Autor Thema: Alterdiskriminierde Besoldung für Bundesbeamte/Versorgungsempfaenger  (Read 5315 times)

Pensionär

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Stelle o. g. Thema mal hier ein. Selber habe ich dazu für den Bundesbereich keine aussagekräftigen Informationen gefunden.

Wäre nett, wenn jemand meine Wissenslücke schließen könnte.

Danke


Asperatus

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Inwiefern sollte die Besoldung altersdiskriminierend sein?

Kimonbo

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Nicht nur Altersdiskriminierend, auch frauenfeindlich. Ich finde die Besoldung ist frauenfeindlich - auf zum Kampf gegen diese Ungerechtigkeit für eine altersgerechte und feministische Besoldung für Alle

Pensionär

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Bin in den Länderforen für Landesbeamten aufmerksam geworden. Teilweise wurden in einzelnen Laendern schon Gesetze erlassen.

Ganz vereinfacht ausgedrückt ohne juristisches Wissen haben in den Ländern junge Beamte/innen gegen die Einstufung geklagt. Wollten erreichen, dass sie aus der Endstufe bezahlt werden. Seitens des EUGH ist wohl dazu in den Jahren 2013 und 2014 Rechtssprechung ergangen.

Weiss nur konkret, das Landesbeamten/innen aus NRW, die dagegen Widerspruch oder Klage erhoben haben und dies bis zu gewissen zeitlichen Fristen erhoben haben, eine monatliche Zahlung erhalten haben.




Asperatus

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Ich denke, Altersdiskriminierung im Besoldungsrecht sollte seit der Umstellung von Dienstaltersstufen auf Erfahrungsstufen kein Thema auf Bundesebene mehr sein. Die erste Stufenfestsetzung richtet sich nicht (mehr) nach dem Kriterium Alter und der Stufenaufstieg nach Erfahrungszeiten, was sachgerecht und diskriminierungsfrei ist.

SwenTanortsch

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Das Thema Altersdiskriminierung steht durch eine Entscheidung des EuGH vom 27.02.2020 - C-773/18 bis C-775/18 -, Sachsen-Anhalt betreffend, eventuell auch in deutschen Rechtskreisen wieder auf der Tagesordnung (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:62018CJ0773&from=de). Die eigentlich schon als abgeschlossen betrachtete Thematik sollte mit hoher Wahrscheinlichkeit jedoch nur für die relevant sein, die vor August 2014 Ansprüche geltend gemacht haben oder ggf. der in ihrem Rechtskreis vollzogenen negativen Bescheidung ihres entsprechenden Widerspruchs aus der Zeit nach 2014 widersprochen haben und deren entsprechender Widerspruch dann ruhend gestellt worden ist, nachdem der Dienstherr gleichzeitig auf die Einrede der Verjährung verzichtet hat. Die Materie ist allerdings so komplex, dass sie selbst von der Verwaltungsgerichtsbarkeit kaum mehr durchdrungen wird, vgl. https://www.drb-berlin.de/themen-und-positionen/besoldung-und-beihilfe/aktuelles/aktuelles/1708

Die GEW Niedersachsen hat ihren Mitgliedern Ende letzten Jahres geraten, entsprechend Widerspruch einzulegen (https://www.gew-nds.de/aktuelles/detailseite/amtsangemessenheit-der-besoldung), und zwar durchaus auch, sofern ein entsprechender Widerspruch in der Vergangenheit noch nicht vollzogen worden war, also als Erstwiderspruch.

Die Problematik der Altersdiskriminierung lag ursprünglich darin begründet, dass die Einstufung in die Erfahrungsstufen in den deutschen Rechtskreisen nach dem Lebensalter vorgenommen worden war, sodass nicht die Erfahrung, sondern das Lebensalter maßgeblich für die Einstufung war, womit sachlich das Ziel, Erfahrung als besoldungsrelevant zu betrachten, verfehlt worden ist, wie das der EuGH 2011 und 2014 festgestellt hat. Im Gefolge dieser Entscheidungen haben alle deutschen Dienstherrn danach nach und nach die Einstufung in die Erfahrungsstufen nicht mehr anhand des Alters bestimmt, sondern eine Systematik an Vorerfahrungen entwickelt und - sofern Vorerfahrungen im Sinne der Systematik nicht gegeben waren - Beamte entsprechend in die unterste Erfahrungsstufe eingeordnet (zuvor wurde ein bei Eintritt in das Dienstverhältnis älterer Beamte in eine höhere Erfahrungsstufe eingeordnet als ein jüngerer, womit der jüngere Beamte wegen seines Alters diskriminiert wurde, deshalb "Altersdiskriminierung").

