Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 2091968 times)

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6195 am: 23.06.2023 13:57 »
Auch meine Geduldsfähigkeit ist nicht die höchste Tugend, über die ich verfüge, Knecht. Aber erstens bleibt uns nichts anderes übrig und zweitens dürfen wir davon ausgehen, dass das Bundesverfassungsgericht das Thema nicht umgehen oder gar verschleppen will, sondern es dürfte in einer sich anbahnenden oder ggf. schon vorhandenen Verfassungskrise eine sachgerechte Entscheidung sowie deren entsprechende Begründung herausarbeiten. Es war das Bundesverfassungsgericht, das den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entwickelt hat - wir dürfen nicht nur deswegen weiterhin davon ausgehen, dass das Bundesverfassungsgericht an einer das Verhältnismäßigkeitsprinzip wahrenden Entscheidung arbeitet (oder diese ggf. auch schon gefällt, aber noch nicht abschließend hinsichtlich der Entscheidungsbegründung endgültig abgestimmt hat), die das Ziel hat, die Besoldungsgesetzgeber wieder in die verfassungsrechtlichen Bindungen zurückzuführen, die sie seit spätestens drei Jahren wissentlich und willentlich verlassen haben. Da das Bundesverfassungsgericht de facto die Jahre 2005 bis 2012, 2014 bis 2016 (hinsichtlich Niedersachsen), 2007 (Schleswig-Holstein) und 2013 und 2014 (Bremen) betrachten muss, aber sicherlich das Ziel hat, die zukünftige Gesetzgebung eben in die genannten Bahnen zurückzubewegen, hat es eine jurstisch reichlich komplexe Entscheidung zu vollziehen, die ggf. recht weitreichende Folgen nach sich ziehen kann. Trotz auch meiner nur bedingt mir gegebenen Geduldsfähigkeit kann ich gut nachvollziehen, dass das Bundesverfassungsgericht in Anbetracht der Sachlage sich Zeit zur Abwägung nimmt.

andreb

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6196 am: 23.06.2023 14:10 »
Wenn man sich das mal vor Augen führt, dann verkommt das BVerfG mehr und mehr zum zahnlosen Tiger.

Aus § 31 I BVerfGG ergibt sich eindeutig, dass die Entscheidungen des BVerfG u.a. bindend für die Verfassungsorgane sind. Folglich sind verfassungswidrige Gesetze zeitnah zu ändern, damit ein verfassungsmäßiger Zustand hergestellt wird (vgl. Grundsteuerreform). Dies erfolgt meist mit entsprechenden Zeitauflagen.

Und wenn erneut ein verfassungswidriges Gesetz verabschiedet wird?! Dann geht der ganze Spaß wieder von vorne los. Das kann es doch nicht sein…
An solche eine Situation („Verfassungskrise“) haben die Mütter ubd Väter des Grundgesetzes schlicht nicht gedacht.

Mein Gedankenspiel dazu:
Hier mangelt es dem BVerfG an entsprechenden Befugnissen. Wenn man sieht, was die Legislative (auf Grundlage entsprechender Gesetzesentwürfe der Exekutive) so alles verzapfen darf (hier verfassungswidrige Gesetze), und das ohne jegliche Konsequenzen, dann muss es dem BVerfG doch möglich gemacht werden, diese Praktiken zu unterbinden.

PolareuD

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6197 am: 23.06.2023 14:17 »
Das schärfste Schwert (Vollstreckungsanordnung) wurde ja noch gar nicht gezückt. Also in Geduld üben und abwarten. Welche Möglichkeiten hat das BVerfG eigentlich, wenn die Untätigkeit auch nach einer Vollstreckungsanordnung bestehen bleibt?

Ozymandias

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6198 am: 23.06.2023 14:32 »
Und wenn erneut ein verfassungswidriges Gesetz verabschiedet wird?! Dann geht der ganze Spaß wieder von vorne los. Das kann es doch nicht sein…
An solche eine Situation („Verfassungskrise“) haben die Mütter ubd Väter des Grundgesetzes schlicht nicht gedacht.

Es steht jedem offen gleich Verfassungsbeschwerde einzureichen. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG

Zitat
Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

Nur nimmt das BVerfG solche Beschwerden nahezu nie an und stellt gigantische Anforderungen an die Substantiierung, bei der selbst Bundesrichter scheitern würden. (Teilweise scheitern Bundesrichter schon bei Vorlagebeschlüssen an der Zulässigkeit...)

Ein Antrag mit unbekanntem Inhalt auf Vollstreckungsanordnung wurde bereits vor kurzem vom BVerfG abgelehnt. Dieses Schwert wird also nicht gezückt und dürfte auch in naher Zukunft nicht geschehen.
https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BVerfG&Datum=22.03.2023&Aktenzeichen=2%20BvR%201176%2F22

Verfassungsbeschwerde zur Verlustverrechnungsbeschränkung hat das BVerfG auch nicht angenommen, sondern auf den Rechtsweg verwiesen.

Grundsteuer beim Verfassungsgerichtshof BW ebenfalls abgelehnt (alte Grundsteuer verfassungswidrig, neue eventuell auch, Passierschein fehlt alles von vorne...)
https://verfgh.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-verfgh/dateien/1VB54-21_pm.pdf


Das BVerfG ist was die Länge der Verfahren betrifft nicht Lösung des Problems, sondern ein Teil davon. Es verweigert direkte Annahmen bei vielen Verfassungsbrüchen und die Schaffung eines 3. Senats steht auch nicht auf der Liste um Abhilfe zu schaffen.

Amtsangemessene Alimentation gibt es in Zukunft nur noch für Volljuristen mit Prädikatsexamen.  :P

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6199 am: 23.06.2023 16:05 »
Und wenn erneut ein verfassungswidriges Gesetz verabschiedet wird?! Dann geht der ganze Spaß wieder von vorne los. Das kann es doch nicht sein…
An solche eine Situation („Verfassungskrise“) haben die Mütter ubd Väter des Grundgesetzes schlicht nicht gedacht.

Es steht jedem offen gleich Verfassungsbeschwerde einzureichen. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG

Zitat
Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

Nur nimmt das BVerfG solche Beschwerden nahezu nie an und stellt gigantische Anforderungen an die Substantiierung, bei der selbst Bundesrichter scheitern würden. (Teilweise scheitern Bundesrichter schon bei Vorlagebeschlüssen an der Zulässigkeit...)

Ein Antrag mit unbekanntem Inhalt auf Vollstreckungsanordnung wurde bereits vor kurzem vom BVerfG abgelehnt. Dieses Schwert wird also nicht gezückt und dürfte auch in naher Zukunft nicht geschehen.
https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BVerfG&Datum=22.03.2023&Aktenzeichen=2%20BvR%201176%2F22

Verfassungsbeschwerde zur Verlustverrechnungsbeschränkung hat das BVerfG auch nicht angenommen, sondern auf den Rechtsweg verwiesen.

