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Wie hoch Urlaubsanspruch in Probezeit?

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McOldie:
Auszug aus einem Fachbuch:
"Nach der Neueinstellung eines Arbeitnehmers entsteht der volle Urlaubsanspruch erst mit Ablauf einer sechsmonatigen Wartezeit (§ 4 BUrlG). Vor dem Ablauf der Wartezeit (berechnet nach §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 2. Alt. BGB) kann der Arbeitnehmer grundsätzlich keine Befreiung von der Arbeitspflicht verlangen, auch nicht für einen Teil des Jahresurlaubs."
Ausnahme: wenn der Arbeitnehmer vor erfüllter Wartezeit aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

Dies schließt nicht aus, dass der Arbeitgeber innerhalb der Wartezeit tritzdem Urlaub gewährt, es besteht lediglich kein Anspruch.

SVA:
Der Auszug ist entweder unvollständig oder falsch und bezieht sich außerdem nur auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch. Beim gesetzlichen Urlaub ensteht dieser bei Einstellung in der ersten Jahreshälfte erst nach Erfüllung der Wartezeit, bei Einstellung in der zweiten Jahreshälfte jedoch im Umfang des Teilurlaubsanspruchs vollständig bei Begründung des Arbeitsverhältnisses. In den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes ist hingegen eine Zwölftelungsregelung enthalten, die Anwendung findet, wann immer sie günstiger ist als die gesetzliche Regelung. Dabei erwirbt man auch bei Einstellung in der ersten Jahreshälfte jeden Monat einen Teilurlaubsanspruch. Und der Urlaubsanspruch ist entsprechend der Wünsche des Arbeitnehmers zu erfüllen, wenn dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, dem nicht entgegenstehen.

McOldie:

--- Zitat von: SVA am 01.07.2022 18:02 ---Der Auszug ist entweder unvollständig oder falsch und bezieht sich außerdem nur auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch. Beim gesetzlichen Urlaub ensteht dieser bei Einstellung in der ersten Jahreshälfte erst nach Erfüllung der Wartezeit, bei Einstellung in der zweiten Jahreshälfte jedoch im Umfang des Teilurlaubsanspruchs vollständig bei Begründung des Arbeitsverhältnisses. In den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes ist hingegen eine Zwölftelungsregelung enthalten, die Anwendung findet, wann immer sie günstiger ist als die gesetzliche Regelung. Dabei erwirbt man auch bei Einstellung in der ersten Jahreshälfte jeden Monat einen Teilurlaubsanspruch. Und der Urlaubsanspruch ist entsprechend der Wünsche des Arbeitnehmers zu erfüllen, wenn dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, dem nicht entgegenstehen.

