Autor Thema: [Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation  (Read 163930 times)


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Antw:[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation
« Antwort #121 am: 06.03.2024 10:41 »
Sehr lesenswerte Geschichtsstunde über die Entwicklung der Rechtssprechung zur Besoldung ab Kind Nr. 3

https://www.spiegel.de/politik/der-super-eckmann-a-1f25789c-0002-0001-0000-000013687920

So alt ist das Thema amtsangemessene Alimentation schon, und bei dem 3. Kind hat man es mehr als 40 Jahre nicht auf die Reihe bekommen...

Du machst mit dem Link auf eine historische Entwicklung aufmerksam, die die erwartbare Blaupause für unsere heutige Situation darstellen dürfte, Blablublu. Betrachten wir also mal ein wenig Geschichte, um zu sehen, was offensichtlich nun alsbald vor uns liegt, und betätigen uns so als "rückwärtsgekehrter Prophet" (ich teile den Beitrag mal wieder in zwei Abschnitte, da er die 20.000 Zeichen überschreitet). Denn zunächst einmal bringt der Anspruch des Beamten, dass seine Alimentation per Gesetz zu regeln ist, Begehrlichkeiten mit sich, die beinahe so alt sind, wie dieser hergebrachte Grundsatz des Berufsbeamtentums. Das zu singende Lied ist also jenes von der ewigen Wiederkunft des Gleichen; manche der nachfolgenden Zitate aus der Vergangenheit werden den einen oder anderen an aktuelle erinnern:

Wie hier schon mehrfach dargelegt, sind hinsichtlich des alimentativen Mehrbedarfs ab dem dritten Kind mittlerweile vier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich, die zugleich mit hoher Wahrscheinlichkeit von ihrer Struktur her den Weg weisen für unsere heutige Alimentationssituation. Diese vier Entscheidungen sind in den Jahren 1977 als Verfassungsbeschwerde und ab 1990, 1998 und schließlich 2020 im Parallelverfahren zu unserer aktuellen Entscheidung als konkrete Normenkontrollverfahren ergangen (wobei das Parallelverfahren aus dem Jahr 2020 in gewisser Hinsicht eine Aktualisierung darstellt, ohne dass ich hierauf in diesem Beitrag weiter eingehen möchte).

1977 hat der Senat im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde unter anderem festgestellt, dass die vom Gesetzgeber gewährten familienbezogenen Besoldungskomponenten ab dem dritten Kind nicht hinreichten, um den alimentativen Mehrbedarf ab dem dritten Kind zu decken. Der entsprechende Zuschlag hatte zwischen 1964 und 1971 unverändert monatlich 50,- DM für alle Kinder betragen und war dann mit der gesetzlichen Regelung vom 26.07.1974 auf 52,17 DM für das erste Kind sowie auf 61,05 DM für jeweils das zweite bis fünfte Kind sowie auf 76,04 DM ab dem sechsten Kind erhöht worden. Ab 1975 griff eine Neuregelung als Folge der Neustrukturierung des Kindergelds, auf die hier nicht weiter eingegangen werden muss, die jedoch zu einer deutlichen Abschmelzung der familienbezogenen Besoldungskomponenten aller betroffenen Beamten (also nicht nur hinsichtlich von kinderreichen Beamten) führte; sie wurde 1977 mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen. Den Beschwerdeführern sprach der Senat damals Recht zu, um innerhalb der Komplexität des Verfassungsrechts in der Verfassungsbeschwerde nur zu folgendem Ergebnis gelangen zu können:

"Das Bundesverfassungsgericht mußte sich auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Rechtslage beschränken und es dem Gesetzgeber überlassen, die festgestellte Verfassungswidrigkeit durch eine verfassungsgemäße Regelung zu ersetzen. Diese muß nicht notwendigerweise zu einer Erhöhung der Gesamtausgaben für die Besoldung der Beamten und Soldaten führen." (vgl. hier die Rn. 101 unter https://openjur.de/u/173228.html).

Beide Sätze und also auch der letzte Satz des Zitats waren nun die Konsequenz daraus, dass das Alimentationsprinzip gebietet, das Gehalt als Ganzes zu betrachten, das zu regeln der Besoldungsgesetzgeber im Rahmen seines verfassungsrechtlich bestehenden weiten Entscheidungsspielraum verpflichtet ist: Der Besoldungsgesetzgeber musste also als Folge der Entscheidung nicht zwangsläufig familienbezogene Besoldungskomponenten anheben, sondern er sah sich in der Pflicht, am Ende für eine gesetzliche Regelung zu sorgen, mit der alle Beamten amtsangemessen alimentiert werden mussten. Hier konnte der Senat also im Zuge der Verfahrensart der Verfassungsbeschwerde nur den verfassungswidrigen Zustand feststellen, als dessen Konsequenz sich der Besoldungsgesetzgeber gezwungen sah, ein Gehalt als Ganzes zu gewähren, das zu einer amtsangemessenen Alimentation führen musste.

Folge der Entscheidung war nun allerdings, dass der Besoldungsgesetzgeber 1978 zwar zunächst geplant hatte, die familienbezogenen Besoldungskomponenten wieder deutlich anzuheben, um dann allerdings in den uns heute nicht ganz unbekannten Einsparmodus zurückzufallen. Entsprechend dürfte die nachfolgende Passage dem einen oder anderen hier nicht gänzlich unbekannt vorkommen, wie sie der Zweite Senat 1990 im betreffenden ersten Normenkontrollverfahren wie folgt zusammengefasst hatte:

"Die Bundesregierung habe [als Folge der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung aus dem Jahr 1977] weiter beschlossen, daß das Siebente Bundesbesoldungserhöhungsgesetz insoweit nur für die Zeit bis zum 31. Dezember 1978 Auswirkungen haben könne. Vom 1. Januar 1979 an wären danach die kinderbezogenen Anteile des Ortszuschlags ab Stufe 5 wieder auf die Beträge zu senken, die einer Anhebung um 4,5 v.H. entsprächen. Die Ortszuschlagsanteile wären demnach - wieder - abzusenken in Stufe 5 von 90 DM auf 39,45 DM, in den Stufen 6 und 7 von je 110 DM auf 74,77 DM und in den Stufen 8 ff. von 110 DM auf 93,13 DM. [...] Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern führte in seiner Stellungnahme u.a. aus (a.a.O., S. 9278 [D f.]), einer der schwierigsten Punkte sei die korrekte Erfüllung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur familiengerechten Besoldung gewesen. Die Bundesregierung sei sich dabei eines gewissen, wenn auch geringen, verfassungsrechtlichen Risikos bewußt. Sie gehe aber davon aus, daß der Gesetzentwurf das finanziell und politisch zur Zeit Mögliche vorsehe." (hier die Rn. 19 ff.)

