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EntgTranspG, §22 AGG
Spid:
Aktuell habe ich den Fall, daß 2018 u.a. 8 neue Stellen E11 eingerichtet worden sind, die zwar an unterschiedlichen Orten bestehen, ansonsten aber inhaltsgleich sind und somit eine gleiche Tätigkeit i.S.d. EntgTranspG darstellen. Bei der Besetzung im Laufe des ersten Quartals 2018 hat es 7 Einstellungen und eine Tätigkeitsänderung, die zur Höhergruppierung führte, gegeben.
Die Höhergruppierung führte in E11/5.
Die Tätigkeit ist recht speziell und deckt sich mit keinem allgemeinen Berufsbild. Mir ist auch ansonsten kein AG bekannt, der eine gleiche oder weitgehend ähnliche Tätigkeit im Portfolio hat. Das Bewerberfeld war regional zwar unterschiedlich, insgsamt aber dünn. Der ausgewählte Bewerber bzw. in einem Fall die ausgewählte Bewerberin waren entweder die einzige infragekommende Besetzung oder hatte einen derart erheblichen Qualitätsunterschied zum Zweitplatzierten, daß die Anwendung der Kann-Regelung zur Berücksichtigung förderlicher Zeiten jedenfalls und in jedem Fall eröffnet war. Einschlägige Berufserfahrung hatte kein Bewerber gleich welchen Geschlechts. Bei den ausgewählten Bewerbern verfügten alle über als förderlich berücksichtigungsfähige Zeiten von mindestens 15 Jahren.
Wir dokumentieren, seitdem ich es 2013 eingeführt habe, ob und in welcher Fom der Bewerber über die Stufenzuordnung verhandelt. In Bewerbungsgesprächen stellen wir stets dar, welchen Anspruch auf Stufenzuordnung wir aufgrund der tariflichen Regelungen i.V.m. der jeweilige Erwerbsbiographie sehen - und fragen, ob der Bewerber damit einverstanden sei. Wer nicht verhandelt, erhält selbstredend die Stufe, auf die er einen Anspruch hat - aber nicht mehr. Wer verhandelt, kann ohne großen Widerstand auch die gesamten föderlichen Zeiten anerkannt bekommen.
Die Einstellung erfolgte bei 5 Bewerbern in Stufe 6 (die so im Gespräch dokumentiert verhandelt worden ist), bei einem Bewerber in Stufe 5 (die er explizit gefordert hat, ich schmeiß ja keinem Geld hinterher) und bei einer Bewerberin in Stufe 1 (die nicht verhandelt hat und mit Stufe 1 einverstanden war).
Ein auf das EntgTranspG gestütztes Auskunftsverlangen der mittlerweile in E11/3 eingruppierten TB ergab naturgemäß ein Medianentgelt der in vergleichbarer Tätigkeit beschäftigten männlichen TB von 5367,08€, das somit erheblich über ihrem eigenen Entgelt liegt.
Den Wunsch des GBR, eine übertarifliche Angleichung im Sinne des Betriebsfriedens vorzunehmen, habe ich bereits abschlägig beschieden.
Die Dokumentation des Verfahrens wie auch jedes Einzelfalls ist vorbildlich und nachvollziehbar. Der Nachweis, daß keine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts stattgefunden hat, kann damit erbracht werden. Dennoch rechne ich zeitnah mit einer entsprechenden Klageerhebung durch die TB.
Gibt es Erfahrungen im Hinblick auf §22 AGG i.V.m. dem EntgTranspG abseits von BAG, Urteil v. 21.01.2021 - 8 AZR 488/19, wo - soweit ich es überblicke - nach Rückverweisung ans LAG in der Sache noch nicht entschieden worden ist? Oder sonstige Erfahrungen und/oder Meinungen - außer der, daß an der sog. Gender Pay Gap mehr als offenkundig die Frauen selbst schuld haben?
BAT:
Abgesehen davon, das ich das EntgTranspG - im Gegensatz zum AGG - für Unfug halte, da es fälschlicherweise von einer binären Geschlechtlichkeit ausgeht (Normenkontrollklage!), ist materiell meiner Meinung nach eindeutig eine Benachteiligung wegen des "Geschlechts" gegeben, da eine fehlende stringente Durchsetzung möglichst hoher Forderung geradezu lehrbuchmäßig beispielhaft für diese Klientel ist. Und genau diese Fälle wollte der Gesetzgeber mit den o. g. Normen schützen und gleichstellen.
Spid:
Nein, genau das wollte der Gesetzgeber eben nicht, siehe auch das referenzierte BAG-Urteil sowie die Gesetzesbegründung. Es soll eben gerade nicht Verhandlungen zwischen den Arbeitvertragsparteien ersetzen.
Lars73:
Es gibt ja bisher erst wenige Entscheidungen auf LAG/BAG-Ebene. Die LAG-Entscheidungen sind ja nicht ganz einheitlich, aber nach der BAG-Entscheidung auf wackligen Füssen.
Ich gehe davon aus, dass im geschilderten Sachverhalt ein Indiz für eine entsprechende Benachteiligung aus BAG-Sicht gegeben ist. Diese Vermutung kann auch aus BAG-Sicht entkräftet werden. Aber die Beweislast wandert hier zum Arbeitgeber.
