Autor Thema: [Allg] Tarifrunde TV-L 2023  (Read 334205 times)

Kingrakadabra

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #690 am: 06.11.2023 12:27 »
Zusätzlich zu Streiks, die alles lahmlegen müssten nun alle ÖDler der Empfehlung folgen und Wohngeld beantragen. Das würde zu einem zusätzlichen Aufschrei und (leider) zu weiterer Belastung der Wohngeldstellen führen.
Scheinbar ist es nicht anders gewollt!

semper fi

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #691 am: 06.11.2023 13:13 »
Bin ich auch dafür, stellen wir doch einfach Wohngeldanträge. Als Begründung die Aussage der TDL darauf schreiben. Wird bei mir zwar negativ beschieden werden, da meine Frau in der Privatwirtschaft ist und dort sehr viel mehr verdient als ich, es wäre es mir dennoch wert, allein um ein Ausrufezeichen zu setzen. Mit tun nur die Kollegen leid, die das auf dem Tisch dann haben und abarbeiten müssen.

Das schlimme ist nur, dass ich persönlich Tag um Tag ein wenig mehr den Glauben an diesen Staat verliere. Ich habe nicht aufgegeben, noch bin ich wehrhaft und noch bin ich nicht müde. Aber solche Aussagen führen zwangsläufig auch bei mir dazu, dass ich intensiv überdenken muss, ob ich noch Teil dessen sein möchte. Wozu auf die Verfassung schwören, wenn die Legislative sie offen und permanent bricht? Wozu seinen Kopf hin halten, während die anderen sich hinter Plattitüden verstecken und uns in das offene Messer laufen lassen und dann noch offen auslachen. Denn nichts anderes ist diese Aussage, ein Auslachen der Beschäftigten, Häme und Respektlosigkeit ohne Gleichen. Wo ist das von Olaf Scholz viel beschworene „Respekt für dich“? Nichts davon ist geblieben, wie man ja jetzt von seinen Parteigenossen hört.

Und die fragen sich ernsthaft, weshalb die Leute immer mehr AfD wählen, gerade auch im öffentlichen Dienst. Nicht das ich zu diesen Leuten gehöre, mir würde das nie im Leben einfallen, das möchte Ich vorneweg klarstellen, aber ich kann den Grundgedanken dahinter verstehen. Ist doch kein Wunder, dass Politikverdrossenheit immer mehr zunimmt, wenn einen solche Leute jetzt auch noch aufs Wohngeld verweisen. Ich finde für eine derartige Unverschämtheit einfach keine Worte mehr. Würde ich dort sitzen und die hätten das gesagt, dann hätte ich ohne Zögern den Platz verlassen und wäre an die Presse getreten. Das ist einfach nicht zu beschreiben wie dämlich, dreist und abgefuckt diese Aussage ist. Sollten sich schämen aber leider hat die Dummheit aufgehört sich zu schämen.

anonymus1453

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #692 am: 06.11.2023 13:41 »
"Andreas Dressel, Vorsitzender der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), teilt auf Twitter mit, die TdL strebe eine Tarifeinigung noch vor Weihnachten an und habe der Gewerkschaftsseite bereits die Übernahme der "Struktur des TVöD-Abschlusses und ein Volumen deutlich oberhalb des letzten TVL-Tarifergebnisses angeboten".
Wie das Angebot konkret ausgesehen haben soll, verrät Andreas Dressel jedoch nicht."

Verstehe ich das richtig, dass die Arbeitgeber das Ergebnis vom TVÖD übernehmen wolllen oder was ist mit der "Struktur des TVÖD" gemeint?

