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Beamte und Soldaten => Beamte der Länder und Kommunen => Thema gestartet von: AVP am 06.10.2023 01:05

Titel: [Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: AVP am 06.10.2023 01:05
Das BVerfG hat bezüglich der Amtsangemessenen Alimentation ja geurteilt, dass zwischen den Besoldungsgruppen gewisse Abstände im Lebensstandard (?) einzuhalten sind. In der Regel wird hier der Besoldungsbetrag - PKV-Beitrag - Steuern betrachtet.

Nun gibt es in Deutschland allgemein neben der Steuerprogression aber noch zahlreiche weitere Umverteilungsmechanismen, zB.:

- einkommensabhängige Kitagebühren für die Kinder
- einkommensabhängige Ansprüche auf Sozialwohnungen, Wohngeld, Kinderzuschläge und Bildung- und Teilhabeleistungen
- einkommensabhängige Sozialtarife (zB GEZ Befreiung)
- einkommensabhängiges Baukindergeld
- einkommensabhängige Förderungen bezüglich des neuen Heizungsgesetz
- einkommensabhängiger Anspruch auf Bafög für die Kinder
- einkommensabhängige Bemessung von Elterngeld (eine Beamtin A10 und eine Beamtin A15 erhalten beide das gleiche Elterngeld = 1.800€, je nach Verdienst des Partners kann für hohe Besoldungsgruppen zukünftig der Anspruch auf Elterngeld vollständig entfallen. Bei niedrigen Gehältern wird zudem ein höherer % als 65% des Nettos angerechnet)
- Übernahme PKV Beiträge in Elternzeit nur bis A8

All dies führt dazu, dass die Nettoalimentation nicht direkt Rückschlüsse auf den wirklichen Lebensstandard geben und je nach Einzelfall kaum Unterschiede im Lebensstandard zwischen Besoldungsgruppen bestehen oder eine niedrigere Besoldungsgruppe insgesamt sogar besser dastehen könnte (häufig alleine schon der Fall zwischen A8 und A9 beim Bezug von Elterngeld durch die PKV Beiträge).

Ist dieser Umstand eurer Meinung nach mit der Rechtsprechung im Einklang oder müsste hier eigentlich eine deutlich umfassendere Betrachtung erfolgen?


Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: SwenTanortsch am 06.10.2023 06:18
Das BVerfG hat bezüglich der Amtsangemessenen Alimentation ja geurteilt, dass zwischen den Besoldungsgruppen gewisse Abstände im Lebensstandard (?) einzuhalten sind. In der Regel wird hier der Besoldungsbetrag - PKV-Beitrag - Steuern betrachtet.

Nun gibt es in Deutschland allgemein neben der Steuerprogression aber noch zahlreiche weitere Umverteilungsmechanismen, zB.:

[1] einkommensabhängige Kitagebühren für die Kinder
[2] [a] einkommensabhängige Ansprüche auf Sozialwohnungen, [ b] Wohngeld, [c] Kinderzuschläge und [d] Bildung- und Teilhabeleistungen
[3] einkommensabhängige Sozialtarife (zB GEZ Befreiung)
[4] einkommensabhängiges Baukindergeld
[5] einkommensabhängige Förderungen bezüglich des neuen Heizungsgesetz
[6] einkommensabhängiger Anspruch auf Bafög für die Kinder
[7] einkommensabhängige Bemessung von Elterngeld (eine Beamtin A10 und eine Beamtin A15 erhalten beide das gleiche Elterngeld = 1.800€, je nach Verdienst des Partners kann für hohe Besoldungsgruppen zukünftig der Anspruch auf Elterngeld vollständig entfallen. Bei niedrigen Gehältern wird zudem ein höherer % als 65% des Nettos angerechnet)
[8] Übernahme PKV Beiträge in Elternzeit nur bis A8

All dies führt dazu, dass die Nettoalimentation nicht direkt Rückschlüsse auf den wirklichen Lebensstandard geben und je nach Einzelfall kaum Unterschiede im Lebensstandard zwischen Besoldungsgruppen bestehen oder eine niedrigere Besoldungsgruppe insgesamt sogar besser dastehen könnte (häufig alleine schon der Fall zwischen A8 und A9 beim Bezug von Elterngeld durch die PKV Beiträge).

Ist dieser Umstand eurer Meinung nach mit der Rechtsprechung im Einklang oder müsste hier eigentlich eine deutlich umfassendere Betrachtung erfolgen?

Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung(en) im Mai 2020 getroffen, als die 17 Besoldungsgesetze in weiten Teilen noch recht ähnlich waren, was in ähnlicher (hier aber insgesamt noch einmal komplexerer) Form ebenso für die Beamtengesetze in den 17 Rechtskreisen galt. Ursache war, dass sie ihren Ursprung jeweils in der zumeist bis Ende der 2000er Jahre und zum Teil bis heute (das Thema wäre wiederum ebenfalls ein eigenes, das differenzierter darzustellen wäre) in der zunächst nach der Föderalismusreform I weiter geltenden Bundesgesetzgebung hatten, die zunächst nach 2006 in identischer Form in Landesrecht überführt worden war. Bis 2003/2006 galt die konkurrenzlose Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Besoldungsrechtssachen. Nach der Föderalismusreform I sind also nach und nach alle 17 Besoldungsgesetzgeber ihren eigenen Weg gegangen, der dabei vollzogenen Besoldungsgesetzgebung in Landesrecht merkt man aber vielfach den eigentlichen Nukleus der einstmals gegebenen einheitlichen Gesetzgebung bis heute an - was bis 2020/21 noch einmal stärker der Fall war. Auch wenn wir nun nach den beiden 2020er Entscheidungen nur dreieinhalb Jahre weiter sind, sind seitdem die politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen zum Teil eruptiven Veränderungen ausgesetzt gewesen, die das Bundesverfassungsgericht damals nicht voraussehen konnte, sodass die damalige Rechtsprechung heute bereits in Teilen historisch-genetisch zu betrachten wäre (was sie sowieso immer ist, aber nun noch einmal offensichtlich komplexer). Zugleich haben seit dem Frühjahr 2021 sich beschleunigende Veränderungen insbesondere hinsichtlich der familienbezogenen Besoldungskomponenten, aber auch in der Bemessung des Grundsicherungsbedarfs eingesetzt, die zunehmend den zunehmend klammen Kassen geschuldet gewesen waren und es weiterhin sind. Dabei gibt es gleichlaufende Entwicklungen, die insbesondere für Norddeutschland in der offensichtlich in Absprache erfolgten Modikfikation des Familienmodells in ein Doppelverdienermodell zu suchen ist, welche - davon muss man, denke ich, leider ausgehen - ob der Vereinheitlichung ein die derzeitigen Reformentwicklungen der letzten knapp drei Jahre hier stark stützende Funktion haben werden, was ein Grund sein könnte, dass nun vom Zweiten Senat drei Nordstaaten betrachtet werden. Denn der Vereinheitlichungsprozess war im März des Jahres deutlich absehbar, nachdem Schleswig-Holstein und Niedersachsen bereits 2022 die entsprechende Modifikation vollzogen hatten, die bremischen Entwicklungen im im Frühjahr 2023 laufenden Gesetzgebungsverfahren absehbar waren und nun Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls nachzuziehen planen und dabei bereits recht weitgehend vorangeschritten sind, was im Frühjahr dieses Jahres ebenfalls ggf. erkennbar gewesen sein dürfte. Andererseits zeigen sich seit dem Frühjahr 2021 die seitdem in allen 16 Rechtskreisen der Länder novelierten Besoldungssystematiken (der Bund hat seit 2020 als einziger Rechtskreis noch nicht auf die aktuelle Rechtsprechung des Zweiten Senats reagiert) insgesamt deutlich zersplitterter oder unheinheitlicher als zuvor - soweit zunächst die allgemeine Sicht auf die Dinge: Wir sind heute in einer nicht nur besoldungsrechtlich ganz anderen Situation als vor 2020, und zwar durch die gezielte Missachtung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Mindestabstandsgebot, welche (die Rechtsprechung) wiederum flankiert ist von der Rechtsprechung zum Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen und den prozeduralen Anforderungen, die den Besoldungsgesetzgebung auch hier treffen (die drei Kapitel sind als eine sachliche Einheit zu betrachten, die genauso vom Bundesverfassungsgericht gemeint sind, als sachliche Einheit, was ggf. in den anstehenden Entscheidungen weiter zu Tage treten könnte) und die in der sachlichen Massivität, in der sie (die Missachtung) vollzogen worden ist, 2020 ggf. erahnbar, aber nicht konkret vorauszusehen war (die Missachtung vollzog sich bereits im Rahmen der sich deutlich abzeichendenden zukünftig schweren finanziellen Probleme der öffentlichen Hand, die für das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr 2020 so sicherlich noch nicht absehbar waren). Diese Einleitung vorweggeschickt, um das Thema entsprechend einzuordnen.

Nichtsdestotrotz sind die Besoldungsgesetzgeber weiterhin gezwungen - wie gesagt, die beiden Abstandsgebote und prozeduralen Anforderungen sollten sachlich als Einheit betrachtet werden, mitsamt ihrer aus ihr resultierenden Schutzfunktion, auch wenn die Besoldungsgesetzgeber vor dieser Tatsache weiterhin gerne die Augen verschließen wollten -, eine amtsangemessene Alimentation zu betrachten und sie also zu gewähren, was im Gesetzgebungsprozess zu vollziehen und zu dokumentieren ist. Nicht umsonst führt das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Prüfverfahrens in aller gebotenen Deutlichkeit aus (in den miteinander sachlich verknüpften Ausführungen an verschiedenen Stellen der Rechtsprechung zeigt sich die Einheit, wenn man sie denn sehen will) und beantwortet damit bereits Deine Frage (Hervorhebungen jeweils durch mich; auch die hervorgehobenen Passagen darf man als eine Art Einheit begreifen und sie entsprechend so lesen - das würde ich durchaus gesondert tun, also zunächst die gesamte Passage und danach die drei kursiv gestellten Hervorhebungen, in denen sich ihre Schutzfunktion offenbart):

"Der Gesetzgeber muss den für die Bemessung der amtsangemessenen Alimentation relevanten Kriterien sowohl bei strukturellen Neuausrichtungen im Besoldungsrecht als auch bei der kontinuierlichen Fortschreibung der Besoldung über die Jahre hinweg Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 130, 263 <292 f.>; 139, 64 <113 Rn. 98>; 140, 240 <280 Rn. 77>).  Ebenso wenig wie die exakte Höhe der amtsangemessenen Besoldung lässt sich dabei der Zeitpunkt, zu dem diese als gerade noch amtsangemessen anzusehen ist, unmittelbar der Verfassung entnehmen." (Rn. 29 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html) "Die nachfolgenden Ausführungen stellen keine für den Besoldungsgesetzgeber in jeder Einzelheit verbindliche Berechnungsgrundlage dar. Ihm stünde es insbesondere frei, die Höhe des Grundsicherungsniveaus mit Hilfe einer anderen plausiblen und realitätsgerechten Methodik zu bestimmen (vgl. BVerfGE 137, 34 <75 f. Rn. 82 ff.>). Ihn trifft jedoch die Pflicht, die ihm zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich der Höhe der Grundsicherungsleistungen auszuschöpfen, um die Entwicklung der Lebensverhältnisse zu beobachten und die Höhe der Besoldung an diese Entwicklung kontinuierlich im gebotenen Umfang anzupassen (vgl. BVerfGE 117, 330 <355>; 130, 263 <302>; 137, 34 <76 Rn. 85>; 146, 164 <197 Rn. 85>)." (Rn. 53) "Weil die gewährten Vorteile überwiegend regional und nach den Lebensumständen der Betroffenen höchst unterschiedlich ausfallen, ist es für Gerichte kaum möglich, hierzu – zumal rückwirkend – Feststellungen zu treffen. Hinzu kommt, dass noch aufzuklären wäre, inwiefern bei der Ermittlung der Regelsätze diese Vergünstigungen berücksichtigt worden sind. Solange aber auch ohne Berücksichtigung etwaiger geldwerter Vorteile feststeht, dass der Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau nicht gewahrt ist, sind Feststellungen zu Art und Umfang der genannten geldwerten Vorteile mangels Entscheidungserheblichkeit entbehrlich. Auch insoweit ist in erster Linie der Besoldungsgesetzgeber gefordert, die Entwicklung der Lebensverhältnisse zu beobachten, um Art und Ausmaß der geldwerten Vorteile zu ermitteln und die Höhe der Besoldung diesen kontinuierlich im gebotenen Umfang anzupassen (vgl. BVerfGE 117, 330 <355>; 130, 263 <302>; 137, 34 <76 Rn. 85>; 146, 164 <197 Rn. 85>)." (Rn. 71)