Hinsichtlich des alimentativen Mehrbedarfs hatte der Besoldungsgesetzgeber nun nach der 1977 erlassenen Entscheidung des Senats also zwar eine unmittelbare Entscheidung getroffen, um dann jedoch ab 1979 in alte Fahrwasser zurückzukehren und sich entsprechend bis 1990 weiterhin in weitgehender Untätigkeit zu üben, entsprechend hob der Senat nun im ersten betreffenden Normenkontrollverfahren hervor: "Nachdem der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 im Juli dieses Jahres bekannt geworden war, wäre der Gesetzgeber verpflichtet gewesen, die in dieser Entscheidung als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit Wirkung vom 1. Januar 1977 generell mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen." (hier die Rn. 81)

In diesem Kontext ist nun der Spiegelbeitrag aus dem Jahr 1992 zu sehen; 1990 war eine Entscheidung in einem konkreten Normenkontrollverfahren und nicht mehr in einer Verfassungsbeschwerde ergangen. Der Senat hatte in diesem Rahmen die familienbezogenen Besoldungskomponenten ab dem dritten Kind, wie sie unter anderem 1979 per Gesetz geregelt worden waren, als verfassungswidrig betrachtet und also für den Klagezeitraum von Juli 1976 bis Januar 1981 einen nicht verfassungskonformen Familienzuschlag ab dem dritten Kind festgestellt (vgl. hier weiterhin die Rn. 81).

Allerdings harrte nach 1990 - anders, als das der Spiegelbeitrag vermuten ließe - auch der "Super-Eckermann" seiner gesetzlichen Regelung und fand schließlich nur eine weitgehend "abgespeckte" Version seinen gesetzlichen Widerhall, sodass der Zweite Senat nun seine 1977 und 1990 ausgeformte Rechtsprechung Ende der 1990er Jahre noch weiter konkretisierte, um so seine Besoldungsdogmatik zum alimentativen Mehrbedarf weiter zu präzisieren. Wie also eben festgehalten - und wie es nicht nur für die seit 2021 hinsichtlich der Bundesbesoldung ergangenen Schritte nicht ganz untypisch ist -, wurden erste Reformvorstellungen, wie sie eingangs des Gesetzgebungsverfahren vorhanden waren, in dessen Verlauf zunehmend "abgeschmirgelt", um am Ende vor allem als Kosteneinsparungskonzept bestehen zu bleiben und entsprechend verabschiedet zu werden. Entsprechend hob der Senat 1998 zunächst in seinem ersten Leitsatz hervor, den Besoldungsgesetzgeber an seine verfassungsrechtlichen Pflichten erinnernd:

"Der Dienstherr ist aufgrund des Alimentationsprinzips (Art. 33 Abs. 5 GG) verpflichtet, dem Beamten amtsangemessenen Unterhalt zu leisten. Dies umfaßt auch die Pflicht, die dem Beamten durch seine Familie entstehenden Unterhaltspflichten realitätsgerecht zu berücksichtigen. Damit trägt der Dienstherr nicht zuletzt der Aufgabe des Berufsbeamtentums Rechnung, im politischen Kräftespiel eine stabile, gesetzestreue Verwaltung zu gewährleisten (Bestätigung von BVerfGE 44, 249; 81, 363)." (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 24. November 1998 - 2 BvL 26/91 -, https://www.bverfg.de/e/ls19981124_2bvl002691.html).

Zugleich betrachtete der Senat nun die Sachlage, wie sie sich seit 1977 entwickelt hatte, für den Zeitraum des konkreten Normenkontrollverfahren, der sich von 1988 bis 1996 erstreckte, und fasste sie wie folgt zusammen, auch hier dürften euch hinsichtlich der hervorgehobenen Passagen die Ohren klingeln; denn auch hier findet sich das ewig gleiche Lied des von Beamten zu erbringenden "Sonderopfers", weshalb diese Hervorhebungen sich auch später immer wieder in Gesetzesbegründungen fanden (man beachte dabei die abschließende Passage ab dem Ende der dritten Randnummer, der das Handeln der damaligen Politik nach 1992 zusammenfasst, wie es sich in dem Spiegelbeitrag im vorletzten Absatz abgezeichnet hatte):

"Durch die Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetze 1987, 1988, 1991, 1992, 1993, 1994 und 1995 paßte der Gesetzgeber die Besoldungs- und Versorgungsbezüge der Beamten, Richter, Soldaten und Versorgungsempfänger der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse an. Die Erhöhungen traten im Vergleich zu den Tarifabschlüssen für den Arbeitnehmerbereich des öffentlichen Dienstes teilweise mit zeitlichen Verzögerungen in Kraft. Dadurch sollte ein spürbarer besonderer Beitrag zum Ausgleich der Kostenbelastungen geleistet werden, die nach der Einigung Deutschlands durch den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern entstanden waren (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 93, BTDrucks 12/5472, S. 21). Zudem sollte durch das zeitliche Hinausschieben der linearen Erhöhungen ein besonderer Beitrag zur Haushaltsentlastung erbracht werden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 94, BTDrucks 12/7706, S. 23). Der Ortszuschlag ab dem dritten Kind wurde über die allgemeinen Anpassungen hinaus nicht erhöht, obgleich das nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 (BVerfGE 44, 249) und vom 22. März 1990 (BVerfGE 81, 363) geboten war. Dort hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile vom dritten Kind an hinter den verfassungsrechtlichen Erfordernissen zurückgeblieben waren (vgl. BVerfGE 44, 249 <279>; 81, 363 <379>). Die Bundesregierung begründete ihre Entscheidung, die verfassungsgerichtlichen Vorgaben nicht umzusetzen, mit dem Zusammenhang von kinderbezogenen Besoldungsbestandteilen und der Neuordnung des Familienleistungsausgleichs, dessen endgültige Ausgestaltung erst feststehen müsse (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BBVAnpG 95; BTDrucks 13/2210, S. 22).

Erst mit dem Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz) vom 24. Februar 1997 (BGBl I S. 322) zog der Bundesgesetzgeber für den Zeitraum vom 1. Januar 1977 bis 31. Dezember 1989 Folgerungen aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990. Kläger und Widerspruchsführer, die ihren Anspruch innerhalb des genannten Zeitraums geltend gemacht haben, ohne daß über diesen schon abschließend entschieden worden ist, erhalten für das dritte und jedes weitere im Ortszuschlag zu berücksichtigende Kind einen monatlichen Erhöhungsbetrag von 50,-- DM (Art. 14 § 3 Reformgesetz)." (Rn. 3 f.; Hervorhebungen durch mich)

Vergleicht man nun also die 1997 ergangene rückwirkende Erhöhung um monatlich 50,- € mit den Beträgen, die der Spiegelbeitrag auf Basis des Berichts der Reformkommmission 1992 als Teil der damaligen Planungen genannt hat, dann findet man hier weiterhin genau ein solches Handeln, wie wir es seit 2021 nun in nicht unähnlicher Form in den mittlerweile 17 Rechtskreisen finden: Nicht zuvörderst das Verfassungsrecht leitet(e) das Handeln des Gesetzgebers, sondern es wurde und wird vor allem durch das Interessen an Kosteneinsparungen dominiert. Weiterhin ging es also so wie heute vor allem darum, möglichst geringste Folgen aus den Rechtsprechung des Senats zu ziehen, um so weiterhin Kosteneinsparungen vorzunehmen, von denen der Gesetzgeber auch damals wusste, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum verfassungskonform sein konnten.