Schmitti

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #693 am: 06.11.2023 13:49 »
Quelle: https://www.dbb.de/artikel/silberbach-ueber-einkommensrunde-druck-muss-von-der-strasse-kommen.html
...
Der dbb Bundesvorsitzende kritisierte die Arbeitgebenden deutlich: „Die Länder suchen gar nicht nach Lösungen, um den öffentlichen Dienst attraktiv und konkurrenzfähig zu gestalten. Im Zweifel wollen sie scheinbar einfach billig sein.“
Auf die Art könnten die Länder andererseits einen nennenswerten Beitrag dazu leisten, offene Stellen bei den Kommunen zu besetzen. Vorausgesetzt, der TV-L-Arbeitnehmer ist nicht nur einfach unglücklich über sein Entgelt, sondern unglücklich genug, um auch mal einfach eine Bewerbung zu schreiben. Daran hängts im öD vermutlich noch sehr oft. Im Idealfall sehen sich die Leute lieber 50 Dienstjahre bei der Ausbildungsbehörde, als sich ab und zu mal mit nem Arbeitgeberwechsel den Marktwert zu erhöhen.

was ist mit der "Struktur des TVÖD" gemeint?
Gleiche Seitennummerierung im Abschlussprotokoll  ::)
Könnte auch ein Hinweis sein, über welche Themen man überhaupt sprechen mag, und welche man lieber gleich weglässt (Arbeitszeit z.B.).

untersterDienst

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #694 am: 06.11.2023 13:49 »
Struktur bedeutet nicht Volumen, oder anders ausgedrückt

IAP in Höhe und Stückelung unbekannt
Tariferhöhung in % in Höhe unbekannt
Über dem letzten TVL: bedeutet Tariferhöhung über 2,8%
Laufzeit unbekannt

Bauernopfer

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #695 am: 06.11.2023 13:51 »
...... und uns in das offene Messer laufen lassen und dann noch offen auslachen. Denn nichts anderes ist diese Aussage, ein Auslachen der Beschäftigten, Häme und Respektlosigkeit ohne Gleichen.

.....Das ist einfach nicht zu beschreiben wie dämlich, dreist und abgefuckt diese Aussage ist. Sollten sich schämen aber leider hat die Dummheit aufgehört sich zu schämen.

Genau das trifft es. Sich lustig machen über die Situation insbesondere der Geringverdienerr. Da weiß man, was man davon halten soll, wenn so einer das Wort "WERTSCHÄTZUNG" in den Mund nimmt. Und das von einem aus der selbsternannten Arbeiterpartei. Onkel Herbert dreht sich gerade auf die andere Seite.

Gabi1978

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #696 am: 06.11.2023 13:53 »
"Andreas Dressel, Vorsitzender der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), teilt auf Twitter mit, die TdL strebe eine Tarifeinigung noch vor Weihnachten an und habe der Gewerkschaftsseite bereits die Übernahme der "Struktur des TVöD-Abschlusses und ein Volumen deutlich oberhalb des letzten TVL-Tarifergebnisses angeboten".
Wie das Angebot konkret ausgesehen haben soll, verrät Andreas Dressel jedoch nicht."

Verstehe ich das richtig, dass die Arbeitgeber das Ergebnis vom TVÖD übernehmen wolllen oder was ist mit der "Struktur des TVÖD" gemeint?

Ich könnte mir gut vorstellen, dass damit das Prinzip Einmalzahlung, Sockelbetrag und einstellige Prozentzahl an Erhöhung bedeutet. Die Länder müssen und werden reagieren…alleine, um die breite Bevölkerung nicht zu verärgern, muss der Abschluss etwas zeitverzögert entfallen. Viele sind wütend auf die Menschen, die vom Staat sooooo gut bezahlt werden (Insider dürfen an dieser Stelle gerne lachen) und wenn dann die Streiks alles lahm legen und beweisen, dass man uns echt braucht, werden Gelder fliesen (müssen!!). Habt ein bisschen Geduld

Jörn85

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #697 am: 06.11.2023 14:24 »
"Andreas Dressel, Vorsitzender der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), teilt auf Twitter mit, die TdL strebe eine Tarifeinigung noch vor Weihnachten an und habe der Gewerkschaftsseite bereits die Übernahme der "Struktur des TVöD-Abschlusses und ein Volumen deutlich oberhalb des letzten TVL-Tarifergebnisses angeboten".
Wie das Angebot konkret ausgesehen haben soll, verrät Andreas Dressel jedoch nicht."