Die Einheit zeigt sich wie so häufig in der bundesverfasungsgerichtlichen Rechtsprechung darin, dass sie sich in ihrer Entsprechung in den in den verschiedenen Stellen der Ausführungen findenden Abstimmungen der Darlegungen erkennen lässt - Rn. 29, 53, 71 -, so wie ich hier die drei Textpassagen nebeneinander (oder hintereinander stellen) kann, um ihre gleichgerichtete Kontinuität darzustellen. Das ist methodisch auch nicht anders zu erwarten, da das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsnormen des Grundgesetzes als eine Einheit begreift, was zwangsläufig zu einer hohen Systematik der Rechtsprechung führen musste und führt, die sich in den jeweiligen Dogmatiken wie der Besoldungsrechtsdogmatik widerspiegelt. Im Ergebnis kann man die drei Passagen neben- oder hintereinander stellen, obgleich sie in unterschiedelichen Kontexten zu betrachten wären, was Deine Frage - denke ich - weitgehend bereits beantwortet, was es nun weiterhin vertiefend darzulegen gilt, indem es konkreter wird (die Konkretisierung der Begründung als Teil der prozeduralen Anforderungen ist ein zentrale Pflicht des Gesetzgebers im Gesetzgebungsverfahren, der er verfassungsrechtlich nicht ausweichen kann). Um die Betrachtung also zu konkretisieren, habe ich Deine acht in Spiegelstrichen vollzogenen Punkte im Zitat durchnummeriert, darauf beziehen sich die nachfolgenden, systematisierenden Ausführungen:

Die Nr. 1 sowie 2 a bis c und 3 sind als Teile der Sozialtarife zu betrachten, die das Bundesverfassungsgericht mitsamt der genannten und auch dort genannten Pflichten in der aktuellen Entscheidung (s. den obigen Link) in den Rn. 69 ff. weiterhin präzisiert.

Die Nr. 2d ist Teil der eigenständig zu vollziehenden Betrachtung der Bildungs- und Teilhabegesetzgebung, wobei sich auch hier der Gesetzgeber nicht seiner Pflicht entziehen kann, über reine gesetzliche Anteile hinaus die gewährten Leistungen realitätsgerecht zu betrachten (Rn. 64 ff.).

Die Nr. 4 und 5 dürften vom Bundesverfassungsgericht schwerlich auch zukünftig zu greifen sein, ggf. auch vom Besoldungsgesetzgeber, da es ungewöhnlich wäre, dass eine der Grundsicherung unterworfene Familie baute, auch werden die Förderungen durch das neue Heizungsgesetz allenfalls in geringer Zahl - jedenfalls heute bis auf Weiteres - Grundsicherungsempfängern zuteil werden, sodass m.E. nicht zu erwarten wäre (auch nicht vom Besoldungsgesetzgeber), dass er hier bereits differenzierte Betrachtungen anstellte (was sich zukünftig jedoch ändern könnte, da nicht wenige Grundsicherungsempfänger in den eigenen vier Wänden leben und also die Umstellung des Energieträgers auch sie treffen wird).

Die Nr. 6 - Bafög - unterliegt m.E. ähnlich wie das Kindergeld der Betrachtung einer Sozialleistung, die allen Betroffenen zuteil wird, sodass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gesondert vom Besoldungsgesetzgeber zu betrachten sein bräuchte, denke ich.

Elterngeld (Nr. 7) ist eine Sozialleistung, die ggf. noch einmal gesonder zu betrachten wäre - das könnte ein komplexes Thema sein, wobei es weiterhin die Aufgabe des Besoldungsgesetzgebers ist, die tatsächlichen Lebensumstände und Bedarfe zu beobachten und die Besoldung und Alimentation diesen kontinuierlich und im angemessenen Rahmen anzupassen. Das gilt eventuell ähnlich für das Elterngeld, wobei in beiden Punkten zu beachten wäre, dass das Mindestabstandsgebot sich auf den Teil der gewährten Nettoalimentation bezieht, der vom absoluten Alimentationsschutz umfasst ist - die Besoldungsgesetzgeber verstehen das Gebot hingegen regelmäßig als eine Art Maximalabstandsgebot, das also irgendwie rechnerisch erreicht werden müsste, um das Mindestabstandsgebot zu erfüllen, um so eine Überalimentation zu verhindern (genauso und genauso verquer argumentiert gerade der Hamburger Senat im dort laufenden Gesetzgebungsverfahren). Soll heißen und das kann praktisch auch als Fazit dieser Ausführungen gelten:

Der Besoldungsgesetzgeber hat zu garantieren, dass das Mindestabstandsgebot nach Möglichkeit in allen Fällen eingehalten wird (Rn. 52) - darüber hinaus ist die Besoldungsgesetzgebung allerdings eine Sache der Begründetheit und kein Spezialfall der Mathematik. Der Besoldungsgesetzgeber hat also beim Ausschluss oder bei Beachtung von einzelnen (Bedarfs-)Posten zur Bemessung des Grundsicherungsbedarfs und der gewährten Nettoalimentation zu begründen, welche Beträge er weshalb in seine Bemessungen mit einfließen lässt oder sie von ihnen ausschließt. Darüber hinaus hat er im Gesetzgebungsverfahren aber ebenso zu beachten:

"Die Parameter [der ersten Prüfungsstufe des bundesverfassungsgerichtlichen Prüfungshefts und damit auch die Bemessung des Grundsicherungsbedarfs] sind weder dazu bestimmt noch geeignet, aus ihnen mit mathematischer Exaktheit eine Aussage darüber abzuleiten, welcher Betrag für eine verfassungsmäßige Besoldung erforderlich ist. Ein solches Verständnis würde die methodische Zielrichtung der Besoldungsrechtsprechung des Senats verkennen. " (Rn. 30)
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: AVP am 06.10.2023 12:45
Danke für die ausführliche Antwort.
Soweit ich alles richtig verstanden habe werden die „Sozialtarife“ (darunter fasse ich einfach mal alles angesprochene zusammen) derzeit ja insbesondere nur um Hinblick auf den Abstand zur Grundsicherung betrachtet (wobei hierbei mMn noch die netto Werbungskosten berücksichtigt werden müssten, denn wenn ich 5x die Woche zur Arbeit fahre und Summe X für Auto, Spirt, Versicherung etc. ausgebe zehrt sich der 15% Bonus auch schnell auf - aber anderes Thema), keine Betrachtung finden die Sozialtarife zwischen den Besoldungsgruppen.

Wenn Person X also von A10 nach A11 befördert wird und dadurch dann keinen Anspruch zB mehr auf Baukindergeld hat und 100€ mehr an die Kita abdrücken muss - wodurch er im Endeffekt vielleicht effektiv sogar weniger nach der Beförderung hat, dann interessiert dies aktuell niemanden?!
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: SwenTanortsch am 06.10.2023 13:51
Gern geschehen, AVP. Die Sozialtarife beziehen sich ausschließlich auf die Bemessung der Grundsicherungsniveaus, insofern ist es sachlich unerheblich, welche vergleichbaren Bedarfe dem Beamten hier erwachsen, da davon auszugehen ist, dass eine sachgerecht begründete Besoldung und Alimentation im Ergebnis zu einer amtsangemessenen Alimentation führen muss, die es dem Beamten unter anderem ermöglichen soll, sich und seiner Familie einen dem Ansehen seines Amts in der Gesellschaft hinreichenden Lebensstil zu gewährleisten. Weitere Leistungen wie bspw. das Baukindergeld basieren auf politischen Entscheidungen, die über das Alimentationprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG hinausreichen und letztlich unabhängig von ihm zu betrachten sind. Das kann man subjektiv als ungerecht empfinden; über das Alimentationsprinzip hinausreichende Erwägungen haben aber sachlich nichts mit der Beamtenalimentation zu tun, sondern liegen allein in der politisch so vollzogenenen Ausgestaltung des Baukindergelds, sodass man als Betroffener (unabhängig davon, ob man Beamter ist oder nicht) nur im politischen Alltag darauf dringen kann, dass dort bspw. Bemessungsgrenzen geändert werden. Dafür trägt aber der Besoldungsgesetzgeber als solcher keine Verantwortung, hier noch einmal umso mehr, als dass es keine eigene gesetzliche Grundlage für das Baukindergeld gibt. Sofern also das Familieneinkommen als Folge einer Beförderung und dem Aufrücken in der Besoldungsordnung die Bemessungsgrenze für das Baukindergeld überschreitet, bleibt der Beamte dennoch weiterhin amtsangemessen alimentiert (unter der Prämisse, dass die Alimentation amtsangemessen ist, was sie heute offensichtlich nicht ist).

Zugleich verkürzt sich als Folge der von den Besoldungsgesetzgebern seit 2021 wiederkehrend sachlichunzureichenden Fokussierung auf das Mindestabstandsgebot auf die Mindestalimentation und den Vergleich zwischen Grundsicherungsempfängern und Beamten - das eine hat aber mit dem anderen nicht zu tun, da es einen qualitativen Unterschied zwischen der Grundsicherung, die als staatliche Sozialleistung den Lebensunterhalt von Arbeitsuchenden und ihren Familien sicherstellt, und dem Unterhalt, der erwerbstätigen Beamten und Richtern geschuldet ist, gibt. Das Bundesverfassungsgericht hat in der letzten Entscheidung in Erweiterung seiner im Jahr 2015 angestellten Rechtsprechung nur festgestellt, dass die Beamtenalimentation eines verheirateten Bediensteten mit zwei Kindern in der untersten Erfahrungsstufe der niedrigsten Besoldungsgruppe einen mindestens 15 %igen Abstand zum Grundsicherungsniveau aufweisen muss. Das ist eine zwar zu beachtende, aber insgesamt völlig unwichtige Direktive, da die staatliche Grundsicherung sachlich rein gar nichts mit der Beamtenalimentation zu tun hat. Die vielen sachlich wirren Entscheidungen der Gesetzgeber, die irgendwelche krausen Zusammenhänge zwischen staatlicherseits gewährtem Existenzminimum und dem Beamten geschuldeten Unterhalt herstellen wollen, haben i.d.R. keine fundierte Basis, um für irgendetwas stehen zu können, außer für eines: dass sie ausgemachter Unsinn sind. Man könnte auch versuchen, die Beamtenalimentation aus dem Luftischerheitsgesetz ableiten zu wollen, wenn einem danach ist - und es ist zu vermuten, dass, wenn die Besoldungsgesetzgeber so weitermachen wie seit 2020/21, sie bald ggf. entdecken werden, dass eigentlich vor allem § 21 LuftSiG eine fundamentale Bedeutung für die Bemessung der Beamtenalimentation hat, weshalb jene an dieser auszurichten wäre... (Pardon für den etwas polemischen Abschluss, er ist nicht gegen Dich oder das, was Du geschrieben hast, gerichtet, AVP)
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: AVP am 06.10.2023 14:07
Das hatte ich mir so schon gedacht und ich erkenne auch dass es praktisch anders wohl schwer umzusetzen wäre, wirklich konsequent ist es mMn aber nicht, denn wenn der Dienstherr/Besoldungsgesetzgeber gleichzeitig auch allgemein Gesetzgeber ist könnte er jegliches Abstandsgebot über weitere Sozialtarife effektiv untergraben. Als etwas abstraktes Beispiel wäre es denkbar die Beamtenalimentation insgesamt um 50% zu erhöhen (damit wäre sie wohl weitestgehend amtsangemessen), gleichzeitig aber weitere Sozialtarife und Gebühren einzuführen um diese Prozentsteigerung direkt wieder abzuschöpfen. Der Fantasie sind hier ja praktisch keine Grenzen gesetzt (höhere einkommensabhängige Gebühren für Ausweise, höhere einkommensabhängige Mehrwertsteuer, einkommensabhängige Schwimmbadeintrittspreise etc.). Es wäre somit mindestens theoretisch möglich eine quasi Einheitsbesoldung einzuführen in der zwar amtsangemessene Löhne ausgezahlt werden, diese aber durch Sozialausgleiche dann wieder auf einen Einheitswert umverteilt werden.