--- End quote ---

Deine Aussage ist in der von dir aufgezeigten Konsequenz hinsichtlich der Inanspruchnahme von Urlaub während Wartezeit nicht ganz korrekt. Die Vorschrift des § 4 des BurlG findet auch bei Beschäftigten, die unter die Regelungen der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes fallen (TV-L und TVöD), unmittelbar Anwendung. Die Ausnahmen vom Geltungsbereich des BurlG sind beispielsweise in § 26 Abs. 3 TV-L aufgeführt.
Wenngleich der Wortlaut des § 4 BUrlG nicht unbedingt einen zwingenden Rückschluss auf die Auswirkungen dieser Norm zulässt, wird § 4 BUrlG und die dort enthaltene „Wartezeit“ von sechs Monaten einhellig so interpretiert, dass der Arbeitnehmer vor Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit vom Arbeitgeber auch nicht einen einzigen Tag an Erholungsurlaub verlangen kann.
Ein (notfalls durchsetzbarer) Rechtsanspruch auf die Gewährung von Urlaub besteht für den Arbeitnehmer erst mit Beginn des siebten Beschäftigungsmonats.
Will der Arbeitnehmer in den ersten sechs Monaten nach Aufnahme der Beschäftigung in Urlaub gehen, so ist er auf das Wohlwollen und das Einverständnis des Arbeitgebers angewiesen. Mit Zustimmung des Arbeitgebers ist auch in den ersten sechs Monaten urlaubstechnisch alles möglich, ohne Zustimmung nichts.
Auch der Kommentar zum TV-L des Rehm-Verlages (Breier/Dassau) trifft folgende Aussage:
„Der Anspruch auf Erholungsurlaub setzt bei der erstmaligen Einstellung eines Arbeitnehmers die Erfüllung der Wartezeit nach § 4 BUrlG voraus. Nach dieser Vorschrift kann der Urlaubsanspruch erst nach Ablauf von sechs Monaten (auch bei Jugendlichen, § 19 JArbSchG) nach der Einstellung geltend gemacht werden, es sei denn, dass der Arbeitnehmer vorher ausscheidet.
Läuft die Wartezeit erst im Lauf des auf das Einstellungsjahr folgenden Urlaubsjahres ab, ist der nach § 5 Abs. 1 Buchst. a BUrlG zu bemessende Urlaub spätestens bis zum Ende dieses (d. h. des folgenden) Urlaubsjahres anzutreten. Der Arbeitnehmer hat einen Rechtsanspruch auch auf den Teilurlaub aus dem abgelaufenen Urlaubsjahr. Der Arbeitnehmer kann den Anspruch erst nach Ablauf der Wartezeit des § 4 BUrlG geltend machen, muss aber den Urlaub spätestens bis zum Ende dieses Urlaubsjahres nehmen".
Der Tarifvertrag trifft aber keine Aussage darüber, dass innerhalb der Wartezeit ein Urlaub – wenn gewünscht - auch zu gewähren ist. Die von dir erwähnte Zwölftelungs-Regelung hat nichts mit der Inanspruchnahme während der Wartezeit zu tun.
Um auf den vorliegenden Fall zurückzukommen:
Wenn der Fragesteller im Juli/August Urlaub nehmen möchte, ist er auf das Entgegenkommen seines Arbeitgebers angewiesen. Dem Arbeitgeber wäre es auch überlassen, zu entscheiden wieviel Urlaub (voller Urlaub oder Teilurlaub) er gewährt. Er wird sicherlich dabei berücksichtigen, dass im Falle des vorzeitigen Ausscheidens zuviel gewährter Urlaub nicht zurückgefordert5 werden kann.

SVA:
Die Vorschrift des § 4 BUrlG steht lediglich der Entstehung des gesetzlichen Vollurlaubs entgegen. Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes sehen jedoch eine für den Arbeitnehmer günstigere Entstehungsregel des Teilurlaubs vor. § 26 Abs. 2 b) TVÖD bzw. die gleichlautende Vorschrift in den anderen Tarifverträgen ist keine Kürzungsregel, es ist eine Regelung zur Entstehung des Anspruchs. Dazu führt der Haufe-Kommentar aus: "Der Teilurlaubsanspruch wird mit dem Entstehen auch sofort fällig. Die Wartezeit nach § 4 BUrlG steht der Fälligkeit nicht entgegen." Dies ergibt sich auch aus § 271 BGB. Die Tarifvertragsparteien sind bei der Ausgestaltung der Urlaubsregelungen von den gesetzlichen Mindestvorgaben abgewichen und haben somit ein weitgehend vom Gesetzestext gelöstes Urlaubsregime geschaffen. Diese Rechtsauffassung hat das BAG im Urteil vom 23.3.2010 – 9 AZR 128/09 – AP Nr. 3 zu § 125 SGB IX bestätigt: "Das von den Kritikern der Senatsrechtsprechung geforderte umgekehrte Regel-Ausnahme-Verhältnis für Altverträge ist zudem nicht erforderlich, um die Interessen beider Seiten im Rahmen der Auslegung angemessen zu berücksichtigen. Deutliche Anhaltspunkte für einen Regelungswillen der Vertrags- oder Tarifvertragsparteien, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubs(-abgeltungsansprüchen) unterscheidet, sind schon dann anzunehmen, wenn sich die (Tarif-)Vertragsparteien in weiten Teilen vom gesetzlichen Urlaubsregime lösen und stattdessen eigene Regeln aufstellen. Im Fall einer solchen eigenständigen, zusammenhängenden und in sich konsistenten Regelung ist ohne entgegenstehende Anhaltspunkte idR davon auszugehen, dass die (Tarif-)Vertragsparteien nur begründen und fortbestehen lassen wollen, soweit eine gesetzliche Verpflichtung besteht (für eine Unterscheidung zwischen konstitutiven und deklaratorischen Regelungen Rehwald AiB 2010, 59, 60). Eine ausdrückliche Differenzierung zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Ansprüchen ist dann nicht notwendig.“ Zumal die Tarifvertragsparteien mit § 26 Abs. 2 b) TVÖD sogar eine explizit andere und günstigere Entstehung des Teilurlaubsanspruchs vereinbart haben.