Verstehe ich das richtig, dass die Arbeitgeber das Ergebnis vom TVÖD übernehmen wolllen oder was ist mit der "Struktur des TVÖD" gemeint?

Ich glaube das ist unmisverständlich.

Die Länder haben analog zum TVöD angeboten: einen Sockelbetrag, dann dazu eine prozentuale Erhöhung, und eine bzw. mehrere Einmalzahlungen ("Inflationsausgleich"). Das meint er mit "Struktur".

Die Beträge sind beim TV-L-Angebot allerdings niedriger als beim TVöD (200€ + 5,5% + 3000€), auch wenn höher als bei der letzten TV-L-Tarifrunde (oh wow!). Das meint er mit "Volumen".

Es bleibt also spannend. Alles was unter dem TV-öD endet wäre für mich eine Enttäuschung. Aber ich mache mir keine Hoffnung, wir TV-Ler haben eine geringere Streikmacht...

was_guckst_du

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #698 am: 06.11.2023 14:25 »
..das heisst Folgendes:

1. Laufzeit wie beim TVöD mit den Komponenten Inflationsausgleichzahlung für das erste Jahr, Sockelbetrag und prozentuale Erhöhung für das zweite Jahr (Struktur erreicht)

2. da nur die Struktur TVöD genannt wird, aber nicht das Ergebnis, bedeutet, dass natürlich ein geringeres Ergebnis als beim TVöD angestrebt wird

3. die Zusage, ein Ergebnis "erheblich" über dem Abschluss des letzten TV-L schlägt dem Fass endgültig dem Boden aus (da die Erhöhung bei 2,8 % lag (erheblich beginnt dann bei 4,2 % - und endet für Dressel whrscheinlich auch dort)

Insgesamt eine unglaublich unverschämte dreiste Aussage, die dem Mann hoffentlich um die Ohren fliegen wird.


Edit: Jörn85 und ich sind einer Auffassung
Gruß aus "Tief im Westen"

Meine Beiträge geben grundsätzlich meine persönliche Meinung zum Thema wieder und beinhalten keine Rechtsberatung. Meistens sind sie ernster Natur, manchmal aber auch nicht. Bei einer obskuren Einzelfallpersönlichkeit antworte ich auch aus therapeutischen Gründen

Bauernopfer

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #699 am: 06.11.2023 14:46 »
..das heisst Folgendes:

1. Laufzeit wie beim TVöD mit den Komponenten Inflationsausgleichzahlung für das erste Jahr, Sockelbetrag und prozentuale Erhöhung für das zweite Jahr (Struktur erreicht)

2. da nur die Struktur TVöD genannt wird, aber nicht das Ergebnis, bedeutet, dass natürlich ein geringeres Ergebnis als beim TVöD angestrebt wird

3. die Zusage, ein Ergebnis "erheblich" über dem Abschluss des letzten TV-L schlägt dem Fass endgültig dem Boden aus (da die Erhöhung bei 2,8 % lag (erheblich beginnt dann bei 4,2 % - und endet für Dressel whrscheinlich auch dort)

Insgesamt eine unglaublich unverschämte dreiste Aussage, die dem Mann hoffentlich um die Ohren fliegen wird.


Edit: Jörn85 und ich sind einer Auffassung

zu 3.
Wohlgemerkt gab es die 2,8% für eine Laufzeit vom 01.10.2021 bis 30.09.2023 bzw. nunmehr bis mindestens 12/2023. Das kann dann frei nach Dressel auch bedeuten, die neue prozentuale Erhöhung (für ein Jahr ab 2025) ist < 2,8% und dennoch "erheblich höher".