Zudem findet die Einkommenssteuer ja durchaus Einfluss auf die verschiedenen Betrachtungsweise der (Netto)alimentation obwohl diese nicht selber vom Besoldungsgesetzgeber erhoben wird.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: SwenTanortsch am 06.10.2023 14:55
Entscheidend ist auch bei den Sozialtarifen, dass sie realitätsgerecht bemessen werden. Die Abzüge, die Du darlegst, wären aber zunächst einmal nicht realitätsgerecht - und zugleich (und wichtiger): Die gewährte amtsangemessene Alimentation als Gesamtheit des dem Beamten zur Verfügung gestellten materiell-rechtlichen Korrelats dafür, dass er dem Dienstherrn unter Einsatz der ganzen Persönlichkeit – grundsätzlich auf Lebenszeit – die volle Arbeitskraft zur Verfügung stellt und gemäß den jeweiligen Anforderungen die Dienstpflichten nach Kräften erfüllt, ist eine individuelle Garantie, die der Dienstherr nicht aushebeln kann. Das materielle Gut bleibt mit Gewährung ausschließlich dem Beamten überlassen, sodass der Dienstherr irgendwelche Vergünstigungen, die er ihm gewähren will, die sich dann aber nicht als Vergünstigungen, sondern als Einschränkung des Alimentationsprinzips herausstellten, nicht so ohne Weiteres auf die Betrachtung der Mindestalimentation anrechnen könnte - denn es  bleibt dabei, dass sie nur den Teil der gewährten Nettoalimentation umfasst, der vom absoluten Alimentationsschutz umfassr ist und in den also keine Einschnitte möglich sind. Darüber hinaus ist der Beamte monetär zu alimentieren und nicht mit Sachgütern, die keinen hinreichenden Ersatz für das ihm zustehende materielle Gut darstellen können.

Das Thema Einkommensteuer ist noch einmal ein eigenes und reichlich komplexes - allersdings gilt es bis zum Beweis des Gegenteils zu vermuten, dass der Beamte hier ebenfalls den Folgen des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG unterliegt und entsprechend nicht anders betrachtet werden kann oder sollte. Nichtsdestotrotz ist es ein komplexes Thema, insbesondere unter Gerechtigkeitsvorstellungen, die allerdings zumeist moralischer und nicht juristischer Natur sind, also unseren individuellen Wertungen unterliegen.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: AVP am 21.11.2023 02:00
Ich habe noch ein wenig hierüber nachgedacht und mMn ist der Blick auf die reine Nettoalimentation hier nicht treffend.

Das Grundgesetzt verpflichtet der Dienstherrn „Beamte sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren und ihnen nach ihrem Dienstrang und ihrer Qualifikation, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren.“ (BVerfG).

Dies kann sich nur über die Nettoalimentation abwickeln lassen, wenn Geld für alle einen festen Wert hat und somit zu einem vergleichbaren Lebensstandard führen kann.

Dies ist durch die vergangene Sozialpolitik aber mit Nichten der Fall.

Die Nettoalimentation ist nicht geeignet den Lebensstandard verschiedener Personen untereinander vergleichbar zu machen, wenn diese Personen für die gleichen Leistungen unterschiedliche Geldbeträge aufwenden müssen.

Einfaches Beispiel:

Neubau mit 30% Sozialquote, jeweils Baugleiche Wohnungen, 4-köpfige Familien:

1.) Grundsicherung: 1.600€ Bürgergeld + Sozialtarif Wohnung 6,50€/QM (übernimmt Staat) = 500€, Bildung- und Teilhabe für die Kinder (100€), Kitakosten befreit (+500€) = effektiv 2.200€

2.) Beamter A 6: 2.300€ netto + Sozialtarif Wohnung 6,50)/QM = -500€, Bildung- und Teilhabe (100€), Wohngeld 100€, Kinderzuschlag 100€, 100€ (+400€) Kitakosten = effektiv 2.500€

3.) Beamter A 10: 3.000€ netto kein Sozialtarif = 16,50€/QM = -1.250€, 500€ Kitakosten = effektiv 1.250€

Dann wird dem A10er mit weniger als A6 oder Grundsicherung aufgrund fehlender Sozialtarife doch niemals ein amtsangemessener Lebensunterhalt gewährt, völlig irrelevant ob die Nettoalimentation einen gewissen Wert erreicht. Mit der aktuellen Sozialpolitik ist eine Korrelation zwischen Netto“gehalt“ und Lebensstandard einfach nicht mehr ausreichend gegeben um hierauf eine Amtsangemessene Alimentation aufbauen zu können. Vorab müssten alle entsprechenden einkommensabhängigen Sozialtarife erstmal auf einen vergleichbaren einheitlichen Wert gebracht werden bevor Abstandsgebote bewertet werden könnten.

Wenn ich mit weniger Geld einen höheren Lebensstandard erreiche als mit mehr Geld, dann hat Geld keinen absoluten vergleichbaren Bezug mir um einen Lebensstandard zu ermitteln oder zu vergleichen.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: clarion am 21.11.2023 06:11
Kitagebühren fallen nur wenige Jahre an.

Und dass der die Grundbesoldung erhöht werden sollte, waren wir uns ja schon einig. Wenn es bei A6 schon nicht ohne Sozialtarife geht, läuft es meiner bescheidenen Meinung nach nicht richtig im Staat.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: AVP am 21.11.2023 10:35
Kitagebühren fallen nur wenige Jahre an.

Und dass der die Grundbesoldung erhöht werden sollte, waren wir uns ja schon einig. Wenn es bei A6 schon nicht ohne Sozialtarife geht, läuft es meiner bescheidenen Meinung nach nicht richtig im Staat.

Ich glaube viele wären überrascht wie lange man Anspruch auf Sozialleistungen hat, mit A6 in jedem Fall.

In Niedersachsen geht es auf dem 3. Förderungsweg (+60%) für eine 4-Köpfige Familie auf bis zu 71k brutto als Beamter: https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Planen,-Bauen,-Wohnen/Stadterneuerung-Förderung/Wohnraumförderung-in-Hannover/Einkommensgrenzen

2x A6 Vollzeit läge da drunter, aber auch Alleinverdiener A13 würde noch in einer Sozialwohnungen leben dürfen.

Dann kostet die Wohnung halt nur 6,50€: https://www.immobilienscout24.de/expose/147216706?utm_medium=social&utm_source=other&utm_campaign=expose_sharing&utm_content=expose_toolbar

Statt 15,75€: https://www.immobilienscout24.de/expose/142252458#/

Nach den Kitagebühren kommen Kosten für Klassenfahrten, Schulmaterialien, Schulausfüge, Schulbücher und danach Studiumskosten ohne Bafög


Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: SwenTanortsch am 21.11.2023 16:06
Das, was Du zu den Kosten schreibst, ist in sich schlüssig, AVP. Du gehst aber bei der Betrachtung von dem gleichen grundsätzlichen Fehler aus wie wiederkehrend die Besoldungsgesetzgeber, die den Beamten mittlerweile zunehmend regelmäßig auf einen Sozialleistungsbezug verweisen, der verfassungsrechtlich allerdings ausgeschlossen ist:

1. Der Besoldungsgesetzgeber hat dem in der untersten Besoldungsgruppe eingruppierten aktiven Beamten, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, eine Alimentation zu gewähren, die in möglichst allen Fällen mindestens 15 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus einer entsprechenden Bedarfsgemeinschaft liegen muss.

2. Der bis 15 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegende Betrag der zu gewährenden Nettoalimentation ist materiell-rechtlich vom absoluten Alimentationsschutz umfasst, sodass in ihn keine Einschnitte gestattet sind.

3. Die vom Zweiten Senat angeführte bisherige Rechtsprechung verdeutlicht, dass die vom Besoldungsgesetzgeber zugrundezulegenden Sozialleistungen dann als evident unzureichend zu betrachten sind, wenn es offensichtlich ist, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen können, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist,
weshalb es auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente ankommt, die dazu dienen, diese Höhe zu bestimmen (BVerfGE 137, 34 <75 Rn. 81>).

4. Als Folge ist der Besoldungsgesetzgeber verpflichtet, das Grundsicherungsniveau realitätsgerecht zu bemessen und diese realitätsgerechte Bemessung der Gesamtsumme der Sozialleistungen dem Vergleich mit der zu gewährenden Nettoalimentation zugrundezulegen.

5. Von daher ist es verfassungsrechtlich ausgeschlossen, dass ein Beamter auf einen Sozialleistungsbezug verwiesen werden könnte, da ja in möglichst allen Fällen sicherzustellen ist, dass er mindestens 15 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus zu alimentieren ist. Der Beamte ist so verstanden durchaus sozialleistungsberechtigt; er kann diese Berechtigung allerdings nicht in Anspruch nehmen, da ein 15 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus alimentierter Beamter keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen gelten machen kann.

6. Das Problem ist so verstanden nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die sowohl hinsichtlich der Bemessung von Grundsicherungsleistungen als auch hinsichtlich der Mindest- und zu gewährenden Nettoalimentation hinreichend eindeutig ist. Das Problem liegt folglich darin, dass die Besoldungsgesetzgeber die eindeutige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wissentlich und willentlich und also zielgerichtet missachten, was zu den Folgen führt, die Du beschreibst.

7. Dabei ist das, was Du als Sozialtarif begreifst, wenn Du die kalten Unterkunftskosten beschreibst, verfassungsrechtlich keiner, sondern die kalten Unterkunftskosten sind als solche Teil selbstständig innerhalb des Grundrechtsbezugs von von der staatlichen Alimentation abhängigen Sozialleistungsberechtigten zu betrachten. Entsprechend kann der der Grundsicherung unterworfene Lesitungsempfänger nicht auf eine Sozialwohnung verwiesen werden, und zwar allein schon deshalb nicht, weil es sie in nicht hinreichend genügender Zahl gibt. Sozialrechtlich sind auch deshalb nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen, soweit diese angemessen sind. Das hier der Bemessung des Grundsicherungsniveaus der entsprechenden Bedarfsgemeinschaft zugrundzulegende 95 %-Perzentil geht für das Jahr 2021 von kalten Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 954,- € für Niedersachsen aus, was bei einer dabei zugleich zugrundezulegenden 85 qm großen Wohnung zu einer herangezogenen Quadratmetermiete von 11,22 € führte. Unter Beachtung des 15 %igen Abstand zum Grundsicherungsniveau verbliebe - eine solche Bemessung kann nur eine Übertragung darstellen und ist ansonsten der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts so nicht zu entnehmen - also eine Quadratmetermiete von 12,90 €.

