Wie gesagt, es verweist niemand den Beamten auf eine Wohnung mit einer Quadratmiete in Höhe von 12,90 €, AVP. Vielmehr geht das Bundesverfasungsgericht in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass die Alimentation des im einfachen Dienst beschäftigten Beamten dann hinsichtlich des Mindestabstandsgebots als amtsangemessenen betrachtet werden kann, wenn sie realitätsgerecht 15 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus liegt, das einer entsprechenden Bedarfsgemeinschaft gewährt wird. Zur Bemessung des Grundsicherungsniveaus macht es in der Realität verpflichtend das 95 %-Perzentil zur Grundlage. Ackern wird also die Folgen hier der Einfachheit halber noch einmal durch, um nicht über Theorie zu sprechen, die schwerer zu greifen ist als die Praxis, die anschaulicher bleibt. Ergo: nachfolgend ein wenig Praxis
Das 2023 zu betrachtende Grundsicherungsniveau sieht in Niedersachsen wie folgt aus:
Regelbedarfe zwei Erwachsener: 902,- €
(vgl. S. 7 unter
https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Steuern/14-existenzminimumbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=7)
Regelbedarfe für zwei Kinder: 708,- € (ebd., S. 11)
Kalte Unterkunftskosten: 954,- € (s. zur Grundlage meinen letzten Beitrag)
Heizkosten: 280,75 €
(39,61 € x 85 qm / 12; vgl. S. 4 unter
https://www.heizspiegel.de/fileadmin/hs/heizspiegel-2023/heizspiegel-2023-flyer.pdf)
Bedarfe für Bildung und Teilhabe: 56,- €
(Die realitätsgerechten Kosten können weiterhin nicht betrachtet werden, da der Gesetzgeber sie weiterhin nicht veröffentlicht hat; es werden daher hier die sicherlich um deutlich mehr als 100,- € zu geringen Kosten herangezogen, die sich allein aus dem Gesetz ergeben. Als Folge bleibt der nachfolgende Gesamtbetrag sachlich unzureichend, weil ihm keine realitätsgerechte Bemessung der Bedarfe für Bildung und Teihabe sowie des monetären Gegenwerts der Sozialtarife zugrunde liegt)
Grundsicherungsniveau: 2.900,75 €
Mindestalimentation: 3.335,86 €
Diese Beträge sind wie dargelegt wegen der von mir nur unzureichend nachzuvollziehenden Bemessung der Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie des monetären Gegenwerts der Sozialtarife deutlich zu gering. Thüringen hat bspw. für das Jahr 2019 entsprechende Bedarfe in Höhe von 258,27 € ausgewiesen. Würde man sie zugrunde legen, was allerdings nicht möglich ist, aber eben eine allgemeine Vergleichsebene ermöglicht, dann läge die Mindestalimentation bei rund 3.570,- €.
Die Bruttobesoldung des verheirateten Musterbeamten mit zwei Kindern beträgt zurzeit: 3.193,42 € (vgl.
https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/ni?id=beamte-nds&g=A_5&s=0&f=3&fstand=v&zulageid=10.2&z=100&zulage=&stkl=1&r=0&zkf=2); da die Landesregierung die seit dem 01.01.2023 ausstehende Rechtsverordnung nicht in Kraft gesetzt hat, mit der sie auf Basis des offensichtlich verfassungswidrigen Niedersächsischen Gesetzes zur amtsangemessenen Alimentation normiert, zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückkehren zu wollen, können weitere Beträge dem geltenden Besoldungsgesetz nicht entnommen werden. Legte man die von Thüringen 2019 bemessenen Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie des monetären Gegenwerts der Sozialtarife zugrunde (was wie gesagt nicht so ohne Weiteres möglich ist, aber hier für eine entsprechend graduelle Aussage herangezogen wird), dann wäre eine Mindestalimentation von deutlich über 3.500,- € vorauszusetzen.