Der EuGH geht nun - vereinfacht ausgedrückt - in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2020 hinsichtlich der nach 2014 in Sachsen-Anhalt vollzogenen Neustrukturierung davon aus, dass diese neue Systematik der Erfahrungsstufen ggf. weiterhin (alters-)diskrimierend ist, da sie letztlich (zu) bruchlos an die vormalige anschließt, sodass die Altersdiskriminierung dann fortbestehe.

Es kann sicherlich nicht schaden, in diesem Jahr erstmalige einen Widerspruch gegen die altersdiskriminierende Besoldung im eigenen Rechtskreis einzulegen, wenn auch die Wahrscheinlichkeit, dass dieser von Erfolg gekrönt sein sollte, eher gering sein dürfte - aber wie gesagt, die Materie war, nicht zuletzt, weil hier formelles Recht zu beachten ist, also ggf. die Frage, ab wann nach den EuGH-Entscheidungen von 2011 und 2014 Widerspruch einzulegen gewesen wäre, schon vor der aktuellen EuGH-Entscheidung von 2020 komplex und sie ist durch jene 2020er Entscheidung nur noch komplexer geworden, wie sie der DRB-Berlin in seinem oben verlinkten und sehr lesenswerten Beitrag erörtert.


Opa

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Der Bund hat damals (muss so um 2015 gewesen sein) entsprechende Widersprüche negativ beschieden. Ob es im Anschluss Klageverfahren gab, entzieht sich meiner Kenntnis.

In NRW wurde der Anspruch auf Besoldung aus der Endstufe abgeschmettert. Es wurde allerdings ein Verstoß gegen das AGG festgestellt und danach eine pauschale (steuerfreie) Entschädigung von 100 Euro pro Monat gezahlt, in dem wirksam Widerspruch eingelegt war.


Pensionär

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Darf mich an dieser Stelle schon mall für die sehr informativen und substanziellen Beiträge bedanken.

Selber habe ich Ende 2013 Widerspruch eingelegt. Bekam Anfang 2014 Bescheid, sobald sich an der damaligen Rechtslage etwas ändert, einen neuen Bescheid erhalten sollte. Ist aber nicht geschehen. Werde die Behörde dann nochmals anschreiben.



icheinfachunverbesserlich

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Spontan dachte ich, als ich die Überschrift las: Ja, unsere Erfahrungsstufen sind altersdiskriminierend, da ich in 22 Jahren immer noch in der gleichen Stufe festhänge wie jetzt - in Stufe 8!

Eike1966

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Der EuGH geht nun - vereinfacht ausgedrückt - in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2020 hinsichtlich der nach 2014 in Sachsen-Anhalt vollzogenen Neustrukturierung davon aus, dass diese neue Systematik der Erfahrungsstufen ggf. weiterhin (alters-)diskrimierend ist, da sie letztlich (zu) bruchlos an die vormalige anschließt, sodass die Altersdiskriminierung dann fortbestehe.
Auch wenn Herr Tanorsch ein Experte bezüglich einer amtsangemessenen Alimentation ist (Vielen tausend Dank für die Darlegungen, die mir zu einem besseren Verständnis verholfen haben), sind korrekte Verweise, Rückschlüsse und Ausführungen zum Sachverständnis -insbesondere zur altersdiskriminierenden Besoldung- wichtig.
Der EuGH hat in den Rechtssachen C-773/18 bis C-775/18 sich eigentlich nicht dazu geäußert, ob Übergangsregelungen oder das neue Erfahrungsstufensystem altersdiskriminierend sind. Er hat sich zum Effektivitätsgrundsatz geäußert, was im Endeffekt Auswirkungen auf den Fristbeginn der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG hat (2 Monatsfrist).