Grundsteuer beim Verfassungsgerichtshof BW ebenfalls abgelehnt (alte Grundsteuer verfassungswidrig, neue eventuell auch, Passierschein fehlt alles von vorne...)
https://verfgh.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-verfgh/dateien/1VB54-21_pm.pdf


Das BVerfG ist was die Länge der Verfahren betrifft nicht Lösung des Problems, sondern ein Teil davon. Es verweigert direkte Annahmen bei vielen Verfassungsbrüchen und die Schaffung eines 3. Senats steht auch nicht auf der Liste um Abhilfe zu schaffen.

Amtsangemessene Alimentation gibt es in Zukunft nur noch für Volljuristen mit Prädikatsexamen.  :P

Wenn ich zumeist mit dem, was Du schreibst, übereinstimme, habe ich hier in den meisten Punkten eine andere Meinung. Zunächst einmal hat das Bundesverfassungsgericht als Verfassungsorgan von dem Rechtsgrundsatz auszugehen, dass der Gesetzgeber seinen Verfassungsauftrag im Rahmen der Verfassung erfüllt. Alles andere würde darin enthalten die richterliche Neutralitätspflicht verletzen. Zugleich muss jedem, der das Bundesverfassungsgericht anruft, sich darüber im Klaren sein, dass er hier das höchste deutsche Gericht anruft, das auch unter den deutschen Gerichtshöfen eine Sonderrolle einnimmt, da es dem Instanzenzug enthoben ist. Innerhalb dieser verfassungsrechtlichen Regelung hat darüber hinaus bekanntlich ausnahmslos das Bundesverfasungsgericht das Recht, ein Gesetz rechtsgültig als verfassungswidrig zu betrachten. Darin liegt die weitere Sonderrolle begründet, die ihm nicht zuletzt demokratietheoretisch eine hohe Verantwortung auferlegt, seinen Verfassungsauftrag nicht zu überdehnen. Dabei muss zugleich berücksichtigt werden, dass auch die Verfassungsrichter durch das sie in das Amt bringende Wahlverfahren und die Ernennung durch den Bundespräsidenten demokratisch legitmiert sind - jedoch ist der Grad der Legitimation des auf einer Volkswahl beruhenden Bundestags, ebenfalls demokratietheoretisch betrachtet, recht deutlich höher. Am Ende ist das Bundesverfassungsgericht in so weiter Form mit Befugnissen ausgestattet, die verfassungsgeschichtlich aus der Erfahrung der NS-Zeit weit über die des Reichsgerichts in der Weimarer Republik (und zuvor im Kaiserreich) hinausgehen.

Zusammengenommen führen allein schon die gerade genannten Gründe dazu, dass das Bundesverfassungsgericht den weiten Entscheidungsspielraum, über den der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verfügt, penibel zu respektieren hat, da hier in der Hand der beiden Senaten eine verfassungsrechtliche Machtfülle liegt, die das Bundesverfassungsgericht als ebenfalls aus der Verfassung resultierende Selbstauflage ein hohes Maß an Zurückhaltung in seiner Rechtsprechung auferlegt. Das Bundesverfassungsgericht führt diesbezüglich in ständiger Rechtspechung aus: "Der Besoldungsgesetzgeber verfügt über einen weiten Entscheidungsspielraum. Dem entspricht eine zurückhaltende, auf den Maßstab evidenter Sachwidrigkeit beschränkte verfassungsgerichtliche Kontrolle." (vgl. im LS. 3 der aktuellen Entscheidung)

Als weitere Folge der hier nur recht überblickmäßig und unvollständig genannten verfassungsrechtlichen Rolle muss das Bundesverfassungsgericht gleichfalls denen, die es anrufen, ein hohes Maß an formellen Bedingungen auferlegen, da das Anrufen zumeist die Ultima Ratio darstellt und von daher gleichfalls an ein hohes Maß an Bedingungen geknüpft sein muss. Denn was für die Rechtsprechung gilt, ist gleichfalls auch in derem Vorfeld in Hinsicht auf das, was ich hier (sehr eingeschränkt) zum Gesetzgeber gesagt habe, zu beachten.

Das, was ich hier in einem sehr allgemeinen Rahmen, gesagt habe, sollte man - denke ich - im Hinterkopf haben, wenn man sich mit Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beschäftigt. Um die Komplexität der Materie besser einordnen zu können, ist nach wie vor der Sammelband eigener Aufsätze des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht, Dieter Grimm, Verfassungsgerichtsbarkeit, 2021, zu empfehlen. Zugleich sollte man über die allgemeinen Darlegungen hinaus, wie ich sie hier gerade angestellt habe, nicht vergessen, dass sich das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des Besoldungsrechts in einem umfassenden Rechtsprechungswandel befindet, der eine gänzlich neue Dogmatik hervorbringt und erst seit 2012 vollzogen wird - das mag manchen lang vorkommen, für ein Verfassungsgericht sind rund zehn Jahre allerdings ein äußerst kurzer Zeitraum, was die Natur der Sache (auf Grundlage dessen, was ich skizziert habe) mit sich bringt.

Ozymandias

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6200 am: 23.06.2023 17:06 »
Alles richtig und stimme dem zu.

Aus meiner praktischen Sicht sieht es aber ander aus. Es wird zum Spießrutenlauf, wenn in quasi 17 Besoldungskreisen jede Besoldungsgruppe dagegen klagen muss und Anwälte (Siehe Bayern-Thema im Länderforum) 5-stellige Beträge dafür verlangen.

Der Rechtsstaat wird etwas zur Farce, wenn es Jahrzehnte dauert, 2-3 Instanzen benötigt und 5-stellige Beträge kostet um zu seinem Recht zu gelangen. Alles unter der Bedingung keinen einzigen formalen zu begehen oder anwaltlich unzureichend vertreten zu werden.

Ich hatte ein relatives hohes Ansehen vor Gerichten, bis ich mir mal die Finger bei einem relativ einfachen Sachverhalt verbrannt habe. Eine mickrige Information hat gefehlt, weil die Behörde durch Inkompetenz den Streit in eine völlig falsche Richtung gelenkt hat und wegen anwaltlicher Vertretung erging kein richterlicher Hinweis trotz Amtsermittlungsgrundsatz, 3 Jahre umsonst gewartet, unnötige Kosten und eine fehlerhafte Entscheidung in der Hand. Das Verfahren läuft heute noch, aber nur noch wegen Anwaltshaftung.

Seitdem stapeln sich in meinem Keller die Bescheide und Widersprüche. Sehr selten wird korrekt gearbeitet, die Fehler von Behörden und Gericht stapeln sich. Und es sind um es klar zu machen, keine "Reichsbürgergeschichten", es stapelt sich, weil ich diverse Prozessvollmachten von kranken und behinderten Familienangehörigen habe, die ich gesetzlich vertreten darf und die sich nicht selber vertreten können. Sozialgericht, Verwaltungsgericht, Arbeitsgericht, Finanzgericht, Amtsgericht, alles mittlerweile durch und ich bin kein Volljurist, nur Hobbyjurist.  8)

Der Gesetzgeber erlässt immer mehr schlechte Gesetze und das BVerfG senkt sein Ansehen, wenn es diese nicht zeitnah beseitigt. Die Amtsangemessene Alimentation ist nur ein Teil davon.