8. Innerhalb des Bemessungsverfahrens darf nicht  unbeachtet bleiben, dass - wie in der Nr. 2 hervorgehoben - die Mindestalimentation nur den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Teil der zu gewährenden Nettoalimentation beschreibt und also darüber hinaus keine Aussagen über den amtsangemessenen Gehalt der gewährten Nettoalimentation macht (sie zeigt allein betrachtet nur, wann eine gewährte Alimentation nicht mehr verfassungskonform ist und kann darüber hinaus deshalb allein betrachtet keine Aussage darüber rechtfertigen, wann eine Alimentation und Besoldung amtsangemessen wäre). Es verbleibt die Pflicht des Besoldungsgesetzgeber, innerhalb des von ihm zu vollziehenden Gesetzgebungsverfahrens eine amtsangemessene Alimentation sachlich hinreichend zu begründen, wozu die Betrachtung der Mindestalimentation allein nicht ausreichend ist.

9. Eine prägnante Zusammenfassung zum sachlichen Gehalt der Mindestalimentation im Prüfverfahren des Bundesverfassungsgerichts findest Du an einem Beispiel angewendet hier auf den S. 8 f. und 20 ff. https://bdr-hamburg.de/wp-content/uploads/Gutachterliche-Stellungnahme-Besoldungsstrukturgesetz-Drs.-22-1272.pdf
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: AVP am 23.11.2023 09:04

7. Dabei ist das, was Du als Sozialtarif begreifst, wenn Du die kalten Unterkunftskosten beschreibst, verfassungsrechtlich keiner, sondern die kalten Unterkunftskosten sind als solche Teil selbstständig innerhalb des Grundrechtsbezugs von von der staatlichen Alimentation abhängigen Sozialleistungsberechtigten zu betrachten. Entsprechend kann der der Grundsicherung unterworfene Lesitungsempfänger nicht auf eine Sozialwohnung verwiesen werden, und zwar allein schon deshalb nicht, weil es sie in nicht hinreichend genügender Zahl gibt. Sozialrechtlich sind auch deshalb nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen, soweit diese angemessen sind. Das hier der Bemessung des Grundsicherungsniveaus der entsprechenden Bedarfsgemeinschaft zugrundzulegende 95 %-Perzentil geht für das Jahr 2021 von kalten Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 954,- € für Niedersachsen aus, was bei einer dabei zugleich zugrundezulegenden 85 qm großen Wohnung zu einer herangezogenen Quadratmetermiete von 11,22 € führte. Unter Beachtung des 15 %igen Abstand zum Grundsicherungsniveau verbliebe - eine solche Bemessung kann nur eine Übertragung darstellen und ist ansonsten der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts so nicht zu entnehmen - also eine Quadratmetermiete von 12,90 €.


Genau dies würde ich als zu niedrig ersachten. Wenn jemand in der Grundsicherung eine Sozialwohnung bewohnen kann die künstlich auf 6,50€/QM reduziert wurde, die baugleich auf dem freien Markt jedoch 15,75€ kostet, dann liegt das Niveau einer Wohnung in der Grundsicherung effektiv bei 15,75€, denn diesen „Gegenwert/Lebensstandard“ wird ihm gewährt. Man kann mMn einen Beamten nicht auf eine Wohnung zu 12,90€ verweisen während jemand in der Grundsicherung eine Wohnung für effektiv 15,75€ gestellt bekommt, die über Sozialtarife zunächst vergünstigt und im Rahmen von Bürgergeld dann komplett übernommen wird. Der erreichte Lebensstandard für den Grundsicherungsempfänger sind dann 15,75€ und nicht 6,50€ oder 11.22€.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: A9A10A11A12A13 am 23.11.2023 11:48
vielleicht käme man auf 15,75 €, wenn man die zum Bau gewährte Förderung/Kreditzinsersparnis... auf den Zeitraum der Sozialbindung auf den monatlichen Quadratmeterpreis umlegt.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: SwenTanortsch am 23.11.2023 12:39
Wie gesagt, es verweist niemand den Beamten auf eine Wohnung mit einer Quadratmiete in Höhe von 12,90 €, AVP. Vielmehr geht das Bundesverfasungsgericht in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass die Alimentation des im einfachen Dienst beschäftigten Beamten dann hinsichtlich des Mindestabstandsgebots als amtsangemessenen betrachtet werden kann, wenn sie realitätsgerecht 15 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegt, das einer entsprechenden Bedarfsgemeinschaft gewährt wird. Zur Bemessung des Grundsicherungsniveaus macht es in der Realität verpflichtend das 95 %-Perzentil zur Grundlage. Ackern wird also die Folgen hier der Einfachheit halber noch einmal durch, um nicht über Theorie zu sprechen, die schwerer zu greifen ist als die Praxis, die anschaulicher bleibt. Ergo: nachfolgend ein wenig Praxis

Das 2023 zu betrachtende Grundsicherungsniveau sieht in Niedersachsen wie folgt aus:

Regelbedarfe zwei Erwachsener: 902,- €
(vgl. S. 7 unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Steuern/14-existenzminimumbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=7)
Regelbedarfe für zwei Kinder: 708,- € (ebd., S. 11)
Kalte Unterkunftskosten: 954,- € (s. zur Grundlage meinen letzten Beitrag)
Heizkosten: 280,75 €
(39,61 € x 85 qm / 12; vgl. S. 4 unter https://www.heizspiegel.de/fileadmin/hs/heizspiegel-2023/heizspiegel-2023-flyer.pdf)
Bedarfe für Bildung und Teilhabe: 56,- €
(Die realitätsgerechten Kosten können weiterhin nicht betrachtet werden, da der Gesetzgeber sie weiterhin nicht veröffentlicht hat; es werden daher hier die sicherlich um deutlich mehr als 100,- € zu geringen Kosten herangezogen, die sich allein aus dem Gesetz ergeben. Als Folge bleibt der nachfolgende Gesamtbetrag sachlich unzureichend, weil ihm keine realitätsgerechte Bemessung der Bedarfe für Bildung und Teihabe sowie des monetären Gegenwerts der Sozialtarife zugrunde liegt)

Grundsicherungsniveau: 2.900,75 €
Mindestalimentation: 3.335,86 €

Diese Beträge sind wie dargelegt wegen der von mir nur unzureichend nachzuvollziehenden Bemessung der Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie des monetären Gegenwerts der Sozialtarife deutlich zu gering. Thüringen hat bspw. für das Jahr 2019 entsprechende Bedarfe in Höhe von 258,27 € ausgewiesen. Würde man sie zugrunde legen, was allerdings nicht möglich ist, aber eben eine allgemeine Vergleichsebene ermöglicht, dann läge die Mindestalimentation bei rund 3.570,- €.

Die Bruttobesoldung des verheirateten Musterbeamten mit zwei Kindern beträgt zurzeit: 3.193,42 € (vgl. https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/ni?id=beamte-nds&g=A_5&s=0&f=3&fstand=v&zulageid=10.2&z=100&zulage=&stkl=1&r=0&zkf=2); da die Landesregierung die seit dem 01.01.2023 ausstehende Rechtsverordnung nicht in Kraft gesetzt hat, mit der sie auf Basis des offensichtlich verfassungswidrigen Niedersächsischen Gesetzes zur amtsangemessenen Alimentation normiert, zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückkehren zu wollen, können weitere Beträge dem geltenden Besoldungsgesetz nicht entnommen werden. Legte man die von Thüringen 2019 bemessenen Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie des monetären Gegenwerts der Sozialtarife zugrunde (was wie gesagt nicht so ohne Weiteres möglich ist, aber hier für eine entsprechend graduelle Aussage herangezogen wird), dann wäre eine Mindestalimentation von deutlich über 3.500,- € vorauszusetzen.

Zieht man nun die bislang weiterhin gewährte Bruttobesoldung von 3.193,42 € heran, dann ergibt sich nach Abzug der Steuerlast und der PKV-Kosten sowie nach Addition des Kindergelds folgender Vergleichgegegenstand:

Gewährte Nettoalimentation:

Bruttobesoldung:   38.321,04 €
- Steuerlast:            1.910,00 €
(https://rechner24.info/lohnsteuer/rechner/5?jahr=2023b&STKL=3&F=&RE4=38321%2C04&LZZ=1&ZKF=2&KG=2&PVK=&LAND=ni&KIRCHE=0&LZZFREIB=0&LZZFREIB_LZZ=2&LZZHINZU=0&LZZHINZU_LZZ=2&RENTE=0&PKV=1&PKPV=429&progwerte=&progwerte=)
- PKV-Kosten:          6.456,00 €
+ Kindergeld:          6.000,00 €
Nettoalimentation: 35.955,04 €
Monatsbetrag:         2.996,25 €

Die gewährte Nettoalimentation fällt also weiterhin um mindestens deutlich mehr 400,- € bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit um mehr als 500,- € pro Monat zu gering aus. Die Besoldungsordnung A dürfte sich weiterhin bis in die Besoldungsgruppe A 10 hinein als unmittelbar verletzt zeigen. Denn wenn man nun das Grundgehaltsäquivalent zur Mindestalimentation als Vergleichsgegenstand der Mindestbesoldung heranzieht, dann ergibt sich mit einer Höhe der genannten Bedarfe auf Höhe der Bemessungen in Thüringen folgendes Bild:

  monatliche Mindestalimentation: 3.570,- €
  Jährliche Mindestalimentation: 42.840,- €
- Kindergeld:                              6.000,- €
+ PKV-Kosten:                            6.456,- €
Äquivalente Nettobesoldung:      43.296,- €
+ Einkommensteuer:                   4.184,- €
(https://rechner24.info/lohnsteuer/rechner/5?jahr=2023b&STKL=3&F=&RE4=47480&LZZ=1&ZKF=2&KG=2&PVK=&LAND=ni&KIRCHE=0&LZZFREIB=&LZZFREIB_LZZ=2&LZZHINZU=&LZZHINZU_LZZ=2&RENTE=0&PKV=1&PKPV=429&progwerte=&progwerte=)
Besoldungsäquivalent zur
Mindestalimentation:                 47.480,- €
- Familienzuschlage Ehe:             1.799,28 €
- Familienzuschlag 1. Kind:          1.537,92 €
- Familienzuschlag 2. Kind:          1.537,92 €
- Erhöhungsbetrag 1. Kind:          1.200,00 €
- Erhöhungsbetrag 2. Kind:          1.200,00 €
- Sonderzahlung:                        1.200,00 €
- kinderbezogene Sonderzahlung:   500,00 €
Grundeghaltsäquivalent:
Jahresbetrag:                            38.504,88 €
Monatsbetrag:                             3.208,74 €
Tatsächlich gewährter
Grundgehaltssatz A 5/1:               2.368,58 €
Absoluter Fehlbetrag:                      840,16 €
Prozentualer Fehbetrag:                     26,2 %
Indizielle Verfehlung bis:                  A 10/2

Differenziert man diese Berechnung noch weiter, indem man die der Besoldungsgruppe A 10 tatsächlich gewährten Besoldungskomponenten hinzuzieht, ergibt sich darüber hinaus folgendes Grundgehaltsäquvalent für diese Besoldungsgruppe (vgl. zur den Besoldungskomponenten unter https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/ni?id=beamte-nds&g=A_10&s=2&f=0&fstand=v&zulageid=10.1&zulageid=10.2&z=100&zulage=&stkl=1&r=0&zkf=2):

