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[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
emdy:
--- Zitat von: SwenTanortsch am 16.04.2025 06:03 ---Damit liegen m.E. Mängel auf dem Tisch, sodass weitere Kläger für sich betrachten können, wie es um ihre Klagebegründung bestellt ist. Ich gehe insbesondere davon aus, dass neben der Betrachtung des Mindestabstandsgebots vor allem den ersten drei Parametern eine überbordene Rolle in der Indizierung der Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation zukommt.
--- End quote ---
Danke für die Aufbereitung, der Fall wird durch das Agieren des baden-württembergischen Besoldungsgesetzgebers ja nicht unbedingt überschaubarer. Ich muss das Verfahren selbst erst noch vollständig betrachten.
Unabhängig von Auffassungen des jeweiligen VG und etwaiger Schwächen der durch den Kläger vorgebrachten Berechnungen möchte ich folgendes Sachargument betonen - nicht zuletzt, weil sich das Bundesverfassungsgericht m.E. nie zu einer abgestuften Wertigkeit oder Wichtigkeit der einzelnen Parameter der ersten Prüfungsstufe geäußert hat: Die Alimentation soll die Amtsausführung aus gesicherter wirtschaftlicher und finanzieller Lage ermöglichen, sie soll einen amtsangemessenen Lebensstandard sichern. Hierzu haben aber die Prüfparameter 1, 2 und 5 in unserer gegenwärtigen "cost-of-living und Verfassungskrise" nur sehr begrenzte Aussagekraft. Es sind zwar leicht Fälle denkbar, in denen diesen Parametern mehr Bedeutung zukommt (etwa wenn über Jahre überhaupt keine Übertragung der Tarifergebnisse mehr geschieht - Parameter 1), aber bezogen auf die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Lebenshaltungskosten und der Entlohnung von Arbeit in Deutschland, sind die Parameter 1, 2 und 5 eben alle von gleicher überschaubarer Aussagekraft.
Was ggf. etwas Hoffnung macht: Wir müssen wohl (trotz des faden Beigeschmacks) davon ausgehen, dass Richter Klageschriften zur R-Besoldung besonders kritisch betrachten um sich nicht angreifbar zu machen. Im Ursprungsverfahren zum Beschluss 2 BvL 4/18 sind die Kläger ja auch durch die Instanzen geschickt worden.
SwenTanortsch:
--- Zitat von: emdy am 16.04.2025 07:57 ---
--- Zitat von: SwenTanortsch am 16.04.2025 06:03 ---Damit liegen m.E. Mängel auf dem Tisch, sodass weitere Kläger für sich betrachten können, wie es um ihre Klagebegründung bestellt ist. Ich gehe insbesondere davon aus, dass neben der Betrachtung des Mindestabstandsgebots vor allem den ersten drei Parametern eine überbordene Rolle in der Indizierung der Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation zukommt.
--- End quote ---
Danke für die Aufbereitung, der Fall wird durch das Agieren des baden-württembergischen Besoldungsgesetzgebers ja nicht unbedingt überschaubarer. Ich muss das Verfahren selbst erst noch vollständig betrachten.
Unabhängig von Auffassungen des jeweiligen VG und etwaiger Schwächen der durch den Kläger vorgebrachten Berechnungen möchte ich folgendes Sachargument betonen - nicht zuletzt, weil sich das Bundesverfassungsgericht m.E. nie zu einer abgestuften Wertigkeit oder Wichtigkeit der einzelnen Parameter der ersten Prüfungsstufe geäußert hat: Die Alimentation soll die Amtsausführung aus gesicherter wirtschaftlicher und finanzieller Lage ermöglichen, sie soll einen amtsangemessenen Lebensstandard sichern. Hierzu haben aber die Prüfparameter 1, 2 und 5 in unserer gegenwärtigen "cost-of-living und Verfassungskrise" nur sehr begrenzte Aussagekraft. Es sind zwar leicht Fälle denkbar, in denen diesen Parametern mehr Bedeutung zukommt (etwa wenn über Jahre überhaupt keine Übertragung der Tarifergebnisse mehr geschieht - Parameter 1), aber bezogen auf die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Lebenshaltungskosten und der Entlohnung von Arbeit in Deutschland, sind die Parameter 1, 2 und 5 eben alle von gleicher überschaubarer Aussagekraft.