Siehe dieses Thema mit über 400 Seiten + 300 Seiten im Länderforum
Oder auch https://www.wallstreet-online.de/diskussion/1317120-1-10/tradings-steuerregel mit über 1200 Seiten bezüglich der Verlustverrechnungsbeschränkung bei Termingeschäften, oder auch über 3 Millionen Einsprüchen bei der neuen Grundsteuer und viele viele mehr.

Rechtswissenschaft ist keine exakte Wissenschaft und deshalb glaube ich niemandem mehr auch nur ein Stückchen, keiner Behörde und auch keinem Gericht. Allerdings sind Streitereien im mittleren Tausender-Bereich je nach Gericht oftmals kostentechnisch sehr benachteiligt und lohnen sich häufig nicht mehr.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6201 am: 23.06.2023 17:41 »
Und das wiederum kann ich gut nachvollziehen, Ozy, und zugleich tut mir das leid: Letztlich ist's ja genauso, wie Du schreibst, um unseren Rechtsstaat hat es sicher schon einmal besser gestanden, was, glaube ich, allerdings eher weniger am Bundesverfassungsgericht liegt, das bei sicherlich wiederkehrender Kritik im einzelnen m.E. ziemlich gewissenhaft arbeitet. Aber die zunehmend nicht sauber erarbeiteten Gesetze, die herabgesenkten Standards auch im Rechtsbereich und sicherlich auch die zum Teil nicht unbedingt immer nachvollziehbaren Entscheidungen der Gerichtsbarkeit als Folge beider Prozesse zeigen, dass es eben um unseren Rechtsstaat sicherlich auch schon besser gestanden hat ...

InternetistNeuland

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6202 am: 23.06.2023 18:06 »
Wenn der Gesetzgeber mittlerweile wissentlich und willentlich verfassungswidrige Rechtsnormen erlässt, müsste dies nicht ein Fall für den Verfassungsschutz werden?

Versuch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6203 am: 23.06.2023 19:33 »
Da der Gesetzgeber ja handelt und dabei den Anschein erweckt, sachgerecht zu handeln bzw. nicht hervorhebt, dass er wissentlich und willentlich verfassungswidrig handelt, Knecht, ist die Frage nach dem "Vorsatz" nur bedingt zu klären. Rechtlich kommt sein entsprechendes Handeln dabei in diesen Fällen einer Untätigkeit gleich - und das dürfte vom Bundesverfassungsgericht - denke ich - in nicht allzu ferner Zukunft für einen Rechtskreis so betrachtet werden. Die Parallelität ist das nicht hinreichende Handeln des Gesetzgebers hinsichtlich der alimentativen Mehrbedarfs kinderreicher Beamter, nachdem das Bundesverfassungsgericht 1977 festgestellt hatte, dass der Familienzuschlag ab dem dritten Kind nicht amtsangemessen gewährt wurde. 1990 hat das Bundesverfassungsgericht dieses Faktum erneut festgestellt und den Gesetzgeber ein weiteres Mal verpflichtet, in einem zeitlich angemessenen Rahmen für eine verfassungskonforme Regelung zu sorgen. Als das dann weiterhin nicht geschehen ist, hat es 1998 eine Vollstreckungsanordnung erlassen, was zur Folge hatte, dass der Gesetzgeber nun recht rasch sein Handeln entsprechend verändert hat.

Ich gehe davon aus, wie ich das hier ja schon mehrfach dargelegt habe, dass derzeit bereits Berlin und Sachsen sowie ggf. auch Baden-Württemberg damit rechnen könnten, dass ihnen in der nächsten Entscheidung des Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Anordnung drohen könnte und dass mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit ebenso nach der anstehenden Entscheidung Niedersachsen und ggf. auch Schleswig-Holstein jenen Kreis bis auf Weiteres komplettieren könnten. Wie gesagt, nach der Veröffentlichung der angekündigten Entscheidung sehen wir - denke ich - klarer als heute.
21 Jahre!!!!!
Wahnsinn!

Ozymandias

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6204 am: 23.06.2023 20:05 »
Das BVerfG hat aber öfter die Chance direkt einzugreifen, verweist aber auf die Fachgerichtsbarkeit, obwohl es bereits ahnen kann, dass der Fall früher oder später bei ihm landen wird. Denn nur es selber kann die Verfassungswidrigkeit feststellen und eine andere Entscheidung herbeiführen. Das ist mein Hauptproblem.

Unser Rechtssystem ist leider auch so konstruiert, dass oftmals falsche und auch offensichtlich falsche Entscheidungen aus verfahrensrectlichen Gründen von Gerichten verteidigt werden müssen. Ich hatte unsere Gerichte immer mit Gerechtigkeit in Verbindung gebracht, dem ist aber leider nur sehr selten so. Da die Anforderungen immer höher geschraubt werden, bei der Zulässigkeit und auch der Begründung werden die "Fehlentscheidungen" immer häufiger.

Es gibt mittlerweile diverse Entscheidungen wo Anwälte, Steuerberater und Co. das elektronische Postfach nicht richtig bedient haben oder zu spät Zugangsdaten erhalten haben. Das geht alles zu Lasten der Bürger. Selbst ein Gericht hat bei mir die elektronische Signatur nicht richtig benutzt - das Gericht kann es im Gegensatz zu Anwälten und Steuerberatern aber ein paar Monate länger korrigieren. Gerade bei Streitigkeiten gegen den Staat steht es eher 1:2 als 1:1, Gerichte helfen den Bürgern auch beim Amtsermittlungsgrundsatz oder Ermittlungsgrundsatz nicht wirklich, agieren sogar eher hinterlistig im Sinne von Entscheidungen ohne tatsächliche Entscheidungsreife -> es gibt keine kostengünstige Möglichkeit zur Nachbesserung oder Diskussion. Man kann A vortragen, aber B wird rechtskräftig entschieden. Wie vermutlich auch bei der VG Berlin, 16.06.2023 - 26 K 128.23 Entscheidung. Will man eine solche Entscheidung korrigieren, hat man im schlechtestenfall erneut Tausende Euro an Kostenrisiken. Oft werden auch nur kostensparende Vergleiche bzgl. der Staatskasse vorgeschlagen, um Arbeit zu vermeiden.

Ich überleg mir mittlerweile dreifach mit wem ich Verträge schließe, auch um unfaire Rechtsstreite zu vermeiden.

2 BvL 2/16, 2 BvL 3/16, 2 BvL 4/16, 2 BvL 5/16, 2 BvL 6/16 bezüglich Bremen liegen seit 2016 beim BVerfG. Ist vielleicht noch einigermaßen okay, aber wenn die Länder dann erneut jahrelang die Rechtsprechung missachten, ist doch irgendwann die Fahnenstange erreicht. Das ist fast eine halbe Karriere, vor allem da die Verfahren zig Jahre vor den BVerfG-Verfahren angestossen wurden. Wenn ich mir anschaue, was gerade Beamte in den unteren Besoldungsgruppen verloren haben, dann geht der "Besoldungsbetrug*" so wie er derzeit praktiziert wird, noch viele Jahre weiter.

