untersten Besoldungsgruppe zwangsläufig zu einer Anhebung des gesamten Gefüges führen. Das Bundesverfassungsgericht muss nun als Letztinstanz entscheiden, ob der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts rechtswirksam ist, ob also die Alimentation seit 2005 tatsächlich nicht amtsangemessen war.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts war die niedersächsische A 2-Besoldung in den Jahren 2005 bis 2016 im Durchschnitt um 3.588 Euro pro Jahr zu gering bemessen, was insgesamt einer in zwölf Jahren um rund 43.000 Euro zu geringen Besoldung entspricht. Der Tiefstwert lag – wie eben schon angemerkt – im letzten vom Gericht behandelten Jahr, also im Jahr 2016, in dem die A 2-Besoldung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts um 5.314,43 Euro zu niedrig ausgefallen war.
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: elCaputo am 15.02.2019 07:00
Was hält die niedersächsische Landesregierung davon ab, am Gesamtgefüge gar nichts zu machen, sondern schlicht und ergreifend diejenigen Besoldungsgruppen zu kappen, die nicht amtsangemessen besoldet werden?
Deren Inhaber würden "hochgestuft" und fertig ist der Lack.
In NRW z.B. ist dies geschehen, sodass nunmehr A5 die unterste Besoldungsgruppe darstellt. Freilich wurden nach oben keine Besoldungsgruppen hinzugefügt. In Kombination mit einer insgesamt hinterherhinkenden Besoldung durch alle Gruppen ist es nicht verwunderlich, dass schon nicht einmal mehr ernsthaft nach Spitzenkräften (Amtsärzten z.B.) im Beamtenverhältnis gesucht wird.

Am Ende ist es wie mit dem Abi. Alle bekommen A16 auf niedrigem Niveau. Und die Hauptschule - Entschuldigung, der einfache Dienst, der den Hauptschulabschluss voraussetzt, ist bald gänzlich abgeschafft.
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: MoinMoin am 15.02.2019 07:59
Hier die Zahlen für den gesamten Landesbereich (also nicht nur NI):
A5     4 380
A4     910
A3, A2     205

Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: SwenTanortsch am 15.02.2019 10:11
Zukünftig kann die niedersächsische Landesregierung das Besoldungsgefüge im Rahmen der besoldungsrechtlichen Möglichkeiten ändern - und wird das wohl auch tun, da sie seit 2017 darauf pocht, dass es in Niedersachsen keine nach A2 und A3 sowie nur wenige nach A4 besoldeten Stellen mehr gibt. Nachträglich dürfte das nicht möglich sein; das hat die Landesregierung sowohl 2017 vor dem OVG Lüneburg als auch 2018 vor dem Bundesverwaltungsgericht mit der gerade genannten Argumentation versucht: Da ein solche Argumentation aber fadenscheinig ist, haben beide Gerichte sie vom Ton her recht brüsk und formal mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass der Gesetzgeber es seit jeher selbst in der Hand habe, aktuell verfassungskonforme (und damit für den Landeshaushalt kostspieligere) Besoldungsgesetze zu beschließen, was letztlich ja auch die Aufgabe von Gesetzgebern ist, nämlich verfassungskonform zu handeln.

Eine zukünftige Änderung des Besoldungsgefüges müsste, um verfassungsgemäß zu sein, die Ämterprofile, die Abgrenzung gegenüber den jeweils höheren und tieferen Besoldungsgruppen und das Abstandsgebot beachten. Eine solche Neuregelung dürfte, um zu einer dann amtsangemessenen Alimentation zu gelangen, nicht ganz einfach sein, sonst hätte sie die Landesregierung spätestens 2017 in Angriff genommen, sodass der Landtag sie dann mit der Regierungsmehrheit beschlossen hätte. Vermutlich wird die aktuelle Landesregierung entsprechend vorgehen, also das Besoldungsgefüge ändern, sofern sich das Bundesverfassungsgericht der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts anschließt - so, wie man die Landesregierungen der letzten anderthalb Jahrzehnte kennt (da braucht man keine ausnehmen; ausnahmslos alle nehmen vielmehr seit 2005 ihre Beschäftigten aus), wird auch das wieder zu einer Klagewelle führen.