Unter den geschilderten Umständen würde ich die Entkräftigung der entsprechenden Vermutung als gegeben ansehen. Aber da muss man es schon so gut dokumentiert haben. Auch ist die Ebene der Arbeitsgereicht hier reines Glücksspiel. Aber das man solche Verfahren dann halt in die nächste(n) Instanz(en) tragen muss ist dir ja klar.
Die europarechtliche Komponente mit dem effet utile Ansatz ist ein schwieriges Feld und kann zu etwas überraschenden Entscheidungen führen.
(Ich war selbst schon an einem Vorlageverfahren (allerdings im Verwaltungsrecht) beteiligt wo ich nicht geglaubt hatte, dass wir vorm EuGH gewinnen. Aber gestützt auf Effizienzgebot hat das EuGH unsere Sicht gestützt und ist noch weiter gegangen als von und hergeleitet...)
Trotzdem halte ich die Wahrscheinlichkeit, dass im geschilderten Fall bei euch eine unerlaubte Diskriminierung festgestellt wird, für recht gering.
Zur Praxis sei noch geschildert, dass bei einige Behörden den Bewerbern (und insbesondere den Bewerberinnen) die Stufenforderung ggf. quasi in den Mund gelegt wird (was aus anderen Erwägungen nicht unproblematisch ist).
Spid:
Ja, die Vermutung der geschlechterbezogenen Benachteiligung liegt unzweifelhaft vor. Deshalb bin ich froh, daß wir seit Jahren dokumentieren, wie die Stufe bei Einstellung zustande kam. Das Verfahren hatten wir eingeführt, weil der Zuwendungsgeber seinerzeit eine zu großzügige Handhabung monierte.
Sowohl das Verfahren an sich als auch jeder Einzelfall ist dokumentiert. Das Verfahren wird für alle tariflichen Einstellungen ausnahmslos angewandt. In Vorbereitung des Gesprächs wird zu jedem Bewerber eine Rechtsmeinung zum tariflichen Anspruch und zum Umfang förderlicher Zeiten gebildet. Diese bilden das Minimum und das Maximum der Stufenzuordnung, §16 Abs. 3 TVÖD kommt nicht zur Anwendung, weil weder aus der vorherigen Zugehörigkeit zum öD noch zu einem TVÖD-Anwender ein Vorteil für den AG erwächst. Zudem wird festgelegt, ob für die zu besetzende Stelle eine Zulage nach §16 Abs. 6 TVÖD infrage kommt. Das alles ist für jeden Fall dokumentiert.
Dem Bewerber wird die Rechtsmeinung zum Rechtsanspruch eröffnet und gefragt, ob der Bewerber einverstanden ist. Die Fragestellung ist in jedem Fall identisch und in der Verfahrensdokumentation festgelegt. Erklärt der Bewerber sein Einverständnis, sind die Verhandlungen beendet, da die Berücksichtigung förderlicher Zeiten dann nicht möglich ist. Das Einverständnis wird dokumentiert. Ist er nicht einverstanden, wird mit der in der Verfahrensdokumentation festgelegten Fragestellung die Vorstellung erfragt.
Wird eine Stufe genannt und diese ist mit den förderlichen Zeiten erreichbar, wird diese vereinbart. Ist sie nicht erreichbar, wird die maximal mögliche Stufe einschließlich ggfs. möglicher Stufenlaufzeit als Gegenvorschlag unterbreitet. Stimmt der Bewerber zu, wird entsprechendes vereinbart. Ist er nicht einverstanden, wird ggfs. die Zulage nach §16 Abs. 6 vorgeschlagen, sofern sie zuvor als Option festgelegt worden ist. Genügt auch das nicht oder ist eine Zulage nicht vorgesehen, wird die Bewerbung nicht weiter berücksichtigt.
Wird eine Gehaltssumme genannt und ist diese mit den förderlichen Zeiten erreichbar, wird die Stufe, in der mindestens das geforderte Entgelt erzielt wird, vereinbart. Ansonsten wird analog zum Fall der Nennung einer Stufe verfahren.
Wird keine Gehaltsvorstellung als Summe oder Stufe genannt, wird die Frage zweimal wiederholt. Wird immer noch keine Vorstellung genannt, wird die Bewerbung nicht weiter berücksichtigt.
Fragen und Antworten werden jeweils protokolliert.
Der weitere Verdienstverlauf ist tariflich vorgegeben und baut auf der Stufe bei Einstellung auf.
Sofern der TVÖD an sich nicht geschlechtsbezogen benachteiligend ist, sehe ich einem Verfahren eher gelassen entgegen. Es ist ja der TVÖD, der die Berücksichtigung von förderlichen Zeiten innerhalb der tariflichen Regelungen verunmöglicht, wenn der Bewerber nicht verhandelt. Eine Entscheidung, daß das eine geschlechterbezogene Benachteiligung darstellt, würde aber bedeuten, daß Gehaltsverhandlungen an sich eine solche darstellten - und es staatlich festgelegte Einheitsentgelte geben muß.
Korrekte Tarifanwendung wird mutmaßlich nicht selten solche Konstellationen produzieren.
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