Sven, in dem von mir gebildeten Beispiel wäre es dann doch aber so, dass bei gleichem statusrechtlichen Amt, drei unterschiedliche Ergebnisse bei der Prüfung der 115% herauskommen würden. Womöglich würden Gerichte für die in M-V wohnenden Beamten bei dem einen den Parameter verletzt sehen und beim anderen nicht. Das ist in meinen Augen absurd. Und in der weiteren Folge verstehe ich es nicht, einen Ortszuschlag als EINEN separaten Baustein von vorneherein als nicht sachlich begründbar auszuschließen. Schließlich stellen die unterschiedlichen VG doch gerade in ihren Berechnungen genau das heraus. Warum soll bei der Prüfung des Landesbeamten ein anderer Wert für den Parameter gelten, als für den nebenan wohnenden und statusgleichen Bundesbeamten.
Das bundesverfassungsgerichtliche "Pflichtenheft" ist ja vom Bundesverfassungsgericht als für die Fachgerichtsbarkeit bindend erstellt worden. Dabei hat der Senat in der letzten Entscheidung - genau aus solchen Gründen und im Hinblick auf solche möglichen Fragen - das Fachgericht dazu verpflichtet, immer eine Gesamtabwägung zu vollziehen, in der alle für oder gegen eine evident unzureichende Alimentation aufgeworfenen Erkenntnisse gegeneinander abgewogen werden müssen.
Ich konkretisiere das also jetzt der Einfachheit halber (und deshalb natürlich nur auschnittsweise) für Dein Beispiel, bebolus. Stellen wir uns also vor, es ginge um die Höhe der Mindestalimentation: Dann müssen wir weiterhin davon ausgehen, dass sie für einen Bundesbeamten, der seinen Wohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern hat, erheblich höher liegt als für einen Landesbeamten des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Denn - darauf spielst Du an, denke ich - das 95 %-Perzentil für den Bundesbeamten wird am bayerischen Rechtskreis gebildet, das 95 %-Perzentil für den Landesbeamten am mecklenburg-vorpommerischen. Für das Jahr 2023 ist von kalten Unterkunftskosten in Bayern von 1.515,- €, in Mecklenburg-Vorpommern von 876,- € auszugehen. Hinsichtlich des vierten Parameters haben wir hier also einen erheblichen Unterschied zu gewährtigen.
Damit wären wir aber weiterhin nicht bei der Besoldungs
bemessung, weshalb ich regelmäßig darauf hinweise, dass beides - das Mindestabstandsgebot und die Besoldungsbemessung - nichts unmittelbar miteinander zu tun haben. Die Bundesbesoldung würde sich also im Klageverfahren ggf. als unmittelbar verletzt zeigen, wenn sie um 500,- höher liegen würde als die mecklenburg-vorpommerische, da ja der genannte Differenzbetrag 640,- € ausmacht, während das für die mecklenburg-vorpommerische so nicht der Fall sein müsste.
Allerdings hebt der Senat ebenfalls hervor: "Der Besoldungsgesetzgeber ist allerdings nicht verpflichtet, die Mindestbesoldung eines Beamten oder Richters auch dann an den regionalen Höchstwerten auszurichten, wenn dieser hiervon gar nicht betroffen ist." (Rn. 61 der aktuellen Entscheidung). Es wird also dem Verwaltungsgericht in der Gesamtabwägung hinsichtlich der Bundesbesoldung die Möglichkeit gegeben, die tatsächlichen Verhältnisse in den Blick zu nehmen, da er ja in Mecklenburg-Vorpommern nicht unmittelbar von den bayerischen Unterkunftskosten betroffen ist.
All das hat also bislang - und auch weiterhin - erst einmal nichts mit dem zu tun, was ich heute zum Ortszuschlagswesen geschrieben habe. Dessen Bemessung folgt den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die ich heute ausgeführt habe.
Nichtsdestotrotz bleibt das von Dir dargestellte Problem von erheblich unterschiedlichen Mindestalimentationen zwischen den verschiedenen Rechtskreisen - der Bundesbesoldung und der mecklenburg-vorpommerischen - bestehen. Eventuell wird sich deshalb der Senat in den angekündigten Entscheidungen diesbezüglich präzisierend äußern.
Darüber hinaus haben uns allerdings - denke ich - die letzten fünf Jahre erheblich (!) geprägt, in denen die Besoldungsgesetzgeber die Mindestalimentation ja regelmäßig nicht als solche betrachtet haben, sondern wie einer Art - wie soll man das bezeichnen (?) - "Höchstmindestalimentation", also nicht als die Grenze zur Unteralimentation, sondern als eine Art Pendant zu einer irgendwie hinsichtlich des Musterbeamten in die Höhe zu treibende zu gewährende Nettoalimentation. Dieses regelmäßige Vorgehen der 17 Besoldungsgesetzgeber hat uns alle jahraus, jahrein geprägt, sodass das - denke ich - bei uns allen eine maßgebliche Erkenntnis der aktuellen Entscheidung vom 4. Mai 2020 verschüttet hat, die ja zu einer Zeit ergangen ist, da den Beamten seit Jahr und Tag "Sonderopfer" auf "Sonderopfer" abverlangt worden war, während 2020 - Corona war in seinen Ausmaßen noch kaum abzusehen, als die Entscheidung weitgehend abgeschlossen sein durfte, der russische Angriffkrieg auf die Ukraine erst recht nicht - die Haushalte von Bund und Ländern andere war als heute.
Diese maßgebliche Erkenntnis lautet: 2020 hat das Bundesverfassungsgericht die Grundgehaltssätze in der Bundesrepublik als verfassungsrechtlich so gering angesehen, dass eine auf realitätsgerechter Basis bemessene Mindestalimentation zu diesen eklatanten Fehlbeträgen geführt hat, wie sie für Berlin galten: Aus dem Kopf geschrieben in Berlin zwischen 2009 und 2015 mit einem Nettofehlbetrag von über 60.000,- €.
Was wir uns also nicht vorstellen können, ist, dass das Bundesverfassungsgericht 2020 erlassen hat, dass in Bayern und damit auch im Bund die Grundgehälter in einem sehr Maße angehoben werden müssen, was dazu führen wird, dass Mecklenburg-Vorpommern weiterhin deutlich geringer alimentieren kann, aber - um konkurrenzfähig zu bleiben - sich veranlasst sehen dürfte, die eigene Grundbesoldung so anzuheben, dass sie zu einer erheblich oberhalb der Mindestalimentation liegenden Nettoalimentation führen sollte.
Ich gehe davon aus, dass diese meine Antwort hier einige nicht befriedigen wird. Eine andere liegt für mich allerdings nicht auf der Hand. Denn der Senat wird sich unter der Präsidentschaft von Andreas Voßkuhle viele Gedanken über die Maßstäbe seiner Rechtsprechung gemacht haben, bis er zu der Entscheidung vom 4. Mai 2020 gekommen sein wird.
@ BuBea
Ich verstehe noch nicht ganz, was Du meinst: Versuch das Problem noch einmal umzuformulieren, sodass ich es verstehe!