*Bin zum Glück kein Beamter und kann sagen was ich denke, vertrete nur mehr oder weniger Angehörige die besoldet sind.

Knecht

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6205 am: 23.06.2023 20:52 »
Danke für die klaren Worte. Ich bin zwar kein Insider, aber ziemlich genau so stelle ich es mir leider vor. Teilweise gefaked und vor allem hochgradig umständlich, langwierig und realitätsfeindlich.

Wir schlittern da in ganz üble Zeiten rein...
« Last Edit: 23.06.2023 21:04 von Knecht »

Bundi

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6206 am: 24.06.2023 12:15 »
Stimme dem voll zu. Es ist soweit es mich persönlich betrifft nicht so sehr das vorenthaltene Geld, jetzt bitte nicht wieder zum Anlass nehmen dies breit zu treten ich komme mit meinen Bezügen klar andere im eD oder mD vielleicht eher nicht, es macht soweit es mich betrifft, schon etwas mit einem wenn man als Beamter also als Staatsdiener mit ansehen muss dass es den Gesetzgeber ganz offensichtlich nicht interessiert, dass die von ihm geschaffenen Rechtsnormen nicht mit unserer Verfassung in Einklang sind. Da geht in einem so einiges kaputt bzw das Vertrauen in den Rechtsstaat wird heftigst erschüttert und letztendlich zerstört. Und wenn man sich dann noch vor Augen wie lange dieser Zustand schon hinziehtnund noch ziehen wird, so geht das letzte bisschen Glauben an unseren Rechtsstaat in einem zu Grunde.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6207 am: 24.06.2023 15:04 »
Da der Gesetzgeber ja handelt und dabei den Anschein erweckt, sachgerecht zu handeln bzw. nicht hervorhebt, dass er wissentlich und willentlich verfassungswidrig handelt, Knecht, ist die Frage nach dem "Vorsatz" nur bedingt zu klären. Rechtlich kommt sein entsprechendes Handeln dabei in diesen Fällen einer Untätigkeit gleich - und das dürfte vom Bundesverfassungsgericht - denke ich - in nicht allzu ferner Zukunft für einen Rechtskreis so betrachtet werden. Die Parallelität ist das nicht hinreichende Handeln des Gesetzgebers hinsichtlich der alimentativen Mehrbedarfs kinderreicher Beamter, nachdem das Bundesverfassungsgericht 1977 festgestellt hatte, dass der Familienzuschlag ab dem dritten Kind nicht amtsangemessen gewährt wurde. 1990 hat das Bundesverfassungsgericht dieses Faktum erneut festgestellt und den Gesetzgeber ein weiteres Mal verpflichtet, in einem zeitlich angemessenen Rahmen für eine verfassungskonforme Regelung zu sorgen. Als das dann weiterhin nicht geschehen ist, hat es 1998 eine Vollstreckungsanordnung erlassen, was zur Folge hatte, dass der Gesetzgeber nun recht rasch sein Handeln entsprechend verändert hat.

Ich gehe davon aus, wie ich das hier ja schon mehrfach dargelegt habe, dass derzeit bereits Berlin und Sachsen sowie ggf. auch Baden-Württemberg damit rechnen könnten, dass ihnen in der nächsten Entscheidung des Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Anordnung drohen könnte und dass mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit ebenso nach der anstehenden Entscheidung Niedersachsen und ggf. auch Schleswig-Holstein jenen Kreis bis auf Weiteres komplettieren könnten. Wie gesagt, nach der Veröffentlichung der angekündigten Entscheidung sehen wir - denke ich - klarer als heute.
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Die Entscheidung über Niedersachsen betrachtet das Jahr 2005 und damit den zweitältesten Zeitpunkt. Im Verfahren 2 BvL 2/19 wird das Bundesverfassungsgericht die Brandenburger Richterbesoldung des Zeitraums 2004 bis 2016 betrachten. Beide Entscheidungen werden damit auch den Zeitraum der Teilföderalisierung des Besoldungsrechts vor der Föderalismusreform I betrachten, mit dem die Landesgesetzgeber zum 01.09.2006 das konkurrenzlose Gesetzgebungsrecht im Besoldungsrecht für ihren Rechtkreis zurückerlangt haben. Entsprechend wird in der anstehenden niedersächsischen und genauso in der anhängigen brandenburgischen Entscheidung bis zu einem gewissen Grad auch das Besoldungsniveau in ganz Deutschland bis zum Jahr 2006 betrachtet werden (bis zum 01.09.2006 war die Besoldung mit Ausnahme der Sonderzahlungsregelung, die ab 2003 in die Hände der Landesgesetzgeber zurückverlagert worden ist, noch bundeseinheitlich geregelt), also auch indirekt die Bundesbesoldung.

Der Zeitraum ab 2004 umfasst nun mittlerweile ebenfalls schon 19 Jahre und bis zur ersten Vollstreckunganordnung, sofern sie denn kommen muss, wird's entsprechend sicherlich ebenfalls geringstenfalls 20 oder 21 Jahre dauern. Darin liegt, wenn ich es richtig sehe, einer der zentralen Kritikpunkte Ozys, wobei hier aber eben verfassungsrechtlich eine komplexe Sachlage vorliegt, die m.E. in den Blick genommen werden muss, um das Handeln des Bundesverfassungsgerichts zu durchdringen. Ich drösel das nach Möglichkeit möglichst knapp (und damit oberflächlich) auf (und komme dennoch nicht mit den 20.000 Zeichen hin, die ein Beitrag maximal haben darf, weshalb ich diesen Beitrag in zwei unterteile); zu vielem von dem, was ich gleich schreibe, habe ich hier im Forum ja schon jeweils längere Beiträge geschrieben:

- Nach der Reform des Besoldungsrechts 1971 war die Gesetzgebungskompetenz für die Besoldung und Versorgung der Beamten im Landesrecht zwischen Bund und Ländern geteilt, was zur Folge hatte, dass sich seitdem eine bundeseinheitliche Besoldung etabliert hatte.

- In den 1990er Jahren wurden in diese bundeseinheitlich geregelte Besoldung und Versorgung wiederkehrend Einschnitte vollzogen und damit das Besoldungs- und Versorgungsniveau abgesenkt. Dies stand im Kontext der sich zunehmend mehr abzeichnenden Wirtschaftskrise im Gefolge der Deutschen Einheit oder ggf. auch im Gefolge falscher Entscheidungen im Gefolge der Deutschen Einheit.

- Gen Ende der 1990er Jahre liefen deshalb beim Bundesverfassungsgericht wiederkehrend (aber noch deutlich geringer als nach 2015) erste Vorlagebeschlüsse auf, die das Bundesverfassungsgericht auf Grundlage seiner ab den 1950er Jahre kontinuierlich entwickelten Besoldungsdogmatik als unbegründet zurückwies bzw. wiederkehrend aus formellen Gründen, auf die ich gleich zurückkommen werde, gar nicht erst zuließ.

