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Nichts als die Wahrheit in einem Vorstellungsgespräch?!
Tilly:
Hallo,
da ich noch nicht lange als Personalerin tätig bin, noch nicht so viele Vorstellungsgespräche hatte und wir diese Woche ein Vorstellungsgespräch hatten, das so noch keiner von uns hatte, auch nicht die alten Hasen unter uns, wollte ich mal ganz gerne wissen, wie Eure Erfahrungen sind.
Eingeladen wurde ein Mann, Anfang 40, mit einem wilden, abenteuerlichen, bunten Lebenslauf. D. h., die verschiedensten Tätigkeiten im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft. Viele befristete, z. T. auch sehr kurze, Arbeitsverhältnisse, zwischenzeitlich mal drei Jahre am Stück arbeitslos und so auch immer mal paar Wochen zwischen zwei Beschäftigungen. In den drei Jahren jobbte er als Regalauffüller, Statist, Pizzabote, Hilfsarbeiter in einer Autowerkstatt, Briefzusteller, Datenerfasser, Verpacker.
Eingeladen wurde er eigentlich nur, weil er eingeladen werden musste (schwerbehindert und nicht offensichtlich ungeeignet). Wir hatten auch nicht wirklich viel Hoffnung, dennoch hielten wir auch dieses Gespräch, wie jedes andere.
Eine Frage, die ich (fast) immer stelle und sich bei ihm anbot, warum er so viele Beschäftigungen hatte, die er z. T. auch auf eigenen Wunsch beendet hat. Dann legte er los. Einmal ein Aufhebungsvertrag bei einem großen Unternehmen unter Zahlung einer Abfindung, um keine betriebsbedingte Kündigung zu erhalten, einmal waren die Arbeitszeiten (Schichten, Rufbereitschaft, Wochenende-, Nacht- und Feiertagseinsätze) nicht beziehungskompatibel mit seiner Frau, dann gab es eine sachgrundlose Befristung, in der er keine Chance hatte, eine weitere Sachgrundbefristung zu bekommen, sich währenddessen bewarb, eine neue Anstellung fand und er vor Ablauf der Befristung um einen Aufhebungsvertrag bat. Die neue Anstellung war unbefristet und er war richtig happy, dass er die die Stelle als Nachrücker bekommen hatte. Nur leider war das Glück nicht von langer Dauer, da er während der Probezeit gekündigt wurde. Auf die Nachfrage "Warum?", sagte er erst, dass die Erwartungshaltung, die er hatte, nicht erfüllt wurde. Ob die Erwartungshaltung auch von anderer Seite nicht erfüllt wurde, wollte ich wissen. Dann gab es eine kurze Pause, und man merkte, dass er überlegte, ob er uns vielleicht eine Story auftischen soll oder ob er die Wahrheit sagt. Es kam offensichtlich die Wahrheit. Bis dahin sprudelte er vor sich hin, doch dann merkte man, dass diese Probezeitkündigung ihm offensichtlich zu schaffen machte. Er erzählte, dass seine Vorgesetzte ihm sehr früh gesagt hat, dass er nicht ihr Wunschkandidat gewesen ist, dass er von ihr oft, wie ein Praktikant behandelt wurde, dass sie ihn vor Bürgern bloßstellte, sie sich ihm gegenüber eben oft wie seine Vorgesetzte aufgeführt hat, ihm jeder noch so kleine Fehler unter die Nase gerieben wurde ... Er sich, obwohl er über ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein verfügt, seine Vorgesetzte nicht darauf ansprach, da er Angst hatte, die Probezeit nicht zu überstehen, da er doch so dringend den Job wollte und richtig Lust drauf hatte. Er hatte just in dieser Zeit auch private Probleme. Er "flüchtete" regelmäßig aus dem Großraumbüro, um immer mal Luft zu schnappen und führte auch mal sehr wichtige private Telefonate. Dummerweise vergaß er da ein paar Mal, sich auszustempeln. Absolut unabsichtlich, aber was eben egal ist, weil man ja immer sagen kann, dass man das nicht absichtlich gemacht hat. Das und ein paar Dinge, die seitens der Vorgesetzten zurechtgelogen wurden, führten zu der Kündigung. Und nun wäre er leider arbeitslos und Arbeit suchend und ärgert sich, dass ihm da total dumme "Stempelfehler" unterlaufen sind und, wenn er gewusst hätte, was da menschlich auf ihn zukommt, er dort nicht angefangen hätte.
Da waren wir erst einmal baff!
Der Mann hat uns allerdings so geflasht, wie er sich verhält, wie er sich artikuliert und immerhin hat er von den fachlichen Fragen die meisten korrekt beantwortet und auf unsere "Psychofragen" gab er auch sehr gute Antworten.