Besoldungsäquivalent zur
Mindestalimentation:                 47.480,- €
- Familienzuschlage Ehe:             1.799,28 €
- Familienzuschlag 1. Kind:          1.537,92 €
- Familienzuschlag 2. Kind:          1.537,92 €
- allg. Stellenzulage:                    1.216,68 €
- Sonderzahlung:                           500,00 €
- kinderbezogene Sonderzahlung:   500,00 €
Grundeghaltsäquivalent:
Jahresbetrag:                            40.388,20 €
Monatsbetrag:                             3.365,68 €
Tatsächlich gewährter
Grundgehaltssatz A 10/3:              3.257,13 €

Entsprechend zeigte sich dann auch noch die einem Beamten in der Besoldungsgruppe A 10/3 gewährte Grundbesoldung als indiziell (also im Prüfverfahren) unzureichend. Von daher wären folgende Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen indiziell als verletzt zu betrachten:

Alle Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen bis einschließlich A 7 sowie die weiteren bis einschließlich A 8/10, A 9/7 und A 10/3. 45 von 108 Tabellenfelder der Besoldungsordnung A wären folglich indiziell verletzt (41,7 %). Hierin zeigte sich nun (das ist jetzt ein anderes oder ergänzendes Thema), dass der Besoldungsgesetzgeber sachlich gezwungen ist, die Grundgehaltssätze aller Landesbeamten deutlich anzuheben, da sich das Mindestabstandsgebot indiziell als so verletzt zeigt, dass die Heilung der verletzten Besoldungssystematik eine deutliche Anhebung der Grundgehaltssätze erforderlich macht. Denn alles andere ließe sich verfassungsrechtlich wegen der eklatanten Verletzung der Besoldungssystematik sachlich nicht hinreichend rechtfertigen.

Der langen Rede kurzer Sinn, sofern der nach A 5 alimentierte verheiratete Beamte mit zwei Kindern über eine Nettoalimentation von deutlich über 3.400,- bis über 3.500,- € (und in unserem streckenweise spekulativen Kontrollfall von 3.570,- €) verfügte, würde das Bundesverfassungsgericht davon ausgehen, dass das Mindestabstandsgebot in der Kontrolle des aktuellen Besoldungsgesetzes eingehalten werden würde. Daraus folgte allerdings noch nicht automatisch, dass nun die gewährte Alimentation amtsangemessen und also das Besoldungsgesetz verfassungskonform wäre. Denn auf dieser Basis müssten nun die weiteren Parameter der ersten Prüfungsstufe betrachtet werden, müsste weiterhin eine Gesamtbetrachtung sowie anschließende Betrachtung der zweiten Prüfungsstufe erfolgen, an die sich eine Gesamtabwägung anzuschließen hätte sowie dann die Betrachtung der dritten Prüfungsstufe und am Ende die Kontrolle, ob der Gesetzgeber die sich ihm stellenden prozeduralen Anforderungen erfüllt hätte oder nicht.

Die Betrachtung des Mindestabstandsgebots und seiner Folgen allein reichen nicht aus, um den verfassungskonformen Gehalt der zu gewährenden Nettoalimentation zu garantieren - sie zeigt regelmäßig nur automatisch für die das Mindestabstandsgebot nicht erfüllenden Besoldungsgruppen deren verfassungswidrige Unteralimentation an.

Zusammengefasst: Der Rekurs allein auf die kalten Unterkunftskosten reicht nicht aus, um den verfassungskonformen oder verfassungswidrigen Gehalt der gewährten Nettoalimentation festzustellen oder gar eine Bemessung der Besoldungskomponenten durchführen zu wollen (was Du nicht willst und auch nicht tust); ein rein mathematisierendes Vorgehen ist verfassungsrechtlich nicht erlaubt, da es die Methodik des bundesverfassungsgerichtlichen Prüfverfahrens missverstehen würde. Ebenso reichte auch die Betrachtung der Mindestalimentation nicht aus, da das zu einer nicht gestatteten Verkürzung der deutlich weiterreichenden Besoldungsrechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts führte. Allein schon deshalb konnten die beiden im letzten Jahr vollzogenen Gesetzgebungen des Landtags formell keine verfassungskonforme Besoldung schaffen, da sie keine Zusammenführung der jeweils für sich allein vollzogenen Betrachtung geleistet haben und so formell nicht hinreichen können - unabhängig davon, dass die gesamte Regelung über eine "Herdprämie" mittelbar geschlechterdisriminierend und damit verfassungswidrig ist.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: AVP am 23.11.2023 13:03
Danke für deine ausführlichen Ausführungen, aber so ganz trifft dies noch nicht mein Anliegen. Die Frage ist doch wie die Summe zu den Sozialtarifen gebildet wird und was dort letztendlich reinfällt.

Denn in Deutschland gibt es mittlerweile auf allen möglichen Ebenen Sozialtarife welche die Kosten zur Erreichung eines Lebensstandards unterschiedlich gestalten.

Einmal weg vom Abstand zu Grundsicherung, wenn man sagt das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen ist eingehalten weil A16 das doppelte von A8 verdient und dieser Abstand ausreichend ist, dann verkennt man hierbei dass eine doppelt so hohe monetäre Alimentation gerade nicht zu einem doppelt so hohen Lebensstandard führt wenn man gleichzeitig aufgrund zahlreicher Sozialtarife durch das mehr an Gehalt mehr Steuern in der Steuerprogression zahlen muss (das fängt man auf wenn man die Nettoalimentation betrachtet) aber auch 120% mehr Miete für eine vergleichbare Wohnung zahlen muss (kein B-Schein), den dreifachen Betrag an die Kita bezahlen muss, den Studiumsunterhalt der Kinder finanzieren muss - da kein Bafög, ggf. kein Elterngeld mehr bekommt, ohne kFW300 Förderung 20x so hohe Zinsen bezahlen muss etc. etc. etc.

Darum bleibe ich weiterhin dabei dass der Dienstherr einen amtsangemessenen Lebensunterhalt gewährleisten muss. Jemand in A12 muss einen höheren Lebensstandard erreichen als jemand in A10. Und dies lässt sich nur gewährleisten wenn alle genannten und sonstigen Sozialtarife und Umverteilungsmechanismen mit der Nettoalimentation zusätzlich zum Abstandsgefüge ausgeglichen werden. Die
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: SwenTanortsch am 23.11.2023 13:29
Nach wie vor verwendest Du den Begriff der "Sozialtarife" unklar, sodass sich eine präzsie Diskussion nicht herstellen lässt, AVP. Dein Anliegen ist nachvollziehbar - es muss aber die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundlage nehmen, um sachlich gerechtfertigt zu werden. Alles andere bleibt ein zwar nachvollziehbarer Wunsch, der aber verfassungsrechtlich so nicht geprüft werden könnte. Ergo: Du verfolgst ein politisches Anliegen, das ich teile, das aber weit über das Thema Besoldungsrecht hinausgeht - allein weil hier die umfassende Sozial- und nicht minder komplexe Steuergesetzgebung mit zu berücksichtigen wäre. Ergo: Der niedersächsische Besoldungsgesetzgeber kann Dein Anliegen als solcher allein nicht in die Tat umsetzen, da er weder in der Sozial- noch in der Steuergesetzgebung über die verfassungsrechtliche Kompetenz vefügte, die notwendig wäre, um zu einer in Deinem Sinne "gerechten" Besoldungsregelung zu gelangen. Er kann das politisch im Rahmen der von ihm vorgefundenen Rechtslage auf Basis der ihm gegebenen Gesetzgebungskompetenzen versuchen - er kann dazu allerdings nicht verpflichtet werden. Denn in diesem Sinne hat er sich bei der Bemessung und Gewährung der amtsangemessenen Alimentation an die Besoldungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu halten, die er also als Grundlage des Alimentationsprinzips zu beachten hat - nicht mehr, aber auch nicht minder: Die überkommene Besoldungspraxis (die Niedersachsen allerdings mit seinen Gesetzgebungen des letzten Jahres grundlegend modifiziert hat, sodass nun ein Systemwechsel zu konstatieren ist) hat den unterschiedlichen Lebensstandard garantiert, wenn auch nicht in der amtsangemessenen Höhe, die notwendig (gewesen) wäre. Die heutige Gesetzeslage garantiert das nicht mehr, da der Gesetzgeber an entscheidender Stelle nicht mehr vom Amt als die notwendige Bezugsgrundlage der Bemessung, sondern von der Familienkonstellation als maßgeblich für verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigende Nebenkomponenten der Besoldung ausgegangen ist. Auch deshalb ist die nun notwendige Rechtsverordnung nicht in Kraft gesetzt, weil sie nicht sachgerecht zu vollziehen wäre, so wie das der heutige Finanzminister in seiner damaligen Eigenschaft als Vorsitzender des Haushaltsausschusses, wenn auch eher umständlich formuliert, jedoch in der Sache berechtigt festgehalten hat:

https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/gerald-heere/fragen-antworten/in-der-letzten-landtagssitzung-haben-sie-die-ablehnung-des-gesetzentwurfs-18/11498-fuer-buendnis-90/die-gruenen
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: Opa am 23.11.2023 18:27
Einmal weg vom Abstand zu Grundsicherung, wenn man sagt das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen ist eingehalten weil A16 das doppelte von A8 verdient und dieser Abstand ausreichend ist, dann verkennt man hierbei dass eine doppelt so hohe monetäre Alimentation gerade nicht zu einem doppelt so hohen Lebensstandard führt wenn man gleichzeitig aufgrund zahlreicher Sozialtarife durch das mehr an Gehalt mehr Steuern in der Steuerprogression zahlen muss (das fängt man auf wenn man die Nettoalimentation betrachtet) aber auch 120% mehr Miete für eine vergleichbare Wohnung zahlen muss (kein B-Schein), den dreifachen Betrag an die Kita bezahlen muss, den Studiumsunterhalt der Kinder finanzieren muss - da kein Bafög, ggf. kein Elterngeld mehr bekommt, ohne kFW300 Förderung 20x so hohe Zinsen bezahlen muss etc. etc. etc.
Das kann man auch anders sehen.
Wenn wir mit fiktiven Zahlen mal annehmen, der A8er habe 3.000 Euro verfügbares Einkommen und der A16er habe demzufolge 6.000 Euro verfügbares Einkommen:
Die Lebenshaltungskosten für die Grundbedarfe Wohnen, Nahrung, Soziales Leben etc. verdoppeln sich ja nicht mit dem höheren Gehalt und Status. Der A8er benötigt hierfür vielleicht 2.500 Euro und der A16er benötigt vielleicht 4.000 Euro. Betrachtet man das überschüssige verfügbare Einkommen, hat der A16er viermal so viel (2.000 Euro) übrig, wie der A8er (500 Euro).
Das ist nur ein Rechenbeispiel, um zu verdeutlichen, dass von jedem Einkommen ein Grundbedarf abgeht, dessen Anteil mit steigendem Einkommen zwangsläufig geringer wird.

Wie hoch der Abstand zwischen den Besoldungsgruppen sein muss, ist meines Wissens noch nicht vollständig ausgeurteilt. Ich gehe aber davon aus, dass zu den bisherigen Kriterien weitere Rechtssprechung folgen wird, da genau an dieser Stelle im Besoldungsgefüge seit der Föderalismusreform erhebliche Verschiebungen erfolgt sind und sich durch Experimente wie in Hamburg hier recht bald neue Verfahren ergeben werden.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: Ryan am 24.11.2023 08:27
Auch wenn es sich nur um ein Rechenbeispiel handelt, so sei darauf hingewiesen, dass eine Differenzierung zwischen Grundbedarf und darüber hinausgehendem Bedarf nach Auffassung des BVerfG nicht überzeugend ist.