Die Grundbesoldung in Stufe 1 betrug ab den 01.06.2016 in A 2 1.851,75, in A 3 1.927,21, in A 4 1.970,01 und in A7 2.119,01 Euro. Aktuelle Berechnungen kommen länderübergreifend zu dem Ergebnis, dass der „Abstand zum sozialrechtlichen Existenzminimum […] in sehr vielen Fällen insbesondere in Ballungsräumen z.T. bis hoch in den mittleren Dienst nicht erfüllt“ sei. Es ergäben sich in „allen bislang untersuchten Fällen systematische Probleme, die […] schwerwiegenden Reformbedarf in erheblichem Ausmaß“ andeuteten (Gisela Färber: Ökonomische Aspekte einer verfassungskonformen Gestaltung von Besoldung und Versorgung, in: Zeitschrift für Beamtenrecht, 66 (2018, S. 228-238, hier S. 237). In Anbetracht der zur Zeit beim Bundesverfassungsgericht liegenden Entscheidungen werden die nächsten Jahre, so ist zu vermuten, noch recht interessant (und für das eine oder andere Bundesland eher teurer) werden.
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: Tyrion am 15.02.2019 21:11
Das letzte Wort wird hier ja das Bundesverfassungsgericht haben. Man darf gespannt sein, ob dieses hierzu die gleiche Ansicht wie das Bundesverwaltungsgericht vertritt.

Die Größenordnungen der vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Unteralimentation würde Niedersachsen und auch andere Länder finanziell erheblich belasten, so dass diese bei einer weiten Nachzahlungsverpflichtung sicherlich mit der Schuldenbremse nach Art. 109 GG in Konflikt geraten würden. Bezüglich etwaiger Nachzahlungsansprüche dürfte dann auch abzuwiegen sein, ob der Verstoß des Landes gegen den Alimentationsgrundsatz letztendlich schwerer wiegt, als der Verstoß gegen die Schuldenbremse aufgrund von auferlegten Nachzahlungsansprüchen und der hierdurch bedingten Auswirkungen auf die staatliche Finanzlage.

Die Anhebung der Grundgehälter für die Zukunft würde sicherlich mit Personaleinsparungen und anderen Maßnahmen, wie z. B. Verlängerung der Arbeitszeiten, verbunden werden. Mit zu hohen Erwartungen sollte man daher nicht in die Zukunft schauen.
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: BeamterBR am 15.02.2019 22:33
Das letzte Wort wird hier ja das Bundesverfassungsgericht haben. Man darf gespannt sein, ob dieses hierzu die gleiche Ansicht wie das Bundesverwaltungsgericht vertritt.

Die Größenordnungen der vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Unteralimentation würde Niedersachsen und auch andere Länder finanziell erheblich belasten, so dass diese bei einer weiten Nachzahlungsverpflichtung sicherlich mit der Schuldenbremse nach Art. 109 GG in Konflikt geraten würden. Bezüglich etwaiger Nachzahlungsansprüche dürfte dann auch abzuwiegen sein, ob der Verstoß des Landes gegen den Alimentationsgrundsatz letztendlich schwerer wiegt, als der Verstoß gegen die Schuldenbremse aufgrund von auferlegten Nachzahlungsansprüchen und der hierdurch bedingten Auswirkungen auf die staatliche Finanzlage.

Die Anhebung der Grundgehälter für die Zukunft würde sicherlich mit Personaleinsparungen und anderen Maßnahmen, wie z. B. Verlängerung der Arbeitszeiten, verbunden werden. Mit zu hohen Erwartungen sollte man daher nicht in die Zukunft schauen.

Die Argumentation mit der Schuldenbremse ist aus meiner Sicht nicht vertretbar. Genauso könnte ich sonst andere defizitäre staatliche Aufgaben zu denen ich als Bundesland verpflichtet bin schlichtweg fallen lassen mit der Argumentation, man müsse die Finanzlage vorrangig berücksichtigen. Für viele Politiker kann man nur an den Personalkosten sparen. Das ist im Regelfall aber nicht so. Diese Argumentation findet sich auf kommunaler Ebene, im Bereich der Bezirke oder Landkreise und auf Landesebene immer wieder und ist schlichtweg falsch.
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: SwenTanortsch am 17.02.2019 11:02
Die Schuldenbremse hat ja spätestens seit der Föderalismusreform II Verfassungsrang – ihre Formulierung ist aber so stark (also genauer formuliert: so gezielt) von Formelkompromissen durchsetzt, dass sich erst noch zeigen muss, inwiefern sie wirksam sein wird bzw. womöglich auch eher recht leicht von den oder einzelnen Bundesländern ausgehebelt werden kann, sofern jene irgendwann nach 2020 wieder in konjunkturell bedingt schwerere Fahrwasser kommen sollten. Zugleich besteht spätestens seit 2015 in keinem Bundesland mehr eine Haushaltsnotlage, die allein eine Unteralimentation in Ausnahmefällen rechtfertigen würde.

