Autor Thema: Angabe Schwerbehinderung Bewerbung: was ist klar und was nicht?  (Read 1404 times)

spit

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Hallo,

ich war soeben bei einer öffentlichen Sitzung beim Arbeitsgericht.

Da ging es darum, dass eine schwerbehinderte Bewerberin nicht eingeladen wurde, obwohl sie nicht offensichtlich ungeeignet war.

Sie hatte im letzten Absatz ihres Bewerbungsanschreibens das ungefähr so formuliert (ganz genau bekomme ich es nicht mehr hin, aber so gut wie!):

"Ich gebe 100 % trotz 50 % nach dem SGB IX."

Lt. Beklagter wäre dies eine nicht ausreichend klare Formulierung. Nach der Rechtssprechung müsse man eine klare Formulierung wählen, um entsprechende Pflichten beim Arbeitgeber auszulösen.

Ich persönlich kenne das mit der klaren Formulierung bis jetzt nur so, wenn es um den Lebenslauf geht. D. h., die Angabe der Schwerbehinderung muss im Lebebauf an hervorgehobener Stelle erfolgen. Aber im Fließtext des Bewerbungsanschreibens? Was ist da klar und was nicht?

Angeblich hatte die Beklagte die Bewerbung eingehend überprüft.

Wenn das lt. Klägerin und auch lt. Richter so gewesen wäre, hätte der Beklagten bewusst sein müssen, was diese Formulierung bedeutet, da ein Personaler das SGB IX kennen sollte und somit auch, was 50 % bedeutet.

Da lt. Richter, der bereits mehrerer solcher Verfahren hatte, es dennoch keine so klare Formulierung ist, schlug er vor, dass beide Seiten sich in der Mitte treffen sollten, also bei 1,5 Bruttos und es den Erfahrungen und der sonstigen Rechtssprechung nur mehr gibt, wenn die Klägerin z. B. geschrieben hätte: "Ich bin schwerbehindert." oder "Ich habe einen GdB von 50".

Beide Parteien schlossen den Vergleich mit 1,5 Bruttos.

Nun frage ich mich, ob es diesbzgl. andere Urteile oder Kommentierungen gibt, in denen es Beispiele gibt, die ähnlich ... na ja ... googlebedürftig sind. Ich hätte es beim Lesen gewusst, was die Bewerberin aussagen möchte. Aber vielleicht doch nicht jeder, der eingegangene Bewerbungen liest?

Die Klägerin konnte i. Ü. auch glaubhaft machen, dass sie keine sog. AGG-Hopperin ist, die diese Formulierung gewählt hat, damit man sie schnell überlesen kann und somit dann letztlich Schadensersatz geltend machen kann. Sie legte bestimmt ein Dutzend Bewerbungen vor, in denen sie es genauso oder so ähnlich formuliert hatte, sie wurde eingeladen und nahm an den Bewerbungsgesprächen teil.

Auch, wenn ich gewusst hätte, was diese Formulierung bedeutet, hâtte ich dennoch nicht damit gerechnet, dass es letztlich einen Vergleich gibt.

Daher bin ich sehr gespannt, was Urteile oder Kommentierungen hergibt.

Dankeschön.

Beste Grüße

maiklewa

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Klar ist, dass nichts klar ist!

MWn wurde das konkret (noch) nicht ausgeurteilt.

Wenn im Fließtext, egal wo, im Anschreiben ein solcher Hinweis steht, auch sowas wie 50 % nach SGB IX, dann ist einzuladen, sofern keine offensichtliche Nichteignung vorliegt! Jeder AG im ÖD ist einfach selten dämlich, wenn ers nicht tut!

Schade, dass im vorliegenden Fall ein Vergleich geschlossen wurde, aber fürs Gericht ist ein Vergleich natürlich immer besser, als ein Urteil. Aber beide Seiten haben bestimmt eine Widerrufsfrist, oder!?

Und ja, hervogehoben unter einer extra Überschrift muss die Angabe der Schwerbehinderung nur im Lebenslauf sein. Und nicht im Anschreiben und im Lebenslauf. Entweder oder! Aber im Anschreiben muss weder die Wörter oder Angaben "Schwerbehinderung", "schwerbehindert", "GdB", "Grad der Behinderung" ... stehen.

Ich würde es echt interessant finden, weil dann auch beide Seiten Ruhe haben und sicher sind, ob jetzt eingeladen werden muss oder nicht, wobei in dem konkreten Fall man nicht verstehen kann, warum der AG nicht eingeladen hat. Man hat vielleicht auch nur gepokert!? Und dass die Bewerberin der Beklagten die Grundlage einer Unterstellung von wegen AGG-Hopping entzogen hat, indem sie viele weitere Bewerbungen hat vorlegen können - mit dieser Formulierung - dann Einladungen erhalten hat und noch viel wichtiger, dass sie diese dann auch wahrgenommen hat und sich wahrscheinlich hat auch bestätigen lassen ... super!