Was ggf. etwas Hoffnung macht: Wir müssen wohl (trotz des faden Beigeschmacks) davon ausgehen, dass Richter Klageschriften zur R-Besoldung besonders kritisch betrachten um sich nicht angreifbar zu machen. Im Ursprungsverfahren zum Beschluss 2 BvL 4/18 sind die Kläger ja auch durch die Instanzen geschickt worden.
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Der zentrale hinführende Satz für die Parameter der ersten Prüfungsstufe findet sich - er ist Teil ständiger Rechtsprechung - in der aktuellen Entscheidung (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html) in der Rn. 23; ich hebe die für die ersten fünf Parameter zentrale Aussage hervor:
"Das Alimentationsprinzip wird von verschiedenen Determinanten geprägt. Es verpflichtet den Dienstherrn, Richter und Staatsanwälte sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren und ihnen nach ihrem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung der rechtsprechenden Gewalt und des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Damit wird der Bezug der Besoldung sowohl zu der Einkommens- und Ausgabensituation der Gesamtbevölkerung als auch zur Lage der Staatsfinanzen, das heißt zu der sich in der Situation der öffentlichen Haushalte ausdrückenden Leistungsfähigkeit des Dienstherrn, hergestellt (vgl. BVerfGE 8, 1 <14>; 107, 218 <238>; 117, 330 <351>; 119, 247 <269>; 130, 263 <292>; 139, 64 <111 f. Rn. 93>; 140, 240 <278 Rn. 72>; 149, 382 <391 f. Rn. 16>; 150, 169 <180 Rn. 28>)."
Die ersten fünf Parameter dienen also zunächst einmal dazu, eine Vermutung anhand von Indizien (die Parameter bilden die Indizien) zu bilden, ob dem klagende Beamte entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt gewährt wird (vgl. insbesondere die Rn. 29 f.). Dabei kommt insbesondere der Vergleichsgröße der Tarifentwicklung im öffentlichen Dienst (erster Parameter) dem Maßstab eines ein gewichtigen Indizes zu; er wird entsprechend, da hier das regelmäßige Dienstverhältnis mit einem weiteren maßgeblichen Beschäftigungsverhältnis verglichen wird, wenn jenes letztere auch etwas qualitativ anderes ist (vgl. Rn. 35). Die beiden weiteren der drei ersten Parameter haben darüber hinaus ebenfalls eine wichtige Steuerungsfunktion hinsichtlich der Prüfungsrichtung und -tiefe (wie sie alle fünf Parameter der ersten Prüfungsstufe haben).
Zwar ist seit der aktuellen Rechtsprechung die von Anfang an fragwürdige, weil vom Bundesverfassungsgericht nicht explizierte "Drei-Parameter-Regel" vom Tisch - bis 2020 haben die allermeisten Verwaltungsgerichte Klagen nicht weiter über die erste Prüfungsstufe hinaus betrachtet, sofern nicht mindestens drei Parameter der ersten Prüfungsstufe eindeutig die Vermutung der Verletzung einer verfassungswidrigen Unteralimentation indiziert haben; u.a. das OVG Lüneburg und dann insbesondere das Bundesverwaltungsgericht haben einiges vor 2020 dafür getan, diese zu starre Sicht auf die Dinge zu hinterfragen -; dennoch kommt den fünf Parametern und damit insbesondere den drei ersten eine überbordende Bedeutung für den weiteren Gang der gerichtlichen Prüfung zu (denn der fünfte Parameter kann de facto kaum verletzt sein, da ja die Besoldung de facto wohl in mindestens zwölf Rechtskreisen mindestens zwischenzeitlich als verletzt zu betrachten ist - er hat heute letztlich keinen indizellen Wert mehr, auch wenn das so nicht in einer Klageschrift formuliert werden sollte), wie auch die Entscheidung des VG Karlsruhe zeigt.
