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BVerfG, 16.07.2025 - 2 BvR 1719/23
Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen Änderungsgesetz zum saarländischen Besoldungsgesetz (RIS: BesG SL 2022) - Subsidiarität gegenüber einer Feststellungsklage bzgl der fehlenden Amtsangemessenheit der Alimentation
https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BVerfG&Datum=16.07.2025&Aktenzeichen=2%20BvR%201719%2F23
Für den Bund hatte das ein Forumsteilnahmer mal diskutiert. Ist also eher aussichtslos.
Danke für den Link, Ozy. Das zeigt eindeutig, dass die Verfassungsbeschwerde nicht zum Ziel führen kann, solange der Rechtsweg über die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht ausgeschöpft ist. Von daher steht uns allen erstmal nur die Feststellungsklage auf amtsangemessene Alimentation offen.
Genauso ist es und das war auch genauso zu erwarten, da die Kammer hier im Rahmen ständiger Rechtsprechung handelt. Ich gehe das mal auf die Schnelle durch, um die Systematik zu skizzieren, und nummeriere das durch, weil das die Beantwortung möglicher Rückfragen erleichtert:
1. In der Entscheidung vom 16.07. liegt eine Kammerentscheidung vor, da das Bundesverfassungsgericht im Rahmen ständiger Rechtsprechung handelt und die Kammer ihre Entscheidung also einstimmig gefällt hat.
2. Kammerentscheidungen sind der Regelfall, sie machen den mit weiten Abstand größten Teil aller Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus. Sie werden deshalb nur in Einzelfällen auf der Homepage veröffentlicht, was sie von Senatsentscheidungen unterscheidet, die regelmäßig auf der Homepage öffentlich gemacht werden, so wie - was ich gestern geschrieben habe - mit Gesetzeskraft ergangene Entscheidungen in ihren Leitsätzen im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden.
3. Die Verfassungsbeschwerde ist im Rahmen der ständigen Rechtsprechung nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat zunächst einmal keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, sodass eine notwendige Bedingung dafür entfällt, dass sie zur Entscheidung anzunehmen ist (Rn. 4). Was bedeutet das?
a) Zwar führt der hier von der Kammer hervorgehobene § 90 Abs. 1 BVerfGG aus - im § 90 sind Verfassungsbeschwerden geregelt -, dass jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4, Art. 33, 38, 101, 103 und 104 GG enthaltenen Rechte verletzt zu sein, beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde erheben kann. Im von der Kammer nicht zur Entscheidung angenommenen Fall geht es um Art. 33 GG; hier ist also zunächst einmal eine notwendige Bedingung für die Annahme einer Verfassungsbeschwerde gegeben.
b) Allerdings hebt § 90 Abs. 2 Satz 1 hervor, dass, sofern der Rechtsweg gegen die Verletzung zulässig, die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden kann. Hier wird eine weitere notwendige Bedingung für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde ausgeführt.
c) Sofern der Rechtsweg nicht erschöpft ist, ist also eine Verfassungsbeschwerde nicht zulässig. Als Folge wird sie nicht zur Entscheidung angenommen, sodass weitere Ausführungen der Kammer entbehrlich sind.
d) Sofern der Rechtsweg nicht erschöpft ist, kann auch keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung vorliegen. Denn diese Frage ist systematisch im Rahmen des Rechtswegs zu klären. Die Sache kann also durchaus grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung haben, ob dem so ist, kann allerdings erst nach Erschöpfung des Rechtswegs geklärt werden, womit der besondere Charakter der Verfassungsbeschwerde deutlich wird.
e) Deshalb ist es sinnvoll, ein Beispiel zu bilden, um zu klären, wann eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung vorliegt. Dazu ist es sinnvoll, einen der 13 Rechtskreise ins Feld zu führen, der ein Partnereinkommen bei der Bemessung der Mindestalimentation betrachtet. Diese Betrachtung ist offensichtlich evident sachwidrig, da das Bundesverfassungsgericht in den beiden Parallelentscheidungen vom 4. Mai 2020 unmissverständlich klargestellt hat, dass die Alleinverdienerannahme der Kontrollmaßstab bei der Prüfung des Mindestabstandsgebots ist (vgl. BVerfGE 155, 1, 24, Rn. 47,
https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv155001.html; BVerfGE 155, 77, 95, Rn. 37,
https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv155077.html). Wenn nun ein Verwaltungsgericht in einem konkreten Normenkontrollverfahren dem Besoldungsgesetzgeber folgen und also ebenfalls nicht den Kontrollmaßstab der Alleinverdienernannahme anwenden würde, um auch so zu dem Ergebnis zu kommen, dass einem Beamten, dessen grundrechtsgleiches Individualrecht auf amtsangemessene Alimentation sich als unmittelbar verletzt darstellt, sofern man den Kontrollmaßstab der Alleinverdienerannahme anwendet, eine amtsangemessene Alimentation gewährt werde, sodass es die Feststellungsklage niederschlüge und zugleich, da nach Ansicht des Verwaltungsgerichts kein besonderes allgemeinen Interesse vorläge, keine Berufung zulassen sollte, wäre zunächst einmal der Rechtsweg erschöpft, sodass nun der Weg der Verfassungsbeschwerde geöffnet werden könnte, da nun die notwendige Bedingung des erschöpften Rechtswegs erfüllt wäre.