Ich finde es sogar echt schade, dass die Bewerberin dem Vergleich zugestimmt hat, denn die Rechtssprechung bis zum BAG ist auf ihrer Seite. Die Gegenseite hätte keine Gegenbeweise vorlegen können, dass diese Formulierung nicht ausreicht. Und wenn es dann mind. zum Kammertermin kommt und vielleicht sogar weitergeht, was natürlich dann einen Anwalt und entsprechende Kosten nach sich zieht, dann kanns für den AG hinten raus noch viel teurer werden.

Sollte der AG Widerruf einlegen, und der wird sich ganz sicher diese Möglichkeit im Vergleich einräumen lassen, dann wird das ganz sicher ein Eigentor! Ganz bestimmt! Und die Beisitzenden in der Kammer sind mEn eher pro Klägerin in einem solchen Fall!

Mir dann mal bitte Bescheid geben, wenns zum Kammertermin kommen sollte, dann komme ich vllt auch  mal vorbei. ;-)

MoinMoin

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Ich finde es sogar echt schade, dass die Bewerberin dem Vergleich zugestimmt hat,
und das zeigt doch, dass sie keine Hopperin ist  ;D
Sondern einfach nur den Ag den Kopf waschen wollte.

clarion

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Korrekt hat die Bewerberin sich nicht ausgedrückt.  Es heißt korrekt Grad der Behinderung von 50 ohne Prozent  oder GdB 50.

Ich sehe es aber wie Maiklewa. Der AG hat nicht genau genug gelesen.

Ich finde es ärgerlich,  dass Gerichte bei glasklaren Sachverhalte  trotzdem zu einem hälftigen Vergleich drängen.

MoinMoin

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Ich finde es vernünftig, wenn Gericht die Verfahren verwaltungsökonomisch behandeln.
Es wird niemand zu einem Vergleich gezwungen.

andreb

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Der öffentliche Arbeitgeber ist verpflichtet ganz genau zu lesen.

Im Zweifel lieber einladen und den Sachverhalt im Gespräch nochmal dezent aufgreifen oder aber bei berechtigten Zweifeln nachfragen und sich vielleicht ein bisschen „blöd“ stellen als Arbeitgeber. („Was haben Sie mit dem letzten Satz konkret äußern wollen … oder so ähnlich)

Opa

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Wenn das Gericht zweifelsfrei festgestellt hat, dass die Bewerberin keine sog. AGG-Hopperin ist, finde ich den Vergleichsvorschlag ausgesprochen moderat. Ich hätte den Arbeitgeber wahrscheinlich zu 3 Monatsgehältern verdonnert.

clarion

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Moderat für den Arbeitsgeber,  zum Schaden der Bewerberin.

carriegross

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Wobei man auch wissen muss, dass mehr als 1,5 Gehälter so gut wie nie bezahlt werden. Aber sag niemals nie!

Im vorliegenden Fall allerdings wäre der AG ziemlich blöd, also noch blöder als ohnehin schon, wenn sie den Vergleich widerrufen würden.

Wenn ich es recht verstanden habe, dann hatte die Bewerberin keinen Anwalt. Nicht, dass das für den AG ein Zeichen dafür ist, doch Wideruf einzulegen. Nachher sitzt dann im Kammertermin doch ein Anwalt neben der Bewerberin oder spätestens vorm LAG. xD

Dass ein Personaler nicht weiß, worum es im SGB IX geht, kann mir niemand erzählen. Ist ja megapeinlich! "Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen"! Was soll i. V. damit 50 % bedeuten? Man hat das SGB IX zur Hälfte gelesen?

Aus Arbeitgebersicht bzw. aus Personalersicht würde ich mir auch wünschen, dass es eine richterliche Vorgabe gäbe, aus der hervorgeht, welche Formulierungen entsprechende Pflichten bein AG im ÖD auslösen.

So allerdings ist die gewählte Formulierung vollkommen ausreichend und wenn man mal quergoogelt, findet man durchaus namhafte Seiten bzw. Institutionen, auf denen noch immer von 50 Prozent gesprochen wird. Und wenn das dann "nur" eine Bewerberin macht, kann man das ihr auch nicht vorwerfen!

Der Vergleich muss ja sicherlich erst noch final von einer "Versicherung" und/oder vom entsprechendem Gremium des AGs abgesegnet werden. Final ist das also noch nicht. Aber ich wette, dass die Bewerberin im evtl. Kammertermin mehr zugesprochen bekommt.