Denn da es davon ausgeht, dass kein Parameter der ersten Prüfungsstufe die Vermutung der Verletzung des Alimentationsprinzips indiziert, betritt es faktisch die zweite Prüfungsstufe gar nicht erst oder genauer: es betritt sie in nur minimaler Form. Es geht weitgehend unausgesprochen davon aus, dass es ohne die Verletzung mindestens eines Parameters der ersten Prüfungsstufe bereits zu wenig Indizienlast geben kann, die dafür sprechen könnte, dass dem Kläger nicht entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt gewährt worden wäre. Da also alle fünf Parameter der ersten Prüfungsstufe nach Ansicht des VG Karlsruhe keine Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentartion indizieren, kann die zweite Prüfungsstufe - sie dient der Erhärtung oder Widerlegung der Vermutung - weiterhin nach Ansicht des VG Karlsruhe die nicht vorhandene Vermutung nicht erhärten, also ist die Klage nach Auffassung der Kammer unbegründet.
Der zentrale Grundsatz, dem die Kammer folgt, findet sich in der aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgericht in der Rn. 85; Hervorhebungen weiterhin durch ST.:
"Dafür sind zunächst die Feststellungen der ersten Prüfungsstufe, insbesondere das Ausmaß der Über- oder Unterschreitung der Schwellenwerte, im Wege einer Gesamtbetrachtung zu würdigen und etwaige Verzerrungen – insbesondere durch genauere Berechnungen (vgl. oben C. I. 2. a), Rn. 30 ff.) – zu kompensieren. Den fünf Parametern der ersten Prüfungsstufe kommt für die Gesamtabwägung eine Steuerungsfunktion hinsichtlich der Prüfungsrichtung und -tiefe zu: Sind mindestens drei Parameter der ersten Prüfungsstufe erfüllt, besteht die Vermutung einer der angemessenen Beteiligung an der allgemeinen Entwicklung der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des Lebensstandards nicht genügenden und damit verfassungswidrigen Unteralimentation. Diese kann im Rahmen der Gesamtabwägung sowohl widerlegt als auch erhärtet werden (vgl. BVerfGE 139, 64 <120 f. Rn. 116>; 140, 240 <289 Rn. 99>). Werden umgekehrt bei allen Parametern die Schwellenwerte unterschritten, wird eine angemessene Alimentation vermutet. Sind ein oder zwei Parameter erfüllt, müssen die Ergebnisse der ersten Stufe, insbesondere das Maß der Über- beziehungsweise Unterschreitung der Parameter, zusammen mit den auf der zweiten Stufe ausgewerteten alimentationsrelevanten Kriterien im Rahmen der Gesamtabwägung eingehend gewürdigt werden. "
Wer klagt, sollte alles dafür tun - sofern sich für seine Besoldung nicht die unmittelbare Verletzung des Mindestabstandsgebot zeigen lässt -, insbesondere die ersten drei Parameter hinreichend umfassend in den Blick zu nehmen. Denn ansonsten droht ihm, was jetzt das VG Karlsruhe und vor 2020 die allermeisten Verwaltungsgerichte entschieden haben, nämlich dass mangels hinreichender Vermutung auf der ersten Prüfungsstufe die zweite letztlich kaum mehr zum Ergebnis einer evident verfassungswidrigen Unteralimentation führen kann. Das VG Karlsruhe betritt nun - als Folge der aktuellen Rechtsprechung - diese zweite Prüfungsstufe noch, allerdings nur noch mit einem Hauch des kleines Zehs - vor 2020 haben bei der beschriebenen Sachlage die meisten Verwaltungsgerichts formuliert, dass, da sich keine drei Parameter verletzt zeigten, die zweite Prüfungsstufe nicht betreten werden könne/müsse/solle/dürfe. Das VG Karlsruhe stellt sich unausgesprochen genau in diese Tradition, weil es sich hinsichtlich des Untersuchungsgrundsatzes auf den Standpunkt stellt, die Prüfung der von beiden Seiten vorgebrachten Argumente würde ausreichen, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu gelangen, was formal nicht zurückgewiesen werden kann.
Auch deshalb ist zu begründen, zu begründen, zu begründen.
Bastel:
"Auch deshalb ist zu begründen, zu begründen, zu begründen."
Jeder weis das die Alimentation nicht passt. Aber wenn der Kläger nur einen kleinen formalen Fehler macht, ist alles für die Katz... Das ist Deutschland.
