Moin DerBoss,
klar kann ich nachvollziehen, dass keine/ kaum Gehaltssteigerungen bei steigenden Preisen Arbeitnehmern weh tun. Das ist ja kein Phänomen, was auf den öffentlichen Dienst beschränkt ist, sondern allgemein in der Gesellschaft in den letzten Jahren aufgetreten ist. (Drum auch hier die Nachfrage, warum hier teilweise recht lautstark Forderungen erhoben werden, dass dieser Kaufkraftverlust vollständig ausgeglichen bzw. sogar überkompensiert werden müsse, wenn dies in der Gesamtgesellschaft nicht der Fall ist und keine besonderen Argumente, warum es dem öD anders gehen sollte, hervorgebracht wurden.)
Und natürlich hätte auch ich, wie jeder andere hier auch, gern mehr Gehalt. Warum auch nicht? Umgedreht wollen die AG möglichst wenig zahlen. Und das sollten sie, aus Sicht des Steuerzahlers, der wir ja auch alle sind, auch. Nur ist es eben kein Argument und auch nicht zielführend, wenn jetzt beide Seiten in die Verhandlungen gehen und jeweils beklagen, wie schlecht es ihnen doch geht (gestiegene Preise vs. klamme Kassen). Das hilft niemandem weiter und führt auch nur zu verhärteten Fronten, da diese unbestreitbaren Fakten ja kein Aufweichen, keinen Kompromiss zulassen. Es sind jeweils ultimative Aussagen.
Zur Frage der Organisation sehe ich da zwei Punkte: Einerseits muss die AG-Seite marktwirtschaftlich aggieren, also sichern, dass das benötigte Personal auch eingeworben werden kann (was marktübliche Bezahlung voraussetzt) -- oder eben die Aufgaben zusammenkürzen. Letzteres wäre eine politische Diskussion, die durch Wahlen geklärt werden muss, also in den Tarif-Verhandlungen kein Thema ist. Es verbleibt also von der AG-Seite in den Verhandlungen daraufhinzuwirken, dass offene Stellen, die auch benötigt werden, besetzt werden können. Und das ist durchaus Berufsgruppen-spezifisch. Andererseits organisiert sich die Arbeitnehmerschaft in Gewerkschaften, um so in der Masse einen besseren Verhandlungshebel zu erhalten: Wenn ein Arbeitnehmer streikt, oder mit Weggang droht, kann das die AG-Seite zumeist leicht verschmerzen. Wenn dies relevante Anteile der Belegschaft tun, dann nicht mehr. Hier können also diejenigen Berufsgruppen, die einen entsprechenden Hebel besitzen, und für die das Nicht-Tätigsein (i.S. von Streik oder unbesetzter Stelle) die AG-Seite unter Druck setzen würde, auch ein besseres Ergebnis für solche Berufsgruppen und Einzelpersonen erreichen, als diese in individueller Verhandlung erzielen hätten können.
Zusammengefasst ergibt sich also, dass die Berufsgruppen, welche die beste Verhandlungsposition haben, hier diejenigen sind, um die es maßgeblich geht. Diese können dann alle anderen mitziehen. Wenn aber eben jene Gruppen einerseits nicht (wesentlich) organisiert sind und auch die organisierte Arbeitnehmerschaft (aka Gewerkschaften) deren Positionen nicht zumindest ausdrücklich mitvertreten, dann ist das System dysfunktional. Dann bricht auch der Zusammenhalt in der Arbeitnehmerschaft auseinander und man hat die Bereiche, in denen kein geeignetes Personal mehr angeworben werden kann, eben weil nicht marktgerecht bezahlt wird. (Und, man kommt in diesen Bereichen in die kuriose Situation, dass man eher auf die AG-Angebote hoffen muss, während man auf nicht zu viel Stärke der Gewerkschaft, diese Angebote wieder zu Ungunsten der unterbezahlten Berufsgruppen umverteilt werden, setzen muss. Als Stichwort aus den TVöD-Verhandlungen sei hier die verdi-Einschätzung, dass das AG-Angebot von gleicher prozentualer Jahressonderzahlung für alle Entgeltgruppen "unsozial" sei, angegeben. Damit hat man sich bei den Berufsgruppen, bei denen die Stellenbesetzung schwierig ist, nicht unbedingt Freunde gemacht...)
Sinnvoll wäre es m.E., wenn verdi, DBB, GEW und Co. gezielt entsprechende Berufsgruppen ansprechen und mobilisieren würden. Wenn im Zuge der Lehrerknappheit einfach mal auch nur für eine Woche alle angestellten Lehrkräfte streiken würden, wäre der Teufel los. Eltern in der gesamten Wirtschaft müssten wieder ins Home-Office wechseln, um ihre Kinder zu betreuen. Nur als Beispiel. Aber man bekommt keine EG13-Lehrkraft zum Streik überzeugt, wenn man wahrnehmen muss, dass man von der AN-Vertretung in den Verhandlungen gar nicht thematisiert wird.