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/05/rs20170523_2bvr088314.html
(Rn. 96)

Aus Rn 96 geht auch hervor, dass die kommende Abschmelzung der Abstände im Zuge der Übertragung Tarifergebnisse beim Bund, die durch den höheren Einfluss der Inflation auf die unteren Besoldungsgruppen begründet wird, mehr als fragwürdig ist.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: AVP am 24.11.2023 08:53
@Swen

Es ist ein Argument welches gerichtlich so noch nicht hundertprozentig in den Urteilen wiedergefunden wird weil es bisher auch noch nicht vorgebracht wurde, fußt aber auch der Entscheidung dass Beamten ein amtsangemessener Lebensstandard zu gewähren ist. Insbesondere bei der Bundesbesoldung ist Besoldungs- und Sozialgesetzgeber zudem identisch, müsste also spätestens hier handeln. Natürlich ist es insbesondere ein Problem der Sozialgesetzgebung dass höherer Lohn/komplexere Tätigkeit häufig kaum mehr zu mehr Lebensstandard führt, dies betrifft auch alle Arbeitnehmer, genau dies ist allerdings nur für die Beamten verfassungsrechtlich geboten.

Die Ausführungen vom Nds. Finanzminister erachte ich nur teilweise als zutreffend. Zwar erkennt er die verfassungsrechtlichen Probleme dee Herdprämie (die über die Sozialgesetzgebung insgesamt sowieso effektiv schon besteht, wer seine Frau (oder seinen Mann) zu Hause belässt erhält in der Regel Zugriff auf diverse Sozialtarife (wie hier mehrfach erläutert) welche den effektiven Lebensstandardunterschied zwischen einem Partner der gar nicht arbeitet und einem der Teilzeit arbeitet komplett negieren kann, im Extremfall kann der Verdienst des Partners den Lebensstandard sogar vermindern wenn dadurch der Anspruch auf eine Sozialwohnung entfällt oder auf Kinderzuschlag, Wohngeld, Bafög für die Kinder, höhere Kitakosten etc. etc. entsteht.
Was der Finanzminister aber verkennt ist das Abstandsgebot, denn er ist der Ansicht dass derjenige, der schon viel Verdient (B-Besoldung) nicht mehr bekommen sollen. Ee beurteilt die Besoldungshöhe nicht nach individueller Leistung oder Tätigkeit sondern nach Bedarf. Diese Ansicht dürfte ebenfalls verfassungswidrig sein, passt aber in die politische Idealogie der vergangenen Jahre.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: AVP am 24.11.2023 09:01
Einmal weg vom Abstand zu Grundsicherung, wenn man sagt das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen ist eingehalten weil A16 das doppelte von A8 verdient und dieser Abstand ausreichend ist, dann verkennt man hierbei dass eine doppelt so hohe monetäre Alimentation gerade nicht zu einem doppelt so hohen Lebensstandard führt wenn man gleichzeitig aufgrund zahlreicher Sozialtarife durch das mehr an Gehalt mehr Steuern in der Steuerprogression zahlen muss (das fängt man auf wenn man die Nettoalimentation betrachtet) aber auch 120% mehr Miete für eine vergleichbare Wohnung zahlen muss (kein B-Schein), den dreifachen Betrag an die Kita bezahlen muss, den Studiumsunterhalt der Kinder finanzieren muss - da kein Bafög, ggf. kein Elterngeld mehr bekommt, ohne kFW300 Förderung 20x so hohe Zinsen bezahlen muss etc. etc. etc.
Das kann man auch anders sehen.
Wenn wir mit fiktiven Zahlen mal annehmen, der A8er habe 3.000 Euro verfügbares Einkommen und der A16er habe demzufolge 6.000 Euro verfügbares Einkommen:
Die Lebenshaltungskosten für die Grundbedarfe Wohnen, Nahrung, Soziales Leben etc. verdoppeln sich ja nicht mit dem höheren Gehalt und Status. Der A8er benötigt hierfür vielleicht 2.500 Euro und der A16er benötigt vielleicht 4.000 Euro. Betrachtet man das überschüssige verfügbare Einkommen, hat der A16er viermal so viel (2.000 Euro) übrig, wie der A8er (500 Euro).
Das ist nur ein Rechenbeispiel, um zu verdeutlichen, dass von jedem Einkommen ein Grundbedarf abgeht, dessen Anteil mit steigendem Einkommen zwangsläufig geringer wird.

Wie hoch der Abstand zwischen den Besoldungsgruppen sein muss, ist meines Wissens noch nicht vollständig ausgeurteilt. Ich gehe aber davon aus, dass zu den bisherigen Kriterien weitere Rechtssprechung folgen wird, da genau an dieser Stelle im Besoldungsgefüge seit der Föderalismusreform erhebliche Verschiebungen erfolgt sind und sich durch Experimente wie in Hamburg hier recht bald neue Verfahren ergeben werden.

Aber auch dies ist nicht garantiert. Klar, jemand in A16 wird sehr wahrscheinlich mehr haben als jemand in A8, da sind die Abstände einfach viel zu groß.

Es kann aber durchaus der Fall sein das mindestens temporär, ggf. sogar über den gesamten Lebensverdient gerechnet, ein A8er mehr Lebensstandard rausbekommt als ein A10er, insbesondere wenn er gewisse relevante Einkommensschwellen noch unterschreitet. Alleine der Anspruch auf eine Sozialwohnung „spart“ rund 550€ ein (wie bereits dargestellt bei baugleicher Wohnung), der Nettounterschied zwischen A8 und A10 sind aber nur ~330€ ohne Kinder) bzw. ~200€ mit Kindern (in Nds höhere Kinderzuschläge im ehemaligen mD).
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: lotsch am 24.11.2023 09:35
, im Extremfall kann der Verdienst des Partners den Lebensstandard sogar vermindern wenn dadurch der Anspruch auf eine Sozialwohnung entfällt oder auf Kinderzuschlag, Wohngeld, Bafög für die Kinder, höhere Kitakosten etc. etc. entsteht.
Dann könnten wahrscheinlich auch Beförderungen unwirtschaftlich sein, wenn im Gegenzug Sozialansprüche gekürzt oder gestrichen werden. Zumindest würde der Anreiz, Führungspositionen zu erlangen, geschmälert. Man sieht das heute schon bei Lehrern, denen der Anreiz von ein paar Euro zu wenig ist, um Rektor oder Konrektor zu werden.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: SwenTanortsch am 24.11.2023 10:33
@ AVP

Wie gesagt, was Du schreibst, ist mir inhaltlich durchaus sympathisch und kann ich politisch und/oder moralisch unterschreiben. Es bleiben aber durchgehend "nur" politische Forderungen (so wie gerade auch wieder in der Antwort an Opa), die als solche weder dem Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG noch dem Leistungsprinzip aus Art. 33 Abs. 2 GG zu entnehmen wären. Es besteht hier also weder eine verfassungsrechtliche Zwangsläufigkeit noch überhaupt ein entsprechender Auftrag an den Besoldungsgesetzgeber, in dem von Dir erhofften Sinne zu handeln. Dabei kann verfassungsrechtlich gleichfalls nicht ins Feld geführt werden, dass der Bundesbesoldungs- und Sozialgesetzgeber identisch seien, da sich an ihn - je nachdem, in welcher Funktion er handelnd tätig wird - unterschiedliche Anforderungen richten, die er jeweils zu erfüllen hat, wenn er seine jeweilige Funktion ausfüllt: Der (Bundes-)Besoldungsgesetzgeber hat im Zuge der Prüfung des Mindestabstandsgebots die (vom Sozialgesetzgeber und also zu einer anderen Zeit vollzogene) Sozialgesetzgebung sachgerecht zu beachten; er hat sie (die Sozialgesetzgebung) aber nicht im Sinne des Besoldungsrechts zu verändern, da das Beamtenrecht kein Spezialgebiet des Sozialrechts ist. Zwar ist der Bundestag in seiner Funktion als Sozial- und in seiner Funktion als Besoldungsgesetzgeber während einer Legislaturperiode auf Personengleichheit angelegt; ein Gesetz ist aber nicht an die Personen gebunden, die es verabschieden, sondern auf die Sache zu beziehen, die es regeln soll. Da die jeweilige Sache unterschiedlichen Rechtsgebieten unterliegt, sind die jeweiligen Forderungen getrennt voneinander zu betrachten, da alles andere sachgerecht nicht möglich wäre.

Entsprechend kann eine Prüfung, wie Du sie Dir vorstellst, vonseiten des Bundesverfassungsgerichts so nicht stattfinden, da es damit seine Kontrollfunktion überschreiten würde, nämlich nicht mehr allein prüfen würde, ob eine besoldungsrechtliche Regelung evident sachwidrig und damit nicht mit der Verfassung in Einklang stände - es würde in der Prüfung also nicht mehr allein um die Sachgerechtigkeit einer gesetzgeberischen Entscheidung gehen -, sondern der Zweite Senat würde nun die Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit oder Vernunft einer politischen Entscheidung auf ihre Güte hin prüfen, womit er seinen Kontrollauftrag überdehnen würde und letztlich nicht mehr allein juristisch, sondern bereits explizit politisch handelte. Damit würde er sich zu einer Art Nebengesetzgeber aufschwingen, den das Grundgesetz nicht kennt und der die Grundlagen unseres demokratischen Rechtsstaats gefährden müsste.

In diesem Sinne fasst das Bundesverfassungsgericht seinen Kontrollauftrag grundsätzlich eng, so, wenn es wiederkehrend hervorhebt (ich lasse hier mal, anders als ich das zumeist mache, die begründenden Verweise des Bundesverfassungsgerichts auf seine Rechtsprechungspraxis bestehen, da es im Einzelnen durchaus interessant ist, diese zu lesen und nachzuvollziehen; im Ergebnis des Nachvollzugs wird Dir deutlich werden, dass Du ein politisches Ziel verfolgst, mit dem Du Dich an den Gesetzgeber - also i.d.R. an einen Abgeordneten Deines Vertrauens - wenden solltest oder für das Du selbst eine politische Inititiative anstoßen könntest, mit dem Du aber nicht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts warten solltest, da es sich solange nicht in Deinem Sinne äußern wird, wie es nicht eine evidente Sachwidrigkeit feststellte - entsprechend ist der letzte Satz des Zitats zu verstehen, nämlich sowohl in seinem ersten feststellenden Teil als auch in seinem zweiten Teil, der die Feststellung im Sinne des Kontrollauftrags begründet, nämlich die sachgerechte Begründung hervorhebt, die allein das Bundesverfassungsgericht zu prüfen hat):