HansGeorg:
Leider hinter Paywall: https://www.kn-online.de/schleswig-holstein/reaktionen-notkredite-verfassungswidrig-in-der-cdu-spricht-man-erstmals-von-demut-X5N5MI57LZCEJDN45E6IDPRTWI.html?utm_medium=Social&utm_source=Facebook&fbclid=IwY2xjawJsqA9leHRuA2FlbQIxMQABHm5VvIIVLIyAW-3Eu0YLlsJ_MuU6vvAmrR3T-9JxNomlAOY6ijGKE2BsZIo7_aem_pcNomtUK5opTqL8FtDR44A#Echobox=1744730009
Einige Aussagen lassen einen aber in Bezug auf unser Thema schmunzeln.
„Für ihre Überheblichkeit haben Landtag und Landesregierung jetzt die berechtigte Quittung erhalten“, sagt Aloys Altmann, Präsident beim Steuerzahlerbund. „Der politische Wille einer großen Mehrheit allein kann die Verfassung nicht aushebeln.“
Midyatli (SPD (Vorgängerregierung)) sagt „Alle Bürgerinnen und Bürger haben sich an Recht und Gesetz zu halten“, sagt sie an diesem Dienstag. „Das hat die Günther-Regierung nicht getan.“
"Praktische Auswirkungen auf den abgeschlossenen Haushalt sehe man allerdings nicht."
Also alles in allem, Verfassung gebrochen, aber egal, hat ja Geld gespart.
SwenTanortsch:
--- Zitat von: Bastel am 16.04.2025 14:23 ---"Auch deshalb ist zu begründen, zu begründen, zu begründen."
Jeder weis das die Alimentation nicht passt. Aber wenn der Kläger nur einen kleinen formalen Fehler macht, ist alles für die Katz... Das ist Deutschland.
--- End quote ---
Das, was ich jetzt schreibe, wirst Du und werden auch viele anderen eventuell nicht gerne hören, Bastel; aber es ist zum Glück genauso, da unsere Verfassung, wie sie das Bundesverfassungsgericht in den letzten über 70 Jahren ausgelegt hat, den weiten Entscheidungsspielraum, über den der Gesetzgeber (und damit auch der Besoldungsgesetzgeber) verfügt, als tatsächlich weit begreift. Deshalb kann eine gesetzliche Regelung vom Bundesverfassungsgericht nur dann als verfassungswidrig betrachtet werden, wenn sie evident - also eindeutig - sachwidrig ist.
Und wieso soll das jetzt richtig und gut so sein?
Richtig ist es, weil ansonsten das Bundesverfassungsgericht entweder fast zwangsläufig zu einem Kampfplatz der Politik werden müsste: Denn wenn nicht Evidenz das Richtmaß wäre, sondern Gusto, dann würde der wiederholt gemachte Vorwurf, Verfassungsrechtsprechung sei nichts anderes als verkappte Politik, die mit juristischen Argumenten kaschiert werde, sachlich deutlich mehr Nahrung erhalten; oder aber das Bundesverfassungsgericht müsste alsbald als Verfassungsorgan von der Bildfläche getilgt werden, da ihm ggf. eine Macht zukäme, die ihm verfassungsrechtlich nicht zustehen kann.
Das Beispiel USA zeigt schlagend, wie gefährlich - und damit nicht gut - eine Politisierung der Verfassungsrechtsprechung ist, deren zentrale juristische Wurzel (die der möglichen und fast zwangsläufigen Politisierung) die Methode des Originalismus ist, also der Anspruch, die Verfassung so auszulegen, wie sie von einem Verfassungsvater heute ausgelegt werden würde, bzw. wie der Wortlaut des Verfassungstext heute auf Basis seiner Entstehungszeit zu interpetieren wäre. Von dieser genügend ideologische Einfallstore bietenden Methode setzt sich das Bundesverfassungsgericht gezielt ab und respektiert darüber hinaus den weiten Entscheidungsspielraum, über den der Gesetzgeber und also auch der Besoldungsgesetzgeber verfügt. Genau deshalb auch das "Pflichtenheft", durch das die besoldungsrechtliche Verfassungsrechtsprechung rationalisiert werden soll und das entsprechend den Kläger wie den Beklagten und nicht zuletzt auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit selbst - spätestens, sobald es um die Begründung einer Richtervorlage geht, also um Verfassungsrecht - in die Pflicht nimmt.
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