SAS

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #700 am: 06.11.2023 17:59 »
Das Problem ist, dass sich zwar einzelne Politiker und Regierungsparteien abwählen und so durch andere ersetzen lassen. Nur handeln dann bis auf Weiteres die neuen Regierungsparteien mitsamt ggf. neuem Personal i.d.R. genauso, worin sich der konzertierte Charakter des politischen Handelns offenbart, von dem Ulrich Battis spricht. Als Folge dieser konzertierten Struktur gewinnt die Besoldungspolitik des wiederkehrenden Verfassungsbruchs eine enorme Stabilität, da sich keiner der 15 in der TdL verbundenen Arbeitgeber in ihrer Gestalt als Dienstherrn aus dem Konsens herausbewegen kann, ohne sowohl die Politik der anderen 14 als auch die der eigenen Partei in einem anderen Bundesland zu konterkarieren. Entsprechend erweist sich das Handeln für den jeweiligen Politiker sowohl als alternativlos als auch als effektiv: Die verfassungswidrig eingesparten Haushaltsmittel können so für andere politische Belange verwendet werden und sind darüber hinaus i.d.R. genau für diese anderen Belange bereits lange eingeplant. Wer das also ändern wollte, machte sich mindestens in der eigenen Regierung und dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit in der eigenen Partei kaum Freunde, da er ja kaum auf Einsparungen nur in den Ressorts der anderen Regierungsparteien plädieren könnte.

Insofern haben die seit 2020 vollzogenen Regierungswechsel gezeigt, dass sich zwar Regierungen, jedoch nicht das Problem abwählen lassen. Die Oppositionspartei mitsamt ihres verantwortlichen Personals, die eben noch Wahlkampf auch mit dem Thema gemacht und also besoldungsrechtliche Verfassungstreue in den Raum gestellt hat, vergisst das i.d.R. ganz schnell, wenn sie sich nach der Wahl in der Regierung wiederfindet.

Auch darin offenbart sich der demokratiegefährdende Charakter des Problems: Wenn es politisch keine Alternative für Betroffene mehr gibt, schaffen sie sich über kurz oder lange ihre eigenen. Entsprechend nehmen so nicht die politischen Parteien schaden - anders als ggf. einzelne Politiker, die nicht (wieder-)gewählt werden, was aber ob der geringen Zahl an Wählern, die das Thema interessiert, eher unwahrscheinlich ist -, sondern der demokratische Rechtsstaat. Wäre es andersherum, kehrte eine Regierung freiwillig und also auf dem Boden des Rechtsstaats zu einer verfassungskonforme Besoldungsrechtsprechung zurück, würde das prinzipiell den demokratischen Rechtsstaat stärken, jedoch aus den im letzten Absatz genannten Folgen den jeweiligen Regierungsparteien mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit schaden. Auch darin zeigt sich die sich selbst stabilisierende Struktur des offensichtlich konzertierten Handelns. Strukturell oder methodisch kann man das als ein typisches Problem des "Extremismus der Mitte" begreifen.