- Ab dem gleichen Zeitraum der zweiten Hälfte der 1990er Jahre verstärkte sich im Bund und in den Ländern zunehmend das Interesse an einer Reföderalisierung des Besoldungsrechts, um über die Gesetzgebungskompetenz Einsparungsziele vornehmen zu können.

- Als Folge wurden 2002/03 die Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen offensichtlich gezielt düpiert, was zur Folge hatte (das ist wie gesagt ebenfalls stark vereinfacht formuliert), dass die Landesgesetzgeber 2003 die Gesetzgebungskompetenz über das Sonderzahlungsrecht erlangten und dies umgehend nutzten, um damit im Zuge von Kürzungen und ggf. der gesamten Streichung der jährlichen Sonderzahlung (und zugleich des Urlaubsgelds) deutliche Einsparungen vorzunehmen. Die jährliche Sonderzahlung hatte 2003 in den alten Ländern noch 86,31 % und in den neuen 64,73 % eines Bruttomonatsgehalts betragen (die Höhe der Sonderzahlung war 1993 auf den Stand von 1992 eingefroren worden, sodass seitdem das 13. Monatsgehalt prozentual abgeschmolzen wurde). 2004 und 2005 erfolgten in allen Rechtskreisen als Folge der Reföderalisiierung der betreffenden Gesetzgebungskompetenz deutliche Absenkungen und überwiegend ab 2005 die gesamte Streichung des Urlaubsgelds, aber auch der jährlichen Sonderzahlung (später ist eine solche Sonderzahlung in der überwiegenden Zahl an Ländern wieder eingeführt worden, jedoch auf einem deutlich geringeren Niveau als vor 2003).

- Diese Entwicklung der deutlichen Senkung des Besoldungsniveaus wurde vielfach und wiederkehrend gerichtlich geprüft und die daraus resultierende Vorlagebeschlüsse liefen vor allem ab der zweiten Hälfte der 2000er Jahre beim Bundesverfassungsgericht ein.

- 2006 erfolgte die Reföderalisierung des Besoldungsrechts, wie ich sie oben dargelegt habe, erlangten also die Länder die konkurrenzlose Gesetzgebungskompetenz über die Besoldung und Versorgung in Landesrecht zurück, wobei sie überwiegend in den ersten Jahren noch zu keinen grundlegenden Strukturveränderungen des überkommenen und nach 2003 jedoch hinsichtlich des Urlaubsgelds und der Sonderzahlung grundlegend veränderten Besoldungsrechts schritten. Diese Strukturveränderungsprozesse setzt zumeist ab dem Ende der 2000er Jahre ein, wobei wie nicht anders zu erwarten die deutliche Absenkung bis vollständige Streichung der jährlichen Sonderzahlung mindestens bis dahin weiterhin bestehen blieb.

- Ab dem selben Zeitraum in der Mitte der 2000er Jahre hatte das Bundesverfassungsgericht nun insbesondere über die gerade genannten Vorlagebeschlüsse im Gefolge des 17-fach veränderten Sonderzahlungsrechts zu entscheiden. Innerhalb dieses Prozesses kam es zum einen zu dem Ergebnis (und zwar in einer 2007 vollzogenen Entscheidung), dass eventuell eine Unteralimentation einzelner Beamter bzw. einzelner Beamtengruppen bis hin zur gesamten Beamtenschaft womöglich nicht mehr ausgeschlossen werden konnte. Es fand sich nun aber zum anderen in einer komplexen Sachlage: Erstens hatte es in den rund 50 Jahren zuvor nach und nach eine Besoldungsdogmatik entwickelt, die keine differenzierte materielle Prüfung anhand von objektiverbaren Daten vorgesehen hatte, da das generelles juristisches Neuland gewesen wäre (solche in gewisser Hinsicht an rechtsrealistischen Ideen angelehnte Vorstellungen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg und zunehmend auch ab den 1950er und 1960er Jahren nicht nur in Deutschland mit gehörigem Zweifel belegt, der bis heute in Teilen nicht ganz ausgeräumt ist) und zugleich auch bis in die erste Hälfte der 2000er Jahre als sachlich nicht nötig erschien, da die Höhe der gewährten Besoldung und Alimentation weitgehend nicht oder nur in Ausnahmesituationen gerichtlich - also in Vorlagebeschlüssen - angezweifelt worden war. Zweitens war es in den 1990er Jahren in Deutschland - auf's Ganze gesehen - zu realen Wohlstandsverlusten gekommen, die wiederum in einzelnen Regionen differenziert zu betrachten gewesen wären oder waren, ohne dass es dafür hinsichtlich des Besoldungsrechts eine Handhabe gab, da ja erst seit 2003 und 2005 das zuvor rund 30 Jahre einheitliche Besoldungsniveau nun stark ausdifferenziert und darin in den nun 17 Rechtskreisen deutlich abgesenkt wurde. Entsprechend blieb die Frage zunächst kaum beantwort- oder gar entscheidbar, ob der auf's Ganze gesehen generelle Wohlstandsverlust die Einschnitte in die und das Absenken der Besoldung rechtfertigen konnte oder ob hier den Beamten ein "Sonderopfer" abverlangt wurde, das verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen war.

- Entsprechend der bisherigen Rechtspraxis waren die eingehenden und ab der ersten Hälfte der 2000er Jahre in Karlsruhe eingegangenen Vorlagebeschlüsse der Fachgerichte wiederkehrend nicht als sachgerecht zu betrachten und wurden entsprechend nicht selten gar nicht zur Entscheidung angenommen, da sie keine sachgerechte Prüfung vorgenommen hatten. Die Fachgerichte hatten sich entsprechend seit den beginnenden 2000er Jahre und insbesondere nach dem einsetzenden Kontinuitätsbruch im Jahre 2003 auf Grundlage einer für die neue Situation ggf. nicht mehr hinreichenden tradierten Rechtsprechungspraxis mit einer neuen Situation des abgesenkten Besoldungsniveaus im Kontext allgemeiner (jedoch nicht überall gleicher) Wohlstandsverluste auseinanderzusetzen und also die gerichtliche Kontrolle zu vollziehen, ohne dass hierfür die verfassungsrechtliche Rahmung hinreichend präzisiert war. Dabei bleibt weiterhin zentral zu beachten - um nicht dem Interesse der Verantwortungsverwischung auf dem Leim zu gehen, das wiederkehrend die Dienstherrn in ihren Darlegungen leitet -, dass für diese Defizite nicht das Bundesverfassungsgericht oder die Fachgerichtsbarkeit die Verantwortung trugen, sondern ausnahmslos die 17 Besoldungsgesetzgeber, die also das Besoldungsniveau zumeist deutlich absenkten, aber entgegen ihrer Pflicht, eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren, keinerlei substanzvolle Prüfung(skriterien) entwickelten, die garantiert hätte(n), dass das Maß der gewährten Alimentation noch amtsangemessen wäre. Damit bewahrheitete sich das, was kurz vor der Föderalimusreform 2006 einer besten Kenner der Materie hellsichtig wie folgt vorausgesagt hatte: "Abgesehen von Einzelproblemen [die er zuvor betrachtet hatte; ST.] ist bei der Zurückverlagerung der Gesetzgebung auf den Gebieten des Besoldungsrechts und des Beamtenversorgungsrechts mit einer rasch abnehmenden Transparenz des Rechts und einem fortschreitenden Qualitätsverfalls des Rechts zu rechnen. Wer sich heute mit dem Beamtenversorgungsrecht befasst und beim Einordnen der Ergänzungslieferungen der Kommentare jeweils die Sonderheiten für nur beschränkte Zeit geltende Sonderfassungen an den richtigen Platz bringen will, hat große Probleme. Das Beamtenversorgungsrecht ist bereits als Bundesrecht nur schwer überschaubar - und jetzt muss man sich vorstellen, dass ein bereits heute nicht sehr transparentes Recht versiebzehnfacht wird! Das Rechtsgebiet Beamtenversorgungsrecht ist so kompliziert, dass eine einigermaßen sachgerechte Gesetzgebung des gebündelten Sachverstands der Experten von Bund und Ländern bedarf. Kenntnislücken können hier durch Kolleginnen und Kollegen ausgeglichen werden. Die Länder werden mit ihrer Personalausstattung in den Dienstrechtsministerien die Aufgabe aus der neuen Ländergesetzgebung wohl kaum sachgerecht schultern können. Man kann sich andererseits auch eine Personalaufstockung in den Dienstrechtsabteilungen der Ministerien schwer vorstellen. Zum Qualitätsverfall bei einem Nebeneinander von Bundes- und Ländergesetzen im Dienstrecht hat vor nunmehr fast 35 Jahren Walter Wiese Beindruckendes geschrieben [Anm.]." (Rudolf Summer, Gedanken zum Gesetzesvorbehalt im Besoldungsrecht, ZBR 2006, S. 120 (128 f.); Hervorhebungen w.i.O.)

