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Unter Betriebsferien versteht man die komplette Schließung eines Betriebes für einen bestimmten Zeitraum unter gleichzeitiger Anordnung, dass während dieser Zeit Url. zu nehmen ist.67 Jedenfalls wenn ein BR besteht und dieser zustimmt, wird die Einführung von Betriebsferien als unproblematisch betrachtet.68 Das geht auf eine unkritische Übernahme der Überlegungen des BAG aus einer Entscheidung vom 28.7.198169 zurück. Danach bedarf es für die Einführung von Betriebsferien keiner dringenden betrieblichen Belange iSv § 7 Abs. 1, weil die Einführung der Betriebsferien selbst einen solchen Belang darstellt.70 Die Url.-Erteilung wäre damit die Rechtfertigung für die Url.-Erteilung. Das überzeugt nicht.
31Es sei freie Organisationsentscheidung des AG, den Betrieb zu schließen und den AN in der Zeit Url. zu erteilen, was dann den Belang nach Abs. 1 begründe.71 Selbstredend ist es eine freie Unternehmerentscheidung, einen Betrieb (vorübergehend) schließen zu wollen. Nach dem eindeutigen Regelungsgehalt des Abs. 1 ist es allerdings keine freie Unternehmerentscheidung, für solche Zeiträume Url. zu erteilen. Wie die Zeit einer Betriebsschließung überbrückt werden soll, steht nicht im Belieben des AG. Die Risikoverteilung nach § 615 S. 3 BGB ist grundsätzlich eine andere. Das Risiko, den AN nicht beschäftigen zu können – sei es durch selbst herbeigeführte oder von außen einwirkende Umstände –, trägt danach grundsätzlich der AG. Im Rahmen des Verständnisses von Abs. 1 muss diese Verteilung des Betriebsrisikos beachtet werden (→ Rn. 24). Übersehen wird auch der Beschäftigungsanspruch des AN im bestehenden Arbeitsverh.,72 der nicht ohne Weiteres durch gewillkürte Betriebsschließung durch den AG suspendierbar ist.
32Die hM führt auch zu zweifelhaften Ergebnissen. Für AN, die zum Zeitpunkt der Betriebsferien (noch) keinen Url.-Anspruch haben oder nicht genügend Url.-Anspruch (mehr) haben, soll für diesen Zeitraum grundsätzlich der Beschäftigungsanspruch erhalten bleiben, mit der Folge von Ansprüchen aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges.73 Für diese soll es demnach bei der üblichen, vom Gesetzgeber gewollten Risikoverteilung bleiben. Auch für AN, die während der Betriebsferien arbeitsunfähig erkranken oder die Url. für die Zeit nach medizinischer Vorsorge oder Rehabilitation wünschen, soll es bei der Anwendung allgemeiner Grundsätze, also des § 9 bzw. § 7 Abs. 1 S. 2 bleiben.74 Beides ist richtig, passt aber nicht zu der hM zur Zulässigkeit von Betriebsferien unabhängig von dringenden betrieblichen Belangen.
33Deshalb ist die mit den „Betriebsferien“ verbundene Url.-Erteilung nur unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 zulässig. In den meisten Fällen dürften solche dringenden betrieblichen Belange durchaus bestehen, zumal bei der Frage der Zumutbarkeit anderer Maßnahmen auch die finanzielle Belastung zu berücksichtigen sein dürfte, die entstünde, wenn der AG Annahmeverzugs- und Url.-Ansprüche kumulativ zu erfüllen hätte. Ein Verzicht auf dringende betriebliche Belange für die Einführung von Betriebsferien indes ist vom Gesetz her nicht gedeckt.
34Weitere Voraussetzung für die wirksame Anordnung von Betriebsferien ist die Existenz eines BR und dessen Zustimmung (zur Mitbestimmung → Rn. 52 ff.)75 sowohl zur vorübergehenden Reduzierung des Arbeitsvolumens auf Null (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) als auch zur Url.-Erteilung. Soweit die einseitige Anordnung von Betriebsferien in betriebsratslosen Betrieben aufgrund des Direktionsrechts für zulässig erachtet wird,76 werden dessen arbeitsvertragliche Grenzen vernachlässigt. Schließlich setzt die wirksame Anordnung von Url. in Betriebsferien zuvor die wirksame vorübergehende Reduzierung des Arbeitsvolumens auf Null voraus. Das ist idR nicht im Wege des Direktionsrechts möglich, sondern – wie § 87 Abs. 1 Nr. 3 und § 5 BetrVG deutlich machen – nur bei Vorhandensein eines BR nach Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens.77 Einseitig vom AG angeordnete Betriebsferien oder sonstige „Zwangsurlaube“ sind deshalb grundsätzlich unzulässig. Nur soweit im Arbeitsvertrag eine solche Anordnungsbefugnis wirksam vorbehalten ist, wäre unter der weiteren Voraussetzung des Vorliegens dringender betrieblicher Belange eine Anordnung von Betriebsferien möglich, genauso wie unter derselben Voraussetzung eine Individualvereinbarung mit jedem einzelnen AN möglich ist. Soweit keine im Einzelnen ausgehandelte Vereinbarung, sondern AGB vorliegen, dürfte ein solcher Vorbehalt gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sein, denn er entfernt sich zu weit vom gesetzlichen Leitbild des § 7 Abs. 1 und der gesetzlich vorgesehenen Risikoverteilung gemäß § 615 BGB.
35Schließt die Mehrzahl der AN solche Vereinbarungen ab, kann den anderen dies nicht ohne Weiteres als dringender betrieblicher Belang entgegengehalten werden, weil insoweit die Risikoverteilung des § 615 BGB (Betriebsrisiko) zu beachten ist und der Umstand, dass der AG selbst die Lage herbeigeführt hat. Es darf auch nicht übersehen werden, dass dringende betriebliche Belange nach der Gesetzeskonstruktion nicht dazu dienen, dem AG zu bestimmten Zeiten die Url.-Erteilung zu ermöglichen, sondern nur dazu, bestimmte AN-Wünsche nicht erfüllen zu müssen.
36Die Bindung des Url. an das Kalenderjahr führt nicht dazu, dass nur für das laufende Jahr Betriebsferien vereinbart werden können, vielmehr ist es zulässig, im Voraus – soweit die Belange gem. Abs. 1 absehbar sind – Betriebsferien für die Folgejahre festzulegen.