Und ja, wenn die Bewerberin eine Hopperin wäre, hätte sie sich auf den Vergleich nicht eingelassen.

Opa

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Btw: Das AGG wird jetzt 18 Jahre alt und schon Jahrzehnte vorher galt die Pflicht, Menschen mit Behinderung in das Verfahren einzubeziehen, sofern sie nicht offensichtlich ungeeignet sind.

Ich habe null Mitleid mit Arbeitgebern, die das immer noch nicht kapiert haben. Und ich finde am AGG-Hopping mittlerweile nichts verwerfliches mehr. Für mich sind das Menschen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, Unternehmen eine wertvolle Lektion gegen eine kleine Gebühr zu erteilen, die nicht viel höher ist, als der günstigste Beratertag bei McKinsey o.ä.

Von mir aus kann AGG-Hopper gern als Beruf anerkannt werden. Man bräuchte dann nur noch eine Berufsunfähigkeitsversicherung die einspringt, falls der Hopper aus Versehen eine Arbeitsstelle antritt.

andreb

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Hallo Opa
Ich schätze Ihre äußerst fundierten Beiträge wirklich sehr !

Aber die Praxis lehrt teilweise manigfaltige Dinge.

Die AGG-Hopper, die rechtsbräuchlich ihre Position durch Massenbewerbungen dazu verwenden, um im Verfahren berücksichtigt zu werden.
Dadurch verlieren andere Bewerber ihren ebenfalls rechtmäßigen Bewerberverfahrensanspruch (begrenzte Anzahl von Slots).
Gerne kann ich dazu ausführlich aus der Praxis berichten.

Opa

  • Gast
Andreb, natürlich haben Sie recht.

Mein Beitrag war ironisch gemeint und sollte folgendes verdeutlichen:

In einem Sachverhalt wird also bereits bei der Wortwahl ein unterschiedlicher Maßstab angelegt, obwohl beide Seiten Mist gebaut haben. Arbeitgeber verletzt geltendes Recht, der Bewerber nutzt rechtliche Möglichkeiten übermäßig aus. Auf Bewerberseite wird von Rechtsmissbrauch und mit abwertend gemeintem Begriff von „AGG-Hopper“ gesprochen, während auf Arbeitgeberseite eine solche Konnotation nicht existiert.

Der von Ihnen beschrieben Kollateralschaden ist erheblich, er ist ärgerlich, er entsteht aber vor allem deshalb, weil immer noch zu viele Arbeitgeber gegen das AGG verstoßen. Andernfalls gäbe es ja für die Hopper keinen Markt.

carriegross

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Im Übrigen wird selbst immer wieder noch in Urteilen von %/Prozent gesprochen. Mind. so lang auch das so gemacht wird, kann man keinem Kläger vorwerfen, dieselbe oder eine ähnliche Formulierung zu benutzen.

Hätte die Klägerin solche Beispiele vorgelegt, wäre es fürs AG und den AG dünne geworden?!

ElBarto

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GdB 50, 50%, halb arbeitsfähig, Handicap von 50... Die  Formulierung war für mich kontextbezogen eindeutig.

Allerdings meine ich zu wissen, dass seitens des Bewerbers auch zunächst keine Pflicht besteht das Handicap in der Bewerbung zu erwähnen.

Wenn man Gleichstellung und Gleichbehandlung durchsetzen will, wäre doch der erste Schritt die gleichen Chancen zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.

Die Integration von eingeschränkten Mitarbeitern ist ja je nach Einschränkung nicht immer einfach. Erwähnt man die Einschränkung in der Bewerbung dann muss man davon ausgehen, dass die sonstigen Qualifikationen genauer geprüft werden als bei anderen Bewerbern.

Im vorliegenden Fall wäre also für mich interessanter warum die Bewerberin nicht eingeladen bzw. abgelehnt wurde als der Streitpunkt "richtig erwähnt oder nicht".

clarion

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Mir scheint, Du, ElBarto, setzt Behinderung mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit gleich.  Das ist in den meisten Fällen nicht gerechtfertigt!

Richtig ist, dass keine Schwerbehinderung angegeben werden muss. Man muss sie dem Arbeitgeber auch nach Einstellung nicht mitteilen.  Dann kann man natürlich aber auch keine Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen. Zusätzlich nimmt man bei Nicht-Mitteilung dem Arbeitgeber die Möglichkeit,  die Pflichtquote nachzuweisen,  so dieser u.U. unnötigerweise einen Ausgleich  wegen Nichterfüllung der Mindestquote zahlt.