Wie der Haufe-Kommentar selbst feststellt, wird der Arbeitnehmer während der Wartezeit des KSchG seinen Urlaubsanspruch nicht gegenüber dem Arbeitgeber gerichtlich geltend machen. Entsprechende Rechtsprechung fehlt. Das BAG stellte aber in anderer Konstellation fest, dass die Tarifvertragsparteien mit den Regelungen des § 26 Abs. 2 zur Übertragung und zum Verfall des Urlaubsanspruchs ein eigenständiges Fristregime, losgelöst von den gesetzlichen Bestimmungen des § 7 Abs. 3 BUrlG geschaffen haben (vgl. BAG v. 22.5.2012 – 9 AZR 575/10 –), mit der Folge, dass tarifliche Mehrurlaubsansprüche weiterhin entsprechend der vereinbarten tariflichen Fristen auch bei langandauernder Erkrankung verfallen können. Ein solches eigenes Regime zur Entstehung des Erholungsurlaubsanspruchs haben die Tarifvertragsparteien ebenso geschaffen.

Der Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht geht ebenso lediglich von einer Wirkung der Wartezeit des § 4 ArbZG auf den gesetzlichen Vollurlaubsanspruch aus, zumal es ja auch gesetzliche Teilurlaubsansprüche gibt, auf die dort explizit verwiesen wird. Auch die Abdingbarkeit durch Tarifvertrag und die ohnehin gegebene Möglichkeit zur Abweichung zugunsten des Arbeitnehmers (§ 13 BUrlG) wird entsprechend thematisiert. Zudem wird ausgeführt: "Mit § 13 wird den Tarifpartnern für einen Großteil der Vorschriften Gestaltungsfreiheit eingeräumt (Bericht des Ausschusses für Arbeit BT-Drs. IV/207 S. 2. Das BAG hat das als 'tarifl. Vorrangprinzip' bezeichnet (9.7.1964 AP BUrlG § 13 Nr. 2). [...] Es ist den TVParteien unbenommen, von den Bestimmungen der §§ 3 bis 12 zugunsten der AN abzuweichen (BAG 22.1.2002 NZA 2002, 1041)." Zur Möglichkeit von Regelungen von Teilurlaubsansprüchen: "Sie können zugunsten und zulasten des AN verändert werden. Das kann das Entstehen von Teilurlaubsansprüchen, die Fälligkeit (BAG 15.12.1983 AP BUrlG § 13 Nr. 14; 25.10.1984 NZA 1985, 461) und den vorzeitigen Verfall durch Versäumung einer Ausschlußfrist (BAG 3.12.1970 AP BUrlG § 5 Nr. 9) betreffen."

Zusammenfassend: Die Wartezeit des § 4 ArbZG steht lediglich der Enstehung von Vollurlaubsansprüchen entgegen. Die Tarifpartner im öffentlichen Dienstes haben eine eigenständige Regelung zur Entstehung von Teilurlaubsansprüchen getroffen und durften eine solche auch treffen. Diese eigenständige Regelung läßt für jeden vollen Monat des Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel des Urlaubsanspruchs entstehen. Eine Einschränkung des Anspruches oder dessen Fälligkeit wurde nicht getroffen. § 4 ArbZG wirkt auch nicht auf Teilurlaubsansprüche. Somit wird der erworbene Urlaubsanspruch mit seiner Entstehung auch jeweils fällig und ist unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 BUrlG zu gewähren.

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