Der Stand der derzeitigen deutschen Rechtsprechung (14.10.2022) ist zum Thema nach meinen Wissenstand wie folgt:
1. Die Bezahlung nach Lebensalter (Besoldungsdienstalter) ist altersdiskriminierend – Urteil des EuGH vom 19.06.2014 in der Sache Specht u.a., C-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C-541/12.
2. Die 2-monatige Ausschlussfrist dürfte ab dem Urteil in der Sache Specht zu laufen beginnen (Rückschluss aus den Gründen im Urteil des EuGH vom 20.02.2020 in den Rechtssachen 773/18 bis C-775/18).
3. Wer beispielsweise im Jahre 2013 Ansprüche geltend gemacht hat, bekommt Entschädigung ab dem Jahre 2010 (3-jährige Verjährungsfrist). Für jeden Monat 100 €.
4. Wer nach dem 19.08.2014 Ansprüche geltend gemacht hat, bekommt nichts.
5. Überleitungsregelungen für vorhandene Beamte bzw. Regelungen für neu ernannte Beamt* in das Erfahrungsstufensystem sind bisher von keinem deutschen Verwaltungsgericht als altersdiskriminierend beurteilt worden.

Ob evtl. eine Chance bestehen könnte, Überleitungsregelungen oder Regelungen zum Erfahrungsstufensystem als diskriminierend im Sinne der RL 2000/78/EG zu bewerten, sollte anhand der Rechtsprechung des EuGH geprüft werden.

Ich möchte hier nur folgende Entscheidungen des EuGH nennen:
Leitner C-396/17
Schmitzer C-530/13
Starjakob C-417/13
Hütter C-88/08
Nimz C-184/89
Cadman C‑17/05
Danfoss
Sotgiu (152/73)
Aróstegui C-72/18

SwenTanortsch

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Hallo Eike,
zunächst freut es mich, dass ich Dir in Deinem Verständnis die amtsangemessene Alimentation betreffend weitergeholfen habe.

Hinsichtlich der Thematik "altersdiskriminierende Besoldung" habe ich in der von Dir zitierten Passage darauf hingewiesen, dass meine Darlegung vereinfacht ausgedrückt ist. Zwar teile ich Deine Ansicht, dass "korrekte Verweise, Rückschlüsse und Ausführungen zum Sachverständnis -insbesondere zur altersdiskriminierenden Besoldung- wichtig" seien. Jedoch sehe ich zunächst nicht, dass in meiner Darlegung keine "korrekten Verweise" gegeben seien. Darüber hinaus bleiben die Rückschlüsse - darauf hinzuweisen war (und wäre mir auch zukünftig) wichtig - ebenso wie die vormaligen Ausführungen, auf denen die Rückschlüsse basieren, vereinfacht, worauf ich explizit (s. das Zitat) hinweise. Deshalb verweise ich sowohl zu Beginn als auch am Ende meiner Ausführungen auf die Darlegungen des DRB-Sektion Berlin, die allemal komplexer und auch präziser sind als Deine und meine Ausführungen. Denn dadurch kann sich jeder selbst ein Bild machen.

Was Du unter den Ziffern 3 und 4 schreibst, ist darüber hinaus gleichfalls eher vereinfachend, was in der Materie auch kaum anders möglich ist - jedoch fände ich es besser, wenn Du, da Du hervorhebst, Dich in der Materie tiefgehend auszukennen, dann auch hervorheben würdest, dass auch Deine Darlegungen recht stark vereinfacht sind. Denn insbesondere mit der Ziff. 4 suggerierst Du Lesern, die sich noch weniger in der Materie auskennen als wir beide (wir wissen beide, denke ich, dass wir von dem Thema in Anbetracht seiner Komplexität nur eine sehr geringe Ahnung haben), dass sie, sofern sie nicht vor dem 19.08.2014 Widerspruch eingelegt hätten, keine Chance auf Nachzahlungen haben würden. Denn so muss die Ziffer 4 m.E. mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Leser wirken, die sich in der Materie nicht auskennen.

Das sehen jedoch sowohl der DRB-Sektion Berlin als auch die hiesige GEW anders. Denn sie heben mit guten Gründen hervor, dass die Wahrscheinlichkeit - so wie ich das in meinem Text darlege - eines Anspruchs auf Nachzahlungen hinsichtlich der altersdiskriminierenden Besoldung zu besitzen, sofern man erst heute (bzw. am Ende des letzten Jahres) einen ersten Widerspruch einlegte, eher gering sein sollte. Jedoch wollen (bzw. wollten) sie die Möglichkeit nicht ausschließen, weshalb sie ihren Mitgliedern nicht abraten, auch heute noch einen Widerspruch einzulegen und weshalb die GEW Niedersachsen entsprechend auch einen Erstwiderspruch als Muster ihren Darlegungen beifügt.