Gerechtfertigt wäre (und ist) eine Unteralimentation darüber hinaus nur, wenn das jeweilige Bundesland sie in einer schlüssigen und prozedurale Anforderungen erfüllenden Gesamtbetrachtung begründen würde, in der jene Unteralimentation nur ein Baustein unter anderen sein dürfte. Ein „Sonderopfer“ der Beamtenschaft– darauf hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht in seiner ständiger Rechtsprechung durchgehend hingewiesen – ist nicht rechtens, weil nicht mit den aus den aus dem Alimentationsprinzip herrührenden Pflichten vereinbar.

Letztlich war (und ist es weiterhin in nicht wenigen Bundesländern) genau dieses permanente und also verfassungswidrige „Sonderopfer“ der gezielten Unteralimentation, das die Haushaltskonsolidierungen des letzten Jahrzehnts erst ermöglicht hat. Um es an einem Beispiel festzumachen, 2014 hat der Verfassungsgerichtshof NRW festgestellt und für verfassungswidrig erklärt, dass das Land zwischen 2000 und 2014 mittels Unteralimentation rund 36 Milliarden Euro an Gehaltskosten eingespart hat (das Landeshaushalt betrug 2014 62 Milliarden Euro).

Zugleich malen sowohl die jeweiligen Regierungen als auch die entsprechenden Mehrheiten der Länderparlamente das Schreckgespenst der Personaleinsparungen, der Arbeitszeitverlängerung u. dgl. in Schockfarben an die Wand, um nichts davon dann in die Tat umzusetzen, wenn sie gerichtlich in schöner Regelmäßigkeit gezwungen werden, sich in ihren Besoldungsgesetzen an die Verfassung zu halten. Und weshalb lassen sie ihr Schreckgespenst nicht Wirklichkeit werden? Weil das gesamte System an Fachkräftemangel und direkten und indirekten Arbeitszeiterhöhungen, an Qualitäts- wie aber wohl auch an Motivationseinbußen – zusammengefasst: an Verschleiß – ihr Schreckgespenst eben nur ein Untier aus dem Klingelkasten sein lässt. Das System aus gezielten Sonderopfern ist vielfach vollständig ausgereizt – und das wissen die dafür Verantwortlichen auch, auch wenn sie es öffentlich aus ihrem nachvollziehbaren Interesse, am schwächen Glied kosten zu sparen (ihre Beamte können ihnen kaum weglaufen), nicht zugeben.
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: BStromberg am 21.02.2019 09:24
Das letzte Wort wird hier ja das Bundesverfassungsgericht haben. Man darf gespannt sein, ob dieses hierzu die gleiche Ansicht wie das Bundesverwaltungsgericht vertritt.

Die Größenordnungen der vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Unteralimentation würde Niedersachsen und auch andere Länder finanziell erheblich belasten, so dass diese bei einer weiten Nachzahlungsverpflichtung sicherlich mit der Schuldenbremse nach Art. 109 GG in Konflikt geraten würden. Bezüglich etwaiger Nachzahlungsansprüche dürfte dann auch abzuwiegen sein, ob der Verstoß des Landes gegen den Alimentationsgrundsatz letztendlich schwerer wiegt, als der Verstoß gegen die Schuldenbremse aufgrund von auferlegten Nachzahlungsansprüchen und der hierdurch bedingten Auswirkungen auf die staatliche Finanzlage.

Die Anhebung der Grundgehälter für die Zukunft würde sicherlich mit Personaleinsparungen und anderen Maßnahmen, wie z. B. Verlängerung der Arbeitszeiten, verbunden werden. Mit zu hohen Erwartungen sollte man daher nicht in die Zukunft schauen.
we will see


Iudex non calculat!

Diese Erwäggründe dürften eigentlich keine Rolle spielen.
Rechtsverstoß bleibt Rechtsverstoß.
Ob der bezahlbar ist, steht auf einem anderen Blatt...
was die Gerichtbarkeit eigentlich nicht mehr zu interessieren hat.