Entsprechend ist es nicht gänzlich unwahrscheinlich, dass sich die Lösung nicht in der Mitte finden lässt, sondern nur außerhalb der Struktur. Deshalb spielt das Bundesverfassungsgericht eine entscheidende Rolle. Denn so wie das auch Berlin hinsichtlich des Reparaturgesetzes der R-Besoldung 2021 gemacht hat, kann man die eigene Entscheidung als politische(r) Entscheidungsträger als Folge eben jener Rechtsprechung vor anderen Akteuren und den Wählern verkaufen, indem man die Verantwortung auf Karlsruhe delegiert. Darüber hinaus ist ein weiterer Akteur, der hinsichtlich des Themas "amtsangemessene Besoldung" in Teilen mehr politische Beinfreiheit besitzt, Hessen, da es kein Mitglieder der TdL ist. Schließlich haben die mitteldeutschen Länder tendenziell eine geringere Quote an Beamten im öffentlichen Dienst, sodass auch sie in Teilen eher zu Alternativen fähig sind, wie insbesondere Thüringen zeigt, das zugleich mit dem tbb über eine fähigen und arbeitswillige gewerkschaftliche Vertretung sowie mit Bodo Ramelow dem einzigen Ministerpräsidenten der Linke verfügt, weshalb die Linke als Regierungspartei dort tendenziell weniger Rücksicht auf andere Bundesländer und ihre Regierungskollegen nehmen muss, da es sie selten gibt und die Linke in Thüringen weiterhin Vorbild für andere Landesverbände ist, jetzt, da man sich als Linke offensichtlich endgültig selbst zerlegt, nur umso mehr.

Es wird sich zeigen, ob und ggf. wie sich die Situation nach der angekündigten Entscheidung des Zweiten Senats ändern wird. Es darf davon ausgegangen werden, dass Karlsruhe die Erweiterung der ursprünglich auf Bremen konzentrierten Entscheidung(en) auch wegen des offensichtlich konzertierten Handelns der Dienstherrn um Niedersachsen und Schleswig-Holstein erweitert hat, nachdem zu Beginn des Jahres deutlich geworden ist, dass die Nordstaaten mit der spezifischen Einführung eines Doppelverdienermodells eine neue Qualität des wissentlichen und willentlichen, also zielgerichteten Verfassungsbruchs initiiert haben.

Der Analyse kann ich in weiten Teilen zustimmen. Endlich mal eine politische Analyse der Realität!
In dieser Situation können keine Wahlen etwas an der Situation ändern, denn auf die ein oder andere Weise sind alle demokratischen Parteien in den Prozess involviert. Hier hilft nur noch Klagen, oder sich für ein Streikrecht stark machen bzw. ein Streikrecht erzwingen. Dafür wäre es allerdings eine kritische Masse notwendig. Glaube die Masse ist noch zu träge und der Schmerz noch nicht groß genug. Im Moment spricht das leider für eine bessere Verhandlungsposition der AG. Würde mich freuen wenn mich die Träge Masse mal überrascht.

lotsch

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #701 am: 06.11.2023 19:43 »
Das Problem ist, dass sich zwar einzelne Politiker und Regierungsparteien abwählen und so durch andere ersetzen lassen. Nur handeln dann bis auf Weiteres die neuen Regierungsparteien mitsamt ggf. neuem Personal i.d.R. genauso, worin sich der konzertierte Charakter des politischen Handelns offenbart, von dem Ulrich Battis spricht. Als Folge dieser konzertierten Struktur gewinnt die Besoldungspolitik des wiederkehrenden Verfassungsbruchs eine enorme Stabilität, da sich keiner der 15 in der TdL verbundenen Arbeitgeber in ihrer Gestalt als Dienstherrn aus dem Konsens herausbewegen kann, ohne sowohl die Politik der anderen 14 als auch die der eigenen Partei in einem anderen Bundesland zu konterkarieren. Entsprechend erweist sich das Handeln für den jeweiligen Politiker sowohl als alternativlos als auch als effektiv: Die verfassungswidrig eingesparten Haushaltsmittel können so für andere politische Belange verwendet werden und sind darüber hinaus i.d.R. genau für diese anderen Belange bereits lange eingeplant. Wer das also ändern wollte, machte sich mindestens in der eigenen Regierung und dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit in der eigenen Partei kaum Freunde, da er ja kaum auf Einsparungen nur in den Ressorts der anderen Regierungsparteien plädieren könnte.