- Ab diesem Zeitraum Mitte der 2000er Jahre und aus sicherlich nicht gänzlich unähnlichen Bedenken heraus, wie sie gerade das Zitat offenbarten, begann nun die bundesverfassungsgerichtliche Arbeit an der neuen Besoldungsdogmatik, die man sich vereinfacht als eine Art Ping Pong vorstellen muss, die nicht untypisch für die Kommunikation zwischen Fachgerichtsbarkeit und dem Bundesverfassungsgericht ist: Beim Bundesverfassungsgericht gingen ab 2004 zunehmend Vorlagebeschlüsse ein, die die Fachgerichte unter Betrachtung der alten Besoldungsdogmatik im Kontext der beschriebenen neuen Situation(en) mit Blick auf insbesondere das neue und ggf. 17-fach unterschiedliche Sonderzahlungsrecht erließen, die (die Gerichte) aber diese neue(n) Situationen wiederkehrend nicht hinreichend prüfen konnten, da die Gesetzgeber i.d.R. keinerlei hinreichende Begründung und Prüfung ihrer Gesetzgebung vollzogen hatten, sodass das Bundesverfassungsgericht die Vorlagen vielfach mit der Begründung zurückweisen musste, dass diese Vorlagen der Fachgerichte nicht hinreichend begründet waren, wodurch es in der bundesverfassungsgerichtlichen Begründung der Zurückweisung zwangsläufig erste Direktiven erließ, was bei der Prüfung der Besoldung und Alimentation im Zuge der neuen Situation(en) von der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu beachten wäre: Mit jeder Zurückweisung einer Vorlage wurden die Mängel nicht hinreichend substanziierter Vorlagen für alle Beteiligten und also auch das Bundesverfassungsgerichts klarer, sodass nach und nach über die Zuückweisung die Frucht der Arbeit am Recht erkennbar wurde: nämlich eine langsame Klärung dessen, was bei der Prüfung der beklagten Besoldung und Alimentation zu beachten wäre, um hinreichend klären zu können, ob eine Alimentation als amtsangemessen oder verfassungswidrig zu betrachten wäre. Ab nun zeichnete sich in seiner Rechtsprechung gleichfalls mehr und mehr ab, dass das Bundesverfassungsgericht für eine sachlich hinreichende Prüfung ebenfalls die übergreifende Betrachtung ökonomischer Indices voraussetzte, die einen längeren Zeitraum in den Blick nehmen mussten (die in gewisser Weise rechtrealistisch beeinflusste Vorstellungswelt kam in neuem Gewand in jenem Zeitraum verstärkt in die rechtswissenschaftliche Betrachtung - oder eher: in Teilen von ihr - zurück), ohne dass diese Indices und der Zeitraum ihrer Betrachtung bereits gefunden und im verfassungsrechtlichen Rahmen hinreichend statthaft eingeordnet worden wären - dies jeweils unter Beachtung dessen, was ich gestern geschrieben habe: Es kontrolliert niemand mehr das rechtsgültig Recht sprechende Bundesverfassungsgericht, das entsprechend festlegt, was verfassungsrechtlich geboten oder verwehrt ist, oder klarer (wie schon gestern zitiert) als Folge der spezifischen Alleinstellungsmerkmale des Gesetzgebers auf der einen Seite und des Bundesverfassungsgerichts auf der anderen: "Der Besoldungsgesetzgeber verfügt über einen weiten Entscheidungsspielraum. Dem entspricht eine zurückhaltende, auf den Maßstab evidenter Sachwidrigkeit beschränkte verfassungsgerichtliche Kontrolle." (LS. 3 der aktuellen Entscheidung, zugleich ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts)

- Im Zuge dieser Art Ping Pong sowohl mit der Fachgerichtsbarkeit als auch mit der Fachwissenschaft, wie es ab etwa der Mitte der 2000er Jahre einsetzte, und den - in diesem Fall jedoch zumeist im Sinne der Darlegung Rudolf Summers wiederkehrend bis heute sachlich weitgehenden ausfallenden - Besoldungsgesetzgebern verständigte sich der Zweite Senat nach und nach auf die bis dahin weiterhin noch unausgearbeitete neue Dogmatik, vollzog also weiterhin die Arbeit am Recht, indem es entsprechende erste Hinweis gab, um im Anschluss zu betrachten, wie die Gerichtsbarkeit und Rechtswissenschaft diese Hinweise aufnahmen, sodass die typische Arbeit am Recht unter neuen Bedingungen fortgeführt wurde, was grundsätzlich über längere Zeiträume zu erfolgen hat und zu verfolgen ist, um fachwissenschaftlich, fachgerichtlich und schließlich bundesverfassungsgerichtlich entscheiden zu können, welche dogmatischen Standpunkte (noch) sinnvoll oder (schon) geändert und dann bis wohin zu ändern wären.
« Last Edit: 24.06.2023 15:12 von SwenTanortsch »

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6208 am: 24.06.2023 15:05 »
- Bis zum Jahr 2012 schälte sich das drei Jahre später vom Bundesverfassungsgericht erlassene dreistufige Prüfungsverfahren heraus, wobei die Arbeit am Recht nicht unbeachtet lassen konnte (wie sie das grundsätzlich nie lassen kann), dass die Rechtslage und ggf. auch die Veränderung der Verfassung mit allen potenziellen Rückwirkungen auf eine ggf. zu verändernde oder gar neue Dogmatik nicht aus den Blick verloren gehen kann, so bspw. ab 2011 die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse, die über einen längeren Zeitraum seitdem Auswirkungen zeitigte.