Was ich nicht mag - deshalb schreibe ich hier länger, so wie ich auch schon an anderen Stellen in ähnlichen Konstellationen länger geschrieben habe -, ist, dass man Kollegen mit seinem Schreiben ggf. davon abhält, Widersprüche einzulegen, indem man ihnen suggerierte, dass die eh chancenlos seien. Ich halte es entsprechend für richtig, Kollegen darauf hinzuweisen, dass Widersprüche chancenlos seien, wenn sie unter allen Umständen chancenlos sind. Sofern das nicht der Fall ist - und das ist hier womöglich nicht der Fall, worauf der DRB-Sektion Berlin als auch die hiesige GEW hinweisen -, sollte man das m.E. besser unterlassen.

Wer sich neben uns beiden folglich ebenfalls mit dem Thema tiefergehend beschäftigen möchte, der sollte zunächst in der EuGH-Entscheidung vom 25.02.2020 (773/18 bis C-775/18; https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=223846&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1) insbesondere in der Rn. 25 die Fragen lesen, die das VG Halle dem EuGH vorgelegt hat. Sie betreffen - wenn ich es richtig sehe - sowohl Verjährungs- als auch ggf. Ausschlussfristen und damit am Ende auch - so wie ich das in meinem Beitrag im letzten Satz hervorhebe - formelles Recht. Und das kann nicht zuletzt für uns juristische Laien solch versteckte Fallstricke beinhalten, dass man - denke ich - besser nicht suggerierte, dass diesbezüglich zukünftig keine Chancen auf eventuelle Nachzahlungen beständen. Denn das kann zukünftig der Fall sein - aber ob dem so kommt, kann tatsächlich nur der wissen, wer über eine Glaskugel verfügte.

Weiterhin wird es also zukünftig ggf. darum gehen, was der EuGH in der genannten Entscheidung in der Rn. 54 hervorhebt - und in der Hervorhebung wird bereits die gesamte sachliche Komplexität recht schön deutlich, um die es offensichtlich zukünftig verwaltungsgerichtlich gehen kann:

"Mit seinen Fragen 3 bis 5, die ebenfalls zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 der Richtlinie 2000/78 sowie die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat verbieten, den Beginn einer Ausschlussfrist von zwei Monaten für die Stellung eines Antrags auf Ersatz des Schadens, der aus einer Maßnahme entstanden ist, die eine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, auf den Tag der Verkündung eines Urteils des Gerichtshofs festzusetzen, mit dem der diskriminierende Charakter einer ähnlichen Regelung festgestellt wurde, insbesondere wenn in dem betreffenden Mitgliedstaat Uneinigkeit über die Frage besteht, ob dieses Urteil auf die betreffende Maßnahme übertragbar ist."

Entsprechend bleibt es dabei, dass ggf. der Effektivitätsgrundsatz verletzt sein könnte (ebd., Rn. 61), worauf Du zurecht hinweist. Und in diesem Sinne habe ich in dem von Dir betrachteten Beitrag einleitend festgehalten (und ich sehe weiterhin nicht, was daran fragwürdig sein sollte):

"Das Thema Altersdiskriminierung steht durch eine Entscheidung des EuGH vom 27.02.2020 - C-773/18 bis C-775/18 -, Sachsen-Anhalt betreffend, eventuell auch in deutschen Rechtskreisen wieder auf der Tagesordnung (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:62018CJ0773&from=de). Die eigentlich schon als abgeschlossen betrachtete Thematik sollte mit hoher Wahrscheinlichkeit jedoch nur für die relevant sein, die vor August 2014 Ansprüche geltend gemacht haben oder ggf. der in ihrem Rechtskreis vollzogenen negativen Bescheidung ihres entsprechenden Widerspruchs aus der Zeit nach 2014 widersprochen haben und deren entsprechender Widerspruch dann ruhend gestellt worden ist, nachdem der Dienstherr gleichzeitig auf die Einrede der Verjährung verzichtet hat. Die Materie ist allerdings so komplex, dass sie selbst von der Verwaltungsgerichtsbarkeit kaum mehr durchdrungen wird, vgl. https://www.drb-berlin.de/themen-und-positionen/besoldung-und-beihilfe/aktuelles/aktuelles/1708"