Insofern haben die seit 2020 vollzogenen Regierungswechsel gezeigt, dass sich zwar Regierungen, jedoch nicht das Problem abwählen lassen. Die Oppositionspartei mitsamt ihres verantwortlichen Personals, die eben noch Wahlkampf auch mit dem Thema gemacht und also besoldungsrechtliche Verfassungstreue in den Raum gestellt hat, vergisst das i.d.R. ganz schnell, wenn sie sich nach der Wahl in der Regierung wiederfindet.

Auch darin offenbart sich der demokratiegefährdende Charakter des Problems: Wenn es politisch keine Alternative für Betroffene mehr gibt, schaffen sie sich über kurz oder lange ihre eigenen. Entsprechend nehmen so nicht die politischen Parteien schaden - anders als ggf. einzelne Politiker, die nicht (wieder-)gewählt werden, was aber ob der geringen Zahl an Wählern, die das Thema interessiert, eher unwahrscheinlich ist -, sondern der demokratische Rechtsstaat. Wäre es andersherum, kehrte eine Regierung freiwillig und also auf dem Boden des Rechtsstaats zu einer verfassungskonforme Besoldungsrechtsprechung zurück, würde das prinzipiell den demokratischen Rechtsstaat stärken, jedoch aus den im letzten Absatz genannten Folgen den jeweiligen Regierungsparteien mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit schaden. Auch darin zeigt sich die sich selbst stabilisierende Struktur des offensichtlich konzertierten Handelns. Strukturell oder methodisch kann man das als ein typisches Problem des "Extremismus der Mitte" begreifen.

Entsprechend ist es nicht gänzlich unwahrscheinlich, dass sich die Lösung nicht in der Mitte finden lässt, sondern nur außerhalb der Struktur. Deshalb spielt das Bundesverfassungsgericht eine entscheidende Rolle. Denn so wie das auch Berlin hinsichtlich des Reparaturgesetzes der R-Besoldung 2021 gemacht hat, kann man die eigene Entscheidung als politische(r) Entscheidungsträger als Folge eben jener Rechtsprechung vor anderen Akteuren und den Wählern verkaufen, indem man die Verantwortung auf Karlsruhe delegiert. Darüber hinaus ist ein weiterer Akteur, der hinsichtlich des Themas "amtsangemessene Besoldung" in Teilen mehr politische Beinfreiheit besitzt, Hessen, da es kein Mitglieder der TdL ist. Schließlich haben die mitteldeutschen Länder tendenziell eine geringere Quote an Beamten im öffentlichen Dienst, sodass auch sie in Teilen eher zu Alternativen fähig sind, wie insbesondere Thüringen zeigt, das zugleich mit dem tbb über eine fähigen und arbeitswillige gewerkschaftliche Vertretung sowie mit Bodo Ramelow dem einzigen Ministerpräsidenten der Linke verfügt, weshalb die Linke als Regierungspartei dort tendenziell weniger Rücksicht auf andere Bundesländer und ihre Regierungskollegen nehmen muss, da es sie selten gibt und die Linke in Thüringen weiterhin Vorbild für andere Landesverbände ist, jetzt, da man sich als Linke offensichtlich endgültig selbst zerlegt, nur umso mehr.

Es wird sich zeigen, ob und ggf. wie sich die Situation nach der angekündigten Entscheidung des Zweiten Senats ändern wird. Es darf davon ausgegangen werden, dass Karlsruhe die Erweiterung der ursprünglich auf Bremen konzentrierten Entscheidung(en) auch wegen des offensichtlich konzertierten Handelns der Dienstherrn um Niedersachsen und Schleswig-Holstein erweitert hat, nachdem zu Beginn des Jahres deutlich geworden ist, dass die Nordstaaten mit der spezifischen Einführung eines Doppelverdienermodells eine neue Qualität des wissentlichen und willentlichen, also zielgerichteten Verfassungsbruchs initiiert haben.