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Antw:[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation
« Antwort #122 am: 06.03.2024 10:44 »
Die Entwicklung der Besloldung ab Kind Nr.3, Teil Zwei

Um dem entgegenzuwirken, hatte Karlsruhe in den genannten drei Entscheidungen der Jahre 1977, 1990 und 1998 nun hinsichtlich des alimentativen Mehrbedarfs nach und nach den 15 %igen Mindestabstand zum Grundsicherungsniveaus ausgeformt, der 1998 also zunächst nur hier - für den alimentativen Mehrbedarf - unmittelbare Realität wurde (vgl. den Zweiten Leitsatz und dann ab Rn. 57) und den der Senat dann in der aktuellen Entscheidung nun als einen hergebrachten Grundsatz auf das Alimentationsprinzip insgesamt übertrug, um so seine neue Dogmatik zum Besoldungsrecht weiter auszuformen: Die Sprengkraft dieser Entscheidung zeigt sich nun darin, dass sich seit dem 04. Mai 2020 ein verfassungskonformes Alimentationsniveau als deutlich höher darstellt, als man das bis dahin vermuten konnte. Auch hier wird die dogmatische Entwicklung der bundesverfassungsrichtlichen Rechtsprechung deutlich, die nur erkennbar wird, wenn man die konkreten Entscheidungen historisch-genetisch und also systematisch betrachtet.

1998 hat der Senat seine Rechtsprechung dabei insbesondere auf den Inhalt des Reformpapiers gestützt, das Grundlage für den Spiegelbericht gewesen ist. Er hat also entsprechend den folgenden Bezug genommen, indem er ausgehend von dem in den Randnummern zuvor festgelegten 15 %igen Abstand des alimentativen Mehrbedarfs vom Grundsicherungsniveaus feststellte:

"Diese Vergleichsberechnungen zeigen, daß die Besoldung verheirateter Beamter mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern in den die Vorlageverfahren betreffenden Besoldungsgruppen in bezug auf das dritte und jedes weitere Kind den verfassungsgebotenen Mindestabstand von 15 v.H. zur Sozialhilfe nicht eingehalten hat. Es wurde nicht einmal der sozialhilferechtliche Gesamtbedarf für ein Kind durch die bei steigender Kinderzahl gewährten Nettomehrbeträge ausgeglichen. Dies gilt in den Jahren 1988 und 1989 für die hier allein zu überprüfende Besoldungsgruppe B 2 auch unter Hinzurechnung von 50,-- DM je Kind im Monat (Art. 14 § 3 Reformgesetz).

Nach alledem hat der Gesetzgeber den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten. Er ist mit den zur Prüfung vorgelegten Regelungen deutlich unterhalb der Grenze geblieben, welche die den Beamten der jeweiligen Besoldungsgruppen mit mehr als zwei Kindern geschuldete Alimentation nicht unterschreiten darf.

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch den 'Bericht der Besoldungskommission Bund/Länder [s. den Spiegelbeitrag; ST.] über besoldungsrechtliche Folgerungen für eine verfassungskonforme kinderbezogene Besoldung aus dem Beschluß des BVerfG vom 22. März 1990 (2 BvL 1/86)' aus dem Jahre 1992 (BLK-Bericht 1992). Dort wird eine erhebliche Unteralimentierung über den gesamten Zeitraum 1. Februar 1981 bis 31. Dezember 1989 und ab 1. Januar 1990 festgestellt (vgl. S. 24 des Berichts). Auch in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1995 (BTDrucks 13/2210, S. 22) wird ausgeführt, daß 'die im Hinblick auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 - 2 BvL 1/86 - zur amtsangemessenen Alimentation von Beamten mit drei und mehr Kindern gebotene Erhöhung des Ortszuschlags ab dem dritten Kind (...) noch nicht umgesetzt werden' konnte." (Rn. 62 ff.; Hervorhebungen durch mich)

Und damit waren wir 1998 - 21 Jahre nach der Verfassungsbeschwerde aus dem Jahr 1977 und acht Jahre nach dem ersten konkreten Normenkontrollverfahren - hinsichtlich des alimentativen Mehrbedarfs weitgehend dort angekommen, wo wir uns heute hinsichtlich des Alimentationsprinzips ebenfalls befinden, indem der Senat dort das fortgesetzt aufrechterhaltene verfassungswidrige Handeln des Besoldungsgesetzgebers feststellte und den Sachverhalt entsprechend wie folgt zusammenfasste:

"In seinem Beschluß vom 22. März 1990 (vgl. BVerfGE 81, 363 <383 ff.>) hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, der Gesetzgeber sei - nachdem die Entscheidung vom 30. März 1977 (BVerfGE 44, 249) im Juli desselben Jahres bekannt geworden war - verpflichtet gewesen, die in jener Entscheidung als seit dem 1. Januar 1975 verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit Wirkung vom 1. Januar 1977 mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Allerdings sei eine allgemeine rückwirkende Behebung dieses Verfassungsverstoßes nicht (mehr) geboten gewesen. Die rückwirkende Korrektur habe sich auf solche Beamte beschränken können, die ihren Anspruch auf amtsangemessene Alimentation zeitnah, also während des laufenden Haushaltsjahres, gerichtlich oder durch Widerspruch geltend gemacht hätten (vgl. BVerfGE 81, 363 <385>). Das Bundesverfassungsgericht hat dies aus den Besonderheiten des Beamtenverhältnisses gefolgert (vgl. BVerfGE 81, 363 <384 ff.>). Hieran wird festgehalten." (Rn. 67)

Denn das Ergebnis war hier offensichtlich dasselbe, wie es sich aktuell für uns heute darstellt, nämlich dass nun alsbald mindestens Niedersachsen, Berlin, Sachsen und Baden-Württemberg die Vollstreckungsanordnung drohen dürfte, die nicht umsonst seit 2015 nach und nach dazu verpflichtet worden sind, eine amtsangemessene und also verfassungskonforme Alimentation ihrer Richter, Staatsanwälte und Beamte zu gewährleisten und das in ihren Gesetzgebungsmaterialien hinreichend zu dokumentieren. Entsprechend hob der Senat 1998 hinsichtlichdes alimentativen Mehrbedarfs hervor:

"Für die hier zu entscheidenden Verfahren folgt daraus:

1. Soweit Besoldungsansprüche der Jahre 1988 und 1989 in Rede stehen (Verfahren 2 BvL 26/91), war der Gesetzgeber aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 (BVerfGE 81, 363) gegenüber solchen Beamten, die ihre Ansprüche zeitnah geltend gemacht hatten, verpflichtet, eine der Verfassung entsprechende Besoldungsrechtslage herzustellen. Dieser Verpflichtung ist er nicht nachgekommen. Der mittlerweile in Art. 14 § 3 Abs. 1 des am 1. Juli 1997 in Kraft getretenen Reformgesetzes vorgesehene Erhöhungsbetrag von 50,-- DM je Kind und Monat ist hierzu nicht geeignet.

2. Für Besoldungsansprüche ab 1990 gilt: Der Gesetzgeber war - nachdem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1990 im Juli 1990 bekannt geworden war - verpflichtet, die in dieser Entscheidung als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit Wirkung zum 1. Januar 1990 mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Dies ist nicht geschehen.

3. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die in dieser Entscheidung als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage mit der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen. Eine allgemeine rückwirkende Behebung des Verfassungsverstoßes ist mit Blick auf die bereits im Beschluß vom 22. März 1990 näher erläuterten Besonderheiten des Beamtenverhältnisses nicht geboten. Eine rückwirkende Behebung ist jedoch - jeweils soweit der Anspruch auf amtsangemessene Alimentation zeitnah gerichtlich geltend gemacht worden ist - sowohl hinsichtlich der Kläger der Ausgangsverfahren als auch solcher Kläger, über deren Anspruch noch nicht abschließend entschieden worden ist, erforderlich. Eine später eintretende Rechtshängigkeit ist unschädlich, wenn die Klage wegen der für ein erforderliches Vorverfahren benötigten Zeit nicht rechtzeitig erhoben werden konnte." (Rn. 69 ff.; Hervorhebungen durch mich)

Dabei hat sich im Zuge der bis heute ausgeformten neuen Besoldungsdogmatik ebenfalls seit 2018 herauskristallisiert - anders, als es noch 1998 ersichtlich war -, dass sich die rückwirkende Behebung nicht allein auf Kläger, sondern dass sie sich ausnahmslos auch auf Widerspruchsführer erstreckt, die mit den statthaften Rechtsbehelfen entsprechend tätig geworden sind. Das war zwar auch zuvor bereits vorauszusetzen, ist mittlerweile allerdings eindeutig geklärt.

Im Ergebnis wurde nun als Folge der wiederholten Missachtung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung der Gesetzgeber mit der Entscheidung aus dem Jahr 1998 erneut verpflichtet, vergangenheitsbezogen ab 1990 hinsichtlich des alimentativen Mehrbedarfs binnen Jahresfrist bis zum 31.12.1999 eine verfassungskonforme Regelung herzustellen. Darüber hinaus wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf Grundlage von § 35 BVerfGG zur Vollstreckung der Entscheidung befugt, also in Anwendung des in der Entscheidung klargestellten Bemessungsverfahrens dazu ermächtigt, Klägern für den Klagezeitraum 1988 bis 1996 entsprechende Beträge zuzusprechen, mit denen der alimentative Mehrbedarf ab dem dritten Kind gesichert werden konnte:

"Die Entscheidungsformel zu 2. beruht auf § 35 BVerfGG. Die Maßnahme ist geboten, weil der Gesetzgeber trotz der ihm in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1977 und vom 22. März 1990 gegebenen Handlungsaufträge die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile von Beamten mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern bis zum Jahre 1996 (und möglicherweise auch danach) nicht in einer mit dem Grundsatz der Alimentation vereinbaren Höhe festgesetzt hat. Erfüllt der Gesetzgeber seine durch diese Entscheidung erneut festgestellte Verpflichtung nicht bis zum 31. Dezember 1999, so sind die Dienstherren verpflichtet, für das dritte und jedes weitere unterhaltsberechtigte Kind familienbezogene Gehaltsbestandteile in Höhe von 115 v.H. des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes zu gewähren (vgl. oben C. III. 3.). Die Fachgerichte sind befugt, familienbezogene Gehaltsbestandteile nach diesem Maßstab zuzusprechen." (Rn. 72; Hervorhebungen durch mich)

In Folge dessen hat der Gesetzgeber dann den alimentativen Mehrbedarf über längere Zeit offensichtlich amtsangemessen abgegolten, wobei auch hier mit der 2006 erfolgten Reföderalisierung des Besoldungsrechts in Länderhand nach und nach ein weiteres Mal das "alte Lied" zu erklingen begann, das dann die genannte Parellelentscheidung vom Mai 2020 - 2 BvL 6/17 - notwendig machte.

Ergo: Das alte Lied klingt immer wieder neu, jedoch weitgehend auf derselben Rille (das hat auch Spotify nicht ändern können). Wie 1998 dürften wir auch jetzt weitgehend am Ausgangspunkt zentraler Änderungen stehen, die verfassungsrechtlich nur als Folge einer wiederholt nachgewiesenen Untätigkeit (bzw. eines Handelns, das ihm gleichkommt) möglich sind. Der § 35 BVerfGG dürfte jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht zur Anwendung kommen - jedoch wenn nach den angekündigten Entscheidungen mindestens Sachsen, Berlin, Niedersachsen und Baden-Württemberg auf die Ankündigungsliste gesetzt werden, werden sie damit rechnen dürfen, dass sie die Vollstreckungsanordnung trifft, wenn sie nicht zuvor selbst anfangen wollten, hinsichtlich der von ihnen gewährten Besoldung und Alimentation wieder in den Rahmen der Verfassung zurückzukehren. Dafür gibt es allerdings weder bei diesen vier noch bei allen weiteren Besoldungsgesetzgeber keinerlei Anzeichen.

PolareuD

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Antw:[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation
« Antwort #123 am: 13.03.2024 21:15 »
Jahresvorschau 2024 des BVerfG

2 BvL 2/16, Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen
2 BvL 4/16,    zu der Frage, ob einzelne Vorschriften des bremischen Besoldungsrechts zur Höhe der Besoldung
2 BvL 5/16,    für verschiedene Besoldungsgruppen der Besoldungsordnungen A, C und R in den Jahren 2013 und
2 BvL 6/16.    2014 wegen Verstoßes gegen Art. 33 Abs. 5 GG verfassungswidrig sind.


2 BvL 5/18,    Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts zu der Frage, ob einzelne
2 BvL 6/18,    Vorschriften des Berliner Besoldungsrechts zur Höhe der Besoldung für verschiedene
2 BvL 7/18,    Besoldungsgruppen der Besoldungsordnung A in den Jahren 2010 bis 2015 wegen Verstoßes gegen
2 BvL 8/18,    Art. 33 Abs. 5 GG verfassungswidrig sind.
2 BvL 9/18

Die Verfahren 2 BvL 3/16 (Bremen), 2 BvL 13/18 (Schleswig-Holstein) und 2 BvL 5/19 (Niedersachsen) werden in der Jahresvorschau 2024 nicht mehr aufgeführt.

https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresvorausschau/vs_2024/vorausschau_2024.html


PolareuD

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Antw:[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation
« Antwort #125 am: 18.03.2024 18:20 »
Erfahrungswerte mit den im Sammelthread genannten Kanzleien.