Anschließend berieten wir uns und alle sagten sofort dasselbe nach dem Motto "Egal, was da in der einen Anstellung und Probezeit gewesen ist, der kommt auf jeden Fall in die engere Auswahl!". Weil er so offen und ehrlich gewesen ist!
Wenn ich das mal so früher gehört hätte, hätte ich gleich gesagt, dass der raus ist. Wo ich jetzt aber sowas live erlebt habe und gesehen habe, was da für ein Charakter dahintersteht ... Toll!
Hattet ihr auch schonmal solche Erlebnisse?
Bin gespannt auf Eure Erzählungsn, von denen vielleicht wir alle lernen können.
LG
Tagelöhner:
Vielleicht ist der gute Mann ja auch einfach nur mal wieder seiner Leidenschaft nachgegangen und hat ein Feuerwerk an Schauspielerei abgebrannt. Er scheint ja mittlerweile ausreichend Erfahrung zu haben, wie er Entscheidungsträger in Vorstellungsgesprächen einlullt, vor allem wenn diese sich gerne einen Bären aufbinden lassen ::) ;D
clarion:
Hallo,
mehrmals in der Probezeit rausgeflogen, und das wollt ihr Euch antun? Andererseits, auch ihr könntet ihn in der Probezeit auch ganz easy wieder loswerden. Der Mensch lernt ja nie aus und vielleicht hat es bei diesem Mann klick gemacht.
Tilly:
Geschauspielert war das sicherlich nicht, er war ja auch nur mal Statist. ;-)
Wieso Bären aufbinden lassen? Und einlullen haben zumindest wir uns nicht.
Ich vergaß zu erwähnen, dass jemand aus der Vorstellungsrunde den Personaler der Behörde kennt, die ihn in der Probezeit gekickt hat. Unter vorgehaltener Hand, hat dieser im Großen und Ganzen das bestätigt, was der Mann erzählt hat. Seine ehemalige Vorgesetzte wurde nicht grundlos im Hause mehrmals zu anderen Abteilungen "hingelobt", um nicht zu sagen, versetzt. Was will man auch mit einer Ü40-Frau machen, die seit über 25 Jahren in der Behörde arbeitet?
Der Mann wurde einmal, nicht mehrere Male, in der Probezeit gekündigt.
Ich finde, wo ich mir das nochmal vor Augen geführt habe, dass sein beruflicher Werdegang im Vergleich zu anderen gar nicht so "schlimm" ist. Der hat immer was getan, im Gegensatz zu vielen anderen, vielleicht auch besser ausgebildeten, Menschen, die jahrelang drauf warten, bis man sie entdeckt und sonst nur auf dem Sofa liegen. Ich hatte schon solche Bewerbungen in der Hand von z. B. Vfws, die sieben Jahre, zumindest anhand des Lebenslaufs, nichts gemacht haben oder von Studierten, die auch mal drei Monate hier, sechs Monate dort ... gearbeitet haben. Die ganzen 400 €-Jobs konnte der Mann nämlich auch belegen. Der legt entsprechende Unterlagen lt. eigener Aussage nie den Bewerbungsunterlagen bei, weil zu 99,99 % irrelevant, hat sie aber bei Vorstellungsgesprächen immer dabei, falls nachgehakt wird.
Wenn es nächste Woche um die Entscheidung geht, bekommt er zumindest meine Stimme. Dagegen sind sehr viele verblasst, die einen strikteren Lebenslauf haben und/oder fachlich noch versierter waren. Dafür, dass der Mann noch nie im zu besetzenden Bereich gearbeitet hat, war er auf fachliche, z. T. historische Fragen, sehr gut vorbereitet, von denen die fachlichen Personen im Nachgang gesagt haben, dass die nie gedacht hätten, dass er die Antworten kennt.
inter omnes:
Du hast deinen subjektiven Eindruck hier sehr eindrucksvoll geschildert und man merkt, dass du dich sehr damit beschäftigst. Glaubhaft sind solche Aussgagen immer dann, wenn sie widerspruchsfrei vorgetragen werden und schlüssig sind. Ob die Person selbst auch glaubwürdig erscheint, ist hingegen ein höchstpersönliches Werturteil anhand aller Umstände und Wahrnehmungen des Einzelfalls. Gestik, Mimik, Körperhaltung...
Da ist ein Forum wohl kaum der richtige Resonanzraum um derartiges zu reflektieren, weil niemand die Person so miterlebt hat wie du. Insofern; vertraue auf deine Wahrnehmung und Menschenkenntnis.
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