Autor Thema: [HH] Angleichungszulage - die ultimative Unverschämtheit  (Read 6148 times)

NordWest

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Unter allen Frechheiten, die sich die Besoldungsgeber im Rahmen der amtsunangemessenen Alimentation ausgedacht haben, scheint Hamburg nochmal ganz besonders herausstechen zu wollen.

Hier findet man den aktuellen Besoldungsgesetzentwurf:
https://www.hamburg.de/contentblob/16056286/7b832e33e5964a83f780e304bd7c6c15/data/besoldungs-und-beamtenversorgungsanpassung.pdf

Nachdem Hamburg ausgerechnet hat, die Kriterien für amtsangemessene Alimentation auf Prüfstufe 1 deutlich zu reißen, hat es sich entschieden, dies durch die sogenannte Angleichungszulage auszugleichen, nach der man den Beamten einmal jährlich bis zu einem Drittel eines Monatsgehalts zusätzlich zahlt. Was auf den ersten Blick toll klingt, ist in Wahrheit einer der übelsten Tricks, die mir bislang untergekommen sind:

1. Die Angleichungszulage wird befristet gezahlt, schon 2023 halbiert und 2026 ganz abgeschafft. Hamburg geht davon aus, dass es dann auf die Zulage verzichten kann, weil der dann endende 15-Jahresvergleich des BVerfG keine Verstöße mehr fetstsellen soll - die "schlechten Jahre" fallen dann nämlich aus dem Prüfzeitraum. Eine verfassungsrechtlich gebotetene Besoldung später wieder abzuschaffen, war  sicher nicht im Sinne des BVerfG, das wohlweislich eine Spitzausrechnung von vornherein abgelehnt hat. Mit dieser Methodik versucht Hamburg, das Verfassungsrecht zu umgehen. Zu Ende gedacht könnte man die gesamte Besoldung nur noch als Angleichungszulage zahlen und müsste dann nach 15 Jahren gar keine Besoldung mehr zahlen, wenn sich diese Idee durchsetzen würde.

2. Die Angleichungszulage ist nicht ruhegehaltsfähig und erhöht weder die Pension von neu in den Ruhestand eintretenden Beamten, noch die Pension bestehender Versorgungsempfänger, die mittlerweile die Hauptzielgruppe des Schröpfens zu werden scheinen. Hamburg formuliert recht offen, dass das BVerfG in den jüngsten Urteilen nicht ausdrücklich verboten habe, die Versorgung von der Besoldung zu entkoppeln und dass es in früheren Urteilen gewisse Möglichkeiten dafür offengelassen hätte. Man schreibt sogar weiter, dass diese Möglichkeiten von BverfG an ähnliche Einschränkungen für Rentner gekoppelt waren. Berücksichtigt man die aktuellen Rentenerhöhungen, stellt man eher das Gegenteil fest.

Ich halte das für einen echten Skandal, der hier passiert und hoffe, dass die Gewerkschaften und Fachleute das auf dem Schirm haben - diese besorgniserregende Entwicklung darf kein Beispiel für andere Bundesländer werden und muss schnellstmöglich bekämpft werden.
« Last Edit: 15.08.2022 14:02 von NordWest »

Der Obelix

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Das ist die neue Nordeutsche Besoldungssystematik aus Hamburg, S-H und M-V.

Traurig aber hipp und modern-besoldungsstyle.

Bastel

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Über die 115% kommt man trotzdem nicht. Sie versuchen es halt ::)

sapere aude

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Seite 38:
Um die Einhaltung des Mindestabstands der Beamtenbesoldung zum Grundsicherungsniveau
(zweiter Fall des systeminternen Besoldungsvergleichs) im Jahr 2022 zu erfüllen, wird der Se-
nat der Bürgerschaft zeitnah einen Gesetzentwurf mit strukturellen Verbesserungen der Ali-
mentierung von Beamtenfamilien mit Kindern vorlegen (siehe oben unter A. 2. a. aa. ddd. (2)).

Der Gesetzentwurf klärt damit das eigentliche Problem nicht. Unklar bleibt auch was vor 2022 passiert.