Der Analyse kann ich in weiten Teilen zustimmen. Endlich mal eine politische Analyse der Realität!
In dieser Situation können keine Wahlen etwas an der Situation ändern, denn auf die ein oder andere Weise sind alle demokratischen Parteien in den Prozess involviert. Hier hilft nur noch Klagen, oder sich für ein Streikrecht stark machen bzw. ein Streikrecht erzwingen. Dafür wäre es allerdings eine kritische Masse notwendig. Glaube die Masse ist noch zu träge und der Schmerz noch nicht groß genug. Im Moment spricht das leider für eine bessere Verhandlungsposition der AG. Würde mich freuen wenn mich die Träge Masse mal überrascht.

In der Physik ist es ja so, dass träge Masse schwer in Bewegung zu bringen ist, aber wenn sie einmal in Bewegung ist, ist sie auch schwer zu stoppen. Das sollten vielleicht auch einmal die Politiker bedenken.

Wie ich aus einigen Beiträgen erkannt habe, sind manche Beamte sehr enttäuscht und/oder haben eine große Wut auf ihren Dienstherrn, wenn andere Beamte aus ihrem Umfeld hohe Geldbeträge nachbezahlt bekommen, und sie selber nichts, weil sie keinen Widerspruch eingelegt haben und nicht geklagt haben. Wenn sich das großflächig herumspricht und in Medien bekannt gemacht wird, könnte das der Trigger sein, um die Masse in Bewegung zu bringen.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #702 am: 06.11.2023 23:26 »
Vom Streikverbot wird das Bundesverfassungsgericht allerdings nach der Deutlichkeit, mit der es es 2018 begründet hat, nicht mehr abrücken, da es es als einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachtet und es dabei eng mit dem Alimentationsprinzip, der Treuepflicht, dem Lebenszeitprinzip sowie der beamtenrechtlichen Regelungen durch den Gesetzgeber in einen unaufhebbaren Zusammenhang stellt, vgl nur den Leitsatz 2 b der Entscheidung vom 12. Juni 2018 - 2 BvR 1738/12 - unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/06/rs20180612_2bvr173812.html;jsessionid=6EA053CE25DC4689E74B4F2DA882F40E.internet002:

"Das Streikverbot für Beamte ist als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums vom Gesetzgeber zu beachten. Es weist eine enge Verbindung auf mit dem beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip, der Treuepflicht, dem Lebenszeitprinzip sowie dem Grundsatz der Regelung des beamtenrechtlichen Rechtsverhältnisses einschließlich der Besoldung durch den Gesetzgeber."

Die "enge Verbindung" von Streikverbot und Alimentationsprinzip betrachtet es entsprechend als "untrennbar", vgl. nur ebd., Rn. 152.

HansGeorg

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #703 am: 07.11.2023 07:07 »
Da gebe ich dir recht Swen, aber wenn mich nicht alles täuscht ist noch mindestens ein Verfahren am EuGH anhängig. Was wenn die zu einer anderen Ansicht kommen als das BVerfG?

ebse

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Antw:[Allg] Tarifrunde 2023
« Antwort #704 am: 07.11.2023 07:23 »
Und sieht Battis nicht die einseitige Aufkündigung des Dienst- und Treueverhältnisses von Seiten des Dienstherren?
Hat er sich nicht auch dahingehend geäußert, dass wenn sich der Dienstherr an das Dienst- und Treueverhältnis nicht mehr hält, der Beamte das auch nicht mehr muss?
Für mich stellt sich die Frage, was würde passieren, wenn die Beamtenschaft mit dieser Begründung in den Streik tritt?

Versteht mich nicht falsch. Ich stehe hinter meinem Beamtenstatus und auch zum Streikverbot. Ich frage mich nur langsam, ob die Beamtenschaft sich alles gefallen lassen muss oder ob es nicht (langsam) Mittel und Wege gibt unseren Dienstherren zu zwingen etwas (positives) zu tun und dass er auf den Boden der Rechtsstaatlichkeit/Verfassungsmäßigkeit zurückkehrt?