Beamte und Soldaten > Beamte der Länder
[Allg] Sollte man in Deutschland Richter werden?
jeto:
Danke für deine Worte, Dogmatikus.
Das Totschlagargument "Geh doch in die Wirtschaft", welches schon Alleinstellungsmerkmal in diversen Foren und Gesprächen besitzt, sobald eine Anzahl Personen über schlechte Zustände klagt, ist so unpassend in solchen Diskussionen - gerade wenn es um "Überzeugungsberufe" geht, die nicht primär des Geldes wegen ausgewählt wurden, sondern vielmehr gesellschaftlichen Reiz in der Form haben, etwas 'Gutes' tun zu können, möge es auch nicht bei jedem Personenkreis in der Form gewürdigt werden.
Dennoch ist es auch das gute Recht derjenigen, die diese Berufe ausüben, auf Missstände aufmerksam zu machen, die sich auf Arbeitsbedingungen, Bezahlung usw. beziehen. Nur weil hier Unmut herrscht und man Verbesserungen umgesetzt haben möchte, heißt das noch lange nicht, dass man mit der Kernarbeit des Berufes abgeschlossen hat.
Ich für meinen Teil liebe den Beruf, den ich ausübe, bin aber dennoch weder mit den geforderten Arbeitsstunden zufrieden noch mit den erzielten Ergebnissen aus meiner Arbeit - welches nicht zuletzt auch am krankenden Rechtssystem liegt. Und das kann und möchte ich auch weiterhin kundtun dürfen, ohne mich in die freie Wirtschaft wegbewegen zu müssen oder dazu aufgefordert zu werden ;-)
Letztendlich wird man nicht umhin kommen, Talente über bessere Arbeitsbedingungen und bessere monetäre Aussichten anzuwerben. Sonst gibt es bald keine "guten" Beamten mehr. Dafür muss die Alimentation der Staatsdiener endlich wieder _amts_angemessen sein (und nicht kinder_angemessen).
Organisator:
Inhaltlich bin ich voll bei Dogmatikus und bei Jeto.
Man muss nicht flüchten, wenn man Spaß und Sinnhaftigkeit bei einem Job hat und lediglich die Rahmenbedingungen nicht passen. Allerdings macht man sich auf Dauer auch kaputt bei ständiger Überlastung.
Und der Arbeitgeber / Dienstherr hat auch keinen Änderungsdruck, wenn sich die Beschäftigten selbst ausbeuten. Kurzum - eine Art von Zeichen muss man setzen. Wenns nicht die Abstimmung mit den Füßen ist, dann sollte man doch zumindest seine Arbeitszeit den (tarif-)rechtlichen Vorgaben anpassen. Nur so kann man einerseits seiner Gesundheit etwas gutes tun und andererseits den Druck in Richtung oben abgeben.
lotsch:
Das Wichtigste für alle Überlasteten, ihr seid nicht daran Schuld, die Organisation trägt die Schuld, und die setzt sehr weit oben an. Es klingt vielleicht naiv, aber wie wäre es mit Überlastungsanzeigen, oder sind diese auch karrierehemmend, und seid ihr so erpressbar?
BerndStromberg:
--- Zitat von: Dogmatikus am 16.04.2024 08:26 ---
--- Zitat von: 2strong am 16.04.2024 02:27 ---Und wenn der Kollege hier gestern kritisiert, dass seine bessere Hälfte mit Top-1%-Examen zu viel arbeitet und zu wenig verdient, bleibt mir nur zu sagen: Viel Erfolg in der Großkanzlei. Denn besonders belastbar scheint die eigene Entschlusskraft ja kaum sein zu können. Solche Leute braucht die Justiz in der Tat nicht. Da hapert es nämlich nicht an 10% Besoldungserhöhung rauf oder runter.
--- End quote ---
Ich persönlich bleibe, weil auch ich seit der Oberstufenzeit immer in die Justiz wollte, aus Überzeugung, um meinen Teil zur Gesellschaft beizutragen. Ist es wirklich zu viel verlangt, im Durchschnitt "nur" 100% statt 200% arbeiten zu müssen? Ist es wirklich zu viel verlangt, im europäischen Vergleich der Bezahlung nicht auf dem letzten Platz zu stehen? Ist es wirklich zu viel verlangt, die Einhaltung der vom BVerfG aufgestellten Parameter zur angemessenen Alimentation zu fordern?