"Bei dem Erlass besoldungsrechtlicher Vorschriften hat der Gesetzgeber eine verhältnismäßig weite Gestaltungsfreiheit (vgl. BVerfGE 8, 1 <22 f.>; 13, 356 <361 f.>; 26, 141 <158 ff.>; 71, 39 <52 f.>; 103, 310 <319 f.>; 114, 258 <288>; 117, 372 <381>; 121, 241 <261>; 130, 263 <294>; 139, 64 <112 Rn. 94>; 140, 240 <278 f. Rn. 73>; stRspr). Dies gilt sowohl mit Blick auf Art. 33 Abs. 5 GG als auch hinsichtlich Art. 3 Abs. 1 GG (BVerfGE 56, 146 <161 f.>; 145, 304 <332 Rn. 86>). Wegen dieses weiten Spielraums politischen Ermessens, innerhalb dessen er das Besoldungsrecht den tatsächlichen Notwendigkeiten und der fortschreitenden Entwicklung anpassen und verschiedenartige Gesichtspunkte berücksichtigen darf, überprüft das Bundesverfassungsgericht nicht, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat (vgl. BVerfGE 103, 310 <320>; 110, 353 <364>; 117, 330 <353>; 121, 241 <261>; 130, 263 <294>; 139, 64 <112 Rn. 95>; 140, 240 <279 Rn. 75>). Es kann, sofern nicht von der Verfassung selbst getroffene Wertungen entgegenstehen, nur die Überschreitung äußerster Grenzen beanstanden, jenseits derer sich gesetzliche Vorschriften bei der Abgrenzung von Lebenssachverhalten als evident sachwidrig erweisen (vgl. BVerfGE 65, 141 <148 f.>; 103, 310 <319 f.>; 107, 218 <244 f.>). Jede Besoldungsordnung enthält unvermeidbare Härten und mag aus Sicht der Betroffenen fragwürdig sein. Solche Unebenheiten, Friktionen und Mängel müssen in Kauf genommen werden, solange sich für die Regelung ein plausibler und sachlich vertretbarer Grund anführen lässt (BVerfGE 110, 353 <364 f.>; 145, 304 <331 f. Rn. 85>)." (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 16. Oktober 2018 - 2 BvL 2/17 -, Rn. 18; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/10/ls20181016_2bvl000217.html)

Ergo: Wie es Opas Beispiel als Beispiel richtig anführt - so wie Ryan nicht minder richtig und also zurecht auf die Problematik des Beispiels hinweist (jedes von uns ins Feld geführte Beispiel bleibt unvollständig, da wir es nicht in seiner Gänze betrachten können) -, kann es keine allgemein verbindliche Festlegung der Abstände zwischen Besoldungsgruppen geben, die das Bundesverfassungsgericht festlegen könnte; denn dann würde es erneut seine Kontrollfunktion überdehnen und selbst politisch handeln. Vielmehr ist der Besoldungsgesetzgeber im Zuge seiner Gesetzgebung gezwungen, die Ämterwertigkeit zur Grundlage unterschiedlich hoher Besoldungsniveaus zu machen und also die unterschiedlich hohen Besoldungsniveaus aus dem jeweiligen Wert, dem die mit einem Amt verbundene Leistung entspricht, heraus sachlich zu begründen (genau deshalb lassen sich die hohen familienbezogenen Besoldungskomponenten, die seit 2021 zunehmend Eingang in die Besoldungsgesetzgebungen finden, i.d.R. sachlich nicht begründen: erstens sind sie nicht mit dem Amt verbunden und zweitens besteht für sie solange kein sachlicher Grund, wie sie nicht hinreichend konkret begründet sind, also einen konkreten sachlichen Bedarf abdecken; eine solche konkrete Begründung hat seitdem kein Besoldungsgesetzgeber vollzogen, aber das nur nebenbei).

In diesem Sinne ist der Verweis, den das Bundesverfassungsgericht in der von Ryan berechtigt ins Feld geführten Rn. 96 der von ihm genannten Entscheidung, hervorhebt auch in unserem Fall in die Überlegungen mit einzubeziehen. Hier stellt das Bundesverfassungsgericht in der Mitte der Rn. 96 fest:

"Innerhalb des jeweils 'amtsangemessenen' Unterhalts ist keine Differenzierung in verschiedene Bedarfe angelegt, weshalb es beim Abstandsgebot auch nicht auf absolut, sondern auf relativ gleichbleibende Abstände in der Besoldung der unterschiedlich bewerteten Ämter ankommt (vgl. auch Urteile des BVerwG vom 12. Dezember 2013 – 2 C 24.12 und 2 C 26.12 –, juris, Rn. 17)."

Entsprechend stellte es direkt zuvor weiterhin den "Gesamtbedarf" und damit die Alimentation (und nicht die Besoldung) in den Mittelpunkt seiner hier vollzogenen Betrachtung; betrachtet also den Nettobetrag, den der Beamte am Ende tatsächlich zur Deckung seiner persönlichen Bedarfe zur Veffügung hat. Wie Du es Dir - inhatlich m.E. zurecht und aber politisch - wünschst, stellt es zugleich den "relativen" Abstand in den Mittelpunkt seiner Betrachtung, durch den eben genau das verhindert werden soll, was Du als unzureichend vom (Besoldungs-)Gesetzgeber berücksichtigt bemängelst, nämlich dass diese (die Abstände) durch bspw. die Steuerprogression oder die Möglichkeit unterer Besoldungsgruppen, "aufstockende" Sozialbeiträge erhalten zu können, über Gebühr eingeebnet werden könnten. Mit dem abschließenden Verweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts macht es dabei aber erneut auf die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle und also auf die des Prüfauftrags, der zur Kontrolle notwendig ist, aufmerksam, weshalb ich nachfolgend nicht nur die genannte Rn. 17, sondern ebenso die Rn. 16 zitiere. Denn nur die Gesamtbetrachtung zeigt am Ende, welcher der verfassungsrechtliche Auftrag der judikativen und welcher der der legislativen Gewalt ist (auch hier lasse ich die begründenden Verweise stehen; auch sie sind im Einzelnen sachlich von Interesse), also:

"Beim Erlass besoldungsrechtlicher Vorschriften hat der Gesetzgeber einen weiten Spielraum politischen Ermessens (stRspr; vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1969 a.a.O. S. 158 f.), innerhalb dessen er das Besoldungsrecht den tatsächlichen Notwendigkeiten und der fortschreitenden Entwicklung anpassen und verschiedenartige Gesichtspunkte berücksichtigen darf. Den Gerichten ist die Überprüfung verwehrt, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat. Das Bundesverfassungsgericht kann, sofern nicht - wie hier möglicherweise Art. 33 Abs. 2 und 5 GG mit dem aus dem Leistungsprinzip und aus dem Alimentationsprinzip folgenden Abstandsgebot - von der Verfassung selbst getroffene Wertungen entgegenstehen, nur die Überschreitung äußerster Grenzen beanstanden, jenseits derer sich gesetzliche Vorschriften bei der Abgrenzung von Lebenssachverhalten als evident sachwidrig erweisen (stRspr; BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2003 - 2 BvL 3/00 - BVerfGE 107, 218 <244>; vgl. auch Beschlüsse vom 6. Oktober 1983 - 2 BvL 22/80 - BVerfGE 65, 141 <148 f.> und vom 4. April 2001 - 2 BvL 7/98 - BVerfGE 103, 310 <319 f.>). Jede Besoldungsordnung enthält unvermeidbare Härten und mag aus Sicht der Betroffenen fragwürdig sein. Solche Unebenheiten, Friktionen und Mängel müssen in Kauf genommen werden, solange sich für die Regelung ein plausibler und sachlich vertretbarer Grund anführen lässt (Beschlüsse vom 6. Mai 2004 a.a.O. S. 364 f. und vom 4. Februar 1981 a.a.O. S. 161 ff.; aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vgl. statt aller Urteil vom 28. April 2005 - BVerwG 2 C 1.04 - BVerwGE 123, 308 <313> = Buchholz 240 § 72a BBesG Nr. 1, S. 4 m.w.N.).

Das Abstandsgebot zwingt den Gesetzgeber nicht, einen einmal festgelegten Abstand zwischen den Besoldungsgruppen absolut oder relativ beizubehalten. Der Gesetzgeber kann ein bestehendes Besoldungssystem neu strukturieren und auch die Wertigkeit von Besoldungsgruppen zueinander neu bestimmen (BVerfG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10 - BVerfGE 130, 263 <295> m.w.N.). Hingegen dürfen die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen infolge von Einzelmaßnahmen nicht nach und nach eingeebnet werden. Solche Maßnahmen können unterschiedlich hohe lineare Besoldungsanpassungen etwa für einzelne Besoldungsgruppen sein. Auch regelmäßige, mehr als geringfügige zeitliche Verzögerungen bei den Besoldungsanpassungen für höhere Besoldungsgruppen können zu einer solchen Einebnung beitragen. Da der Abstand im Hinblick auf das Alimentationsprinzip relativ zu bemessen ist - ein absolut gleichbleibender Abstand verliert durch die Inflation an Wert und vermittelt entsprechend weniger Kaufkraft zur Bestreitung des 'amtsangemessenen' Unterhalts -, gilt dies auch für die völlige oder teilweise Ersetzung von linearen Besoldungserhöhungen durch Einmalzahlungen. Ob eine der genannten Maßnahmen eine mit dem Abstandsgebot unvereinbare Einebnung des Besoldungsgefüges zur Folge hat, erschließt sich in der Regel nicht durch die Betrachtung allein der konkreten Maßnahme, sondern nur durch eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung früherer Besoldungsanpassungen." (BVerwG, Urteil vom 12.12.2013 - 2 C 24.12 -, Rn. 16 f.; https://www.bverwg.de/de/121213U2C24.12.0)

Auf dieser sachlichen Grundlage ist dann das Bundesverwaltungsgericht nachfolgend in das Kontrollverfahren eingetreten (vgl. die nachfolgenden Randnummern). Es hat also - zusammengefasst - nicht geprüft, ob die Maßnahme die gerechteste, vernünftigste oder zweckmäßigste sei (eine solche Betrsachtung ist der judikativen Gewalt verwehrt) und damit ausnahmlos alle Unebenheiten, Friktionen und Mängel beseitigte (was eben prinzipiell unmöglich und darüber hinaus nicht Auftrag der judikativen Gewalt ist), sondern nur, ob sie als (ggf. noch) sachgerecht zu begreifen ist, ob sie sich also (ggf. noch) sachlich rechtfertigen lässt, also einen sachlichen Grund findet, der im Ergebnis nicht evident sachwidrig ist.

In unserem Fall bedeutet das also: Sobald das Mindestabstandsgebot für alle Besoldungsgruppen eingehalten wird, findet sich hier ein Indiz für eine amtsangemessene Alimentation; die gewährte Alimentation stellt sich dann in der untersten Besoldungsgruppe als nicht evident unzureichend dar. Wenn auch die weiteren Parameter der ersten und zweiten Prüfungsstufe nicht zu dem Ergebnis führen, dass hier eine jeweils evident unzureichende oder evident sachwidrige gesetzliche Regelung vorliegt, kann das Kontrollverfahren nur zu dem Ergebnis kommen (sofern ebenfalls die prozeduralen Anforderungen hinreichend erfüllt sind und die dritte Prüfungsstufe dem Ergebnis ebenfalls nicht entgegensteht), dass das Besoldungsgesetz mit der Verfassung in Einklang steht. Wie gesagt: nicht mehr und nicht weniger - mit dieser Entscheidung einhergehende individuelle Härten muss der von dieser Entscheidung Betroffene ertragen, solange er nicht den eindeutigen, also evidenten Nachweis erbringen kann, das konkret sein grundrechtsgleiches Individualrecht auf eine amtsangemessene Alimentation verletzt ist.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: Opa am 24.11.2023 10:54
Während die Grundsicherung zu ermöglichen hat, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht, muss die Alimentation einen dem Amt angemessene Lebensführung gewähren (besser: gewährleisten).

Es gibt also eine Basis („Würde des Menschen“), einen Mindestabstand für ein Amt, in dem einfachste Obliegenheiten erfüllt werden müssen („Würde des Menschen plus 15%“) und für jedes darüberliegende Amt einen juristisch nur vage bestimmten Aufschlag, der die höhere Wertigkeit der damit verbundenen Obliegenheiten abbildet.

Ich halte es für unbedenklich, dass allgemeine Vergünstigungen für Menschen mit geringen Einkommen auch von Beamten der unteren Besoldungsgruppen in Anspruch genommen werden und dies bei der Bemessung der Alimentation berücksichtigt wird. Beispiel KiTa-Beiträge, die ja häufig nach Einkommen gestaffelt sind.