- 2012 hat das Bundesverfasungsgericht seinen Rechtsprechungswandel, den es seit spätestens 2007 eingeleitet hatte, zum ersten Mal in einer umfassenden Entscheidung, die entsprechend als eine Grundsatzentscheidung zu verstehen ist, anhand der W-Besoldung verdeutlicht und auf die Tagesordnung gehoben, nachdem es sich auch als Folge der angerissenen Kommunikation zwischen und mit der Fachgerichtsbarkeit und der Rechtswissenschaft sachlich hinreichend sicher sein durfte (so gilt es zu vermuten), dass diese Entscheidung mitsamt der sich nun abzeichnenden neuen Besoldungsdogmatik sachlich den aus der Verfassung abzuleitenden Qualtitätsanforderungen der richterlichen Prüfung standhalten würde, das also die nun präsentierten Prüfkriterien nicht zum von den Besoldungsgesetzgebern eingeleiteten und dann vollzogenen Qualitätsverfall im Besoldungsrecht beitragen würden, sondern vielmehr diesen hinreichend prüfen und kontrollieren würden. Entsprechend hat es in der betreffenden Entscheidung zum einen die den Gesetzgeber treffenden prozedurale Anforderungen präzisiert, wodurch es gezielt und konkret auf den Qualitätsverfall im Besoldungsrecht reagierte, indem es dem Gesetzgeber auferlegte, die Arbeit am Recht zu dokumentieren und also seine Entscheidungen sachlich zu begründen, und zum anderen die zuvor wiederkehrend angerissenen ökonomischen Prüfindices weiterhin konkretisiert hat, wenn es sie auch weiterhin offensichtlich noch nicht hinreichend präzisieren konnte - waren bis dahin Entscheidungen über Besoldungsfragen i.d.R. zurückgewiesen worden, schälte sich nun auf Grundlage der sich abzeichnenden neuen Besoldungsdogmatik der Rechtsprechungswandel im Besoldungsrecht heraus.

- Zentrale Folge dessen war eine Intensivierung des genannten "Ping Pongs" insbesondere in und mit der Rechtswissenschaft - zwischen 2012 und 2015 findet man anders als in dieser Weite zuvor eine hohe Zahl an fachwissenschaftlichen Beiträgen zur sich abzeichenden neuen Rechtsprechung -, woraus das Bundesverfassungsgericht typischerweise den eigenen Erkenntnisgewinn mit erweiterte. Zugleich betrachtet das Bundesverfassungsgericht gemäß seines Kontrollauftrags und auf Grundlage der gestern von mir angerissenen Bedingungen grundsätzlich die Wirkung seiner Entscheidung auf den bzw. in unserem Fall auf die Gesetzgeber, um gemeinsam mit den Entscheidungen der Fachgerichtsbarkeit weitere allgemeine Rückschlüsse anzustellen, die sich ggf. in auf Einzelfälle konzentrierten weiteren Entscheidungen wiederfinden.

- Als Folge hat es 2015 in zwei weiteren Grundsatzentscheidungen zur R- und A-Besoldung mit dem dreistufigen Prüfprogramm die erste Säule des Alimentationsprinzips deutlich weiter konkretisiert und damit das Herzstück der neuen Dogmatik in Stand gesetzt, also das vollzogen, was in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eher sehr selten vorkommt, nämlich einen umfassenden Rechtsprechungswandel vollzogen, also eine deutlich Diskontinuität weiter in Gang gesetzt. Während bis 2012/15 weit überwiegend Entscheidungen über Besoldungsfragen gar nicht erst zugelassen oder wenn als unbegründet zurückgewiesen worden sind, werden seitdem die Besoldungsfragen vor dem Bundesverfassungsgericht im Sinne der Kläger vollzogen, sofern sie hinreichend substanziiert sind. Darin zeigt sich die einschneidende Folge der Qualitätsverfalls im Besoldungsrecht seit spätestens dem Beginn der 2000er Jahre und intensiviert durch die Folgen der Föderalismusreform I, der Hand in Hand ging mit einer Absenkung des Besoldungsniveaus, der seitdem in ausnahmslos allen Rechtskreisen zu einer nicht mehr amtsangemessenen Alimentation geführt hat.

- Als Folge dieser beiden Grundsatzentscheidungen sind seit 2016 auf Grundlage vor allem des 2015 entwicklten Prüfungshefts zunehmend Vorlagebeschlüsse von der Fachgerichtsbarkeit nach Karlsruhe übersandt worden, nämlich sofern man die Vorlagen jeweils als zu gemeinsamen Entscheidungen zusammengefasst betrachtet in dieser Zahl (zum Teil in unterschiedlichen Jahren zum selben Gesetzgeber; die 2017 und 2018 vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Verfahren führe ich hier nicht auf):

2016: eine Entscheidung (mit fünf anhängigen Verfahren) zum Bundesland Bremen
2017: drei Entscheidungen (mit jeweils zwei, sieben und drei anhängigen Verfahren) zu den Bundesländern Berlin, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen
2018: fünf Entscheidungen (mit zweimal einem, jeweils einmal zwei, drei und acht Verfahren) zu den Bundesländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Saarland und Berlin.
2019: vier Entscheidungen (mit jeweils dreimal einem und einmal drei anhängigen Verfahren) zu den Bundesländern Brandenburg, Niedersachen, Hamburg und Sachsen.
2020: eine Entscheidung (mit fünf anhängigen Verfahren) zu dem Bundesland Hamburg sowie die erfolgte rechtskräftige Entscheidung über drei Verfahren zur Berliner R-Besoldung.
2021: drei Entscheidungen (mit zweimal einem und einmal zwei Verfahren) zu Bundesländern Berlin, Schleswig-Holstein und Hessen.
2022: eine Entscheidung (mit vier Verfahren) zum Bundesland Nordrhein-Westfalen.

- Darüber hinaus hat es 2017 das Abstandsgebot zwischen verschiedenen Besoldungsgruppen als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentum betrachtet und 2018 in einer weiteren Entscheidung die den Gesetzgeber treffenden Begründungspflichten noch einmal konkretisiert und sie darin - recht deutlich - verschärft.

- 2020 erfolgte dann mit der aktuellen Entscheidung eine weitere Grundsatzentscheidung, woraufhin als typische Folge einer Grundsatzentscheidung das Bundesverfassungsgericht zunächst einmal die Reaktion des - und in unserem Fall der 17 - Besoldungsgesetzgeber(s) abgewartet hat, um daraus Schlüsse für die ggf. (und in unseren Fällen: ganz sicherlich) weiteren Entscheidung(sschritte) abzuleiten. Darüber hinaus darf davon ausgegangen werden, dass sich derzeit weiterhin das beschriebene "Ping Pong" vollzieht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Fachgerichte (seit der letzten Entscheidung hat die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Hamburg, Schleswig-Holstein, Berlin und Hessen sowie aktuell erneut in Berlin weitere Entscheidungen und Vorlagebeschlüsse gefasst), aber auch mit der Fachwissenschaft (seit 2020 sind einige Fachbeiträge zum Thema erschienen, die das Bundesverfassungsgericht eingehend studiert haben wird).