Der langen Rede kurzer Sinn: Wer ggf. vorhandene Ansprüche die altersdiskriminierende Besoldung betreffend aufrechterhalten möchte, sollte meiner Meinung nach die von mir genannten beiden Seiten aufrufen und kann nach der Lektüre selbst entscheiden, was er für sich als richtig erachtet:

https://www.drb-berlin.de/themen-und-positionen/besoldung-und-beihilfe/aktuelles/aktuelles/1708

https://www.gew-nds.de/aktuelles/detailseite/amtsangemessenheit-der-besoldung

Darüber hinaus kann es für die, die mit dem Gedanken spielen, auch heute noch einen Widerspruch einzulegen, nicht schaden, die gesamte EuGH-Entscheidung zu lesen und besonders nicht zuletzt die Randnummern ab der Rn. 75, die schließlich in folgender Konklusion münden:

"Nach alledem ist auf die Vorlagefragen 3 bis 5 zu antworten, dass der Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verbietet, den Beginn einer Ausschlussfrist von zwei Monaten für die Stellung eines Antrags auf Ersatz des Schadens, der aus einer Maßnahme entstanden ist, die eine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, auf den Tag der Verkündung eines Urteils des Gerichtshofs festzusetzen, mit dem der diskriminierende Charakter einer ähnlichen Regelung festgestellt wurde, wenn die Gefahr besteht, dass die Betroffenen nicht innerhalb der Frist erkennen können, dass oder in welchem Umfang sie diskriminiert wurden. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn in dem betreffenden Mitgliedstaat Uneinigkeit über die Frage besteht, ob dieses Urteil auf die betreffende Maßnahme übertragbar ist." (Rn. 94)

Dabei geht es also - um die Komplexität weiterhin anzureißen - nicht nur um die mögliche Erkenntnis, dass man womöglich diskriminiert wurde, sondern auch, in welchem Umfang; und eben um die Gefahr, dass eines oder beides nicht innerhalb der gesetzten Frist möglich gewesen wäre. Denn das kann - und nun kommen ggf. ebenso die von den Gesetzgebern vollzogenen Nachfolgeregelungen ins Spiel - ggf. bis heute weiterreichen, da es ggf. auch nur um den Umfang der Diskriminierung geht. Entsprechend habe ich in der von Dir kritisierten Passage hervorgehoben - und ich sehe weiterhin nicht (unter der Prämisse der von mir genannten Vereinfachung), dass das sachlich falsch sein sollte:

"Der EuGH geht nun - vereinfacht ausgedrückt - in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2020 hinsichtlich der nach 2014 in Sachsen-Anhalt vollzogenen Neustrukturierung davon aus, dass diese neue Systematik der Erfahrungsstufen ggf. weiterhin (alters-)diskrimierend ist, da sie letztlich (zu) bruchlos an die vormalige anschließt [hier hätten wir jetzt das ggf. vorhandene Faktum des "Umfangs"; S.T.], sodass die Altersdiskriminierung dann fortbestehe."

Diese gerade von mir hier geschriebenen Zeilen zeigen dann ein weiteres Mal (diese Aussage bezieht sich auf eine unlängst hier im Forum an anderer Stelle geführte Diskussion, die Länge von Ausführungen betreffend), dass man - will man über's Recht schreiben - den Fall umfassend(er) betrachten muss, was dann zu entsprechend langen (wie diesen) Ausführungen führt. Es dürfte nachvollziehbar sein, dass nicht jeder hier in Forum Zeit und Lust hat, solch langen Ausführungen wie jetzt wieder diese von vorn bis hinten zu lesen. Eigentlich hatte ich bei diesem Thema verhindern wollen, auch hier nun solch ellenlange Texte zu schreiben bzw. schreiben zu müssen.

Eike1966

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Sehr geehrter Herr Tanortsch,

es ist nicht meine Absicht Menschen von Anträgen/Widersprüchen wegen Altersdiskriminierung abzuhalten. Eigentlich weise ich sogar auf Wege hin, die auf der Schiene von EuGH-Entscheidungen erfolgversprechend sein könnten. Nicht nur, dass dies ein langer Weg ist, er ist auch sehr schwierig rechtlich und tatsachenmäßig herzuleiten.

Meine sehr kurzen Ausführungen stehen nicht im Widerspruch zu den Ausführungen der DRB-Sektion Berlin. Sie stehen auch nicht im Widerspruch zu der neuern OVG-Entscheidung des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 28.09.2022. Eine Revision ist nicht zugelassen worden. Damit ist die Luft schon erheblich dünner. Aber es ist auch noch nicht vorbei.