Für die mit Personalrecht betrauten Praktiker (nahezu aller Länder) ist das aber auch ein verfahrenstechnisches Dilemma.

NRW hätte die jahrelang schwebenden Verfahren (ruhend gestellt) mit Verweis auf ein Gutachten des eigenen Finanzministeriums in 02/2017 (Az. B 2020 - 14.3 - IV C 4) besser mal platt gemacht... jetzt trommeln die Gewerkschaften mit Blick auf Niedersachsen erneut... es kommen (zumindest bei größeren Dienstherren) hunderte Neuanträge an, die allesamt Arbeitsaufwand verursachen und weiter ruhend gestellt bleiben.

DAS ist nicht mehr vergnügungssteuerpflichtig!
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: Buccaneer am 25.02.2019 21:12
Bevor das BVerfG nicht inhaltsgleich geurteilt hat (und das kann noch dauern...) wird - auch in Niedersachsen - gar nichts passieren, einfach weil es Geld kostet, welches die Länder für andere Sachen verplant haben. Und ob sich nach einem BVerg-Urteil zeitnah etwas ändert halte ich auch für fraglich, denn das muss ja erstmal geprüft werden, interpretiert werden,...usw. Der Vorgang wird in alter Polit-Manier ausgesessen...
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: Buccaneer am 04.03.2019 12:28
Zumindest mit dem aktuellen Tarifabschluß im Rücken könnte Nds. auch in Bezug auf dieses "Dilemma" verfassungskonforme Fakten schaffen, aber im Gegensatz zu anderen Bundesländern, die schon eine zeit-und inhaltsgleiche Übernahmne zugesagt haben, ist in Nds. noch nichts nennenswertes passiert- nunja, es ist erst Montag...
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: SwenTanortsch am 08.03.2019 16:23
... und nun ist bereits Freitag - anders, als in den meisten anderen Ländern, in denen entweder bereits Übertragungmodalitäten oder zumindest Gesprächstermine mit den Gewerkschaften und Verbänden vereinbart worden sind, befindet sich die niedersächsische Landesregierung offensichtlich weiterhin im Palast des Himmlischen Friedens, soll heißen, es dringt nichts nach draußen. Interessant und mit Blick auf die Eingangsbesoldung in A7 und A9 sind folgende beiden Links des DGB - Niedersachsen rangiert hier in der Besoldung noch hintern den anderen üblichen Verdächtigen wie Rheinland-Pfalz, Berlin oder Schleswig-Holstein auf dem einsamen letzten Platz - würde es eine zweite Besoldungsliga geben, es würde ohne Relegation nach dorthin absteigen.

https://niedersachsen.dgb.de/themen/++co++7d4b242a-40c2-11e9-a78a-52540088cada

https://www.dgb.de/themen/++co++148bbcb2-3da0-11e9-85ac-52540088cada

Der ganze - durchaus interessante - Report findet sich hier am Ende des letzten Links.
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: Buccaneer am 08.03.2019 18:06
Wahrscheinlich rechent Minister Hilbers noch...
Ja, den DGB-Besoldungsreport gibt es ja schon seit mehreren Jahren. Und auch seit mehreren Jahren mit dem mehr oder weniger gleichen Ergebnis - was mir zeigt, dass sich zumindest keine Entscheidungsträger dafür interessieren.
Ich gehe davon aus, dass (wenn überhaupt) erst dann etwas nennenswertes passiert, wenn das BVerfG sich der Sichtweise des BVerwG anschließt und die Verfassungswidrigkeit der Besoldung im Sinne der Kläger fesgestellt hat.  Das klingt pessimistisch? Nun, ein Pessimist ist ein Optimist mit Erfahrung...
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: SwenTanortsch am 09.03.2019 09:42
Ich höre ihn hier schon alles geben und mit aller Kraft rechnen: "In Niedersachsen erhält ein Beamter der Besoldungsgruppe A7 im Eingangsamt 2237,89 Euro, das macht bei Erhöhung um 3,2 Prozent, Moment, ich hab's gleich, das ist aber kompliziert zu rechnen, Moment, was ist noch einmal Zähler und was Nenner, schwierig, schwierig - ach was, ich überschlag es einfach, 3,2 Prozent mehr sind, sind, ich hab's gleich, Moment, Moment - jetzt hab ich's: sind eindeutig zu viel (war doch gar nicht so schwer). Was sag ich, in Niedersachsen verdienen die zu viel. Da reicht auch eine Erhöhung zum Juni, 1,6 Prozent sind ja auch noch viel."