Es kam ja bereits die Frage auf, welche Kanzlei man ggf für eine rechtliche Vertretung beauftragen möchte. Auf Seite 8 im Sammelthread sind ja Beispiele angeführt. Ich möchte kurz eine Erfahrung meinerseits schildern. Die verlinkte Kanzlei Rühmke und Merkle, ist mittlerweile scheinbar nur noch als Einzelanwalt tätig. Ob ein Interesse zur Übernahme eines Mandats für einen Bundesbeamten besteht, habe ich gefragt (Abrechnung zu geregelten Sätzen mit Rechtsschutzversicherung). Er wollte das Mandat nicht übernehmen, da soviel Zahlen recherchiert werden müssen (er ist  auf Berliner Besoldung spezialisiert). Aufwand und Erstattung stehen für Bundesbeamte sozusagen in keinem guten Verhältnis. Auch deutete er etwas Skepsis an zu der Frage der unmittelbaren Betroffenheit von 2 bvl 4/18 für den höheren Dienst (trotz Binnenabstandsgebot), da er ohne genaue Kenntnis der Bundesbesoldung davon ausging, dass diese ja oberhalb der Berliner Besoldung liegt und nicht so stark verletzt sei (ich nannte als Zeitraum ab 2017).
Ich vermute daher diese Kanzlei sollte aus der Liste im Sammelthread entfernt werden.

https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,120049.msg333339.html#msg333339

PolareuD

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Antw:[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation
« Antwort #126 am: 18.03.2024 18:48 »
Zur Info: Der Sammelthread dient nur zur möglichst übersichtlichen Darstellung der wichtigsten Informationen rund um das Thema "Amtsangemessene Alimentation". Fragen und Diskussionen sollen im dazugehörigen Diskussionsthread "Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)" gestellt werden.
https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,114508.0.html

Bitte beachten!


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Antw:[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation
« Antwort #128 am: 30.03.2024 08:56 »
Einschätzungen zur Einführung von Ortszuschlägen auf Basis des Wohngeldgesetzes (Mietenstufen)


5. Hier sind wir uns anscheinend nicht einig: mMn erlaubt und zeigt das BVerfG in seinem Beschluss, dass auch über höhere Familenzuschläge und der (Wieder-)Einführung von Ortszuschlägen gestaffelt nach Mietstufen die tatsächlichen Lebensbedingungen berücksichtigt werden können und dieser 115% Abstand dadurch erreicht werden kann.

Es ist richtig und sinnvoll, Moabit, dass Du versuchst, das Thema zu greifen - aber die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eben deutlich komplexer und muss grundsätzlich als Ganzes gelesen werden, um sie zu durchdringen, was ich an diesem einen Punkt festmachen will, ohne dass ich die Zeit finden werde, dass nun zeitlich und vom Umfang her unendlich lang darzulegen und zu diskutieren (wenn ich nicht um Rat gefragt worden wäre, hätte ich mich nicht in eure Diskussion eingeschaltet, da ich an verschiedenen anderen Themen sitze, die zeitlich an Terminen gebunden sind; so betrachtet wäre es für mich besser gewesen, die Bitte um Rat zu ignorieren, um die Zeit zu nutzen, weiter die Terminarbeiten voranzutreiben).

Das, was Du hier schreibst, hört sich schlüssig an, wenn man allein die Passage liest, auf die Du Dich beziehst. Aber so darf man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht eben nicht lesen, ohne die dahinter liegende Auslegungsmethodik bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zu verfehlen - und dass diese Methodik hier im Forum wiederkehrend grundsätzlich und nicht selten grundlegend verfehlt wird, hat damit zu tun, dass man sie ohne hinreichende Beschäftigung mit juristischer Auslegung gar nicht bemerken kann oder nicht bemerkt. Nehmen wir also mal die Passage, um die es geht, und legen sie aus, ohne dass das hier wie gesagt erschöpfend geschehen könnte. Denn dazu müsste man nun einen umfangreicheren fachwissenschaftlichen Beitrag erarbeiten, was man nicht in wenigen Minuten (oder Stunden) erreichen kann, sondern in der Regel zeitlich eher in Wochen zu messen ist.

Am Ende einer umfassenden Betrachtung der kalten Unterkunftskosten, die mit der Randnummer 55 einsetzt und die ab da als Ganzes zu betrachten ist und es also zu durchdringen gilt, stellt das Bundesverfassungsgericht in der Begründung der aktuellen Entscheidung in den Randnummern 60 f. unter der methodischen Stufengliederung  C. I. 2. e) bb) (3) (c) (dd) folgende Gründe aus:

"Anders als die Regierung des Saarlandes in ihrer Stellungnahme ausführt, kann der Dienstherr nicht erwarten, dass Beamte der untersten Besoldungsgruppe ihren Wohnsitz 'amtsangemessen' in dem Ort wählen, der landesweit die niedrigsten Wohnkosten aufweist. Diese Überlegung entfernt sich unzulässig vom Grundsicherungsrecht, das die freie Wohnortwahl gewährleistet, insbesondere auch den Umzug in den Vergleichsraum mit den höchsten Wohnkosten. Unabhängig davon dürfen Beamte weder ihre Dienststelle noch ihren Wohnort beliebig wählen. Der Bestimmung der Dienststelle durch den Dienstherrn können nur schwerwiegende persönliche Gründe oder außergewöhnliche Härten entgegengehalten werden (vgl. Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, § 28 Rn. 76 <November 2009> m.w.N.). Die Beamten sind zudem auch ohne ausdrückliche Anordnung einer Residenzpflicht verpflichtet, ihre Wohnung so zu nehmen, dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird (vgl. § 72 Abs. 1 BBG sowie § 69 LBesG BE).

Der Besoldungsgesetzgeber ist allerdings nicht verpflichtet, die Mindestbesoldung eines Beamten oder Richters auch dann an den regionalen Höchstwerten auszurichten, wenn dieser hiervon gar nicht betroffen ist. Der Gesetzgeber muss nicht pauschalieren, sondern kann den maßgeblichen Bedarf individuell oder gruppenbezogen erfassen (vgl. BVerfGE 87, 153 <172>). Insbesondere ist er frei, Besoldungsbestandteile an die regionalen Lebenshaltungskosten anzuknüpfen, etwa durch (Wieder-)Einführung eines an den örtlichen Wohnkosten orientierten (Orts-)Zuschlags (vgl. hierzu BVerfGE 117, 330 <345 ff.>), wie es derzeit regelmäßig bei einer Auslandsverwendung (vgl. § 1b Abs. 1 Nr. 1 LBesG BE i.V.m. § 52 Abs. 1 BBesG i.d.F. vom 6. August 2002) und teilweise auch innerhalb eines Landes (vgl. Art. 94 BayBesG) praktiziert wird. Eine an Wohnsitz oder Dienstort anknüpfende Abstufung ist mit dem Alimentationsprinzip vereinbar, sofern sie sich vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGE 107, 218 <238, 243 ff.>; 117, 330 <350 f.>). Mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, stünde ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit."

Will man diese Passage der Entscheidungsbegründung nun sachlich hinreichend durchdringen, muss man sie zunächst einmal zusammenfassen. In der sich anschließenden Interpretation darf man dann insbesondere nicht die weiteren Verweise in runden Klammern ignorieren, in denen das Bundesverfassungsgericht mit Rückgriff auf die amtliche Sammlung seiner Entscheidungen (BVerfGE) die aktuelle Begründung in seine bisherige Rechtsprechung einordnet, um so den Platz der jeweiligen konkreten Entscheidungsbegründung in der ggf. vorhandenen Dogmatik herausstellen zu können. Geht man so vor, erstellt man am Ende einen Fachbeitrag, der zur Unterstützung der eigenen Argumentation genauso wie das Bundesverfassungsgericht selbst (jenes allerdings gezielt nur in eingeschränkter Form) auf die für die Thematik vorliegende Fachliteratur zurückgreift.