SwenTanortsch

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Ein frohgemutes Helau und Alaaf nach Hamburg, wo der Karnevalsverein sich ja seit Jahr und Tag nicht nur auf den Fußball erstreckt (und damit ist bekanntlich nicht Pauli gemeint). Geht man die Berechnung der gewährten Netto- und der Mindestalimentation durch, findet man den mittlerweile Regelfall in den Besoldungsrechtskreisen: eine jeweils sachwidrige Berechnung, nämlich im Einzelnen (zurzeit habe ich hier meine Unterlagen nicht vor Ort, sodass ich sie zum Teil nicht konkret präzisieren kann):

Auf S. 18 der Begründung wird zurecht darauf verwiesen, dass das aktuelle 95 %-Perzentil des BfA für Hamburg verzerrt wird durch die Erfassung und Leistungsgewährung bei der Unterbringung unter anderem in Sammelunterkünften, weshalb hierauf nicht zurückgegriffen werden kann. Das VG Hamburg, Beschluss vom 29.09.2020 - 20 K 7506/17 - 84 ff. i.V.m. Rn. 96; Hervorhebung durch mich hat deshalb eine bereinigte Berechnung bei der BfA angefordert, die für das Jahr 2019 als kalte monatliche Unterkunftskosten 1.050,- € auswies; zugleich hat das VG darauf hingewiesen: "Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Mietkosten nicht anhand der von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration erlassenen Fachanweisungen Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II zu ermitteln. Denn die Beklagte hat nicht dargelegt und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass anhand der in der Fachanweisung festgesetzten Höchstbeträge, die im Vergleich zu den von der Bundesagentur für Arbeit ermittelten Werten (95 %-Perzentil) niedriger sind, das Ziel der Vergleichsbetrachtung, dass die Nettoalimentation in möglichst allen Fällen den gebotenen Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau wahrt (BVerfG, Beschl. v. 4.5.2020, a.a.O., Rn. 52), erreicht wird."

Die Landesregierung vollzieht nun die Berechnung erneut "unter Heranziehung der Fachanweisung Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II der Sozialbehörde Hamburg" (S. 18) und kommt für 2022 zu kalten monatlichen Unterkunftskosten von 999,90 € (Anlage B 17). Offensichtlich geht der Senat also davon aus, dass sich die entsprechenden Kosten von 2019 nach 2022 rund 4,8 % veringert haben. In der Realität dürften die Unterkunftskosten um monatlich rund 100,- € zu niedrig angesetzt sein.

Zugleich wird hinsichtlich der gewährten Nettoalimentation eine Amtszulage von monatlich 76,10 € ins Feld geführt, die jedoch offensichtlich nicht allen Besoldungsempfängern der untersten Besoldungsgruppe gewährt wird, hier könnte deshalb allenfalls die allgemeine Stellenzulage in Höhe von monatlich 22,73 € herangezogen werden. Auch wird der monatliche PKV-Beitrag mit 589,87 € zu niedrig angesetzt (Anlage B 17), er beträgt nach der entsprechenden Mitteilung des PKV-Verbands für das Jahr 2021 633,70 €. Die gewährte Nettoalimentation wird also monatlich um mindestens rund 80,- € zu hoch angesetzt.

Trotz der sachwidrigen Berechnung kommt der Entwurf für das Jahr 2022 zu einem Netto-Fehlbetrag von 5.714,81 € (ebd.), der also in der Realität noch einmal deutlich höher liegt (nämlich um mindestens mehr als 2.000,- €). Eine amtsangemessene Alimentation wird allerdings durch den Entwurf weiterhin nicht angestrebt, entsprechend heißt es auf der S. 38: "Um die Einhaltung des Mindestabstands der Beamtenbesoldung zum Grundsicherungsniveau (zweiter Fall des systeminternen Besoldungsvergleichs) im Jahr 2022 zu erfüllen, wird der Senat der Bürgerschaft zeitnah einen Gesetzentwurf mit strukturellen Verbesserungen der Alimentierung von Beamtenfamilien mit Kindern vorlegen".