Der neueste DGB-Besoldungsreport zeigt, dass Niedersachsen 2018 im Eingangsamt von A7 noch auf dem dirttletzten Platz (vor dem Saarland und Berlin) lag, heuer ist es letzter; bei A9 war's 2018 vorletzter vor Berlin und hat nun ebenfalls die rote Laterne. Berlin hat seine Schlüsse aus der Pleite vor dem Bundesverwaltungsgericht 2017 gezogen und erhöht nun die Besoldung überdurchschnittlich. Niedersachsen ist da noch nicht ganz so weit.
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: druide44 am 09.03.2019 09:48
Niedersachsen spielt einfach auf Zeit und wartet das Urteil ab, so  hat man noch Zeit und es kostet kein Geld und wenn es soweit ist dars sich die neue Regierung darum kümmern, die Alte kann immer sagen, wir hatten unsere Finanzen im Griff
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: Nordlicht am 09.03.2019 11:33
Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es ein Urteil geben wir, dass die Landesregierung tatsächlich zum Handeln (sprich Nachbessern) zwingen wird.
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: SwenTanortsch am 09.03.2019 13:47
Sofern das Bundesverfassungsgericht einen entsprechenden Beschluss fasst (es wird eher kein Urteil fällen, sondern einen Beschluss, den es dann an das entsprechend zuständige Gericht zurückverweist oder direkt an den Landtag adressiert), wird das Land handeln müssen, anstonsten dürfte es strafversetzt nach Polen oder Ungarn werden. Ernsthaft: Nicht umsonst hat Baden-Württemberg sogleich reagiert, als es unlängst (am 16.10.18) vom Bundesverfassungsgericht gerüffelt wurde. Auch Sachsen hat reagiert (es ist schon zwei Mal gerügt worden). Und Niedersachsen dürfte sich im Moment mit der Neufassung der gesetzlichen Regelung zur Besoldung bei begrenzter Dienstfähigkeit herumschlagen, da es dazu ja Ende November letzten Jahres vom Bundesverfassungsgericht verdonnert worden ist und nun bis Ende des Jahres eine verfassungsgemäße Neufassung beschließen muss (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 28. November 2018 – 2 BvL 3/15; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/11/ls20181128_2bvl000315.html). Kein Land kann es sich erlauben, einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu ignorieren. Denn sein Parlament würde damit die Legitimität verlieren.
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: Nordlicht am 09.03.2019 15:08
Nee, dass sie einen Beschluss des BVerfG ignorieren, meinte ich auch nicht. Eher, dass die Karlruher gar nicht erst so sehr rüffeln werden, dass etwas passieren MUSS....
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: SwenTanortsch am 09.03.2019 16:58
... tendenziell hat das Bundesverfassungsgericht zunehmend verdrießlich auf die Verfassungsverstöße der Länder reagiert - zugleich hat es letztes Jahr, als es das Streikrecht für Beamte weiterhin unterband, noch einmal durch die Blume deutlich gemacht, dass den Arbeitgebermonopolisten der Länder eine besondere Verantwortung daraus erwächst, dass Beamten keine wirklichen Arbeitskampfmaßnahmen gestattet sind. Insbesondere Andreas Voßkuhle gebührt hohes Verdienst, dass er seit seiner Präsidentschaft aus dem "zahnlosen Tiger" Alimentationsprinzip ein an konkreten Daten orientiertes System gemacht hat. Allerdings wird er 2020 ausscheiden - man kann also nur hoffen, dass bis dahin ein paar der zur Zeit sechs anhängigen Länderentscheidungen beschieden sein werden. Insbesondere wird das Gericht eine (bislang von ihm nicht vorgenommene) Präzisierung der Berechnungsmethode zur Feststellung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums vornehmen müssen. Es ist die Frage, ob es dem operationalisierten Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts folgen wird (wie in letzter Zeit verschiedene Verwaltungsgerichte); sofern das geschieht, wird es wohl in einigen Bundesländern fast zwangsläufig zu recht deutlichen Erhöhungen im Besoldungsgefüge kommen. Da es keine Haushaltsnotlagen mehr gibt, darf man durchaus ein wenig optimistisch sein, denke ich.
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: Nordlicht am 09.03.2019 17:42
Na gut, dann versuche ich mal, optimistisch zu sein :).
Wenn ich es auch noch nicht so richtig glauben mag.
Aber zumindest werden wir danach nicht weniger bekommen ;D :o
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: Buccaneer am 09.03.2019 17:46
.und dennoch habe ich so ein unbestimmtes Gefühl, dass Verfassungsrang (Urteil) gegen Verfassungsrang (Schuldenbremse) ausgependelt wird...
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: Nordlicht am 09.03.2019 17:48
Wir werden es sehen. Irgendwann.  8)
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: SwenTanortsch am 09.03.2019 19:03
Die Schuldenbremse ist eher mehr ein politisches Instrument als eine ökonomische Herausforderung - die zu ihrer Konstituierung gewählten Formulierungen lassen politisch gesehen offensichtlich recht viele Spielräume zu, wie sie interpretiert werden kann, wenn es denn ab nächstem Jahr so weit ist, dass sie tatsächlich für die Länder gilt. Bislang war sie für die Länderfinanzminister bzw. die jeweiligen Regierungen im Allgemeinen ein politisch willkommenes Mittel, um sie als Klabautermann nutzen zu können. Bei ungenehmen Forderungen konnte man stets einwenden, dass diese ab 2020 eine so schwere Hypotheken darstellen würden, dass ab da dann in vielen anderen Feldern gewaltigste Einschnitte nötig sein würden. Ungenehme Forderungen oder Ansprüche konnten so rasiert werden. Sobald sie denn dann Wirklichkeit sein wird, wird es - wenn es politisch genehm ist - vielfache Ausnahmen geben, darauf gehe ich jede (naja, fast jede) Wette ein.