Vollzieht man also ein methodisches Vorgehen, stellt man fest, dass das, was Du im Zitat darlegst, sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sachlich so nicht findet. Ich fasse nun zunächst mal diese Passage überblicksmäßig zusammen, was allein schon eine unstatthafte Vergröberung darstellt, weil ich eben nur überblicksmäßig vorgehe.

I. Zusammenfassung

Die Rn. 60 hebt hinsichtlich der Wohnortswahl von Beamten zunächst das Sonderrechtsverhältnis hervor, dem der Beamte als solcher auch hinsichtlich seiner Unterkunftswahl unterworfen ist und das sein Grundrecht auf Freizügigkeit einschränkt. Innerhalb der hinsichtlich seiner Wohnortswahl eingeschränkten Freizügigkeit darf kein Beamter auf Wohnorte mit niedrigen oder gar niedrigsten Wohnkosten verwiesen werden, sondern hat er das Recht, einen Wohnort mit ggf. auch höchsten Unterkunftskosten zu wählen, solange er mit dieser Wahl weiterhin seinen Dienstgeschäften ordnungsgemäß nachkommen kann. Diese Grundsätze darf der Besoldungsgesetzgeber bei der Betrachtung der kalten Unterkunftskosten im Rahmen des Mindestabstandsgebots nicht unbetrachtet lassen.

Sein Recht besteht hingegen darin, so führt das die Rn. 61 aus, dass er die konkrete Höhe der jeweiligen Unterkunftskosten eines jeden Beamten betrachten und das ebenso auch für wesensgleiche Beamtengruppen gleichheitsgerecht vollziehen darf. Dabei darf er aber nicht außer Acht lassen, dass gegenwärtig auf dem Wohnungsmarkt weiterhin ein erhebliches Preisgefälle für existenznotwendige Aufwendungen gegeben ist, weshalb ein einheitlicher Durchschnittswert die verschiedenen Bedarfsgruppen nicht realitätsgerecht erfasst (vgl. BVerfGE 87, 153 <172>; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/1992/09/ls19920925_2bvl000591.html). Der Besoldungsgesetzgeber kann also die Besoldung von Beamten bspw. durch einen (Orts-)Zuschlag differenzieren und darf dabei analog zum Steuergesetzgeber individuell oder gruppenbezogen vorgehen. Er kann also in einer entsprechenden Besoldungsdifferenzierung an die regionalen Lebenshaltungskosten anknüpfen, denen der jeweilige Beamte oder die jeweilige Beamtengruppe unterliegt, hat dann aber sowohl ein realitätsgerechtes Vorgehen zu garantieren, wie das offensichtlich in zwei von der Begründung in der Rn. 61 genannten Beispielen 2020 der Fall war, als auch den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 zu beachten, also Anlass und Ausmaß der Differenzierung sachgerecht vorzunehmen (BVerfGE 107, 218 <238>; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2003/02/ls20030212_2bvl000300.html), was bedeutet, dass Beamte mit gleichen oder gleichwertigen Ämtern zwar in der Regel gleich zu besolden sind, dies jedoch nicht uneingeschränkt gilt und die Zulässigkeit einer Differenzierung seine Grenze darin findet, ob nach dem Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG ein sachlich gerechtfertigter Grund vorliegt (ebd., Rn. 87), was sich insbesondere auf einmalige Sonderlagen bezieht (ebd., Rn. 88 und 91 ff.) - jene ist heute im gesamten Bundesgebiet nicht mehr gegeben (ebd., Rn. 95) [und nach aktuellen Entscheidungen 20 Jahre später nur umso mehr] - und solange er dabei die Grenzen einer zulässigen Typisierung nicht überschreitet (ebd., Rn. 92). So verstanden hat er nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 1 GG durchaus das Recht, aus der Vielzahl der Lebenssachverhalte die Tatbestandsmerkmale auszuwählen, die für die Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgebend sein sollen; ihm muss dabei ebenso zugestanden werden, auch das gesamte Besoldungsgefüge und übergreifende Gesichtspunkte in den Blick zu nehmen (BVerfGE 117, 330 <350 f.>).

II. Interpretation

Auf Grundlage dieser Betrachtungen, die für den Besoldungsgesetzgeber bindend sind, führt der Senat schließlich aus, dass ihm - dem Besoldungsgesetzgeber - mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, ein leicht zu handhabendes Kriterium zur Besoldunfsdifferenzierung bereitstehen würde.

Und worin ist nun Deine Zusammenfassung nicht korrekt? Sie zeigt sich in der auch von Bayern und NRW nicht sachgerechten Übertragung, dass "der (Wieder-)Einführung von Ortszuschlägen gestaffelt nach Mietstufen" durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht nichts im Wege stehen sollte (Hervorhebung durch mich).

Denn eine solche Staffelung lässt sich den Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts nicht entnehmen, das vielmehr am Ende seiner Begründung nur feststellt: "Mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, stünde ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit."

Das Bundesverfassungsgericht sagt also hier nichts zu einer Staffelung, sondern hebt nur die Mietenstufen des Wohngeldgesetzes als ein leicht zu handhabendes Kriterium hervor, ohne eine Aussage zu dessen konkreten Anwendung und also auch keine zu einer Staffelung zu machen. Es lässt dabei zugleich offen, ob es weitere handhabbare Instrumente gibt, was aber offensichtlich nicht zuletzt durch dieses Offenlassen möglich sein dürfte.

Diese Konkretisierung und ggf. eine Staffelung, die sich an jenem leicht zu händelnden Kriterium orientiert, haben nun also die in den letzten Absätzen zusammengefassten Entscheidungsbegründungen nachzuvollziehen und dürfen dabei zugleich nicht vergessen, dass der Zweite Senat an einer weiteren Stelle seiner Begründung hervorgehoben hat, dass jene Mietenstufen des Wohngeldgesetzes per se nicht dazu geeignet seien, das Maß einer Mindestalimentation zu bemessen, da hier "nach Fallzahlen gewichtete Durchschnittswert zugrunde gelegt" werden würden (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 56; Hervorhebung durch mich). Daran schließen nun die Rn. 60 f. gezielt an, indem sie eingangs der Rn. 61 über den Verweis auf die "Mindestbesoldung" den direkten Bezug zur Besoldungsdifferenzierung herstellt und dabei im Rückgriff auf BVerfGE 87, 153 (172) ebenso hervorhebt, dass gegenwärtig auf dem Wohnungsmarkt weiterhin ein erhebliches Preisgefälle für existenznotwendige Aufwendungen gegeben ist, weshalb ein einheitlicher Durchschnittswert die verschiedenen Bedarfsgruppen nicht realitätsgerecht erfasst. Damit wird zunächst einmal festgehalten, dass die konkreten Mietenstufe ihrer Höhe nach ungeeignet wären, um die Mindestalimentation zu bemessen, da sie keine realitätsgerechte Betrachtung zulassen würden. In der Rn. 56 mündet dieser Zusammenhang in dem Verdikt: Die "angemessene Alimentation muss durch das Beamtengehalt selbst gewahrt werden"; der Besoldungsgesetzgeber könne sich "seiner aus dem Alimentationsprinzip ergebenden Verpflichtung aber nicht mit Blick auf Sozialleistungsansprüche entledigen".