Ob die HSV-Fans, wenn der Verein irgendwann im nächsten Jahrzehnt mal für eine Saison aufsteigt, "Nie mehr Zweite Liga" singen werden, sei dahingestellt - Fußballfans dürften weit überwiegend keine Beamten sein, weshalb sie es wohl singen werden. Und Beamte singen während des Diensts eher nicht, aber der Senat ist bestimmt der Sangeskunst mehr zugetan als der Rechenkunst.

eclipsoid

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Ich habe -  wie viele tausend Hamburger Beamte - gegen meine aktuelle Besoldung Klage  eingereicht. Der vorgelegte Gesetzesentwurf wird nicht dazu führen, dass ich die Klage fallenlasse. Ich vermute, einige Kollegen werden wie ich handeln.

emdy

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Als Fade Out wird, meist in der Musik, die Minimierung eines zuvor mehrfach wiederholten Vorgangs bis zu dessen Verschwinden bezeichnet. Nun wird in Hamburg also endgültig die Besoldung ausgefaded.

Ich würde dies stilistisch passend mit einem Fade Out der eigenen Arbeitsleistung kontern.

Musikalische Grüße und einfach nurnoch gestört was bei dem Thema passiert.

SwenTanortsch

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Ich habe -  wie viele tausend Hamburger Beamte - gegen meine aktuelle Besoldung Klage  eingereicht. Der vorgelegte Gesetzesentwurf wird nicht dazu führen, dass ich die Klage fallenlasse. Ich vermute, einige Kollegen werden wie ich handeln.

Nichts anderes bleibt euch leider übrig. Nachdem das VG Hamburg Ende September 2020 u.a. in der vorhin von mir genannten Entscheidung in mehreren Vorlagebeschlüssen umfassend den evident sachwidrigen und evident ungenügenden Gehalt der Hamburger Alimentationspraxis aufgezeigt hat, hat die Landesregierung die Entscheidung zum Anlass genommen, die vielen Hamburger Widersprüche als unbegründet zurückzuweisen und diese negativ beschieden, sodass zur Aufrechterhaltung der eigenen Ansprüche nur ein Klageverfahren möglich war, welche die sowieso schon massiv überlasteten Hamburger Verwaltungsgerichte in Strecken aushebeln dürften, sodass in Hamburg offensichtlich die Rechtssicherheit im Einzelnen nicht mehr garantiert ist, wie sie das Duden Fachlexikon Recht definiert ("Der Schutz des Vertrauens des einzelnen Staatsbürgers in eine durch Rechtsordnung und Rechtspflege garantierte Rechtmäßigkeit der äußeren Erscheinung der ihn umgebenden und ihm begegnenden rechtlich bedeutsamen Verhältnisse und Dinge"), um nun zu bestätigen, dass das von der Exekutiven vorgenommene negative Bescheiden der vielen Widersprüche jeder sachlichen Grundlage entbehrt hat, da die Hamburger Alimentationspraxis weiterhin und nun auch vom Senat explizit eingestanden evident sachwidrig und evident ungenügend ist, ohne dass auch diese Tatsache nun behoben werden würde, sondern die Rückkehr zu einer amtsangemessenen Alimentation weiterhin auf die Zukunft verschoben wird.

Wie hat unlängst die Präsidentin des Hamburger Oberverwaltungsgerichts gesagt: "Dass in der Vergangenheit verwaltungsgerichtliche Entscheidungen durch die Exekutive nicht umgesetzt wurden, macht mich nachdenklich. Dies berührt die Grundfesten unseres Rechtsstaates. Es ist wichtig für uns alle, für unser gesellschaftliches Zusammenleben, dass die Regeln des Rechtsstaates von allen Beteiligten befolgt werden." (https://www.welt.de/regionales/hamburg/article213096684/Hamburger-Gerichtspraesidentin-Gross-Justiz-urteilt-nicht-nach-Stimmungen.html) Die Rechtsauffassung des Senats ist bemerkenswert; die Behandlung der ebenso an die gegenseitige Treuepflicht gebundenen Landesbeamten soll man wie nennen: feudalistisch? Willkürlich? Rechtsstaatswidrig? Sozialdemokratisch? Bürgerrechtlich? Alternativ? Klimaneutral?

clarion

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Mich schockiert, mit welcher Chuzpe seit Jahren der Anspruch auf verfassungsgemäße Alimentation durch Politik verletzt wird. Ja, eine verfassungsgemäße Alimentation ist teuer. Vermutlich würde man auch bei den Tarifbeschäftigten nachziehen müssen, da die Verwerfungen zwischen Beamten und Tarifbeschäftigten erheblich wären. Aber es ist für  jeden anderen Sch* Geld da. Allein die Mehreinnahmen aufgrund der Inflation  können vermutlich die verfassungsgemäße Alimentation für dieses Jahr sicher stellen.