Ich meine nicht. Ich meine sogar, als Überzeugungstäter ist es unsere Pflicht, den Dienstherren darauf hinzuweisen, dass der Fortbestand einer funktionierenden Justiz hiervon abhängt.
--- End quote ---
Du lebst den „Mythos des Sisyphos“, den man sich nach Camus als glücklichen Menschen vorstellen muss. Das meine ich ohne Spott oder Ironie, denn ich glaube, nur so kann man mit einer ausweglosen Situation im Beruf und überhaupt im Leben umgehen, nämlich indem man sie annimmt.
Allerdings gerät auch diese philosophische Einstellung im Berufsleben irgendwann an ihre Grenzen und wird von Justizverwaltung und dem Haushaltsgesetzgeber in völlig zynischer Weise ausgenutzt. Daher empfinde ich deine Forderung nach einer zumindest halbwegs auskömmlichen Stellenausstattung und zumindest nicht evident verfassungswidrigen Besoldung als absolut legitim. Und Kollegen im Burnout oder der inneren Kündigung sind am Ende auch für die Justiz die teurere Variante. Auf einer Fortbildung zum Thema „Umgang mit Stress“ konnte ich mir kürzlich ein Bild davon machen, wie die Teilnehmer, die erst am Anfang ihres Berufslebens als Staatsanwälte standen, schon bedenkliche Vorzeichen von Burnout aufwiesen…
Bei der Bezahlung hilft hoffentlich irgendwann Karlsruhe, bei der Stellenausstattung nur politischer Druck. Und den sehe ich noch viel zu selten, auch weil bis auf die Berufsverbände alle damit beschäftigt sind, den Felsen weiter den Berg raufzurollen und den Rechtsstaat am Laufen zu halten… ich wollte nicht dieses Schicksal teilen, bewundere und bedaure zugleich aber jeden, der es aus Überzeugung tut.
2strong:
--- Zitat von: Dogmatikus am 16.04.2024 08:26 ---Ich arbeite in einer StA, in der die Belastung nach offiziellen Zahlen des Ministeriums bei 170% liegt. Unsere Behörde pfeift aus dem letzten Loch. Wer da mit Plattitüden a la "Augen auf bei der Berufswahl" und "dann geh doch einfach" um sich wirft, hat die Situation nicht ansatzweise zu Ende gedacht. Wenn jeder gute Jurist trotz Überzeugung, dass er immer in die Justiz wollte, vorher gar nicht in den Beruf reingeht bzw. nach 3 Jahren das Weite sucht, wie sieht dann die Zukunft der Justiz aus?
Ich persönlich bleibe, weil auch ich seit der Oberstufenzeit immer in die Justiz wollte, aus Überzeugung, um meinen Teil zur Gesellschaft beizutragen. Ist es wirklich zu viel verlangt, im Durchschnitt "nur" 100% statt 200% arbeiten zu müssen? Ist es wirklich zu viel verlangt, im europäischen Vergleich der Bezahlung nicht auf dem letzten Platz zu stehen? Ist es wirklich zu viel verlangt, die Einhaltung der vom BVerfG aufgestellten Parameter zur angemessenen Alimentation zu fordern?
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Ich meine das nicht zynisch. Nur könnte ich Dir hier im Forum dutzende Threats aufzeigen, in denen Leuten mit ähnlichen Sorgen empfohlen wurde: Mache Probleme des Arbeitgebers nicht zu Deinen eigenen.
Ungeachtet dessen sehe ich die Kritik an den allgemeinen Arbeitsbedingungen in der Justiz durchaus auch ein. Was Arbeitszeiterfassung und Ausgleich - nicht nur in der Justiz - betrifft, steht manche Dienststelle einem Lidl oder Burger King-Franchisenehmer in nichts nach.
Meine Kritik richtete sich primär gegen das Genöle wegen angeblich unzureichender Vergütung in Relation zur GK.
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