Sie behaupten:
„Der EuGH geht nun - vereinfacht ausgedrückt - in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2020 hinsichtlich der nach 2014 in Sachsen-Anhalt vollzogenen Neustrukturierung davon aus, dass diese neue Systematik der Erfahrungsstufen ggf. weiterhin (alters-)diskrimierend ist, da sie letztlich (zu) bruchlos an die vormalige anschließt, sodass die Altersdiskriminierung dann fortbestehe.“
Gemeint ist die Entscheidung des EuGH vom 28.02.2020 in den Rechtssachen C-773 bis C-775/18.

Weder die Vorlagefragen des VG Halle noch die Entscheidung selber befassen sich inhaltlich mit Rechtsvorschriften zur Überleitung bzw. Neugestaltung in das Erfahrungsstufensystem und damit auch nicht ob diese unionsrechtswidrig sind.
Vielmehr lautet der 1.Tenor:
„Die Art. 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer Maßnahme nicht entgegenstehen, mit der Beamten und Richtern im Hinblick auf die Gewährleistung einer angemessenen Vergütung eine Besoldungsnachzahlung in Höhe eines Prozentsatzes des Grundgehalts gewährt wird, das sie zuvor u. a. gemäß einer für die jeweilige Besoldungsgruppe bei ihrer Einstellung nach ihrem Lebensalter bestimmten Grundgehaltsstufe bezogen haben, soweit eine solche Maßnahme erforderlich ist, um unter Umständen, die insbesondere sowohl durch eine hohe Zahl von betroffenen Beamten und Richtern als auch durch das Fehlen eines gültigen Bezugssystems gekennzeichnet sind, den Schutz erworbener Rechte zu gewährleisten, und soweit sie nicht dazu führt, eine Ungleichbehandlung wegen des Alters zeitlich unbegrenzt zu erhalten.“
D.h. es wird gerade keine Unionsrechtswidrigkeit festgestellt.

Der 3. Tenor in dem Urteil des EuGH vom 19.06.2014 in der Sache Specht u.a. (C-506/12 etc.) zu deutschem Recht lautet:
„Die Art. 2 und 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorschriften die Modalitäten der Überleitung von Beamten, die vor dem Inkrafttreten dieser Rechtsvorschriften verbeamtet worden sind, in ein neues Besoldungssystem festlegen und vorsehen, dass zum einen die Besoldungsstufe, der sie nunmehr zugeordnet werden, allein auf der Grundlage des unter dem alten Besoldungssystem erworbenen Grundgehalts ermittelt wird, obgleich dieses alte System auf einer Diskriminierung wegen des Alters des Beamten beruhte, und dass sich zum anderen der weitere Aufstieg in eine höhere Besoldungsstufe nunmehr allein nach der seit dem Inkrafttreten dieser Rechtsvorschriften erworbenen Berufserfahrung bemisst.“
D.h. auch hier werden die Überleitungsregelungen als unionsrechtskonform bewertet.

Bisher hat der EuGH in keiner Entscheidung zum deutschen Besoldungsrecht, die Überleitungsvorschriften oder das neue Erfahrungsstufensystem als unionsrechtwidrig beurteilt.

SwenTanortsch

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Hallo Eike,
es ist richtig, dass der EuGH in keiner Entscheidung zum deutschen Besoldungsrecht, die Überleitungsvorschriften oder das neue Erfahrungsstufensystem als unionsrechtwidrig beurteilt hat. Denn er ist dazu ja auch bislang nicht angerufen worden. Von daher lässt er die Beantwortung dieser ihm bislang nicht gestellten Frage - wie nicht anders zu erwarten - offen und belässt die Entscheidung über die Frage nach einer ggf. altersdiskriminierenden  Besoldung weiterhin sachlogisch dort, wo sie auch bislang weiterhin hingehört: bei der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Entsprechend bleibt heute der Spielraum bestehen, dass auch Nachfolgeregelungen, die also zu eng an die nach Alter strukturierten Erfahrungsstufen anknüpfen, altersdiskriminierend sein können (in dem von Dir genannten und am 28.09. abgeschlossenen Verfahren vor dem Niedersächsischen OVG - 5 LB 59/20 u.a. - ging es zum Teil genau darum, wenn auch der 5. Senat des OVG wie eigentlich zu erwarten der konkreten Klagebegründung nicht gefolgt ist, ohne dass seine Entscheidungsbegründung heute bereits schriftlich vorläge).