Ebenso kenne ich keine unmittelbare Rechtsvorschrift, nach der Sozialleistungen wie Wohngeld mit dem Beamtenstatus unvereinbar wären (Leistungsausschluss).

Dass Grundsicherungsleistungen mit einem Beamtenstatus kollidieren, wie Swen oben ausgeführt hat, ist für mich dem Grunde nach nachvollziehbar. Ob dies für alle erdenklichen Konstellationen gelten kann (z.B. alleinerziehender Beamter, 2 Kinder, maximal 20 Stunden Wochenarbeitszeit möglich) habe ich vor Jahren mal beantwortet bekommen, die Antwort aber mittlerweile wieder vergessen. Im SGB II gäbe es zunächst keine Norm, mit der eine Ablehnung begründet werden kann, es sei denn, gegen den Dienstherrn bestünde für den Beamten ein vorrangiger Anspruch auf eine höhere Besoldung, als sich eigentlich bei der Teilzeitbeschäftigung ergibt.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: Rentenonkel am 24.11.2023 12:33
Bei allen Überlegungen und Berechnungen ist vielleicht auch noch wichtig herauszuheben, das das BVerfG lediglich berechnet, wann die Alimentation evident unzureichend und somit verfassungswidrig ist.

Es ist den Besoldungsgesetzgebern natürlich unbenommen, eine gesetzliche Regelung zu finden, die über den Mindestvorgaben liegt, um somit auch bei künftigen, geänderten Rahmenbedingungen "auf der sicheren Seite" (also verfassungsgemäßen Seite) zu sein und auch die Überlegungen mit einzubeziehen, auf die der Besoldungsgesetzgeber (Kita Gebühren und andere, sozial gestaffelte Vergünstigungen) in der Regel keinen Einfluss hat.

Im Moment gewinne ich allerdings den Eindruck, dass die Besoldungsgesetzgeber die Quadratur des Kreises versuchen: Die Herstellung einer gerade noch so eben (möglichst centgenauen) Berechnung der Alimentation und das möglichst kostenneutral oder kostengünstig für alle Besoldungsgesetzgeber. Dabei klammert man sich fieberhaft an die bisherigen Tabellen und will durch diverse Sonderlocken erreichen, dass das gelingt.

Dabei verkennen die Besoldungsgesetzgeber sowohl die Chance als auch die Möglichkeit und auch die Verpflichtung, die sich aus dem Urteil ergibt:

Das Besoldungsrecht muss insgesamt auf völlig neue Füße gestellt werden

Das Ganze erinnert mich an eine alte Weisheit der Dakota Ureinwohner

Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab!

Doch die weißen Männer versuchen oft andere Strategien, nach denen sie in dieser Situation handeln.

• Sie besorgen eine stärkere Peitsche
• Sie wechseln die Reiter
• Sie sagen: So haben sie das Pferd doch immer geritten
• Sie gründen einen Arbeitskreis, um das Pferd zu analysieren
• Sie besuchen andere Orte, um zu sehen, wie man dort tote Pferde reitet
• Sie erhöhen die Qualitätsstandards für den Beritt toter Pferde
• Sie bilden eine Task Force, um das tote Pferd wiederzubeleben
• Sie schieben eine Trainingseinheit, um besser reiten zu lernen
• Sie stellen Vergleiche unterschiedlich toter Pferde an
• Sie ändern die Kriterien, die besagen, ob ein Pferd tot ist
• Sie kaufen Leute von außerhalb ein, um das tote Pferd zu reiten
• Sie schirren mehrere tote Pferde zusammen an, damit sie schneller werden
• Sie erklären: Keine Pferd kann so tot sein, dass man es nicht noch schlagen könnte
• Sie machen zusätzliche Mittel locker, um die Leistung des Pferdes zu erhöhen
• Sie machen eine Studie, um zu sehen, ob es billigere Berater gibt
• Sie kaufen etwas zu, dass tote Pferde schneller laufen lernen
• Sie erklären, dass unser Pferd besser, schneller und billiger tot ist
• Sie bilden einen Qualitätszirkel, um eine Verwendung für tote Pferde zu finden
• Sie überarbeiten die Leistungsbedingungen für tote Pferde
• Sie richten eine unabhängige Kostenstelle für tote Pferde ein
• Sie lassen die Pferde schnellstens zertifizieren
• Sie frieren die Pferde ein und warten auf eine neue Technik, die es ihnen ermöglicht, tote Pferde zu reiten
• Sie bilden einen Gebetskreis, der das Pferd gesund betet
• Sie stellen das Pferd bei jemand anderen in den Stall und behaupten, es sei seines
• Sie stellen fest, dass die anderen auch tote Pferde reiten und erklären dies zum Normalzustand
• Sie ändern die Anforderungen an Reiten und Bewegung und erteilen einen neuen Entwicklungsauftrag
• Sie sourcen das Pferd aus
• Sie wetten, dass das Vieh nur simuliert
• Wenn man ein totes Pferd schon nicht reiten kann, dann kann es doch wenigstens eine Kutsche ziehen
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: SwenTanortsch am 24.11.2023 13:01
Mich dünkt, Du erzählst uns hier einen vom Pferd, Rentenonkel, sodass ich befürchten muss, dass Du ein Politiker bist ...

Schöner Beitrag, der mich gerade herzlich zum Lachen gebracht hat!
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: lotsch am 24.11.2023 15:52
Während die Grundsicherung zu ermöglichen hat, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht, muss die Alimentation einen dem Amt angemessene Lebensführung gewähren (besser: gewährleisten).

Es gibt also eine Basis („Würde des Menschen“), einen Mindestabstand für ein Amt, in dem einfachste Obliegenheiten erfüllt werden müssen („Würde des Menschen plus 15%“) und für jedes darüberliegende Amt einen juristisch nur vage bestimmten Aufschlag, der die höhere Wertigkeit der damit verbundenen Obliegenheiten abbildet.

Ich halte es für unbedenklich, dass allgemeine Vergünstigungen für Menschen mit geringen Einkommen auch von Beamten der unteren Besoldungsgruppen in Anspruch genommen werden und dies bei der Bemessung der Alimentation berücksichtigt wird. Beispiel KiTa-Beiträge, die ja häufig nach Einkommen gestaffelt sind.

Ebenso kenne ich keine unmittelbare Rechtsvorschrift, nach der Sozialleistungen wie Wohngeld mit dem Beamtenstatus unvereinbar wären (Leistungsausschluss).

Dass Grundsicherungsleistungen mit einem Beamtenstatus kollidieren, wie Swen oben ausgeführt hat, ist für mich dem Grunde nach nachvollziehbar. Ob dies für alle erdenklichen Konstellationen gelten kann (z.B. alleinerziehender Beamter, 2 Kinder, maximal 20 Stunden Wochenarbeitszeit möglich) habe ich vor Jahren mal beantwortet bekommen, die Antwort aber mittlerweile wieder vergessen. Im SGB II gäbe es zunächst keine Norm, mit der eine Ablehnung begründet werden kann, es sei denn, gegen den Dienstherrn bestünde für den Beamten ein vorrangiger Anspruch auf eine höhere Besoldung, als sich eigentlich bei der Teilzeitbeschäftigung ergibt.

Deine Aussagen decken sich aber nicht mit der Entscheidung des BVerwG.
Die in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte Pflicht des Dienstherrn zur Sicherstellung des amtsangemessenen Lebensunterhalts erstreckt sich auch auf Lebenslagen, die einen erhöhten Bedarf begründen. Die verfassungsrechtliche Alimentationspflicht gebietet dem Dienstherrn, Vorkehrungen zu treffen, dass die notwendigen und angemessenen Maßnahmen im Falle von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Geburt und Tod nicht aus wirtschaftlichen Gründen unterbleiben, weil sie der Beamte mit der Regelalimentation nicht bewältigen kann, oder dass der amtsangemessene Lebensunterhalt wegen der finanziellen Belastungen in diesen Ausnahmesituationen nicht gefährdet wird (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 1985 - BVerfGE 70, 69 <79> und vom 7. November 2002 - BVerfGE 106, 225 <232>, BVerwG, Urteile vom 3. Juli 2003 - BVerwG 2 C 36.02 - BVerwGE 118, 277 <279> = Buchholz 237.6 § 87c NdsLBG Nr. 1, vom 20. März 2008 - BVerwG 2 C 49.07 - BVerwGE 131, 20 Rn. 20 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 94 und vom 29. April 2010 a.a.O. Rn. 13).

Der Dienstherr darf dabei auf ein Mischsystem zurückgreifen, wenn man sich gegen den Schadenfall versichern kann. Dann müssen aber auch die Versicherungsprämien von der amtsangemessenen Alimentation berücksichtigt werden. (so habe ich das verstanden) Mir ist aber nicht bekannt, dass man sich gegen hohe Mieten versichern kann, und schon gar nicht wird ein solcher Versicherungsbeitrag bei der Alimentation berücksichtigt.

Interessant ist auch diese Bemerkung des BVerwG:
Die Alimentation wird unabhängig von sonstigem Einkommen oder Vermögen gewährt. Dies gilt nicht nur für die Regelalimentation, sondern ebenso für die Alimentation in besonderen Lebenslagen.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: Opa am 24.11.2023 19:49
Ich verstehe nicht den Zusammenhang zwischen meinen und deinen Ausführungen.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: lotsch am 24.11.2023 20:15
Ebenso kenne ich keine unmittelbare Rechtsvorschrift, nach der Sozialleistungen wie Wohngeld mit dem Beamtenstatus unvereinbar wären (Leistungsausschluss).

Ich finde, dass Sozialleistungen, wie Wohngeld, wegen Art. 33 Abs. 5 GG mit dem Beamtenstatus unvereinbar sind.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: Opa am 25.11.2023 04:54
Das passt aber nicht zusammen, wenn du als Argument eine abschließende Aufzählung (Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Geburt, Tod) aufführst und im weiteren Text genau auf diese „Ausnahmesituationen“ Bezug genommen wird. Wohnen ist von dieser Aussage als Tatbestand nicht erfasst. Du erkennst ja selbst, dass hohe Wohnkosten weder versicherbar sind, noch einen Schadensfall darstellen. Wohnen ist ein Regelzustand und keine Ausnahmesituation.
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: HansGeorg am 25.11.2023 12:03
Kurze Frage. Bei der Berechnung von Swen kommt bei der Ermittlung der Mindestalimentation nicht das Kindergeld zum Abzug. Wenn ich aber Burgerfeld beziehen würde sehr wohl. Warum?
Titel: Antw:[Allg] Was zählt (warum) zum Abstandsgebot?
Beitrag von: SwenTanortsch am 25.11.2023 14:26
Das Kindergeld wird in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht bei der Bemessung der gewährten Nettoalimentation betrachtet und hier zur Nettobesoldung addiert, HansGeorg (s. meine Berechnung oben). Entsprechend wirkt die Betrachtung monetär neutral. Man könnte das Kindergeld also ebenso von der Mindestalimentation abziehen und dann bei der Betrachtung der Nettoalimentation nicht heranziehen und würde dann zur identischen Differenz zwischen der Mindest- und der gewährten Nettoalimentation gelangen.

Da das Bundesverfassungsgericht die Nettoalimentation als den Betrag begreift, den der Beamte am Ende als Ganzes zu seiner Verfügung hat, zieht es nach der Bemessung der Nettobesoldung von dieser grundsätzlich die Kosten für die die Beihilfe ergänzende Kranken- und Pflegeversicherung ab und addiert das Kindergeld. Damit liegt dann die Nettoalimentation vor.