Fakt ist auf jeden Fall nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass eine nicht amtsangemessene Alimentation nur in Zeiten von Haushaltsnotlagen statthaft ist, und zwar innerhalb eines zu begründenden Gesamtkonzepts, in dem eine solche Alimentation nur ein Baustein der Konsolidierung unter anderen darstellen dürfte. "Sonderopfer" der Beamten sind nicht statthaft (Gleichheitsgrundsatz). Da offensichtlich bislang kein Bundesland einer entsprechend nötigen Begründungspflicht nachgekommen ist, offensichtlich noch nicht einmal die prozeduralen Anforderungen erfüllt hat, da keine Gesamtwirkungen abgewogen worden sind (Verhältnismäßigkeit), sind die meisten Besoldungsgesetze der Länder augenscheinlich nicht justiziabel. In diesem Sinne haben beispielsweise in den letzten Jahren das VG Bremen und das OVG- Berlin-Brandenburg die jeweiligen Alimentationen der beiden Länder schon allein aus dem Grund als verfassungswidrig beurteilt, da diese nach ihrer Ansicht ohne ausreichender prozeduraler Begründung bereits automatisch rechtswidrig seien (auch über diese Frage wird das Bundesverfassungsgericht in absehbarer Zeit eine grundsätzliche Entscheidung treffen müssen, also welche Rolle zukünftig die Justiziabilität spielen wird).

Lange Rede kurzer Sinn: Ohne Haushaltsnotlage ist eine nicht amtsangemessene Alimentation auch zukünftig verfassungswidrig; bei Haushaltsnotlagen ist sie nur für begrenzte Zeit innerhalb eines umfassenden und abwägenden Gesamtkonzepts gestattet, in dem sie nur einen verhältnismäßigen Posten unter anderen darstellen darf. Sofern das Bundesverfassungsgericht die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts über die Dauer der Verfassungswidrigkeit teilen würde, dürfte die vergangene niedersächsische Alimentation selbst während Haushaltsnotlagen nicht statthaft gewesen sein, da sie von 2005 bis 2016 kein Ausnahme-, sondern der Regelfall war; es gab keine zeitliche Begrenzung. Dieser Punkt verbunden mit der mangelnden Justiziabilität und nicht gegebenen Verhältnismäßigkeit war für das Bundesverwaltungsgericht offenbar bereits so klar, dass es darauf in seinem Beschluss vom letzten Herbst gar nicht mehr tiefergehend eingegangen ist, während es ein Jahr zuvor in dem Beschluss zur Berliner Alimentation diesbezüglich noch recht umfassend argumentiert hat.