Zugleich gehe ich auf Grundlage dessen, was ich vorhin zum "Umfang" geschrieben habe, weiterhin davon aus, dass es ggf. möglich sein könnte, dass die Widerspruchsfrist auch für schon länger zurückliegende Zeiträume heute noch gar nicht abgeschlossen sei - die Wahrscheinlichkeit hierfür sehe ich zwar als sehr gering an; ausschließen möchte ich das aber nicht. Darüber werden ggf. die deutschen Verwaltungsgerichte im Einzelnen zu entscheiden haben. Meine von Dir zitierte und kritisierte Aussage blieb - wie ich das innerhalb des Zitats hervorhebe - vereinfachend, eben um Kollegen, die sich nicht in der Thematik auskennten, in die Problematik einzuführen. Man kann also die Vereinfachung kritisieren - nur sollte man dann nach meinem Empfinden eine weitere inhaltliche Präzisierung folgen lassen (so wie ich das vorhin in weiteren Ansätzen versucht habe), insbesondere um nicht mit wenig kontextualisierten Aussagen wie "Wer nach dem 19.08.2014 Ansprüche geltend gemacht hat, bekommt nichts" den (von Dir, wie Du jetzt schreibst, nicht gewünschten) Eindruck zu vermitteln, ein entsprechende Widerspruch sei von vornherein chancenlos. Denn insgesamt ist die in den 17 Besoldungsrechtskreisen jeweils im Einzelnen zu betrachtende Rechtslage eben m.E. zu komplex, als dass heute absehbar ist, wie die jeweiligen Verwaltungsgerichte entscheiden werden, wenn sie entscheiden müssen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte das Thema Altersdiskriminierung in kaum einen Rechtskreis noch vor einem Verwaltungsgerichten - wie in meinen beiden Beiträgen dargelegt - erfolgreich vorgebracht werden können; aber auszuschließen ist das aber eben auch weiterhin nicht.

Wenn Du nun also das Zitat, das Du kritisierst (und das man kritisieren kann, da es, wie es an gleicher Stelle betont, eine Vereinfachung vornimmt), anschaust, dann solltest Du ebenso den diesem Zitat vorausgehenden Absatz beachten, an den das Zitat anschließt. Vielleicht hätte ich im Anschluss an diesen vorauslaufenden Absatz schreiben sollen und wäre es präzisier gewesen, nicht zu schreiben: "Der EuGH geht nun - vereinfacht ausgedrückt - [...] davon aus, ...", sondern "Der EuGH lässt nun ... zu, ...". Die Folge wäre dann allerdings gewesen, dass ich dann einen großen Teil dessen hätte schreiben müssen, was ich in meinem letzten Beitrag geschrieben habe, was ich - wie ich in jenem letzten Beitrag am Ende darlege - nicht gewollt habe; denn es wäre dann ja erklärungsbedürftig gewesen, wieso und auf welcher Grundlage er das zulasse, was eben zu den nun sich anschließenden ellenlangen Darlegungen führt (die m.E. bei diesem mit hoher Wahrscheinlichkeit abgefrühstückten Thema - anders als hinsichtlich des in keiner Weise abgefrühstückten Themas der amtsangemessenen Alimentation - sachlich nur bedingt nötig sind). Von daher habe ich eine Vereinfachung vorgenommen und diese auch als solche so hervorgehoben, um nicht ellenlange Darlegungen folgen lassen zu müssen.

Da ich mich immer freue, wenn ich etwas lerne (das ist nicht ironisch gemeint, sondern meine ich so, wie ich das schreibe), würde ich mich nun freuen, wenn Du die Wege ein wenig weiter ausführen würdest, die, wie Du schreibst, "auf der Schiene von EuGH-Entscheidungen erfolgversprechend sein könnten". Das dürfte dann eine weitere Aufklärung des Themas zur Folge haben, was ich gut fände. Denn eventuell profitiert davon dann ja auch jemand der Lesenden, der von dem Thema doch mit Erfolgsaussichten betroffen ist.

Eike1966

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Dem Wunsche von Herrn Tanortsch auf Weiterbildung entsprechend und als ein wenig Dank für die Informationen über die amtsangemessene Besoldung möchte ich einige grundlegende Informationen zum Thema altersdiskriminierende Besoldung darstellen. Leider habe ich nicht so viel Zeit, um im Forum gründlichste Darstellungen abzugeben.
Das Thema scheint ausgelutscht zu sein, weil man wenig von deutschen Verwaltungsgerichten hört. Die Rechtsprechung des EuGH wird leider zu wenig im Auge behalten.