Auch unter diesem Bezug stünde nun mit "den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, [...] ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit". Dies hätte darüber hinaus neben dem ungeeigneten Charakter der jeweiligen Höhe der einzelnen Mietenstufe weiterhin zu beachten, was der Zweite Senat bindend hinsichtlich des allgemeinen Gleichheitssatzes sagt. Er stellt nun hinsichtlich der Höhe eines wieder eingeführten (Orts-)Zuschlags zunächst fest, dass dieser an die regionalen Lebenshaltungskosten anzuknüpfen hätte, die also nicht anhand von Durchschnittswerten zu betrachten, sondern realitätsgerecht in den Blick zu nehmen wären, um so individuell oder gruppenbezogen einen sachgerechten Betrag zu gewähren. Der Besoldungsgesetzgeber sieht sich also, sofern er einen (Orts)Zuschlag neu einführen will, zunächst einmal auch hier gezwungen, die regionalen Lebenshaltungskosten - also hier: die jeweiligen kalten Unterkunftskosten - realitätsgerecht zu betrachten, ohne dabei aber auf die Durchschnittswerte der Mietenstufen zurückgreifen zu können, da sie sich als nicht realitätsgerecht darstellen.

Und damit bleibt die Frage nach einer möglichen Staffelung eines solchen (Orts-)Zuschlags, zu dem das Bundesverfassungsgericht wie gezeigt keine Aussagen macht, die also - sofern der Besoldungsgesetzgeber eine solche Staffelung vornehmen wollte - sachgerecht zu begründen wäre, ohne dass sich eine solche Staffelung explizit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnehmen ließe. Dabei hat er wie oben zusammengefasst durchaus das Recht zur Besoldungsifferenzierung, solange er dabei die Grenzen einer zulässigen Typisierung nicht überschreitet. So verstanden hat er nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 1 GG durchaus das Recht, aus der Vielzahl der Lebenssachverhalte die Tatbestandsmerkmale auszuwählen, die für die Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgebend sein sollen und muss ihm dabei ebenso zugestanden werden, auch das gesamte Besoldungsgefüge und übergreifende Gesichtspunkte in den Blick nehmen zu können. Er darf dabei aber unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht die Grenzen einer zulässigen Typisierung überschreitet, was bedeutet, dass Beamte mit gleichen oder gleichwertigen Ämtern in der Regel gleich zu besolden sind, was bedeutet, dass auch bei der Bemessung von neu einzuführenden (Ort-)Zuschlägen am Ende immer das Amt der maßgebliche Bezugspunkt bleiben muss, womit wir wieder bei dem wären, was ich gestern im Hinblick auf weitere Zulagen geschrieben habe, nämlich dass sich von der Höhe her regional stark gespreizte (Orts-)Zulagen sachlich nicht rechtfertigen lassen, da hier ein doppeltes Abgrenzungsproblem gegeben ist:

- Zunächst einmal sind auch die Wohnkosten wie die Lebenshaltungskosten des Beamten als solche aus seiner Grundbesoldung zu begleichen. Der Lebensstandard des Beamten vollzieht sich dabei amtsangemessen nach der Wertigkeit seines Amtes. Von ihrer Höhe her stark unterschiedliche (Orts-)Zuschläge, die diesen Unterschied verwischen, sind entsprechend nicht mit dem Alimentationsprinzip vereinbar. Der Lebensstandard des Beamten mit bis zu zwei Kindern ist weiterhin vor allem aus dem Grundgehalt zu vollziehen.

- Darüber hinaus findet die Orientierung an den sieben Mietenstufen des Wohngeldgesetzes ihre Grenze darin, dass Regionen mit deutlich unterschiedlichen Mietenstufen direkt aneinander grenzen. Damit aber bleiben die Mietenstufen auch hier ungeeignet, realitätsgerechte Abgrenzungen der tatsächlichen Unterkunftskosten abzubilden. Denn ggf. finden sich im Grenzbereich zwischen zwei Kreisen mit deutlich unterschiedlichen Mietenstufen tatsächlich kaum wirklich unterschiedliche Unterkunftskosten, was zur Folge hat, dass eine solche Anknüpfung an die Mietenstufen Beamten, die dasselbe Amt bekleiden, ggf. deutlich unterschiedlich besoldeten, worin sich dann wie oben dargelegt der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 zeigte.

Der langen Rede kurzer Sinn: Es ist dem Besoldungsgesetzgeber seit jeher gestattet, (Orts-)Zuschläge zu gewähren - diese können aber ihrer Höhe nach einen nur weitgehend geringen Anteil am Besoldungsniveau ausmachen, sodass mit ihnen nur eine recht geringe Besoldungsdifferenzierung möglich ist - und zwar anders, als das bspw. Bayern oder NRW vollziehen. Etwas anders ist der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu entnehmen, was - das darf man voraussetzen - auch den Juristen in den Dienstrechtsministerien von Bund und Ländern klar ist, ohne dass sie sich gegen den politischen Willen durchsetzen könnten, mit sachlich nicht zu rechtfertigenden Höhen von Zuschlägen das Alimentationsprinzip zu einer Art sozialrechtlichem Bedarfsprinzip zu verkürzen, das sich vor der Verfassung sachlich nicht rechtfertigen lässt.

PolareuD

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Antw:[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation
« Antwort #129 am: 31.03.2024 13:24 »
Qualitativer Unterschied zwischen einerseits Ort-, Amts- und Stellenzulagen und andererseits Familienzulagen

Meine Ausführungen hinsichtlich eines neu einzuführenden (Orts-)Zuschlags haben jeweils Beamte betrachtet, die sich hinsichtlich ihres Amts und Familienstands als wesentlich Gleiche darstellen, PolareuD. Für sie gilt es, die gestern oder vorgestern zitierte "neue" Formel des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, also dass ein Gleichheitsgrundrecht "vor allem dann verletzt [ist], wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten" (zitiert nach Angelika Nußberger in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 3, Rn. 13). In der "alten" Formel wurde das mit dem Satz gefasst, dass wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu betrachten ist.

Zwischen beiden Gruppen von Normadressaten besteht nun kein Unterschied von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnte, da sich die tatsächlichen Wohnkosten in Taufkirchen nicht signifikant von denen in Ober- und Unterhachingen oder Ottobrunn unterscheiden, von denen Taufkirchen umgeben ist. Taufkirchen wird nun deshalb die Mietenstufe II zugeordnet, weil es dort eine hohe Zahl an Sozialwohnungen gibt, die in der Gemeinde also den Durchschnittswert der Unterkunftskosten verringern - allerdings ist der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht wie gezeigt zu entnehmen, dass solche Durchschnittswerte nicht realitätsgerecht sind und deshalb für eine solche Regelung von Ortsklassen, wie sie in Bayern verrechtlicht worden sind, nicht herangezogen werden dürfen. So verstanden liegt hier zwischen den Gruppen von Normadressaten - den jeweils wesensgleichen Beamten, die dasselbe Amt bekleiden und sich im selben Familienstand einer vierköpfigen Familie befinden - kein Unterschied von solcher Art und solchem Gewicht vor, dass er die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnte. Entsprechend zeigt sich der allgemeinen Gleichheitssatz hier als evident verletzt, das Gleichheitsgrundrecht der in Taufkirchen wohnenden Beamten wird von der Regelung missachtet, sodass sie vom Bundesverfassungsggericht vernichtet werden wird.