Das Bundesverwaltungsgericht scheint sich seiner Sache so sicher, bewertet die niedersächsische Alimentation offensichtlich als so abwegig, dass es auf dieses wichtige Feld gar nicht mehr eingeht. Die Begründung des Beschlusses zu Niedersachsen ist umfangmäßig im Vergleich zu der des Beschlusses zu Berlin SEHR schmal. Die Richter des Bundesverwaltungsgerichts dürften für diese mangelnde Epik ihre Gründe haben.

Das war jetzt eine etwas längere Ausführung: Pardon!
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: Nordlicht am 09.03.2019 19:23
Das war eine längere, aber sehr gute Ausführung.
Man fragt sich nur, warum Herr Hilbers in Anbetracht dessen, was auf das Land Niedersachsen zukommen kann, immer noch diese fast schon arrogante Nonchalance an den Tag legt.
Andererseits - er wäre kein Politiker, wenn er sowas nicht könnte.
Ich jedenfalls wünsche unserer Landesregierung, dass sie ordentlich eins aufs Dach kriegt.
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: SwenTanortsch am 09.03.2019 19:43
Letztlich kann der Kollege Hilbers ja gar nichts dafür - er kann einem fast leid tun (das meine ich jetzt ausnahmsweise mal gar nicht ironisch): Er muss jetzt womöglich die Suppe auslöffeln, die ihm sämtliche Regierungen seit 2003/05 eingebrockt haben. Das Ganze war und ist in etwa ein (politisches) Schwarzer Peter-Spiel. Jede Regierung hat sich diesbezüglich nach innen ganz klein und hat nach außen auf dicke Hose gemacht nach dem Motto: alles im Lot und richtig nach außen und nach innen dürfte die jeweilige Koalitionslinie gewesen sein, das Thema bloß nicht anzurühren. Wie sollte da irgendwann jemand sagen: Nee, ist nicht richtig? Letztlich wurde das immer größer werdende Problem von einer Regierung zur nächsten weitergereicht und jede hat gehofft, dass das Hütchenspiel erst der nächsten Regierung vor die Füße fällt. Der gute Herr Hilbers muss jetzt so arrogant wie möglich auftreten, ansonsten zerfleischen sie ihn von innen. Rot-Grün hätte das Thema nach ihrem Wahlgewinn angehen können, weil die SPD es in ihrer letzten Regierung (so wie alle anderen Landesregierungen ab 2003 auch) zwar begonnen hatte, aber in den zentralen Zeiten nicht an der Macht war. Aber die Finanzeinsparungen waren dann für Rot-Grün ebenfalls zu verlockend (und dass das Bundesverfassungsgericht unter Christian Voßkuhle den beschrieben schärferen Kurs fahren würde, war vor Mai 2015 kaum erkennbar); Rot-Schwarz war zu einer Korrektur nicht mehr in der Lage, weil die SPD es Herrn Hilbers kaum gestattet hätte, die während der Regierung Weil I fortgeführten Probleme anzusprechen; das hätte die neue Koalition von Anfang an belastet. Von daher wird jetzt und auch weiterhin von ihm erwartet, dass er den Rammbock gibt (und weil er es macht, tut er mir dann andererseits auch wiederum nicht die Bohne leid).
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: DDU_Nds am 19.04.2019 01:01
Hofft die Landesregierung mit dem am 15.04.2019 angekündigten Gesetzentwurf  (https://www.stk.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/kabinett-bringt-besoldungserhoehungen-fuer-niedersachsens-beamtinnen-und-beamte-auf-den-weg-176104.html) zur Besoldungserhöhung und gleichzeitigen Streichung der Besoldungsgruppen A2 bis A4 dass das Bundesverfassungsgericht den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.10.2018  (https://www.bverwg.de/entscheidungen/pdf/301018B2C34.17.0.pdf) als nicht rechtswirksam ansieht und somit keine Nachzahlungen in Millionenhöhe entstehen?
 
Wie deutet ihr die Ankündigung?
Titel: Antw:[NI] amtsangemessene Alimentation
Beitrag von: Buccaneer am 20.04.2019 08:42
Es geht ja gar nicht nur um Nachzahlungen, sondern auch um das Prozedere in der Zukunft. Und da wurde ja schon weiter oben schön beschrieben, was ein gangbarer Weg zu sein scheint: einfach die Besoldungsstufen kappen, die nicht verfassungskonform sind. Das dann nicht mehr passende Gesamtgefüge wird ja derzeit nicht beklagt, also hat man wieder Zeit gewonnen und Geld gespart...