Auf meinen vorherigen Post vom 14.10.2022 zum Sachstand möchte ich nochmals hinweisen (1.,2.,3.,4. und 5.)
Ich habe mir die Darstellung wie folgt vorgestellt. Von Zeit zu Zeit werde ich die Punkte dann vorstellen:

I. Informationsmöglichkeiten zum Thema
II. Anhängige Verfahren vor deutschen Verwaltungsgerichten
III. Stand der Rechtsprechung des EuGH
1. Überleitungsvorschriften
2. Neues Erfahrungssystem

I. Informationsmöglichkeiten zum Thema
a) Eine Informationsmöglichkeit findet man beim BMFSFJ unter dem Link zum Download:
https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/recherche-und-auswertung-der-rechtsprechung-des-eugh-und-des-egmr-196042
S. 35 ff und insbesondere S. 44 ff.
b) Auch die Antidiskrimierungstelle des Bundes bietet Informationmöglichkeiten:
https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/startseite/startseite-node.html
https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Rechtsprechungsuebersicht/eugh_entscheidungen_zusammenfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=6
Hier werden wichtige Urteile des EuGH aufgeführt.

II. Anhängige Verfahren vor deutschen Verwaltungsgerichten
Das ist eine sehr schwierige Frage, da es kein „Klageregister“ gibt. Wenn jemand Verfahren kennt, kann er ja hier im Thread posten.
Mit heutigem Stand (05.11.202) sind zumindest noch folgende Verfahren anhängig:
- OVG Niedersachen (abweisendes Urteil vom 28.09.2022 5 LB 59/20 u.a.; noch nicht rechtskräftig; evtl. Revision)
- Ein Verfahren in NRW vor einem VG
- evtl. OVG Sachsen Anhalt (1 L 57/20); vgl. hier: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2022/03/rk20220318_2bvr123220.html
- evtl. VG Halle (Sachsen Anhalt); fraglich siehe: https://www.landtag.sachsen-anhalt.de/fileadmin/files/drs/wp7/drs/d7508aak.pdf
- evtl. Berlin wegen Rundschreiben IV Nr. 24/2021 der Senatsverwaltung für Finanzen vom 22.03.2021 (Geschäftszeichen IV D 13- P 6180-1/2020-1-4).

Die von mir mit „evtl.“ bezeichneten Verfahren habe ich aufgeführt, da es sich hier - aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 20.02.2020 C-773/18 bis C-775/18 - vordringlich um Entschädigungsleistungen gemäß § 15 Abs. 2 AGG nach dem alten Besoldungsdienstaltersystem des BBesG (Bezahlung nach Lebensalter) handeln dürfte. Die 2-monatige Ausschlussfrist beginnt nunmehr ab dem 19.06.2014 (EuGH 19.06.2014 in der Sache Specht u.a., C-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C-541/12) zu laufen und nicht mehr ab dem 08.09.2011 (EuGH Hennings und Mai C‑297/10 und C‑298/10), wie es das BVerwG sah.

Das Verfahren vor dem OVG Niedersachsen befasst sich mit dem neu eingeführten Erfahrungsstufensystem. Das Verfahren in NRW mit dem Überleitungsrecht und dem neu eingeführten Erfassungsstufensystem.

Generell lässt sich feststellen, dass wegen der Entscheidung des EuGH vom 14.06.2014 (Specht u.a.) und vom 09.09.2015 C-20/13(Unland), die Überleitungsregelungen in das Erfahrungsstufensystem und die Einführung des neuen Erfahrungsstufensystem nicht als unionsrechtswidrig angesehen werden. Deswegen werden konsequent alle Verfahren von den Verwaltungsgerichten abgewiesen.

Um evtl. doch mit einer Klage Erfolg zu haben, müssen die Verwaltungsgerichte davon überzeugt werden, dass aufgrund der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH in nicht deutschen Angelegenheiten, die deutschen Rechtsvorschriften gegen europäisches Recht verstoßen könnten.

Die Entscheidungsbefugnis ob nationale Vorschriften unionsrechtswidrig sind, obliegt eigentlich nur dem EuGH. Das Verfahren richtet sich nach Art. 267 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) als sog. Vorabentscheidungsersuchen. Dabei ist zu beachten, dass die erstinstanzlichen Verwaltungsgerichte nicht verpflichtet sind, die Frage an den EuGH heranzutragen („Kann-Bestimmung“).
« Last Edit: 05.11.2022 21:03 von Eike1966 »