f) Ebenso bestände nun eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, da das Verwaltungsgericht offensichtlich sachfehlerhaft entschieden hätte, was von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung wäre, da sich das Verwaltungsgericht an das Recht und damit auch ans Verfassungsrecht gebunden sieht. Das Bundesverfassungsgericht würde dann auch diese notwendige Bedingung als erfüllt ansehen müssen.
g) Darüber hinaus legt § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG, dass das Bundesverfassungsgericht auch vor Erschöpfung des Rechtswegs über eine eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden kann, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde. Nichtsdestotrotz dürfte aber, wenn das gerade genannte Verwaltungsgericht so entschiede wie gerade dargestellt, nun aber die Berufung zuließe, das Bundesverfassungsgericht dennoch eine entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annehmen, da dem Kläger durch die Möglichkeit der Berufung weiterhin kein schwerer und unabwendbarer Bachteil entstünde. Denn das wäre ja zunächst einmal im Zuge der Berufungsverhandlung zu klären.
h) Da sich nun der Rechtsweg als nicht erschöpft zeigt, den Beschwerdeführer also weiterhin der Rechtsweg über die regelmäßig zu erhebende Feststellungsklage offensteht, sind sie zunächst einmal auf diesen zu verweisen, was aus dem Grundsatz der Subsidarität folgt. Diesen hat das Bundesverfassungsgericht bereits unmittelbar nach seiner Bildung entwickelt (BVerfGE 1, 97, 102 f.;
https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv001097.html).
i) Von daher stellt die Kammer in der Rn. 5 klar, dass die Beschwerdeführer noch nicht alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ergriffen hätten, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese zu verhindern.
j) Ebenso wird hier ins Feld geführt, dass - da den Beschwerdeführern ja weiterhin der regelmäßige Weg der Feststellungsklage offensteht - dieser der für sie auch deshalb sachgerechte ist, da ja - auch darauf habe ich schon gestern hingewiesen - die Fachgericht einen Fall klären, während das Bundesverfassungsgericht seine vornehmliche Aufgabe in der Kontrolle des Verfassungsrechts findet. Entsprechend weist die Rn. 5 die Beschwerdeführer darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht regelmäßig zur Tat schreitet, sofern der regelmäßige Rechtsweg eingeschlagen wird und die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu dem Schluss kommt, dass den nun hier Klägern Recht zu geben wäre, sofern sich die von ihr formulierte Richtervorlage vor dem Senat im Rahmen der Begründetheit als stichhaltig erweist.
k) Im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle kann nun also das Bundesverfassungsgericht auf gesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen - die Verwerfung eines Gesetzes ist eine weitreichende Entscheidung - treffen (weiterhin Rn. 5).
l) Darüber hinaus bindet die mit Gesetzeskraft erlassene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts alle Verfassungsorgane und damit auch den Gesetzgeber, dessen von ihm erlassenes Gesetz sich als verfassungswidrig zeigt, sofern das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle zu jenem Ergebnis kommt. Damit wird mit der Feststellungsklage de facto der Versuch unternommen, eine Korrektur der gesetzlichen Norm zu erwirken, der der Kläger vor dem Verwaltungsgericht unterworfen ist. Die Feststellungsklage, die in eine Richtervorlage mündet, ist konkret, und zwar auch in ihren Auswirkung, führt also ggf. zur mit Gesetzeskraft erlassenen Verwerfung des betreffenden Gesetzes, was für den klagenden Normunterworfenen mit der Korrektur der gesetzlichen Regelung einhergeht, die sein ureigener Zweck ist; das Ergebnis eines konkreten Normenkontrollverfahrens zeigt sich durch die mit Gesetzeskraft ergangene Entscheidung als für den Kläger im Feststellungsverfahren als unmittelbar. Die Verfassungsbeschwerde kann diesen Grad der Unmittelbarkeit in keinem Fall erreichen, da sie nicht mit Gesetzeskraft ergeht, was sich so als offensichtlicher Nachteil für den Kläger darstellen kann, dessen Rechte nämlich im Anschluss an eine Verfassungsbeschwerde nicht - anders als nach einer in seinem Sinne erfolgreichen Normenkontrolle - unmittelbar von einem Verwaltungsgericht festgestellt werden.
m) Von daher braucht hier auch nicht der im letzten Satz der Rn. 5 genannte Sonderfall betrachtet werden, jedenfalls nicht in unserem Fall, da die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine zwischenzeitlich so konkretisierte Besoldungsdogmatik erstellt hat, dass der hier von der Kammer aufgeworfene Fall mit einiger Wahrscheinlichkeit im Besoldungsrecht nicht aufkommen dürfte.
n) Von daher fasst die Rn. 6 die vorherigen Ausführungen weitgehend nur zusammen und stellt so im Zusammenhang mit der Rn. 7 klar, dass wegen der gegebenen Eindeutigkeit im Sinne von § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG einer weiteren Begründung nicht bedarf.
Ergo: Die Entscheidung erfolgt im Sinne der ständigen Rechtsprechung systematisch. Sie brauchte dabei noch nicht einmal im Blick zu behalten, dass alsbald in den nächsten Monaten eine Entscheidung in saarländischen Normenkontrollverfahren gefällt werden wird.
Am 13. August dieses Jahres werden wir den Mauertoten und weiteren Opfern der SED-Diktatur gedenken. Deshalb ist dieser Tag ein wichtiges Datum.