Anders sieht das aber hinsichtlich von Beamten aus, die sich nach der "alten" Formel des Bundesverfassungsgerichts nicht als wesentlich Gleiche darstellen, deren Familienstand und Kinderzahl also unterschiedlich ist. Nach der "neuen" Formel des Bundesverfassungsgerichts lässt sich hier also zunächst einmal feststellen, dass zwischen beiden Gruppen von Normunterworfenen (dem unverheirateten und kinderlosen Beamten und dem verheirateten Familienvater von zwei Kindern) signifikante Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen können - nach der "alten" Formel wird hier also wesentlich Ungleiches ungleich behandelt, was für sich betrachtet verfassungsrechtlich geboten ist oder es zumindest sein kann.

In einem weiteren Schritt wäre nun zu prüfen, ob die tatsächliche Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich gerechtfertig werden kann, ob also bspw. die konkrete Höhe der von Dir genannten Familienzuschläge sachgerecht ist oder nicht. Dabei ist jener prozentuale Anteil der von Dir genannten Familienzuschläge, der sich seit langer Zeit im Bund als weitgehend unverändert zeigt (die Familienzuschläge werden i.d.R. prozentual entsprechend der Erhöhung der Grundgehaltssätze angehoben) bislang nicht vor dem Bundesverfassungsgericht beklagt worden. Da sich diese Höhe offensichtlich auch anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sachlich rechtfertigen lässt, können wir davon ausgehen, dass diese Familienzuschläge von ihrer Struktur und Höhe verfassungskonform sind - anders sieht das allerdings offensichtlich mit vielen familienbezogenen Besoldungskomponenten in den Ländern aus, wie sie seit 2021 eingeführt worden sind und denen entweder eine neue Struktur zugrunde liegt oder die sich von ihrer Höhe sachlich nicht mehr rechtfertigen lassen, da sie - vereinfacht zusammengefasst - die jeweilige Ämterwertigkeit nicht hinreichend beachten (das wäre im Einzelnen jeweils genauer zu betrachten, was ich hier aber jetzt zum Glück nicht vollziehen muss).

Ergo: Die zurzeit im Bund gewährten Familienzuschläge sollten sich sowohl von ihrer Struktur als auch von ihrer Höhe sachlich rechtfertigen lassen können. Der unverheiratete Beamte in der Besoldungsgruppe A 8 hat andere Lasten zu tragen als der vierköpfige Familienvater in der Besoldungsgruppe A 3, der zugleich hinsichtlich seiner aus Art. 6 GG resultierenden Grundrechte ggf. anders zu betrachten wäre als ersterer. Die Familienzuschläge sollen also am Ende mit dazu führen, dass sich zwei dasselbe Amt bekleidende Beamten (also in diesem Fall ein kinderloser Beamter und ein verheirateter Familienvater, die beide nach A3 oder nach A 8 besoldet werden) am Ende "annähernd das gleiche leisten" können, wie das das Bundesverfassungsgericht in seiner ersten maßgeblichen Entscheidung über den alimentativen Mehrbedarf für diesen Mehrbedarf festgestellt hat, ohne dass ein Zweifel bestehen könnte, dass das auch für den Unterschied zwischen einem unverheirateten und kinderlosen Beamten und dem verheirateten Familienvater von zwei Kindern gilt (was dahingegen heute als überholt anzusehen sein muss, ist die Aufzählung des Ausgabenpools im zweiten Teil des Zitats, der sich in der sozialen Wirklichkeit des Jahres 2024 deutlich komplexer darstellt):

"Art. 33 Abs. 5 GG, der heute auch im Zusammenhang mit den in Art. 6 GG und im Sozialstaatsprinzip enthaltenen Wertentscheidungen der Verfassung zu sehen ist, verlangt aber, daß jedenfalls in der Lebenswirklichkeit die Beamten ohne Rücksicht auf die Größe ihrer Familie 'sich annähernd das gleiche leisten' können. Führt eine Regelung eindeutig evidentermaßen dazu, daß die Familie wegen der größeren Zahl der Kinder und der mit ihrem Unterhalt und ihrer Erziehung verbundenen Ausgaben - also regelmäßig für die Jahre, in denen sie zum Haushalt gehören - auf den Abschluß eines Bausparvertrags, auf die Anschaffung der üblichen Haushaltsmaschinen, auf die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, auf Urlaub verzichten und sich im Zuschnitt ihres Privatlebens, beispielsweise bei dem Kauf von Bekleidung, Einschränkungen auferlegen muß, also in diesem Sinne bescheidener leben muß als der - beamten- und besoldungsrechtlich gleich eingestufte - ledige Beamte, kinderlos verheiratete Beamte oder die Beamtenfamilie mit einem oder zwei Kindern, so ist der Grundsatz amtsangemessener Alimentierung für jene Familie mit größerer Kinderzahl verletzt." (Beschluss vom 30.03.1977 - 2 BvR 1039/75; https://openjur.de/u/173228.html - hier die Rn. 55)

Finanzer

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Antw:[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation
« Antwort #130 am: 16.04.2024 11:34 »

Zur Info: Der Sammelthread dient nur zur möglichst übersichtlichen Darstellung der wichtigsten Informationen rund um das Thema "Amtsangemessene Alimentation". Fragen und Diskussionen sollen im dazugehörigen Diskussionsthread "Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)" gestellt werden.
https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,114508.0.html

Bitte beachten!

Tom1234

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Antw:[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation
« Antwort #131 am: 21.04.2024 10:55 »
https://landesrecht.thueringen.de/perma?d=NJRE001553447

VG Weimar - steuerprogessionsschaden bei verspäteter Zahlung der Erschwerniszulage

PolareuD

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Antw:[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation
« Antwort #132 am: 11.05.2024 18:03 »
Amtsangemessene Alimentation; der VSB fragt nach!

https://vsb-bund.de/index.php/2024/amtsangemessene-alimentation

PolareuD

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Antw:[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation
« Antwort #133 am: 21.08.2024 18:07 »
Aktueller Referentenentwurf zum BBVAngG mit Stand vom 20.08.2024.

https://oeffentlicher-dienst.info/pdf/bund/bund-bbvangg-referentenentwurf.pdf

PolareuD

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Antw:[Sammelthread] - Amtsangemessene Alimentation
« Antwort #134 am: 26.08.2024 19:29 »

Betrachtung des vom Bundesministerium des Inneren und für Heimat mit Bearbeitungsstand vom 20.08.2024 öffentlich vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung einer amtsangemessenen Bundesbesoldung und -versorgung (Bundesbesoldungs- und -versorgungsangemessenheitsgesetz – BBVAngG)

--> siehe Anhang


Vielen Dank an SwenTanortsch für die Ausarbeitungen zum aktuelle Entwurf des BBVAngG!