Zieht man nun die bislang weiterhin gewährte Bruttobesoldung von 3.193,42 € heran, dann ergibt sich nach Abzug der Steuerlast und der PKV-Kosten sowie nach Addition des Kindergelds folgender Vergleichgegegenstand:
Gewährte Nettoalimentation:
Bruttobesoldung: 38.321,04 €
- Steuerlast: 1.910,00 €
(
https://rechner24.info/lohnsteuer/rechner/5?jahr=2023b&STKL=3&F=&RE4=38321%2C04&LZZ=1&ZKF=2&KG=2&PVK=&LAND=ni&KIRCHE=0&LZZFREIB=0&LZZFREIB_LZZ=2&LZZHINZU=0&LZZHINZU_LZZ=2&RENTE=0&PKV=1&PKPV=429&progwerte=&progwerte=)
- PKV-Kosten: 6.456,00 €
+ Kindergeld: 6.000,00 €
Nettoalimentation: 35.955,04 €
Monatsbetrag: 2.996,25 €
Die gewährte Nettoalimentation fällt also weiterhin um mindestens deutlich mehr 400,- € bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit um mehr als 500,- € pro Monat zu gering aus. Die Besoldungsordnung A dürfte sich weiterhin bis in die Besoldungsgruppe A 10 hinein als unmittelbar verletzt zeigen. Denn wenn man nun das Grundgehaltsäquivalent zur Mindestalimentation als Vergleichsgegenstand der Mindestbesoldung heranzieht, dann ergibt sich mit einer Höhe der genannten Bedarfe auf Höhe der Bemessungen in Thüringen folgendes Bild:
monatliche Mindestalimentation: 3.570,- €
Jährliche Mindestalimentation: 42.840,- €
- Kindergeld: 6.000,- €
+ PKV-Kosten: 6.456,- €
Äquivalente Nettobesoldung: 43.296,- €
+ Einkommensteuer: 4.184,- €
(
https://rechner24.info/lohnsteuer/rechner/5?jahr=2023b&STKL=3&F=&RE4=47480&LZZ=1&ZKF=2&KG=2&PVK=&LAND=ni&KIRCHE=0&LZZFREIB=&LZZFREIB_LZZ=2&LZZHINZU=&LZZHINZU_LZZ=2&RENTE=0&PKV=1&PKPV=429&progwerte=&progwerte=)
Besoldungsäquivalent zur
Mindestalimentation: 47.480,- €
- Familienzuschlage Ehe: 1.799,28 €
- Familienzuschlag 1. Kind: 1.537,92 €
- Familienzuschlag 2. Kind: 1.537,92 €
- Erhöhungsbetrag 1. Kind: 1.200,00 €
- Erhöhungsbetrag 2. Kind: 1.200,00 €
- Sonderzahlung: 1.200,00 €
- kinderbezogene Sonderzahlung: 500,00 €
Grundeghaltsäquivalent:Jahresbetrag: 38.504,88 €
Monatsbetrag: 3.208,74 €
Tatsächlich gewährter
Grundgehaltssatz A 5/1: 2.368,58 €
Absoluter Fehlbetrag: 840,16 €
Prozentualer Fehbetrag: 26,2 %
Indizielle Verfehlung bis: A 10/2
Differenziert man diese Berechnung noch weiter, indem man die der Besoldungsgruppe A 10 tatsächlich gewährten Besoldungskomponenten hinzuzieht, ergibt sich darüber hinaus folgendes Grundgehaltsäquvalent für diese Besoldungsgruppe (vgl. zur den Besoldungskomponenten unter
https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/ni?id=beamte-nds&g=A_10&s=2&f=0&fstand=v&zulageid=10.1&zulageid=10.2&z=100&zulage=&stkl=1&r=0&zkf=2):
Besoldungsäquivalent zur
Mindestalimentation: 47.480,- €
- Familienzuschlage Ehe: 1.799,28 €
- Familienzuschlag 1. Kind: 1.537,92 €
- Familienzuschlag 2. Kind: 1.537,92 €
- allg. Stellenzulage: 1.216,68 €
- Sonderzahlung: 500,00 €
- kinderbezogene Sonderzahlung: 500,00 €
Grundeghaltsäquivalent:Jahresbetrag: 40.388,20 €
Monatsbetrag: 3.365,68 €
Tatsächlich gewährter
Grundgehaltssatz A 10/3: 3.257,13 €
Entsprechend zeigte sich dann auch noch die einem Beamten in der Besoldungsgruppe A 10/3 gewährte Grundbesoldung als indiziell (also im Prüfverfahren) unzureichend. Von daher wären folgende Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen indiziell als verletzt zu betrachten:
Alle Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen bis einschließlich A 7 sowie die weiteren bis einschließlich A 8/10, A 9/7 und A 10/3. 45 von 108 Tabellenfelder der Besoldungsordnung A wären folglich indiziell verletzt (41,7 %). Hierin zeigte sich nun (das ist jetzt ein anderes oder ergänzendes Thema), dass der Besoldungsgesetzgeber sachlich gezwungen ist, die Grundgehaltssätze aller Landesbeamten deutlich anzuheben, da sich das Mindestabstandsgebot indiziell als so verletzt zeigt, dass die Heilung der verletzten Besoldungssystematik eine deutliche Anhebung der Grundgehaltssätze erforderlich macht. Denn alles andere ließe sich verfassungsrechtlich wegen der eklatanten Verletzung der Besoldungssystematik sachlich nicht hinreichend rechtfertigen.
Der langen Rede kurzer Sinn, sofern der nach A 5 alimentierte verheiratete Beamte mit zwei Kindern über eine Nettoalimentation von deutlich über 3.400,- bis über 3.500,- € (und in unserem streckenweise spekulativen Kontrollfall von 3.570,- €) verfügte, würde das Bundesverfassungsgericht davon ausgehen, dass das Mindestabstandsgebot in der Kontrolle des aktuellen Besoldungsgesetzes eingehalten werden würde. Daraus folgte allerdings noch nicht automatisch, dass nun die gewährte Alimentation amtsangemessen und also das Besoldungsgesetz verfassungskonform wäre. Denn auf dieser Basis müssten nun die weiteren Parameter der ersten Prüfungsstufe betrachtet werden, müsste weiterhin eine Gesamtbetrachtung sowie anschließende Betrachtung der zweiten Prüfungsstufe erfolgen, an die sich eine Gesamtabwägung anzuschließen hätte sowie dann die Betrachtung der dritten Prüfungsstufe und am Ende die Kontrolle, ob der Gesetzgeber die sich ihm stellenden prozeduralen Anforderungen erfüllt hätte oder nicht.
Die Betrachtung des Mindestabstandsgebots und seiner Folgen allein reichen nicht aus, um den verfassungskonformen Gehalt der zu gewährenden Nettoalimentation zu garantieren - sie zeigt regelmäßig nur automatisch für die das Mindestabstandsgebot nicht erfüllenden Besoldungsgruppen deren verfassungswidrige Unteralimentation an.
Zusammengefasst: Der Rekurs allein auf die kalten Unterkunftskosten reicht nicht aus, um den verfassungskonformen oder verfassungswidrigen Gehalt der gewährten Nettoalimentation festzustellen oder gar eine Bemessung der Besoldungskomponenten durchführen zu wollen (was Du nicht willst und auch nicht tust); ein rein mathematisierendes Vorgehen ist verfassungsrechtlich nicht erlaubt, da es die Methodik des bundesverfassungsgerichtlichen Prüfverfahrens missverstehen würde. Ebenso reichte auch die Betrachtung der Mindestalimentation nicht aus, da das zu einer nicht gestatteten Verkürzung der deutlich weiterreichenden Besoldungsrechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts führte. Allein schon deshalb konnten die beiden im letzten Jahr vollzogenen Gesetzgebungen des Landtags formell keine verfassungskonforme Besoldung schaffen, da sie keine Zusammenführung der jeweils für sich allein vollzogenen Betrachtung geleistet haben und so formell nicht hinreichen können - unabhängig davon, dass die gesamte Regelung über eine "Herdprämie" mittelbar geschlechterdisriminierend und damit verfassungswidrig ist.