Für 2023 sind nun die weiteren Verfahren zu drei Bundesländer angekündigt worden, wobei man begründet davon ausgehen darf, dass es - was ungewöhnlich ist - direkt im Gefolge an eine Grundsatzentscheidung zu weiteren Grundsatzentscheidungen kommen wird, und zwar mindestens sowohl erneut die prozduralen Anforderungen betreffend, die der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren zu erfüllen hat, als auch in der weiteren Konkretisierung des Mindestabstandsgebots. In Anbetracht dessen, was ich gestern geschrieben habe, wären diese Grundsatzentscheidungen 2021 und 2022 verfassungsrechtlich kaum möglich gewesen, da sich erst ab 2021 in ersten Ansätzen und im weiteren Verlauf des Jahres 2022 zunehmend deutlich herausgestellt hat, dass die Besoldungsgesetzgeber die sachlich deutliche Rechtsprechung des Jahres 2020 wissentlich und willentlich missachten - zugleich hätte das Bundesverfassungsgericht 2022 wie angekündigt seine Entscheidung zu Bremen vollziehen können, hier nun allerdings nicht als Grundsatzentscheidung, sodass davon ausgegangen werden kann, dass auch diese Entscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Besoldungsgesetzgebern genauso missachtet worden wäre, wie das nach 2020 geschehen ist. Damit aber hätte sich das Bundesverfassungsgericht mehr und minder selbst einem Autoritätsverlust ausgesetzt - so wie nun zu erwarten ist, dass es mit den anstehenden Entscheidungen nicht zuletzt (aber auch nicht zuerst) das Ziel verfolgen wird, den sich ansonsten anbahnenden Autoritätsverlust zu verhindern.

In diesem Sinne bleibt mir die hier allgemein geäußerte Kritik am Bundesverfassungsgericht zu wenig konkret - und insofern stellt sich mir die Frage, welche Entscheidungen hätte es zu welchem Zeitpunkt wie oder ggf. anders fällen sollen, um damit zum einen seinen Verfassungsauftrag zu gewährleisten und dabei also seine Kompetenzen nicht zu überschreiten als auch zum anderen den konzertierten Verfassungsbruch der Besoldungsgesetzgeber zu beenden, der tatsächlich erst seit 2021/22 immer deutlicher wird? Eine konkrete und nicht allgemeine und also abstrakte Darlegung würde mich interessieren. Ich habe mich nun doch mit dieser Materie recht ausführlich auseinandergesetzt und zugleich kratzt die gerade angestellte Darlegung sachlich nur an der obersten Schicht der Oberfläche - denn tatsächlich wäre zu jedem der aufgeführten Spiegelstriche inhaltlich deutlich mehr zu sagen und habe ich hier nicht wenige weitere Spiegelstriche gar nicht erst ausgeführt, weil beides für sich den Umfang dieses Forum, aber auch meinen mir möglichen Kraftaufwand wie auch meine (Er-)Kenntniskraft deutlich überstiegen hätte.

Fazit: Ich kann nicht einmal in Ansätzen eine wie auch immer geartete Mitverantwortung des Bundesverfassungsgerichts an dem wissentlich und willentlich sowie konzertiert vollzogenen Verfassungsbruch der Besoldungsgesetzgeber sehen - denn für diesen tragen ausnahmslos sie allein die auschließliche Verantwortung, auch wenn sie das wiederkehrend gerne kaschieren oder wegreden wollen. Dieses Fazit schließt darüber hinaus eine Kritik im einzelnen an sachlichen Entscheidungen in den verschiedenen Betrachtungen und Prüfungen des Bundesverfassungsgerichts nicht aus, und zwar nicht auch hinsichtlich der letzten: Nicht umsonst habe ich verhältnismäßig schnell nach dieser aktuellen Entscheidung sachliche Kritikpunkte angebracht. Aber auch für mich wie für jeden anderen außer dem Zweiten Senat ist die - notwendige - Äußerung von Kritik einfach - denn zum Glück muss auch ich nicht die weitreichenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht zuletzt zu unserem Thema fällen und also für diese Entscheidungen die Verantwortung übernehmen. Denn in Anbetracht der ggf. schon eingetretenen Verfassungskrise, für die ausschließlich die verantwortlich sind, die sie eingeleitet und weiterhin am vollziehen sind, dürfte es auch für das Bundesverfassungsgericht nicht leicht sein, hinreichende sachliche - d.h. im Rahmen seines Verfassungsauftrags maßvolle und zugleich wirksame - Entscheidungen zu treffen; leicht dürfte es hingegen sein, falsche Entscheidungen zu treffen. Und die kommen nach meiner Lebenserfahrung tendenziell eher zustande, wenn man zu schnell oder auf falscher Sachgrundlage entscheidet. Das Sitzen auf den eigenen Händen kann manchmal eine Tugend sein, auch wenn ich mir ebenfalls lieber heute als morgen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erhoffte (aber zum Glück gewahr sein darf, dass diese Hoffnung keinerlei Auswirkungen auf seine Rechtsprechungspraxis haben wird).

lotsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6209 am: 24.06.2023 17:09 »
Ein Vorsitzender Richter des BVerfG, ich denke es war Voßkuhle, sagte vor ungefähr 10 Jahren in einem Interview, dass ihm die Verfahren im Beamtenbesoldungsrecht zu lange dauern. Eine Verfahrensdauer über 20 Jahren und Urteile die dann unter Absprache aller Parteien missachtet werden und ein andauernder vorsätzlicher Verfassungsbruch von Politikern, die eigentlich Vorbilder sein sollen, und die Zügel im Beamtenrecht bezüglich Verfassungstreue immer weiter anziehen, disqualifizieren sich bezüglich ihrer Regierungsfähigkeit. Sie höhlen das Grundgesetz, die Autorität des BVerfG und auch die Verfassungstreue allgemein aus. All dies führt zu einer zunehmenden Politikverdrossenheit, die sich auch in den Umfragewerten zeigt. Warum soll ich mich an das Gesetz und das Grundgesetz halten, wenn die Politiker als Vorbilder sich nicht daran halten? (rein rhetorische Frage und entspricht nicht meiner Intention). Die Deutschen verhalten sich wie träge Masse in der Physik, sie sind schwer in Bewegung zu setzen, aber wenn sie in Bewegung sind, sind sie auch schwer zu bremsen. Die Zeiten sind politisch und wirtschaftlich unsicher, das Personal ist knapp, aber unsere Politiker denken, sie müssten im Beamtenbereich weiter sparen, weil das die dümmsten Schafe im Stall sind, die nie aufmucken. Wenn sich das nicht irgendwann rächt, wie beim Einsparen bei der Bundeswehr.