SwenTanortsch

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Auch wenn davon auszugehen ist, dass die Rückkehr zu einer verfassungskonformen Alimentation in allen 17 Besoldungsrechtskreisen zu personellen Mehrkosten zwischen insgesamt 30 bis 50 Mrd. Euro führen dürften (die sich daran anschließende Anpassung der Tariflöhne käme da noch drauf), wäre das Geld, genauso wie Du schreibst, entsprechend vorhanden - wobei die Politik natürlich immer genügend Felder kennt, für die die Steuereinnahmen "besser" verwendet werden könnten.

Was an diesem einfältigen Politikverhalten neben dem die Besoldungsgesetzgeber als ausgewiesene Musikliebhaber offenbarendem Zug, die Johannes Brahms' Ungarische Tänze offensichtlich zunehmend lieben, für mich als am kindischsten anmutet, ist, dass nicht gesehen wird, wie viele Steuereinnahmen dem Staat verlorengehen, weil es eine wiederkehrend nur noch eingeschränkte Finanzaufsicht und -kontrolle gibt, weil sich Genehmigungsverfahren in die Länge ziehen, womit der Wirtschaftskraft des Landes Schaden zugefügt wird (hier muss man sich beispielsweise nur die vielfach verkommende Infrastruktur auf Straßen und Schienen anschauen), weil die Bildungschancen der nachwachsenden Generationen in Schulen und Hochschulen vielfach nur noch suboptimal gefördert werden - weil also der Fachkräftemangel mehr und mehr insbesondere im öffentlichen Dienst durchschlägt. Und anstatt auch hier endlich mal eine gesellschaftliche Debatte zu initiieren, wird dieser paternalistische Zug, den alle in den Parlamenten vertretenen Parteien frönen, fortgesetzt, getreu dem Motto: "Kümmert euch nicht um die Politik, das machen wir schon für euch - sie kennen mich - wir schaffen das usw. usf." Wenn man das Volk (für) dumm hält, muss man sich nicht wundern, wenn man offensichtlich permanente Angst vor ihm hat.

VierBundeslaender

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Hamburg denkt, mit der Rambo-Methode erfolgreich zu sein. Denn wer nicht klagt, wird am Ende leer ausgehen. Diejenigen, die prozessiert haben, bekommen ihre Steigerung, die anderen haben dann nicht mehr in der Tasche. Und in ein paar Jahren werden die Karten neu gewürfelt. Mies, aber durchaus mit gewisser Erfolgsaussicht. Man kann jeder Hamburger Beamtin nur raten Klage einzureichen, damit das nicht klappt.

Flash91

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Hamburg denkt, mit der Rambo-Methode erfolgreich zu sein. Denn wer nicht klagt, wird am Ende leer ausgehen. Diejenigen, die prozessiert haben, bekommen ihre Steigerung, die anderen haben dann nicht mehr in der Tasche. Und in ein paar Jahren werden die Karten neu gewürfelt. Mies, aber durchaus mit gewisser Erfolgsaussicht. Man kann jeder Hamburger Beamtin nur raten Klage einzureichen, damit das nicht klappt.

Kann man jedem Hamburger Beamten raten... tun werden es die wenigsten & so ist es am Ende ein kleiner Prozentsatz der klagt. Trotz der erhöhten Sicherheit den der Beamtenstatus bringt haben die meisten Angst vor dem Dienstherren, was der dann wiederum für Respekt hält.

xap

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Wieso sollte man Angst vorm Dienstherrn haben?

NordWest

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Aktuelle GEW-Info:

Es "rufen die Gewerkschaften GdP, GEW und ver.di unter dem Motto „Ausgedient und abgehängt“ auf zu einer Demonstration der Versorgungsempfänger*innen der Stadt Hamburg am 25. August 2022.

 
Start: 13.00 Uhr Polizeikommissariat 14, Caffamacherreihe 4

Ziel: Gänsemarkt mit Kundgebung vor der Finanzbehörde

Ende: ca. 14.00 Uhr

Wichtig: Je mehr wir sind, desto unbequemer machen wir es dem Dienstherren, an Eurer Versorgung zu sparen. Also kommt alle!
"

Und ich möchte hinzufügen, dass die Demo für zukünftige Ruheständler mindestens genauso wichtig ist.